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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 31.03.2003
Aktenzeichen: 4 St RR 18/03
Rechtsgebiete: AuslG, StGB


Vorschriften:

AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 6
AuslG § 92a Abs. 1 Nr. 2
StGB § 19
StGB § 27 Abs. 1
StGB § 46 Abs. 2 § 47 Abs. 1
Wer strafunmündige, aber handlungsfähige Ausländer einschleußt, erfüllt den Tatbestand des Einschleusens.
Tatbestand:

Am 3.3.02, gegen 21.45 Uhr, reiste die afghanische Staatsangehörige G.C. M.R., geboren 1972, mit ihrer Tochter K. geboren 1987, und drei weiteren Kindern (R., geboren 1991; V., geboren 1994 und S., geboren 1999) von S. kommend mit dem Zug in F. in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie sich bis zu ihrer Kontrolle im fahrenden Zug unmittelbar nach der Einreise im Stadtgebiet F. aufhielten, obwohl sie und ihre Tochter K. - wie beide wussten - die zur Einreise und zum Aufenthalt in Deutschland erforderlichen Aufenthaltserlaubnisse nicht besaßen.

In Kenntnis dessen leistete der Angeklagte den beiden, die ortsunkundig und auch der deutschen Sprache unkundig, jedoch mit dem Angeklagten nicht verwandt oder befreundet waren, Hilfe bei deren unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt. Der Angeklagte, der in seiner Geldbörse einen Zettel mit der Anschrift des bisherigen Aufenthaltsortes der Illegalen (W.GmbH/A., M.) und einer dazugehörigen Telefonnummer mitführte, war gezielt mit dem Zug von R. nach Österreich gefahren, um die Illegalen dort abzuholen und nach Deutschland zu begleiten. G.C.M.R. führte einen Ladungsbescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle E., der Republik Österreich vom 10.1.02 für eine Einvernahme am 12.3.02 mit sich, auf dem ebenfalls die vorgenannte Anschrift aufgeführt ist und ferner die Vornamen und Geburtsjahre der fünf Illegalen. Am Bahnhof S. löste der Angeklagte dann um 21.18 Uhr zwei Wochenend-Tickets für sich und die Illegalen, die er bei der Kontrolle in seiner Jackentasche mit sich führte. In der Folge bestieg er zusammen mit den Illegalen am Bahnhof S. den Zug, in dem dann die Einreise und die Kontrolle erfolgte. Bei der Kontrolle gab der Angeklagte zunächst Frau G.C.M.R. als seine Ehefrau aus. Auf der Fahrt im Auto zur Dienststelle der Polizei räumte er dann auf Vorhalt ein, dass dies nicht richtig sei und erklärte, dass er die Leute zufällig am Bahnhof in S. getroffen habe und nicht kenne.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 24.4.2002 wegen Einschleusens von Ausländern zur Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht am 30.9.2002 mit der Maßgabe, dass die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe auf fünf Monate herabgesetzt wurde. Die Revision des Angeklagten blieb ohne Erfolg.

Gründe:

1. Der Schuldspruch ist nicht zu beanstanden, weil er keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält.

Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

Die Rüge der Verletzung des § 275 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz StPO ist unbegründet. Das angegriffene Urteil wurde am 30.9.2002 verkündet. Es ist am 28.10.2002 und damit innerhalb der am 4.11.2002 endenden Absetzungsfrist zu den Akten, gelangt.

Auch die weitere Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte den Grundsatz der persönlichen Vernehmung (§ 250 StPO) als verletzt ansieht und gleichzeitig einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) durch die unterbliebene Vernehmung der Zeugin R. behauptet, hat keinen Erfolg.

Mit der beanstandeten Verletzung des § 250 StPO macht die Revision geltend, die Strafkammer habe zu Unrecht sachfernere anstelle eines sachnäheren Zeugen vernommen. Die Rüge ist unbegründet, weil der Unmittelbarkeitsgrundsatz dadurch nicht verletzt wird (vgl. BGH StV 1988, 91/92). Soweit die Revision damit gleichzeitig die Aufklärungspflicht als verletzt ansieht, ist die Rüge nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise erhoben. Die Revision hätte nämlich darlegen müssen,. inwiefern sich angesichts der Aussagen der Zeugen H. und E. die Vernehmung der Zeugin R. der Strafkammer hätte aufdrängen müssen (BGH aaO). Hierauf ist die Revision nicht eingegangen.

Gleichfalls unzulässig ist die erhobene Aufklärungsrüge, soweit mit ihr das Fehlen tatsächlicher Feststellungen zur Person des Kindes K.R. beanstandet wird.

Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel (BGHSt 2, 168; BGH VRS 30, 101) benannt wird. Es muss behauptet werden, dass von einem zulässigen Beweismittel, das dem Tatgericht bekannt oder für das Tatgericht erkennbar und erreichbar war, kein Gebrauch gemacht wurde (KK/Herdegen StPO 4. Aufl. § 244 Rn. 37). Dieser sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderung wird die Revisionsbegründung nicht gerecht, wenn sie bezüglich des genannten Kindes das Fehlen von Feststellungen zum Wissen des Kindes über das Reiseziel, zu seiner geistigen Entwicklung sowie zu der Frage beanstandet, ob das Kind blind, stumm, taub oder geistig behindert gewesen sei. Irgendwelche Tatsachenbehauptungen dazu, dass in dieser Richtung durch die Inanspruchnahme eines bestimmten Beweismittels eine bestimmte Beweisbehauptung bewiesen worden wäre und dass sich eine Beweiserhebung durch die Strafkammer hätte aufdrängen müssen, sind nicht vorgetragen. Damit ist die Verfahrensrüge auch in diesem Punkt unzulässig (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NStZ 1999, 45/46).

Die Überprüfung des Schuldspruchs im Rahmen der Sachrüge deckt ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Nach den Feststellungen der Strafkammer hat sich der Angeklagte zumindest des Einschleusens von Ausländern in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen gemäß § 92 a Abs. 1 Nr. 2 AuslG in der Tatbestandsvariante des Handelns zugunsten von .mehreren Ausländern schuldig gemacht.

Der Straftatbestand des § 92 a Abs. 1 AuslG erfasst unter anderem besondere Formen der zur Täterschaft verselbständigten Beihilfe zu den Vergehen nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6 AuslG. Eine Bestrafung nach dieser Bestimmung setzt somit den Nachweis einer Beihilfehandlung zu einer strafbaren Haupttat im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB voraus (ständige Rechtsprechung, vgl. BayObLG StV 2000, 367/368).

Die Verwirklichung einer Haupttat durch die Zeugin R.M. hat die Strafkammer festgestellt. Sie hat insoweit die Einlassung der Zeugin gegenüber dem Zeugen E., sie habe nach Wien reisen wollen, als widerlegt angesehen. Diese Bewertung lässt angesichts der übrigen im Rahmen der Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen keinen Rechtsfehler erkennen. Soweit die Revision der Meinung ist, es seien Zweifel verblieben, die zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen seien, sind solche den Feststellungen nicht zu entnehmen.

Aus Rechtsgründen bestehen auch gegen die Feststellung der Strafkammer keine Bedenken, die 1987 geborene Tochter K. der Zeugin R.M. sei in Kenntnis der Tatsache, dass sie die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht habe, nach Deutschland eingereist und habe deshalb vorsätzlich und rechtswidrig den Tatbestand der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts im Sinne des § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6 AuslG erfüllt.

Die Revision greift hierbei ohne Erfolg die Bewertung der Strafkammer an, K.R. sei 1987 geboren und zur Tatzeit mindestens 14 Jahre alt gewesen. Die Strafkammer stützt sich hinsichtlich des Geburtsjahres auf die Feststellungen in einem Ladungsbescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle E., der Republik Österreich sowie auf die Bekundungen der Zeugen H. und E., die aufgrund der körperlichen Entwicklung des Kindes dessen Alter auf 14 bis 15 Jahre geschätzt haben.

Anhaltspunkte, die auf eine Unzuverlässigkeit dieser Zeugenaussagen oder auf eine Unrichtigkeit in dem genannten Bescheid deuten könnten, hat die Strafkammer nicht gefunden. Ihre Bewertung ist deshalb für das Revisionsgericht bindend. Im Übrigen verkennt die Revision, dass eine Haupttat, zu der Beihilfe geleistet wird, nicht die Strafmündigkeit des Haupttäters voraussetzt. Entscheidend ist nach dem Gesetzeswortlaut, ob der Schleuser die Handlung eines anderen im Sinne des § 92 a Abs. 1 AuslG unterstützt. Eine solche Handlung setzt die Handlungsfähigkeit der betreffenden Person voraus (vgl. hierzu Geisler ZRP 2001, 171/172 in einer Anmerkung zu BayObLG StV 2000, 366 Ls); sie ist unabhängig von der Strafmündigkeit (§ 19 StGB). Die Tathandlung des Schleusers kann somit auch in der Einschleusung eines strafunmündigen Kindes liegen, falls dieses zur Tatzeit handlungsfähig ist. In Anlehnung an § 104 BGB wird hierbei Handlungsfähigkeit regelmäßig ab einem Alter von sieben Jahren angenommen werden können (vgl. hierzu Westphal/Stoppa NJW 1999, 2137/2142-2143). Die Strafkammer ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass auch K.R., vom Angeklagten bei der unerlaubten Einreise und dem unerlaubten Aufenthalt unterstützt werden konnte.

Soweit der Angeklagte in diesem Zusammenhang beanstandet, die Strafkammer habe im Hinblick auf K.R. keine nachvollziehbaren Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen, weist das Urteil keinen Fehler auf. Nähere Ausführungen dazu, worauf die Feststellungen zur inneren Tatseite beruhen, sind nur geboten, soweit sich das nicht schon aus der Schilderung des äußeren Sachverhalts ergibt (vgl. BGHSt 5, 143/146; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 267 Rn. 7). Aus der Gesamtheit der getroffenen Feststellungen kann insoweit zwanglos entnommen werden, dass die mindestens 14-jährige K.R. über das Geschehen informiert war und in Übereinstimmung mit ihrer Mutter illegal nach Deutschland einreisen und sich dort aufhalten wollte.

Der Schuldspruch kann daher bestehen bleiben. Zwar hat sich der Angeklagte des Einschleusens von Ausländern in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen schuldig gemacht. Es entspricht insoweit der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die im Rahmen einer prozessualen Tat bewirkten Schleusungen mehrerer Personen tateinheitlich zusammentreffen (vgl. etwa Beschluss v. 18.10.1999 - 4St RR 198/99). Die fehlerhafte rechtliche Bewertung der Tat belastet den Angeklagten jedoch nicht.

2. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält letztlich der sachlich-rechtlichen Überprüfung stand.

Die Strafkammer hat die Verhängung einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten wie folgt begründet:

Bei der Strafzumessung ist auszugehen vom Strafrahmen des § 92 a Abs. 1 Ausländergesetz, der Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorsieht.

Hierbei ist zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er nicht vorbestraft ist. Humanitäre Gründe der Tat konnten nicht festgestellt werden und können daher nicht zusätzlich zu Gunsten des Angeklagten Berücksichtigung finden.

Zu Ungunsten des Angeklagten ist zu berücksichtigen, dass er die Schleusung mit erheblicher krimineller Energie gezielt und planvoll durchgeführt hat und sich nicht etwa erst von den Illegalen in Salzburg spontan zu einer Hilfeleistung überreden ließ. Im Unterschied zum Amtsgericht hat die Strafkammer jedoch nicht erschwerend gewertet, dass es sich bei den Illegalen insgesamt um fünf Personen gehandelt hat, weil auch noch drei strafunmündige Kinder darunter waren.

Bei Abwägung dieser Umstände ist, insbesondere im Hinblick auf die zum Ausdruck gekommene kriminelle Energie, eine Geldstrafe nicht ausreichend zur Ahndung der Tat, vielmehr ist gemäß § 47 Abs. 1 StGB die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten unerlässlich. Hierbei erscheint unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände eine Freiheitsstrafe von 5 Monaten tat- und schuldangemessen.

Nach § 47 Abs. 1 StGB darf auf Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur erkannt werden, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf ihn oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Solche besonderen Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen vor, wenn entweder bestimmte Tatsachen die konkrete Tat in einer bestimmten Beziehung aus dem Durchschnitt der praktisch vorkommenden Taten dieser Art herausheben oder wenn bestimmte Eigenschaften und Verhältnisse beim Täter diesen von durchschnittlichen Tätern solcher Taten unterscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. die Nachweise bei Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 47 Rn. 6).

Hält somit der Tatrichter zur Einwirkung auf den Angeklagten eine kurze Freiheitsstrafe für unerlässlich, so muss er an Hand bestimmter Tatsachen darlegen, warum im konkreten Fall jedes andere zulässige Reaktionsmittel die erforderliche Spezialprävention nicht gewährleistet. In diesem Zusammenhang ist eine Gesamtwürdigung aller die Tat und die Persönlichkeit des Täters kennzeichnenden Umstände vorzunehmen (BGH StV 1994, 370). Aus ihr muss hervorgehen, dass auf eine kurze Freiheitsstrafe nicht verzichtet werden kann (Tröndle/Fischer § 47 Rn. 10 m. w. N.).

Diesen Anforderungen entsprechen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht vollständig: Es bleibt nämlich unerörtert, ob die dargestellte "planvolle" Handlungsweise des Angeklagten nicht dem Regelfall der Schleusung nahe kommt. Wäre dies der Fall, so könnte daraus nicht ohne weiteres abgeleitet werden, dass sich der Unrechtsgehalt der Tat von demjenigen vergleichbarer Taten deutlich abhebt. Der Senat kann jedoch ausschließen, dass auf diesem Begründungsmangel der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils beruht.

Die Strafkammer hat "im Unterschied zum Amtsgericht" ohne nähere Begründung den Umstand, dass vom Angeklagten noch drei strafunmündige Kinder geschleust wurden, als nicht straferschwerend gewertet. Dieser Begründungskontext lässt darauf schließen, dass sich die Strafkammer aus Rechtsgründen an der Berücksichtigung dieser Tatsache gehindert sah. Hierfür bestand jedoch kein Anlass, da auch die Einschleusung der Kinder zu den verschuldeten Auswirkungen der Tat im Sinn des § 46 Abs. 2 StGB zählt. Angesichts dieser Umstände liegt es auf der Hand, dass eine Geldstrafe für die den Gegenstand des Verfahrens bildende Tat nicht in Betracht kam; die fehlende Erörterung eines Teils der Umstände wirkt sich im Ergebnis nicht aus (vgl. BayObLG Urteil v. 6.12.2001 - 2 St RR 169/2001).

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