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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.06.2002
Aktenzeichen: 4 St RR 64/02
Rechtsgebiete: AuslG, AuslG 1990 DV


Vorschriften:

AuslG § 3 Abs. 1
AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 1
AuslG 1990 DV § 1 Abs. 1 S 1 Nr. 1
AuslG 1990 DV § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a
Ein Drittausländer, der als Beschäftigter einer niederländischen Spedition mit einem in den Niederlanden zugelassenen Fahrzeug Fracht aus Deutschland nach Österreich verbringt oder im Transitverkehr von Spanien nach Österreich Deutschland durchquert und keine niederländische Arbeitsgenehmigung ("Tewerkstellingsvergunning") besitzt, ist von der Visumpflicht nicht befreit.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle des unerlaubten Aufenthalts zur Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 110 DM. Auf die Berufung des Angeklagten änderte das Landgericht dieses Urteil dahingehend ab, dass der Angeklagte eines Vergehens des unerlaubten Aufenthalts schuldig gesprochen und deswegen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt wurde. Im Übrigen wurde der Angeklagte freigesprochen.

Mit der Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung des materiellen Rechts.

II.

Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO), jedoch nicht begründet.

1. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

1.1 Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte, von Beruf Kraftfahrer und ungarischer Staatsangehöriger, am 28.2.2001 als Führer eines in den Niederlanden zugelassenen Sattelzuges der niederländischen Firma I H B.V. in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er hatte in Hagen/ Westfalen für Österreich bestimmte Fracht geladen und wurde auf der Fahrt in Richtung Unterpremstätten/Österreich auf der BAB 8 im Gemeindebereich Bernau polizeilich kontrolliert. Er war hierbei, wie er wusste, nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung. Bereits am 29.1.2001 war der Angeklagte bei einer Fahrt von Spanien nach Österreich durch das Bundesgebiet angehalten und wegen Fehlens eines Visums beanstandet worden. Gegen ihn wurde deshalb ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz eingeleitet.

Der Angeklagte ist seit 1.6.1999 bei der Firma I H B.V. beschäftigt. Bis zum Tatzeitpunkt hatte er jedoch in den Niederlanden keinen Aufenthalt begründet und dort auch nicht gearbeitet. Seit dem 10.12.2001 ist er Inhaber einer von der niederländischen Arbeitsverwaltung ausgestellten Arbeitserlaubnis ("Tewerkstellingsvergunning"). Sie gestattet ihm nunmehr im Rahmen internationaler Transporte Fracht in den Niederlanden zu laden und zu entladen (BU S. 4, 6 - 7).

1.2 Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen eines Vergehens des unerlaubten Aufenthalts nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG.

1.2.1 Wegen unerlaubten Aufenthalts macht sich nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG strafbar, wer sich entgegen § 3 Abs. 1 AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung nach § 55 Abs. 1 AuslG besitzt. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AuslG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einer Aufenthaltsgenehmigung in Form eines Sichtvermerks (Visum), wobei nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG das Bundesministerium des Innern zur Erleichterung des Aufenthalts von Ausländern Rechtsverordnungen erlassen kann. § 1 Abs. 1 Satz 1 DVAuslG sieht daher vor, dass Staatsangehörige der in der Anlage I zu dieser Verordnung aufgeführten Staaten bei Vorliegen der erforderlichen Personaldokumente bei einem Aufenthalt bis zu drei Monaten keiner Aufenthaltsgenehmigung bedürfen, solange sie keine Erwerbstätigkeit ausüben. Ungarn ist in dieser Staatenliste aufgeführt. Als ungarischer Staatsangehöriger benötigte der Angeklagte somit eine Aufenthaltsgenehmigung, da er in Deutschland zur Tatzeit als Kraftfahrer gearbeitet und damit im Sinne des § 12 Abs. 1 DVAuslG erwerbstätig geworden ist.

1.2.2 Soweit in § 12 Abs. 2 bis 5 DVAuslG zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehrs Ausnahmetatbestände normiert sind, liegen die Voraussetzungen hierfür nicht vor. Insbesondere greift die Bestimmung des § 12 Abs. 2 Nr. 2 a DVAuslG zugunsten des Angeklagten nicht ein. Danach übt ein Arbeitnehmer im Bundesgebiet dann keine Erwerbstätigkeit aus, wenn er im Dienst eines Unternehmens mit Sitz im Ausland unter Beibehaltung seines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland längstens insgesamt drei Monate innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten im Bundesgebiet als Angehöriger des fahrenden Personals im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehrs tätig ist, sofern das Unternehmen seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines EWR-Vertragsstaates hat, das Fahrzeug dort zugelassen und der Arbeitnehmer dort die erforderliche Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung besitzt.

Diese Voraussetzungen waren zur Tatzeit nur teilweise erfüllt. Der Angeklagte stand zwar im Dienst eines Unternehmens mit Sitz in den Niederlanden, das von ihm geführte Fahrzeug war dort zugelassen und er war im grenzüberschreitenden Güterverkehr, also nicht nur innerhalb der Grenzen des Bundesgebiets tätig. Der Angeklagte war jedoch zur Tatzeit nach den Feststellungen nicht im Besitz der in den Niederlanden erforderlichen Arbeitsgenehmigung.

Die Formulierung "dort ... besitzt" besagt, dass für den Arbeitnehmer die im Sitzstaat des Unternehmens nach der dortigen Rechtslage gebotene Arbeitsgenehmigung vorliegen muss. Das war, wie die Strafkammer durch die Gegenüberstellung zwischen einer förmlichen Arbeitsgenehmigung ("Tewerkstellingsvergunning") und der Erklärung über ein Dienstverhältnis ("Dienstbetrekkingsverklaring") nachvollziehbar dargelegt hat, nicht der Fall. Soweit die Revision hiergegen vorbringt, der Angeklagte habe bis zur Tatzeit in den Niederlanden weder seinen Aufenthalt genommen noch eine Tätigkeit als Kraftfahrer dort ausgeübt, ist das rechtlich ohne Bedeutung. Abzustellen ist vielmehr ausschließlich darauf, dass der Angeklagte zur Tatzeit jedenfalls die nach niederländischem Recht für die Tätigkeit als Lkw-Fahrer in den Niederlanden erforderliche Arbeitsgenehmigung nicht gehabt hat. Das hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt. Nur wenn die vom Angeklagten im Bundesgebiet ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer in den Niederlanden ohne Arbeitserlaubnis zulässig wäre, würde das die Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 2 a DVAuslG nicht in Frage stellen. Das war nicht der Fall. Diese Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 2 a DVAuflG erschließt sich zwanglos aus dem mit dieser Regelung verfolgten Zweck. Wer als Arbeitnehmer in einer Firma mit Sitz in einem EWR-Staat auch über die dort erforderliche Arbeitsgenehmigung verfügt, soll im Rahmen des grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehrs nicht noch zusätzlich um die entsprechende Erlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat nachsuchen müssen. Es soll vielmehr ausreichen, dass die entsprechende Tätigkeit im Sitzstaat des Unternehmens rechtmäßig ist. Der Senat nimmt insoweit auf die Begründung der 9. Änderungsverordnung, durch die mit Wirkung vom 1.6.1999 § 12 DVAuslG seinen jetzigen Wortlaut bekam, Bezug (vgl. Amtl. Begr. der 9. Änderungs-VO [BR-Dr 195/99 v. 25.3.1999, Seite 22]). Beim Angeklagten war das aber erst dann der Fall, als ihm mit der niederländischen Arbeitserlaubnis vom 10.12.2001 das Führen von Lkws auch in den Niederlanden gestattet wurde. Die Strafkammer ist daher zu Recht von der Erfüllung des Tatbestands des § 92 a Abs. 1 Nr. 1 AuslG durch die Tätigkeit des Angeklagten am 28.2.2001 im Bundesgebiet ausgegangen.

Einen vermeidbaren Verbotsirrtum hat sie ohne Rechtsverstoß mit der Erwägung verneint, dass der Angeklagte bereits am 29.1.2001 bei einer Fahrt im Bundesgebiet kontrolliert und wegen des fehlenden Visums beanstandet wurde. Das gegen diese Bewertung gerichtete Revisionsvorbringen greift nicht durch. Soweit die Revision darauf abstellt, die Kontrolle vom 29.1.2001 habe anlässlich einer Transitfahrt von Spanien nach Österreich stattgefunden, so dass es bereits an der Tatbestandsmäßigkeit eines Vergehens nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG fehle, trifft das nicht zu. Ein Lkw-Fahrer, der sich im Bundesgebiet im Rahmen einer Transitfahrt aufhält, geht in gleicher Weise einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 DVAuslG nach wie jener Fahrer, der vom Ausland Waren in das Bundesgebiet befördert oder solche aus dem Bundesgebiet in das Ausland verbringt. In sämtlichen Fällen geschieht dies in Erfüllung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen und damit in Erwerbsabsicht.

Soweit die Revision in diesem Ergebnis einen Verstoß gegen die europarechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit (Art. 59 ff. EWG-Vertrag) sieht und hierbei auf die Entscheidung des EUGH in der Rechtssache C-43/93 R V E gegen O d m i (O ) v. 1.6.1994 (EUGH-1994 I 3803 ff.) verweist, handelt es sich um keine vergleichbare Fallgestaltung. Anders als im vorliegenden Fall hatten in der Rechtssache V E die vom Sitzstaat eines Unternehmens in einem anderen EWR-Staat eingesetzten Drittausländer eine den Anforderungen des Sitzstaates entsprechende Arbeitsgenehmigung. Gerade das war vorliegend nicht der Fall.

2. Die Verfahrensrüge greift nicht durch.

Dem Hilfsbeweisantrag der Verteidigung auf Einholung einer amtlichen Auskunft, dass eine "Dienstbetrekkingsverklaring" einer förmlichen Arbeitserlaubnis ("Tewerkstellingsvergunning") entspreche, ist die Strafkammer ohne Rechtsverstoß nicht nachgegangen. Anträge, die auf die Ermittlung ausländischen Rechts abzielen, unterliegen nicht den Regeln des Strengbeweisverfahrens (BGH NJW 1994, 3364/3366). Die Strafkammer konnte daher im Wege des Freibeweises klären, dass der Angeklagte nicht im Besitz einer niederländischen Erlaubnis war, die ihm das Führen eines Lkw's in den Niederlanden erlaubt hätte. Ob er darüber hinaus eine Bescheinigung hatte, die ein Lohnverhältnis zur Firma I H B.V. bestätigte, ist für die Frage, ob die Anwendung der Ausnahmevorschrift nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 a DVAuslG in Betracht kommt, ohne Bedeutung.

Da auch die Höhe der gegen den Angeklagten verhängten Geldstrafe nicht zu beanstanden ist, erweist sich die Revision in vollem Umfang als unbegründet.

Die Entscheidung ergeht durch einstimmig gefassten Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO.

Kosten: § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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