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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 30.10.2001
Aktenzeichen: 4 St RR 105/01
Rechtsgebiete: AuslG, DVAauslG


Vorschriften:

AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 6
DVAuslG § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
DVAuslG § 12 Abs. 1
Werden Waren zu geschäftlichen Zwecken und in Gewinnerzielungsabsicht nach Deutschland eingeführt, um sie im Ausland zu verkaufen, so liegt Erwerbstätigkeit vor.
Tatbestand:

Der Angeklagte, ein polnischer Staatsangehöriger, reiste ohne im Besitz eines Visums zu sein, am 12.3.2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein, um hier gebrauchte Milchsammelbehälter mit Kühlaggregaten zu kaufen, die er in Polen mit Gewinn wieder verkaufen wollte. Dabei wurde er am 13.3.2001 kontrolliert und zur Ausreise aufgefordert.

Das Amtsgericht sprach den Angeklagten am 22.5.2001 vom Vorwurf frei, am 12.3.2001 unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist zu sein und sich seitdem dort unerlaubt aufgehalten zu haben.

Das Amtsgericht stellte darüber hinaus fest, eine im Jahre 1999 erfolgte Anfrage des Verteidigers des Angeklagten beim zuständigen Ausländeramt habe ergeben, dass dieser für seine Einkäufe im Bundesgebiet kein Visum benötige.

Diese Feststellungen wertete das Amtsgericht dahingehend, dass der Angeklagte im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und folglich kein Visum benötigt habe. Bei einer reinen Einkaufstätigkeit, bei der ein Gewinn erst durch Verkaufsgeschäfte in Polen anfalle, handle es sich um keine Erwerbstätigkeit.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Gründe:

Die (Sprung-)Revision ist zulässig (§ 335 Abs. 1, §§ 312, 341, 344, 345 StPO) und wegen sachlich-rechtlicher Mängel begründet. Der Senat kann angesichts der nur unzureichenden Feststellungen zum äußeren Sachverhalt nicht überprüfen, ob sich der Angeklagte strafbar gemacht hat.

Wegen unerlaubten Aufenthalts macht sich nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG strafbar, wer sich entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung nach § 55 Abs. 1 AuslG besitzt. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AuslG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einer Aufenthaltsgenehmigung in Form eines Sichtvermerks (Visum), wobei nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG das Bundesministerium des Innern zur Erleichterung des Aufenthalts von Ausländern Rechtsverordnungen erlassen kann. § 1 Abs. 1 Satz 1 DVAuslG sieht daher vor, dass Staatsangehörige der in der Anlage I zu dieser Verordnung aufgeführten Staaten bei Vorliegen der erforderlichen Personaldokumente bei einem Aufenthalt bis zu drei Monaten keiner Aufenthaltsgenehmigung bedürfen, solange sie keine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Das trifft für polnische Staatsangehörige zu.

1. Den Feststellungen kann der Senat jedoch nicht entnehmen, ob der Angeklagte erwerbstätig gewesen ist. Insoweit stehen ihm zur Prüfung im Rahmen der Sachrüge grundsätzlich nur die Urteilsgründe zur Verfügung (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 337 Rn. 22, 23). Alle anderen Erkenntnisquellen wie der Inhalt der Akte sind ihm verschlossen. Aus den Gründen ergibt sich aber nur, dass der Angeklagte in Gewinnerzielungsabsicht Milchsammelbehälter erwerben wollte, um sie in Polen zu verkaufen. Darüber hinaus erschließt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass er solche Einkäufe auch schon in den zurückliegenden Jahren unternommen hat. Das reicht zur Prüfung, ob seine Tätigkeit als Erwerbstätigkeit zu bewerten ist, nicht aus.

2. Der Begriff der Erwerbstätigkeit ist in § 12 Abs. 1 DVAuslG dahingehend bestimmt, dass hierunter jede selbständige und unselbständige Tätigkeit fällt, die auf die Erzielung von Gewinn gerichtet oder für die ein Entgelt vereinbart oder üblich ist oder für die eine Arbeits- oder sonstige Berufsausbildungserlaubnis erforderlich ist.

Nach den bisherigen Feststellungen kann die vom Angeklagten entfaltete Tätigkeit den Begriff der Erwerbstätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 12 Abs. 1 DVAuslG erfüllen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob dem Angeklagten der erstrebte Gewinn aus einer im Inland entfalteten Tätigkeit bereits dort oder erst im Ausland zufließt. Entscheidend ist allein, ob er in der Bundesrepublik eine Tätigkeit ausübt, die auf Gewinnerzielung gerichtet ist (BayObLG v. 25.4.1978 RReg. 4 St 255/77 m. w. N.). Andererseits kommt als Erwerbstätigkeit nur eine solche über einen Einzelfall hinausgehende, nachhaltig ausgeübte Beschäftigung in Betracht. Das ergibt sich sowohl aus dem Sinn des Begriffs, den er nach dem allgemeinen Sprachgebrauch hat, als auch aus dem Zusammenhang der angeführten Vorschrift. Wirtschaftlich bedeutungslose, einzelne Betätigungen, wie etwa der Erwerb von Waren zur Deckung des eigenen privaten Gebrauchs oder Verbrauchs durch einen Ausländer im Inland oder ähnliche, dem Einkauf von privaten Gegenständen durch Touristen vergleichbare Tätigkeiten scheiden danach aus. Dagegen ist der zu geschäftlichen Zwecken erfolgte, in Gewinnerzielungsabsicht vorgenommene Ankauf von Waren, sofern er nicht auf einen gelegentlichen Einzelfall beschränkt ist, in aller Regel als Erwerbstätigkeit anzusehen. An diesen in der Entscheidung vom 25.4.1978 aufgestellten Grundsätzen hält der Senat fest (vgl. hierzu auch Westphal/Stoppa NJW 1999, 2137/2142). Soweit dagegen in einem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 7.5.1999 - BGS II 2 - 645 347/1 - zum Ausdruck gebracht wurde, der Ankauf von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet zwecks Veräußerung im Ausland stelle keine Erwerbstätigkeit dar, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Zur Begründung hat das Bundesministerium des Innern insoweit nur ausgeführt, ein etwaiger Gewinn solle in einem solchen Fall erst im Ausland erzielt werden, so dass die eigentliche Erwerbstätigkeit nicht im Bundesgebiet ausgeübt werde. Diese Begründung überzeugt nicht. Insoweit ist nicht nachvollziehbar, dass die "eigentliche Erwerbstätigkeit" nicht im Bundesgebiet ausgeübt werde. Die Erwerbstätigkeit wird nämlich sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland ausgeübt, weil der Erwerb im Inland wie auch der Verkauf im Ausland für die Gewinnerzielung gleichermaßen von Bedeutung sind. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 4 i.V.m. § 12 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG. Schließt danach ein Selbständiger mit Sitz im Ausland und unter Beibehaltung seines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland im Bundesgebiet Verträge, die für keinen Geschäftspartner im Bundesgebiet entgeltliche Leistungen beinhalten, so liegt keine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 DVAuslG vor. Die vom Angeklagten im Inland vorgesehenen Verträge enthalten aber beiderseits entgeltliche Leistungen. An die vom Bundesministerium des Innern vertretene Rechtsauffassung ist der Senat im übrigen auch nicht gebunden. Es handelt sich insoweit um eine Rechtsauffassung mit lediglich verwaltungsinterner Wirkung. Maßgeblich für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Erwerbstätigkeit" bleibt alleine das Gesetz (vgl. hierzu BVerwG NVwZ-RR 2000, 799).

Die vom Angeklagten beabsichtigte Tätigkeit kann somit den Begriff der Erwerbstätigkeit erfüllen. Entscheidend hierfür ist, wie nachhaltig sie betrieben werden sollte. Anhaltspunkte hierfür können sich aus dem Verhalten des Angeklagten in den zurückliegenden Jahren ergeben. Mangels entsprechender Feststellungen hierzu kann somit derzeit nicht abschließend beurteilt werden, ob der Angeklagte im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG bereits bei der Einreise in das Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit im angesprochenen Sinne beabsichtigt hat. War dies der Fall, so war sein Aufenthalt im Bundesgebiet unerlaubt im Sinne des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG (ständige Rechtsprechung, vgl. hierzu die Nachweise bei Senge in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze AuslG - Stand: 1.5.2000 § 92 Rn. 3). Damit erweist sich das Rechtsmittel als erfolgreich.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

1. Soweit dem Angeklagten auch ein Vergehen der unerlaubten Einreise nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG zur Last liegt, hat er sich nicht strafbar gemacht (vgl. hierzu AuslG-VWV vom 28.6.2000 Nr. 58.1.1.2.7; OLG Köln InfAuslG 1997, 459; Senge § 92 Rn. 2 und 21; Westphal/Stoppa S. 2140).

2. Irrt sich der Täter über das Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung, so kommt ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB in Betracht (vgl. hierzu Senge § 92 Rn. 5). Ob ein solcher Verbotsirrtum vermeidbar war, richtet sich danach, ob der der Auslandsvertretung und dem Ausländeramt vorgetragene Sachverhalt vollständig war und dem entspricht, der nunmehr zur rechtlichen Bewertung ansteht. Von Bedeutung kann auch sein, welche Erfahrungen ausländerstrafrechtlicher Art der Angeklagte bereits gemacht hat.

3. Bei einer Verurteilung muss aus dem Urteil ersichtlich sein, wie lange sich der Angeklagte unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten hat.

4. Wegen der mit der Einreise und dem Aufenthalt von Drittausländern nach der VO(EG) 539/2001 vom 15.3.2001 (AB1 EG vom 21.3.2001/L081/1) im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen wird auf Westphal/Stoppa InfAuslR 2001, 309 verwiesen.



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