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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 11.03.2003
Aktenzeichen: 4 St RR 24/03
Rechtsgebiete: BtMG


Vorschriften:

BtMG § 29 Abs. 5
Im Bereich der geringen Menge bedarf es nicht der Bestimmung des Mindestwirkstoffgehalts des Rauschgifts.
Tatbestand:

Am Abend des 12.9.2001, kurz vor seiner Kontrolle durch Polizeibeamte um 22.05 Uhr, kaufte und übernahm der Angeklagte gegen Bezahlung von 80,-- DM in der Nähe des M. Hauptbahnhofs von einem Unbekannten 0,30 Gramm einer Zubereitung von Kokainhydrochlorid, Lidocain-Hydrochlorid und Lactose mit einem Gehalt an Kokainhydrochlorid von 44 % entsprechend 0,13 Gramm. Das Rauschgift war für den Eigenkonsum bestimmt.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 5.4.2002 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zur Freiheitsstrafe von 3 Monaten. Die Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht am 29.10.2002 mit der Maßgabe als unbegründet, dass der Angeklagte des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig ist.

Die Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die Auffassung der Strafkammer, bei dem erworbenen Rauschgift habe es sich nicht um eine geringe Menge im Sinn von § 29 Abs. 5 BtMG gehandelt, hält rechtlicher Überprüfung stand.

1. Die geringe Menge im Sinn von § 29 Abs. 5 BtMG umfasst bis zu 3 Konsumeinheiten eines Probierers zum Eigenverbrauch (BayObLGSt 1982, 62/63 = NStZ 1982, 473 = StV l982, 423; 1995, 22/24 = StV 1995, 529). In diesem Bereich sind Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt der Betäubungsmittelzubereitung entbehrlich (st. Rspr. des Senats, vgl. BayObLGSt 1999, 991100, zuletzt Beschluss vom 20.1.2003 - 4St RR 133/2002). Insoweit erfährt der Grundsatz, dass die Anzahl möglicher Konsumeinheiten und damit der Schuldgehalt der Tat nur auf der Grundlage konkreter Feststellungen zum Wirkstoffgehalt ausreichend sicher zu bestimmen ist (vgl. BayObLGSt 1999, 99/100 = NStZ 1999, 514 = StV 2000, 83), eine Ausnahme. Im Interesse einer Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung wird in Kauf genommen, dass im Einzelfall bei überdurchschnittlich hohen Wirkstoffanteilen eine Menge noch dann als gering im Sinn von § 29 Abs. 5 BtMG angesehen wird, wenn sie drei Konsumeinheiten eines Probierers übersteigt. Diese Ungenauigkeit ist rechtlich unbedenklich, da sie sich ausschließlich zugunsten des Angeklagten auswirken kann.

Nach dieser Maßgabe hat der Senat bei Kokain, ohne auf den konkreten Wirkstoffgehalt abzustellen (vgl. Urteil des Senats vom 18.3.1997 - 4 St RR 15/97), die Obergrenze der geringen Menge bei 300 mg Kokainzubereitung festgesetzt (BayObLGSt 1982, 62; StV 1998, 590/591; vgl. auch KG DRsp Nr. 2001/6196; Weber BtMG § 29 Rn. 1034, Joachimski/Haumer BtMG 7. Aufl. § 29 Rn. 380; ungenau: Körner BtMG 5. Aufl. § 29 Rn. 1658, der unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats auf 300 mg Wirkstoff abstellt). Die Gewichtsmenge von 300 mg entspricht bei der vorherrschenden Form der Aufnahme von Kokain durch Schnupfen maximal drei Konsumeinheiten als Einstiegsdosis (vgl. BayObLGSt 1982, 62) und grenzt deshalb die geringe Menge bei Kokainzubereitungen nach oben ab.

2. Dies gilt allerdings im Hinblick auf den Ausnahmecharakter dieser Regelung nur, solange keine konkreten Feststellungen zum Wirkstoffgehalt getroffen wurden. Der Tatrichter ist nicht gehindert, solche Feststellungen auch im Bereich der geringen Menge zu treffen und zur Grundlage der Bewertung zu machen (vgl. BayObLGSt 1999, 99 bezüglich Heroin). In diesem Fall ist die Einstiegsdosis bei Kokain mit 33 mg reinem Kokainhydrochlorid anzusetzen, so dass sich eine Obergrenze der geringen Menge bei einem Wirkstoffgehalt von 100 mg Kokainhydrochlorid ergibt.

Die Einstiegsdosis kann bei Kokain nach der Höhe der üblichen Konsumdosis bestimmt werden (BGHSt 33, 133/137). Da Kokain auch bei längerem Missbrauch nicht zu einer Toleranz führt, beruht die mit dem Missbrauch regelmäßig einhergehende - teilweise erhebliche - Bedarfssteigerung nicht auf einer Erhöhung des für den einzelnen Rausch benötigten Wirkstoffs, sondern auf einer Erhöhung der Missbrauchsfrequenz (BGHSt 33, 133/138 m. w. N.).

Die Höhe der Konsumdosis ist allerdings umstritten und wissenschaftlich nicht gesichert. Die Bandbreite reicht beim Schnupfen von 12 bis 100 mg und bei intravenöser Injektion von 2 bis 16 mg (BGHSt 33, 133/137 f.; Weber § 1 Rn. 227, jeweils m. w. N.), teilweise wird sie im Bereich von 20 bis 50 mg bei nasaler Anwendung und von 2,5 bis 25 mg bei intravenöser Anwendung gesehen (vgl. Körner C 1 Rn. 167 m. w. N.). Das Bundeskriminalamt bezeichnet bei intranasaler Anwendung 30 mg und bei intravenöser Injektion 10 mg als durchschnittliche Konsumeinheit; Dosen von 100 mg bei intranasaler Anwendung und 3 mg bei intravenöser Injektion hält es bereits für äußerst gefährlich (vgl. BGHSt 33, 133/138 f.).

Auf der Grundlage dieser Einschätzungen und ausgehend von der nach wie vor vorherrschenden Konsumform des Schnupfens hat der Bundesgerichtshof bei der Bestimmung der nicht geringen Menge im Sinn von § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG die durchschnittliche Konsumeinheit Kokaingemisch mit 33 mg Kokainhydrochlorid bemessen (BGHSt 33, 133/141). Dieser Wert kann im Hinblick auf die Identität von Einstiegs- und Konsumdosis bei Kokain auch für die Berechnung der geringen Menge im Sinn von § 29 Abs. 5 BtMG zugrunde gelegt werden, so dass sich bei maximal drei Konsumeinheiten eine Wirkstoffobergrenze von 100 mg ergibt.

3. Nach dieser Maßgabe hat die Strafkammer im vorliegenden Fall das Vorliegen einer geringen Menge rechtsfehlerfrei verneint. Unter Zugrundelegung der erworbenen Gewichtsmenge von 300 mg wäre zwar die Grenze der geringen Menge noch nicht überschritten worden. Der konkret ermittelte Wirkstoffanteil von 130 mg Kokainhydrochlorid weist jedoch mehr als maximal drei Konsumportionen aus und steht deshalb einer Anwendung des § 29 Abs. 5 BtMG entgegen.

Ende der Entscheidung

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