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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.06.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 98/01
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1836c Nr. 2
FGG § 28 Abs. 2
Vorlage an den Bundesgerichtshof, ob die Schongrenze des vom Betreuten für die Vergütung des Betreuers einzusetzenden Vermögens seit 1.1.1999 grundsätzlich bei 4500 DM liegt.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Plößl und Dr. Schreieder

am 29. Juni 2001

in der Betreuungssache

auf die sofortige weitere Beschwerde der Staatskasse

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 14. Februar 2001 wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe:

I.

Für die Betroffene ist seit Ende November 1998 ein neuer Betreuer bestellt. Diesem bewilligte das Amtsgericht für die bis einschließlich August 1999 geleisteten Tätigkeiten Vergütungen aus der Staatskasse mit einem Stundensatz von jeweils 60 DM.

Dem Antrag des Betreuers, ihm für den Abrechnungszeitraum 1.9.1999 bis 30.4.2000 aus der Staatskasse auf der Basis eines Stundensatzes von 60 DM eine Vergütung von 920 DM zu bewilligen und ihm aus der Staatskasse auch seine Aufwendungen in Höhe von 71,64 DM zu ersetzen, zumindest aber einen Vorschuss zu gewähren, entsprach das Amtsgericht nur zum Teil. Mit Beschluss vom 10.11.2000 gestand es ihm für die Zeit vom 1.9. bis 31.12.1999 aus der Staatskasse einen Vorschuss zu, und zwar, unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 45 DM, eine Vergütung von 375 DM sowie Aufwendungsersatz in Höhe von 35,54 DM. Den die Tätigkeiten ab dem 1.1.2000 betreffenden Antrag lehnte das Amtsgericht mangels Mittellosigkeit der Betroffenen ab. Diese verfüge über 6163,10 DM Sparguthaben, womit ihr Vermögen die ab 1.1.2000 maßgebliche Schongrenze von 4500 DM übersteige. Dass es sich bei dem Vermögen um angespartes Pflegegeld handle, sei unbeachtlich.

Auf die sofortige Beschwerde des Betreuers hat das Landgericht am 14.2.2001 dem Antrag des Betreuers auf Vergütung mit einem Stundensatz von 60 DM und Aufwendungsersatz aus der Staatskasse für den gesamten Abrechnungszeitraum (1.9.1999 bis 30.4.2000) in vollem Umfang stattgegeben.

Hiergegen wendet sich die Staatskasse mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige, insbesondere vom Landgericht zugelassene (§ 69e Satz 1, § 56g Abs. 5 Satz 2 FGG) Rechtsmittel ist dem Bundesgerichtshof vorzulegen, da der Senat darüber nicht befinden kann, ohne von der auf sofortige weitere Beschwerde ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 13.9.2000 (16 Wx 97/00 - OLG Report Köln 2001, 92) abzuweichen (§ 28 Abs. 2 Satz 1 FGG).

1. Der Senat möchte die angefochtene Entscheidung aufheben und die sofortige Beschwerde des Betreuers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 10.11.2000 zurückweisen.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die Vergütung des Betreuers und der Ersatz seiner Aufwendungen sei für den gesamten in Rede stehenden Abrechnungszeitraum wegen Mittellosigkeit der Betroffenen von der Staatskasse zu erbringen. Das Vermögen der Betroffenen habe sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts auf 7390,40 DM belaufen und sei damit unter der Schongrenze geblieben, die nach wie vor bei 8000 DM liege. Der Vergütung sei ein Stundensatz von 60 DM zugrunde zulegen. Im Hinblick auf die Zubilligung dieses Stundensatzes bis einschließlich August 1999 könne sich der Betreuer jedenfalls für den hier in Frage stehenden Zeitraum auf Vertrauensschutz berufen.

b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der Betreuer für den verfahrensgegenständlichen Abrechnungszeitraum (1.9.1999 bis 30.4.2000) Vergütung und Aufwendungsersatz nicht mehr aus der Staatskasse verlangen, weil die Betroffene gemäß dem seit 1.1.1999 geltenden Recht nicht mittellos ist.

aa) Der Berufsbetreuer hat gegen den Betreuten Anspruch auf Vergütung seiner Amtsführung (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BGB). Macht er zum Zwecke der Führung der Betreuung Aufwendungen, hat ihm der Betreute diese nach den für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 669, 670 BGB zu ersetzen (§ 1835 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ist der Betreute mittellos, kann der Betreuer die zu bewilligende Vergütung und den Ersatz seiner Aufwendungen aus der Staatskasse verlangen (§ 1836a, § 1835 Abs. 4 Satz 1 BGB).

Das Fehlen einer Feststellung, dass der Betreuer die Betreuung berufsmäßig führe (§ 1836 Abs. 1 Satz 2 BGB), hindert nicht, ihm gemäß § 1836 Abs. 2 Satz 1 BGB eine Vergütung zu bewilligen. Für eine entsprechende Feststellung bestand kein Anlass, da der Betreuer bereits vor dem 1.1.1999 bestellt worden war (vgl. hierzu BGH NJW 2000, 3709/3711).

bb) Ein Betreuter gilt als mittellos, wenn er den Aufwendungsersatz bzw. die Vergütung aus seinem einzusetzenden Einkommen oder Vermögen gemäß § 1836d BGB nicht aufbringen kann. Welches Einkommen oder Vermögen der Betreute hierbei aufzuwenden hat, bestimmt sich nach § 1836c BGB. Danach hat der Betreute Vermögen nach Maßgabe des § 88 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) einzusetzen (§ 1836c Nr. 2 BGB), mithin grundsätzlich sein gesamtes verwertbares Vermögen, soweit keiner der Verschonungstatbestände des § 88 Abs. 2 BSHG vorliegt (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 31).

Schonvermögen sind unter anderem "kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte" (§ 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG). Für die "Hilfe in besonderen Lebenslagen" beläuft sich das geschonte Vermögen insoweit auf 4500 DM (§ 88 Abs. 4 BSHG, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes). Diese Schongrenze ist im Grundsatz seit 1.1.1999 für die Feststellung der "Mittellosigkeit" maßgebend (§ 1836c Nr. 2 BGB; BT-Drucks. 13/7158 S. 17 und 29 ff.; vgl. BayObLGZ 2000, 331/332 f.; SchlHOLG FGPrax 2001, 75/76; OLG Zweibrücken BtPrax 2000, 264; a. A. OLG Köln Report 2001, 92 und wohl auch Deinert BtPrax 2001, 103/105 m. w. N.). Das Gesetz stellt hinsichtlich des einzusetzenden Einkommens ausdrücklich auf die für die Hilfe in besonderen Lebenslagen geltende Grenze ab (vgl. § 1836c Nr. 1 BGB). Es gibt damit zu erkennen, dass es Betreute im Grundsatz den Personen gleichstellt, die auf die Hilfe in besonderen Lebenslagen angewiesen sind (vgl. BayObLG aaO). Diese Intention des Gesetzes ist auch zu beachten, wenn zu entscheiden ist, welche der sozialhilferechtlich vorgesehenen Schongrenzen für die Heranziehung des Kleinvermögens (§ 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG) im Rahmen der Prüfung gemäß § 1836c BGB maßgebend ist. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, in dieser Beziehung Einkommen und Vermögen unterschiedlich zu behandeln, fehlt.

Die Schongrenze von 4500 DM ist angemessen zu erhöhen, wenn im Einzelfall eine "besondere Notlage" des Betreuten besteht (§ 88 Abs. 2 Nr. 8 2. Halbsatz BSHG; § 2 Abs. 1 Satz 1 der genannten Verordnung) oder soweit ein Freibetrag von lediglich 4500 DM für den Betreuten eine "Härte" bedeuten würde (§ 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG). Die Schongrenze erhöht sich auf 8000 DM bei blinden und bei schwerstbehinderten Betreuten (§ 67 bzw. § 69a Abs. 3 BSHG, § 1 Nr. 1b der genannten Verordnung).

Eine "besondere Notlage" ist in der Regel insbesondere dann gegeben, wenn der Betreute besonderen Belastungen ausgesetzt ist (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 der' genannten Verordnung), die es als unzumutbar erscheinen lassen, das Schonvermögen auf 4500 DM zu beschränken. Von Bedeutung ist insoweit unter anderem die Art der Entstehung der Notlage, ihre (voraussichtliche) Dauer und das Ausmaß der zu ihrer Behebung oder Milderung notwendigen Aufwendungen.

Die Begrenzung des Schonvermögens auf 4500 DM bedeutet für den Betreuten in der Regel eine "Härte", soweit dies zu einem den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG nicht entsprechenden Ergebnis führen (vgl. BayObLGZ 1995, 307/310; Kunz in Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker BSHG § 88 Rn. 23), hierdurch insbesondere eine angemessene Lebensführung des Betreuten oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde (§ 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG; vgl. BayObLGZ 1995, 307/310; 1997, 82/84).

cc) Die Beurteilung, ob eine besondere Notlage des Betreuten besteht oder ein Freibetrag von lediglich 4500 DM für ihn eine Härte bedeuten würde, obliegt in erster Linie dem Tatrichter (vgl. OLG Oldenburg FamRZ 1996, 953/955). Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung der den Einzelfall prägenden Umstände (vgl. BayObLGZ 1997,-82/83; OLG Oldenburg aaO; Kunz in Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker BSHG § 88 Rn. 23). Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Beurteilung des Tatrichters nur auf Rechtsfehler überprüfen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG).

dd) Das Landgericht hat sich mit der Frage, ob die grundsätzliche Schongrenze von 4500 DM im vorliegenden Fall zu erhöhen ist, aus seiner Sicht folgerichtig, nicht auseinandergesetzt. Gleichwohl ist die Sache nicht an das Landgericht zurückzuverweisen. Vielmehr könnte der Senat selbst abschließend entscheiden, da er die erforderlichen Feststellungen, ohne dass es weiterer Ermittlungen bedürfte, aus den Akten treffen könnte (vgl. BayObLGZ 1985, 63/66) und zu einer eigenständigen Würdigung des Sachverhalts befugt wäre (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 1092/1093).

ee) Danach hätte es bei der Schongrenze von 4500 DM zu verbleiben.

Die Voraussetzungen des § 67 BSHG und des § 69a Abs. 3 BSHG sind ebenso wenig gegeben wie eine "besondere Notlage" der Betroffenen. Es bestehen keine finanziellen Belastungen, die es geboten erscheinen ließen, der Betroffenen einen über 4500 DM hinausgehenden Freibetrag zuzubilligen. Die Inanspruchnahme des die Schongrenze von 4500 DM übersteigenden Vermögens für die Vergütung des Betreuers bedeutet für die Betroffene auch keine unzumutbare Härte. Die Betroffene bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente von monatlich 1058,25 DM und erhält außerdem 97 DM Wohngeld sowie aus der Pflegeversicherung 800 DM Pflegegeld. Ihre Ersparnisse betrugen 1990 ca. 2000 DM, erhöhten sich bis 1994 auf rund 5000 DM und beliefen sich zum 10.11.2000 auf 6463,10 DM. Auf dem Girokonto hatte sie an diesem Tag ein Guthaben von 927,30 DM. Angelegt sind die Ersparnisse auf einem Sparkonto, einem Zuwachssparkonto und einem Prämiensparkonto, wobei auf letzteres - nach dem Vorbringen des Betreuers - monatlich 50 DM von dem nicht in Anspruch genommenen Pflegegeld eingezahlt werden. Bei diesem Vermögensstand führt die Inanspruchnahme der Betroffenen für die Vergütung des Betreuers und den Ersatz seiner Aufwendungen zu keiner unzumutbaren Beeinträchtigung ihrer vorhandenen Lebensgrundlage oder ihrer sozialen Stellung. Ihr Kapitalvermögen übersteigt die Schongrenze inzwischen beträchtlich. Bei der Größenordnung der vom Betreuer für den verfahrensgegenständlichen Abrechnungszeitraum von acht Monaten beanspruchten Vergütung (920 DM) und der geltend gemachten Aufwendungen (71,64 DM) hat eine entsprechende Belastung des Vermögens der Betroffenen keine Zurückstellung notwendiger Bedürfnisse zur Folge. Soweit Ersparnisse aus nicht verbrauchtem Pflegegeld resultieren, lässt auch dies ihren Einsatz für die Kosten der Betreuung nicht als unzumutbare Härte erscheinen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Leistungen der Pflegeversicherung Einkommen im Sinne des § 1836c Nr. 1 BGB sind (so BayObLGZ 1999, 362/364; a. A. Jürgens BtPrax 2000, 71 und Winterstein in Jürgens BtR 2. Aufl. 1836c BGB Rn. 4 unter Hinweis auf SGB XI § 13 Abs. 5 Satz 1). Dem Einsatz von Pflegegeld aus der Pflegeversicherung steht jedenfalls dann nichts mehr im Wege, wenn es nicht dazu verwendet wird, die notwendigen Hilfeleistungen durch selbst beschaffte Pflegepersonen zu organisieren (vgl. SGB XI § 37 Abs. 1 Satz 1), sondern dem Vermögen zugeführt wird (vgl. Schellhorn BSHG 15. Aufl. § 88 Rn. 70). Dafür, dass bei der Betroffenen in absehbarer Zeit ein gesteigerter Pflegebedarf entstehen wird, liegen Anhaltspunkte nicht vor.

ff) Soweit das Amtsgericht der Betroffenen einen Freibetrag von 8000 DM noch bis 31.12.1999 zugestanden und dem Betreuer deshalb für die bis dahin getätigten Betreuergeschäfte einen aus der Staatskasse zu erbringenden Vorschuss gewährt hat, steht einer Aufhebung dieser Entscheidung das Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius; vgl. BGH NJW 2000, 3712/3715) entgegen, da nur der Betreuer sofortige Beschwerde eingelegt hat.

2. Der Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und der Zurückweisung der Erstbeschwerde des Betreuers steht entgegen, dass der auf sofortige weitere Beschwerde ergangenen Entscheidung des OLG Köln vom 13.9.2000 die Auffassung zugrunde liegt, das einem Betreuten gemäß § 1836c Nr. 2 BGB i. V. m. § 88 Abs. 2 Nr. 8, Abs. 4 BSHG, 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes zu belassende Vermögen belaufe sich auf 8000 DM, da die Lage eines Betreuten mit der Situation eines Blinden oder Schwerstbehinderten vergleichbar sei.

Ende der Entscheidung

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