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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.05.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 97/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1905 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
Zur Frage der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Sterilisation bei einer Schwwangerschaftserwartung.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Schreieder und Dr. Nitsche

am 23. Mai 2001

in der Betreuungssache

auf die weitere Beschwerde des Sterilisationsbetreuers

beschlossen:

Tenor:

I. Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 13. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Für die Betroffene ist mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit, Zuführung zu ärztlicher Heilbehandlung, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Vertretung bei Behörden die Mutter als Betreuerin und mit dem Aufgabenkreis Einwilligung in eine Sterilisation ein weiterer Betreuer bestellt.

Mit Beschluss vom 27.7.2000 lehnte es das Amtsgericht ab, die Sterilisation der Betroffenen zu genehmigen.

Die vom weiteren Betreuer hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am 13.10.2000 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Sterilisationsbetreuer mit der weiteren Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, hat aber keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, es liege zumindest derzeit die Voraussetzung des § 1905 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB nicht vor. Erforderlich wäre danach die konkrete und ernstliche Annahme, dass ohne Sterilisation eine Schwangerschaft zu erwarten sei. Zwar sei kein besonderer Grad an Wahrscheinlichkeit notwendig, die abstrakte Möglichkeit reiche jedoch nicht aus. Insbesondere sei eine "vorsorgliche" Sterilisation nicht zulässig. Nicht ausreichend sei z.B. eine gemeinsame Unterbringung der Betreuten mit Männern in - einem Heim oder einer Wohngruppe sowie die allgemeine Erwartung, dass eines Tages sexuelle Kontakte stattfinden würden. Nach den Ermittlungen sei lediglich festzuhalten, dass Eltern und Geschwister der Betroffenen bei dieser ein zunehmendes Interesse am anderen Geschlecht festzustellen glaubten. Von sexuellen Kontakten der Betroffenen mit Männern sei der Mutter jedoch nichts bekannt. Diese habe lediglich beobachtet, dass die Betroffene manchmal auf Männer zugehe und gern Körperkontakt aufnehme. Es habe bisher aber nur Begrüßungsküsschen gegeben. Bei einem Ausflug habe sich die Betroffene in den Vater eines behinderten Kindes "verliebt", was sich darin geäußert habe, dass sie sich neben diesen Mann gesetzt habe,' sich habe streicheln lassen und in angelangt habe. Von sexuellen Aktivitäten oder einer festen Beziehung zu einem Mann sei der Mutter nichts bekannt. Damit ergebe sich nur eine gewisse abstrakte Möglichkeit des Geschlechtsverkehrs. Der Hinweis des Beschwerdeführers, dass sich der Zustand im Falle einer auswärtigen Unterbringung der Betroffenen ändern könne, liefe auf eine unzulässige vorsorgliche Sterilisation hinaus. Sollten sich in Zukunft konkrete Umstände im Hinblick auf einen Schwangerschaftseintritt ergeben, wäre die Sachlage auf entsprechenden Antrag hin neu zu prüfen. Die Bedenken des Beschwerdeführers, die strengen Voraussetzungen des § 1905 BGB seien verfassungswidrig, teile die Kammer nicht. Das Wohl und Wehe sowie der Schutz der Betroffenen seien vorrangig gegenüber den vom Sterilisationsbetreuer betonten Interessen der Angehörigen.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).

a) Wegen der Schwere des Eingriffs in die körperliche Integrität und die gesamte Lebensführung knüpft § 1905 BGB die Einwilligung des hierfür besonders bestellten Betreuers in die Sterilisation der selbst nicht einwilligungsfähigen Betreuten und die Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung an enge Voraussetzungen, die ausschließlich auf die Interessen der Betreuten abstellen und kumulativ erfüllt sein müssen. Die Regelung wird von der ganz herrschenden Meinung für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (vgl. nur Erman/Roth BGB 10. Aufl. § 1905 Rn. 7; Knittel Betreuungsgesetz § 1905 BGB Rn. 5; MünchKomm/Schwab BGB 3. Aufl. § 1905 Rn. 3; Staudinger/Bienwald BGB [1999] § 1905 Rn. 17). Soweit Vorbehalte geäußert werden, zielen sie jedenfalls nicht in die Richtung des Beschwerdeführers. Dieser hält eine großzügigere Handhabung der Sterilisation Volljähriger für angebracht. Der Senat kann jedoch keine Rechtsposition erkennen, die trotz des mit einer Sterilisation verbundenen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit und das Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2. GG) aus verfassungsrechtlichen Gründen die Zulassung einer Sterilisation ohne Einwilligung des Betroffenen gebieten könnte.

b) Nach § 1905 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB kann der Betreuer in die Sterilisation nur einwilligen und das Vormundschaftsgericht die hierfür erforderliche Genehmigung nur erteilen, wenn anzunehmen ist, dass es ohne die Sterilisation zu einer Schwangerschaft kommen würde. Dabei muss die Schwangerschaftserwartung konkret und ernstlich sein. Ein besonderer Grad an Wahrscheinlichkeit ist nicht gefordert. Vielmehr genügt, dass aufgrund der sexuellen Aktivität der fortpflanzungsfähigen Betreuten mit einer Schwangerschaft zu rechnen ist. Nicht zulässig ist dagegen eine "vorsorgliche" oder "vorbeugende" Sterilisation wegen der lediglich abstrakten Möglichkeit einer Schwangerschaft, wie etwa bei einer gemeinsamen Unterbringung der Betreuten mit Männern in einem Heim, aufgrund der allgemeinen Erwartung, dass eines Tages sexuelle Kontakte stattfinden, insbesondere Partnerschaften eingegangen werden (BayObLGZ 1997, 49/51; OLG Hamm BtPrax 2000, 168/169; Erman/ Roth § 1905 Rn. 15; Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 1905 BGB Rn. 8; Knittel § 1905 BGB Rn. 15; Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1905 Rn. 21 f.; Staudinger/Bienwald § 1905 Rn. 47).

c) Diese Grundsätze hat das Landgericht beachtet. Es durfte auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zu dem Ergebnis kommen, derzeit bestünden keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, die Betroffene könnte ohne Sterilisation schwanger werden. Da danach eine der Voraussetzungen für die Erteilung fehlt, begegnet die Ablehnung der Genehmigung einer Sterilisation der Betroffenen keinen rechtlichen Bedenken.

Die Betroffene unterhält derzeit keine für die Herbeiführung einer Schwangerschaft geeigneten sexuellen Kontakte und zeigt auch bislang kein ausdrückliches Interesse daran. Sie lebt im Elternhaus und arbeitet in einer Werkstatt für Behinderte, beides unter Verhältnissen, welche die Aufnahme von Beziehungen, die zu einer Schwangerschaft führen könnten, jedenfalls nicht wahrscheinlich erscheinen lassen. Das Landgericht durfte aus diesen konkreten Umständen (HK-BUR/Hoffmann § 1905 BGB Rn. 69) den Schluß ziehen, auch ohne Sterilisation der Betroffenen sei mit einer Schwangerschaft nicht ernstlich zu rechnen.

Das vom Vormundschaftsgericht gemäß § 69d Abs. 3 Satz 3 FGG erholte Gutachten zu den sozialen, sonderpädagogischen und sozialpädagogischen Gesichtspunkten der Sterilisation vom 28.1.2000 musste das Landgericht nicht zum Anlass für eine andere Würdigung nehmen. Es hält zwar bei der Betroffenen einen ungeschützten Geschlechtsverkehr für wahrscheinlich, geht aber andererseits selbst davon aus, dass die Betroffene von sich aus aller Voraussicht nach keine sexuelle Intimität suchen werde. Das Vormundschaftsgericht und ihm folgend das Beschwerdegericht haben diese Aussagen des Gutachtens berücksichtigt. Sie haben aber ihm nur die abstrakte Möglichkeit einer Schwangerschaft entnommen, die nicht genüge, um eine Sterilisation zu rechtfertigen. Die Würdigung von Sachverständigengutachten gehört zur freien tatrichterlichen Beweiswürdigung und ist vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG) und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (§ 25 FGG), ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen die Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. BayObLGZ 1993, 18/19 f.). Nach diesen Grundsätzen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht aufgrund weiterer Ermittlungen, insbesondere der Anhörung der Mutter, zu einer anderen Einschätzung der Wahrscheinlichkeit als die Sachverständigen kommt. Der Tatrichter darf das Ergebnis eines Gutachtens gerade nicht kritiklos übernehmen, da er nur dann imstande ist, sich, wie geboten, ein eigenes Bild von der Richtigkeit der vom Gutachter gezogenen Schlüsse zu machen (vgl. etwa BayObLGZ 1986, 338/340).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13a Abs. 2 Satz 1 FGG (vgl. BayObLGZ 1997, 49/53).

Ende der Entscheidung

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