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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 23.09.2003
Aktenzeichen: 4 St RR 104/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 267
Ein tatrichterliches Urteil, das sich darauf stützt, der Angeklagte habe ein Kennzeichen geführt, das einem verbotenen zum Verwechseln ähnlich sieht, muss sowohl dieses als auch das verbotene darstellen oder ausdrücklich im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf entsprechende Abbildungen Bezug nehmen; andernfalls sind die Urteilsgründe im Revisionsverfahren nicht daraufhin überprüfbar, ob das verwendete Kennzeichen dem verbotenen zum Verwechseln ähnlich ist.
Tatbestand:

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten vom Vorwurf freigesprochen, er habe ein Kennzeichen verwendet, das dem eines verbotenen Vereins zum Verwechseln ähnlich sei.

Mit ihrer Revision rügte die Staatsanwaltschaft die Verletzung des materiellen Rechts. Die (Sprung-)Revision ist zulässig (§ 335 Abs. 1, §§ 312, 341 344, 345 StPO) und begründet.

Gründe:

1. Nach den Feststellungen trug der Angeklagte am 10.7.2002 in einer Gaststätte in München ein schwarzes T-Shirt, auf dem sich über der linken Brust ein behelmter Totenkopf mit Adlerschwingen befand. Dieses Zeichen wurde durch einen halb offenen, oberhalb befindlichen Bogen mit der Schrift "Hells Angels" und unterhalb mit einem halb offenen Bogen mit der Aufschrift "Bohemia" umrahmt. Unterhalb der Adlerschwingen befindet sich die Abkürzung "MC". Die Schriftbuchstaben "Hells Angels" und "Bohemia" sind dabei in gleich großen Lettern geschrieben. Das Abzeichen nimmt eine Fläche von ca. 8 cm x 8 cm ein. Auf der Rückseite befand sich das gleiche Symbol in Rücken bedeckender Größe.

Der Angeklagte hatte dieses T-Shirt, so das Amtsgericht, von Freunden aus Böhmen, die der dortigen Hells Angels Sektion Böhmen angehören, geschenkt bekommen. Unwiderlegbar war ihm bekannt, dass durch die Landgerichte Berlin und Cottbus das Tragen der Hells Angels Abzeichen mit dem Zusatz "Berlin" bzw. "Germany" erlaubt worden war. Er ging daher davon aus, dass er dieses T-Shirt mit dem Zusatz "Bohemia" tragen durfte, ohne gegen das Vereinsgesetz zu verstoßen (Urteil S. 3/4).

Durch Verfügung des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11.12.2000 war der Verein "MC Hells Angels Germany Charter Düsseldorf" verboten worden. Dieses Verbot bezog sich auch auf die Verwendung seiner Kennzeichen in der Öffentlichkeit. Hierzu hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte ein Emblem der "Hells Angels Germany Charter Düsseldorf" nicht getragen hat und dass das auf seinem T-Shirt aufgedruckte Emblem dem verbotenen Kennzeichen auch nicht zum Verwechseln ähnlich ist (Urteil S. 4/5).

2. Das Amtsgericht hat den Freispruch des Angeklagten damit begründet, das auf dem T-Shirt des Angeklagten aufgebrachte Emblem sei dem verbotenen Kennzeichen nicht zum Verwechseln ähnlich. Durch den Ortszusatz "Bohemia" werde eindeutig und für jeden unbefangenen Betrachter klargemacht, dass hiermit das Kennzeichen einer nicht verbotenen Gruppierung der Hells Angels verwendet werde.

Im Übrigen vertritt das Amtsgericht die Rechtsansicht, dass die Verwendung eines Kennzeichens eines verbotenen Vereins, das in im Wesentlichen gleicher Form von einem nicht verbotenen Verein verwendet wird, nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG strafbewehrt ist (Urteil S. 6 unten).

Schließlich führt das Amtsgericht noch Folgendes aus:

Im Übrigen musste nach der Einlassung des Angeklagten auch davon ausgegangen werden, dass ihm diese Entscheidungen der Landgerichte Berlin und Cottbus bekannt waren. Der Angeklagte führte diesbezüglich aus, diese Entscheidungen hätten sich in der "Szene" sofort rumgesprochen. Somit ging der Angeklagte davon aus, dass er berechtigt war, dieses T-Shirt ohne Verstoß gegen das Vereinsgesetz zu tragen (Urteil S. 7).

3. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen den Freispruch nicht.

3.1 Durch das Tragen eines T-Shirts mit dem Emblem der Hells Angels Gruppe "Bohemia" in einer allgemein zugänglichen Gaststätte hat der Angeklagte ein Kennzeichen öffentlich verwendet (vgl. hierzu Wache in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze VereinsG - Stand: 15.3.2002 - § 9 Rz. 3, 5, 6 m.w.N.). Ist dieses Kennzeichen dem Kennzeichen des verbotenen Vereins "MC Hells Angels Germany Charter Düsseldorf" zum Verwechseln ähnlich, so kann sich der Angeklagte, hat er insoweit zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt, nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 5 VereinsG strafbar gemacht haben.

§ 20 VereinsG, der Zuwiderhandlungen gegen ein Vereinsverbot unter Strafe stellt, sanktioniert insoweit in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG unter anderem die Verwendung eines Kennzeichens der in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 VereinsG genannten Vereine. Zu den dort aufgezählten Vereinen zählt jeder verbotene Verein während der Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots. Das trifft nach den Feststellungen auf den Verein "MC Hells Angels Germany Charter Düsseldorf" zu. Die Strafbestimmung bezieht sich aber nicht nur auf die Verwendung des Kennzeichens eines verbotenen Vereins. Durch die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG, der unter anderem auf § 9 Abs. 2 VereinsG verweist, ist vielmehr klargestellt, dass hierunter nunmehr auch die Verwendung eines Kennzeichens fällt, das dem eines verbotenen Vereins zum Verwechseln ähnlich ist (vgl. hierzu Wache § 20 Rn. 26). Eine bislang bestehende Gesetzeslücke wurde in Angleichung an die Formulierung des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB durch Art. 9 Nr. 1 a des Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9.1.2002 BGBl I S. 361) dadurch geschlossen, dass dem § 9 Abs. 2 VereinsG a.F. nunmehr ein Satz 2 hinzugefügt wurde, wonach den in § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG genannten Kennzeichen solche gleichstehen, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

Ausreichende Feststellungen zur Prüfung der Frage, ob die auf dem T-Shirt des Angeklagten befindlichen Kennzeichen, die die Ortsbezeichnung "Bohemia" tragen, den vom verbotenen Verein "MC Hells Angels Germany Charter Düsseldorf" verwendeten Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich sind, hat das Amtsgericht jedoch nicht getroffen. Dem Urteil kann weder durch eine nachvollziehbare Beschreibung noch durch die Bezugnahme auf eine Abbildung (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO) das Aussehen eines Kennzeichens des verbotenen Vereins entnommen werden. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, sofern nicht auf eine Abbildung verwiesen wird, das Kennzeichen nach Art, Farbe, Anordnung und Größe der verwendeten Symbole wie auch eventuell anderer Zeichen, Worte und Buchstaben zu beschreiben und hierbei auch klarzustellen, wie die Symbole, Zeichen, Worte und Buchstaben einander zugeordnet sind und welchen Symbolgehalt sie dem Betrachter dadurch vermitteln. Solche Feststellungen fehlen. Sie sind jedoch unabdingbar, weil es bei einem Kennzeichen, das optisch wahrgenommen wird, maßgeblich auf die das äußere Erscheinungsbild prägenden Merkmale und den darin verkörperten Symbolgehalt ankommt (BGH NJW 2002, 3186, 3188). Das Amtsgericht hat insoweit zwar das vom Angeklagten getragene T-Shirt hinsichtlich des dortigen Aufnähers bzw. Aufdrucks beschrieben. Das Aussehen des Kennzeichens des verbotenen Vereins hat es aber letztlich offen gelassen (Urteil S. 5 oben). Die Frage, ob ein zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen verwendet wurde, kann jedoch nur beantwortet werden, wenn geprüft wird, ob einem unbefangenen Betrachter, der das Kennzeichen des verbotenen Vereins kennt, anhand der prägenden Merkmale des verwendeten Kennzeichens der Eindruck des Originalkennzeichens vermittelt wird (BGH aaO). Auf eine genaue Beschreibung des Originalkennzeichens kann daher nicht verzichtet werden. Das Amtsgericht durfte sich daher, worauf die Staatsanwaltschaft im Ergebnis zu Recht abstellt, nicht damit begnügen, alleine auf den auf dem T-Shirt befindlichen Ortszusatz "Bohemia" abzustellen. Die Verwendung eines vom Inhalt eines verbotenen Kennzeichens abweichenden Orts-, Länder- oder Phantasienamens führt nicht zwingend zu dem Ergebnis, ein zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen liege nicht vor.

3.2 Soweit das Amtsgericht zur Begründung des Freispruchs auch darauf abgestellt hat, die Verwendung eines Kennzeichens, das in im Wesentlichen gleicher Form vom verbotenen Verein verwendet wurde, sei nicht strafbewehrt, weil § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG nicht auf § 9 Abs. 3 VereinsG verweise, verkennt es die Reichweite des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 VereinsG.

Kennzeichen im Sinne des § 9 Abs. 3 VereinsG sind gleichermaßen verbotene Kennzeichen wie die in § 9 Abs. 1 VereinsG genannten. Das ergibt sich aus dem klaren Wortlaut der Regelung, wonach § 9 Abs. 1 VereinsG für solche Kennzeichen wie auch für die in § 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG genannten entsprechend gilt. Da die Verwendung von Kennzeichen verbotener Vereine unter die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG fällt, ist auch die Verwendung der in § 9 Abs. 3 VereinsG genannten Kennzeichen strafbar.

Ob der Angeklagte allerdings ein Kennzeichen im Sinn des § 9 Abs. 3 VereinsG verwendet hat, wovon das Amtsgericht möglicherweise ausgeht, erscheint zweifelhaft. Das würde voraussetzen, dass das verwendete Kennzeichen einer tatsächlich existierenden und nicht verbotenen - rechtlich unselbständigen - Teilorganisation der "MC Hells Angels Germany Charter Düsseldorf" zugeordnet werden könnte oder dass es sich bei den Kennzeichen um das eines selbständigen, die Zielrichtung des verbotenen Vereins teilenden Vereins jeweils mit Sitz im Bundesgebiet handelt (vgl. hierzu Wache § 9 Rn. 22 unter Verweisung auf BT-Drucks. 14/7386 S. 49). In beiden Fällen dürften sich die Kennzeichen dieser Organisationen nur unwesentlich von dem einer verbotenen Organisation unterscheiden, etwa hinsichtlich eines Ortszusatzes (vgl. BT-Drucks. 14/7386 S. 49). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lassen die bisherigen Feststellungen nicht erkennen. Nach allem, was bislang festgestellt wurde, kommt die Anwendung des § 9 Abs. 3 VereinsG schon deshalb nicht in Betracht, weil das Amtsgericht entsprechend der Einlassung des Angeklagten davon ausgegangen ist, das von ihm verwendete Kennzeichen sei das einer ausländischen Hells Angels Gruppierung (Urteil S. 4). Auf solche ist § 9 Abs. 3 VereinsG jedoch nicht anwendbar (Wache aao).

3.3 Der Freispruch des Angeklagten findet darüber hinaus auch in der Erwägung des Amtsgerichts keine Grundlage, ihm seien unwiderlegbar Entscheidungen der Landgerichte Berlin und Cottbus bekannt gewesen, wonach das Tragen der Hells Angels Abzeichen mit dem Zusatz "Berlin" bzw. "Germany" erlaubt worden sei. Folglich habe er davon ausgehen dürfen, dass er auch ein T-Shirt mit der Aufschrift "Bohemia", ohne gegen das VereinsG zu verstoßen, tragen dürfe (Urteil S. 4, 7).

Auch insoweit sind die Darlegungen des Amtsgerichts lückenhaft. Entscheidend dafür, ob ein Verstoß des Angeklagten gegen § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG vorliegt, ist ausschließlich der Umstand, ob das von ihm verwendete Kennzeichen dem Kennzeichen eines verbotenen Vereins, hier des Vereins "MC Hells Angels Germany Charter Düsseldorf" zum Verwechseln ähnlich ist. Diese Frage lässt sich anhand der getroffenen Feststellungen, wie oben ausgeführt, nicht klären. Darüber, ob sich die genannten gerichtlichen Entscheidungen mit Kennzeichen befassen, die mit dem nicht näher beschriebenen Kennzeichen des "MC Hells Angels Germany Charter Düsseldorf" identisch sind, und ob der Angeklagte dies gewusst hat, teilt das Amtsgericht nichts mit. Solange aber hierzu nichts festgestellt ist, ist für die Beantwortung der Frage, ob dem Angeklagten bei der Tatbegehung die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun (§ 17 Abs. 1 StGB), ohnehin kein Raum. Auf den Umstand, dass sich das Amtsgericht, das ersichtlich von einem Verbotsirrtum ausgeht, nicht näher mit der Frage befasst hat, ob ein solcher Irrtum vermeidbar war (vgl. hierzu BGH NStZ 1996, 236/237 und 2000, 307, 309) kommt es daher nicht mehr an.



Ende der Entscheidung

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