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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 26.04.2004
Aktenzeichen: 4 St RR 49/04
Rechtsgebiete: StPO, BtmG


Vorschriften:

StPO § 318
BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1
Die Bindungswirkung eines erstinstanzlichen Urteils, das mit einer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung angegriffen wurde, umfasst die Feststellungen zur Suchtmotivation einer Tat auch dann, wenn das Amtsgericht lediglich von der Unwiderlegbarkeit dieser Umstände ausgegangen ist.
Tatbestand:

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von einem Jahr für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis ausgesprochen. Auf die auf den "Strafausspruch" beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht den Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten verurteilt wurde. Die im Ersturteil ausgesprochene Maßregel blieb aufrechterhalten. Die dagegen eingelegte zulässige Revision (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) hatte mit der Sachrüge zumindest vorläufigen Erfolg, so dass es auf die erhobene Verfahrensrüge nicht mehr ankam.

Gründe:

Die Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch war wirksam. Das Revisionsgericht prüft von Amts wegen, ob das Berufungsgericht in Verkennung der durch eine wirksame Berufungsbeschränkung eingetretenen Bindungswirkung über einen Aspekt der Schuldfrage abweichend entschieden hat (vgl. hierzu Meyer-Goßner StPO, 46. Aufl. § 327 Rn. 9). Das ist hier der Fall:

Das Amtsgericht hat festgestellt (Seite 6 des erstinstanzlichen Urteils), dass der Angeklagte den vereinbarten Kurierlohn für die Beschaffung des von ihm regelmäßig konsumierten Kokains verwenden wollte und nicht ausschließbar unter einem gewissen Beschaffungsdruck stand. Wenngleich das Amtsgericht, das aus diesen Umständen die Anwendbarkeit des § 21 StGB herleiten wollte, sich nicht zu einer Strafrahmenverschiebung veranlasst sah, hat es doch diese Umstände in seinem Urteil ausdrücklich als strafmildernd berücksichtigt.

Demgegenüber kam das Landgericht im Rahmen seiner Erörterung zu § 21 StGB zum Ergebnis, dass die Tat des Angeklagten nicht aus einem Suchtdruck heraus erfolgte. Das Landgericht hat nicht nur eine genauere Bewertung des vom Amtsgericht festgestellten "gewissen Beschaffungsdruck vorgenommen (etwa dass der Suchtdruck nur äußerst gering gewesen wäre) sondern es hat jeglichen Suchtdruck überhaupt verneint. Ferner stellte es fest, dass der Kurierlohn nicht für die Beschaffung neuer Drogen dienen sollte.

Damit hat das Landgericht die sich aus der wirksamen Beschränkung der Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch ergebende Bindungswirkung nicht beachtet. Es legt seiner Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch Feststellungen zugrunde, die im Widerspruch zu den den Schuldspruch tragenden Feststellungen des Amtsgerichts stehen. Bei einer Strafmaßberufung darf das Berufungsgericht die Sachdarstellung des Ersturteils ergänzen; die ergänzenden Feststellungen dürfen allerdings den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht widersprechen, da die für den Schuld- und Strafausspruch maßgebenden Tatsachen ein einheitliches, widerspruchsfreies Ganzes bilden müssen (Meyer-Goßner § 327 Rn. 6 m.w.N; BayOblGSt 1999, 84).

Inwieweit durch das Berufungsgericht neue Feststellungen getroffen werden können, die über die des erstinstanziellen und teilweise bereits rechtskräftig gewordenen Urteils hinausgehen, ist eine Frage des Einzelfalles (BGH NStZ 1981, 448). Bei einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung sind vor allem jene Umstände der Sachverhaltsdarstellung bindend, in denen die gesetzlichen Merkmale der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten gefunden wurden (BGHSt 30, 340/343).

Zum Schuldspruch gehören aber nicht nur Tatumstände, die die gesetzlichen Merkmale der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat ausfüllen. Vielmehr nehmen auch jene Teile der Sachverhaltsschilderung bei einer Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch an der Bindungswirkung teil, die das Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben (BGHSt 30, 340/344 m.w.N.). Zu diesen Umständen, die beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln der Tatausführung ein entscheidendes Gepräge geben, zählen auch die Beweggründe (vgl. KK- StPO / Ruß, Komm. zur StPO, 5. Aufl., Rdn. 9 zu § 318) und die suchtbedingten Gesichtspunkte, die das Leben des Täters und dessen Person kennzeichnen. Stellt das Erstgericht somit fest, der Angeklagte habe aus Suchtdruck und zur Finanzierung neuer Drogen zum Eigenverbrauch gehandelt, so ist das Berufungsgericht bei einer Beschränkung der Berufungen an diese Feststellung gebunden. Diese Bindungswirkung gilt auch dann, wenn das Erstgericht eine Tatsache als wahr unterstellt oder die Einlassung des Angeklagten über den Tathergang als unwiderlegt seiner Entscheidung zugrunde legt (vgl. Löwe-Rosenberg-Gössel, 25. Aufl. § 318, Rdz.81; OLG Celle DAR 1956, 77). Hiergegen hat das Landgericht verstoßen. Es hatte die Feststellungen des Amtsgerichts über die vom Angeklagten behauptete Verwendung des Drogenkurierlohns und den nicht ausschließbaren Suchtdruck seiner eigenen Entscheidung als bindend zugrunde zulegen und durfte diese Feststellungen nicht mehr in Frage stellen und abändern. Auf diesem Verstoß gegen die Bindungswirkung kann die Strafbemessung beruhen. Das Amtsgericht hatte diese Umstände zu Recht als strafmildernd gewertet. Soweit das Landgericht nunmehr von einem anderen Sachverhalt ausging, kamen diese Milderungsgründe dem Angeklagten nicht mehr zugute. Dies gilt sowohl bei der Bestimmung des Strafrahmens bei der Prüfung des minderschweren Falles ( der im Ergebnis allerdings nicht vorliegen dürfte), als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne. Es kann letztlich nicht völlig ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei Hinzunahme dieser Strafmilderungsgründe zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.

Aufgrund der vorstehenden Darlegungen wird das Urteil des Landgerichts mit den zugrundeliegenden Feststellungen und der Kostenentscheidung aufgehoben (§ 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts verwiesen (§ 354 Abs.2 StPO), die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird. Die Entscheidung ergeht einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

1. Die Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Erding besteht auch bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB, wobei eine Bindung an die Wertung des Amtsgerichts, der Angeklagte sei zur Tatzeit in seiner Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen, nicht besteht. Die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB ist vom Berufungsgericht als Teil der Straffrage selbständig zu beurteilen (BayObLGSt 1999, 83/85). Die Beantwortung dieser Frage kann die Strafkammer grundsätzlich auch ohne sachverständige Hilfe treffen. Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens hängt von den Anforderungen ab, welche die Rechtsordnung an das Verhalten des einzelnen zu stellen hat. Dies zu bewerten und zu entscheiden ist Sache des Richters. Allein zur Beantwortung einer Vorfrage nach den medizinisch- psychiatrischen Anknüpfungstatsachen bedarf er sachverständiger Hilfe, sofern er hierzu nicht auf Grund eigener Sachkunde befinden kann (BGH NStZ-RR 2004, 39).

2. Bei den vom Landgericht geschilderten (teilweise jedoch fehlerhaft festgestellten) Umständen musste sich die Strafkammer nicht gedrängt fühlen, ein Sachverständigengutachten zu erholen. Ob dies erforderlich sein wird, wenn der vom Amtsgericht festgestellte "gewisse Beschaffungsdruck" hinsichtlich seiner Stärke in einer neuerlichen Hauptverhandlung näher konkretisiert wird, bleibt der Bewertung und Sachkunde des neuen Tatrichters vorbehalten.

3. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde auf den Rechtsfolgenausspruch und innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auf den Strafausspruch beschränkt. Zwar ist bei einer Anfechtung des Strafausspruchs im Regelfall auch die Entziehung der Fahrerlaubnis mitangefochten (vgl. OLG Celle, DAR 1956, 77). Aus der von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Differenzierung zwischen Rechtsfolgenausspruch und Strafausspruch sowie dem Inhalt der Berufungsbegründung folgt jedoch in eindeutiger Weise, dass die verhängte Maßregel nicht angefochten sein sollte. Das Landgericht ist in seinen Gründen (Bl. 12) daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Maßregel bereits in Rechtskraft erwachsen ist.



Ende der Entscheidung

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