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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 25.09.2001
Aktenzeichen: 4 St RR 71/01
Rechtsgebiete: ChemG, GefStoffV, ChemVerbotsV
Vorschriften:
ChemG § 3 Nr. 10 | |
GefStoffV § 3 Abs. 2 | |
GefStoffV § 15 Abs. 1 Nr. 13 | |
GefStoffV § 51 Abs. 1 | |
GefStoffV Anhang IV Nr. 13 | |
ChemVerbotsV § 1 Abs. 1 Nr. 2 | |
ChemVerbotsV § 8 Nr. 1 | |
ChemVerbotsV Anhang Abschnitt 17 |
Tatbestand:
Die Firma B. GmbH, deren Geschäftsführer der Angeklagte B. ist, erwarb im September 1997 von einer Firma R. teerölbehandelte Eisenbahnschwellen als Unterleghölzer für ihren Sägewerksbetrieb. Auf Anweisung des Angeklagten B. halbierte dessen Sohn durch Sägen zwölf dieser Schwellen. Da die zuviel gelieferten Bahnschwellen von der Lieferfirma nicht zurückgenommen wurden, brachte die Firma B. auf ihren Inlandsrechnungen folgende Verkaufswerbung an: "Fragen Sie nach unserem aktuellen Angebot über imprägnierte Eisenbahnschwellen".
Im Rahmen anderer Bauarbeiten im Jahr 1998 erteilte der Angeklagte S. einer Firma D. den Auftrag, auf seinem Grundstück eine Grundstücksauffahrt zu errichten. Der bei der Firma D. als Bauleiter beschäftigte Angeklagte P. fertigte für die auszuführenden Arbeiten am 17.5.1998 ein Angebot, in dem die Grundstückseinfassung mit Wasserbausteinen vorgesehen war. Da die alte Grundstückseinfassung aus alten Eisenbahnschwellen bestand, wollte der Angeklagte S. die neue Grundstückseinfahrt ebenfalls mit Eisenbahnschwellen eingefasst haben. Aufgrund der Werbung der Firma B. veranlasste der Angeklagte P. die Bestellung von 60 dieser Eisenbahnschwellen bei der Firma B.
Am 3.8.1998 wurden die Bahnschwellen von einem Subunternehmer der Firma D. bei der Firma B. abgeholt und direkt zum Grundstück des Angeklagten S. verbracht, wo sie von den vom Angeklagten P. dort eingesetzten Beschäftigten der Firma D. am 4.8.1998 mit einer Motorsäge gekürzt und als Einfassung für die Einfahrt einbetoniert wurden. Beim Sägen dieser Bahnschwellen rauchte es, an den nicht bedeckten Armen eines Beschäftigen entwickelte sich ein juckender Ausschlag. Der andere Beschäftigte trug einen Mundschutz, nachdem er im Hals ein Brennen verspürt hatte.
In keinem der Verkaufsfälle erfolgte ein Hinweis auf das Chemikaliengesetz bzw. die Gefahrstoffverordnung.
Das Amtsgericht sprach die Angeklagten am 29.11.1999 je wegen fahrlässiger Verwendung verbotener Erzeugnisse nach der Gefahrstoffverordnung schuldig, verurteilte die Angeklagten P. und B. jeweils zu Geldstrafen von 15 Tagessätzen zu je 50 DM und verwarnte den Angeklagten S. unter Vorbehalt einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 150 DM.
Das Landgericht hob am 8.12.2000 auf die Berufungen der Angeklagten das amtsgerichtliche Urteil auf, sprach die Angeklagten S. und B. frei und verurteilte den Angeklagten P. wegen fahrlässiger Verwendung von Erzeugnissen, die nach der Gefahrstoffverordnung verboten ist, zu einer Geldstrafe von sechs Tagessätzen zu je 30 DM.
Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision des Angeklagten P. mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft griff mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision die Freisprüche der Angeklagten S. und B. an und erstrebte hinsichtlich des Angeklagten P. eine Schuldsprucherweiterung unter Einbeziehung der Chemikalienverbotsverordnung sowie eine Erhöhung der Strafe. Das Rechtsmittel des Angeklagten P. hatte keinen, das der Staatsanwaltschaft nur hinsichtlich dieses Angeklagten Erfolg.
Gründe:
A. Revision des Angeklagten P.
Die Revision des Angeklagten P. ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO), sachlich aber unbegründet.
1. Aufgrund der zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auch ohne entsprechende Rüge von Amts wegen das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen. Zu diesen gehört auch die Zulässigkeit und insbesondere die Rechtzeitigkeit der vom Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegten Berufung (vgl. BayObLG vom 8.3.1994 - 4St RR 10/94). Diese Prüfung ergibt zwar, dass der die Berufungseinlegung enthaltende Schriftsatz des Verteidigers vom 6.12.1999 laut Eingangsstempel des Amtsgerichts erst am 7.12.1999 beim Amtsgericht eingegangen ist, so dass die Berufung verspätet wäre, da das amtsgerichtliche Urteil in Anwesenheit des Angeklagten am 29.11.1999 verkündet worden ist. Insoweit trifft die Feststellung des Berufungsgerichts im Hauptverhandlungsprotokoll vom 27.11.2000 nicht zu, dass der Angeklagte "am 7.12.1999 (jeweils) form- und fristgerecht Berufung eingelegt" habe. Der Senat hat daher im Freibeweisverfahren zu ermitteln versucht, ob das im Berufungsschriftsatz vom 6.12.1999 angekündigte "Vorab"-Telefax beim Amtsgericht eingegangen ist. Ein solches konnte aber weder bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts noch bei der der Staatsanwaltschaft aufgefunden werden. Dass es sich schon zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung nicht bei den Akten befand, folgt aus der in dieser getroffenen Feststellung, die sich auf den 7.12.1999 bezieht. Der Verteidiger des Angeklagten P. hat jedoch nunmehr einen Sendebericht für die Übermittlung des Berufungseinlegungsschreibens per Telefax vom 6.12.1999 vorgelegt, der die Übertragung mit "OK" bestätigt. Insofern ist daher mit BGH StV 1995, 454 von der Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung auszugehen, zumal eine Aufstellung über vor dem 18.4.2000 eingegangene Telefaxe beim Amtsgericht nicht mehr vorhanden ist. Durch die Entscheidung des BGH vom 2.5.1995 (aaO) ist die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 13.3.1995 (VRS 90, 214) auch im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1.8.1996 (NJW 1996, 2857) überholt.
2. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat dem Angeklagten einen Tatbestandsirrtum hinsichtlich der "Umstände des gesetzlichen Tatbestands" zugebilligt, was offenbar auf die Behandlung der Eisenbahnschwellen mit Teeröl abzielt, da ihm nach den Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil die Imprägnierung als solche bekannt war. Woraus sich allerdings insoweit die Fahrlässigkeit ergibt, hat die Strafkammer nicht näher dargelegt. Die für das Vorliegen von Fahrlässigkeit zu stellenden Anforderungen decken sich aber im wesentlichen mit denen, die bei der Prüfung des Verbotsirrtums hinsichtlich der Vermeidbarkeit als Maßstab anzulegen sind. Insoweit teilt der Senat die von der Strafkammer im Rahmen der Erörterung des Verbotsirrtums geäußerte Auffassung, dass der Angeklagte aufgrund seiner Tätigkeit als Bauleiter auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Lebens- und Berufserfahrung verpflichtet und imstande gewesen wäre, der Frage nachzugehen, mit welchen Mitteln die Imprägnierung vorgenommen worden war. Konnte er vom Verkäufer nichts Verlässliches in Erfahrung bringen oder wurde er über die Teerölbehandlung informiert, so hätte sich dann auch die Frage nach der Zulässigkeit der Verwendung stellen müssen, zumal der Angeklagte mit derartigen Baustoffen nicht täglichen Umgang hatte. Die Erkundigungsmöglichkeiten und deren Ergebnisse hat die Strafkammer dargelegt.
Zwar enthält die Bayerische Bauordnung vom 21.6.1982 (GVBl S. 313) seit Inkrafttreten (1.9.1982) des Vierten Gesetzes zur Änderung der Bauordnung über den verantwortlichen Bauleiter keine Regelung mehr, so dass ihm kein Wirkungskreis mehr zugewiesen ist, innerhalb dessen er kraft seiner Funktion gegenüber den Bauaufsichtsbehörden verantwortlich ist (BayObLGSt 1995, 69/71). Dies bedeutet aber nicht, dass damit Verantwortlichkeiten gegenüber dem Bauherrn bzw. den am Bau Beschäftigten entfallen wären. Dies gilt insbesondere für die gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 BayBO U.d.F. der Bekanntmachung vom 4.8.1997; GVB1 S. 433) vom Bauunternehmer bereitzuhaltenden Nachweise über die Verwendbarkeit der eingesetzten Bauprodukte. Daraus ergibt sich, dass die Verwendbarkeit vor dem Einsatz zu prüfen ist. Eine solche Überprüfung hat der Angeklagte P. dem Bauunternehmer nicht ermöglicht. Denn er war derjenige, der dem Wunsch des Bauherrn entsprechend den Einsatz anderer Baustoffe als ursprünglich geplant veranlasst und somit die Bahnschwellen verwendet hat.
Das Merkmal des Verwendens in der Form der Verarbeitung (vgl. § 3 Nr. 10 ChemG) ist erfüllt. Die Ausnahmevorschrift des Anhangs IV Nr. 13.3 Abs. 3 zur GefStoffV kommt dem Angeklagten deshalb nicht zugute, da die Bahnschwellen "für Zwecke des privaten Endverbrauchers bestimmt" waren (Abs. 3 Nr. 4). Der Begriff des privaten "Endverbrauchers" ist nach Auffassung des Senats dabei nicht in dem Sinn einschränkend zu verstehen, dass mit Verbraucher und Verbrauch nur eine Teilform des Verwendens im Sinne von § 3 Nr. 10 ChemG, § 3 Abs. 2 GefStoffV bezeichnet ist. Damit würde sich nämlich die Vorschrift der Nr. 13.3 Abs. 3 des Anhangs IV zur Gefahrstoffverordnung ins Gegenteil verkehren, da sie praktisch nur dann nicht anwendbar wäre, wenn der private Endverbraucher die Bahnschwellen, Leitungsmasten bzw. Pfähle verheizt. Der Be griff des "Endverbrauchers" ist in diesem Zusammenhang ersichtlich der Alltagssprache entnommen und bedeutet soviel wie "Endabnehmer", schränkt also das Verwenden nicht auf die Unterform des Verbrauchens ein. Auch die Vorschriften des § 414 Abs. 3 HGB bzw. § 6 a und b UWG verwenden den Begriff des Verbrauchers in diesem Sinn.
Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. In diesem Zusammenhang markiert der mögliche Wortsinn des Gesetzes die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. D er Wille des Gesetzgebers kann deswegen bei der Auslegung nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text Niederschlag gefunden hat. Der objektive Gehalt einer Norm ergibt sich somit in erster Linie aus ihrem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang, in den sie gestellt ist. Schließlich ist bei der Auslegung von Strafnormen zu beachten, dass der Wortsinn solcher Bestimmungen aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen ist, weil Art. 103 Abs. 2 GG Erkennbarkeit und Voraussehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten verlangt (vgl. BayObLGSt 2000, 164/171 m. w. N.). Gerade aus der Sicht des Bürgers beinhaltet aber der Begriff des "Endverbrauchers" keine Einschränkung auf bloßen Verbrauch.
3. Auch der Rechtsfolgenausspruch weist keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler auf. Ersichtlich ist die Strafkammer vom Strafrahmen des § 27 Abs. 1 ChemG ausgegangen, wie die Berechnung der Strafmilderungsmöglichkeit dartut. Die Aufführung der Nr. 2 auf S. 17 des angefochtenen Urteils ist unverständlich, bedeutet im Hinblick auf die Berechnung des Mindeststrafrahmens aber auch nicht, dass das Landgericht von (§ 27) Abs. 2 ChemG ausgegangen ist, auch wenn auf S. 20 ausgeführt ist, dass der Angeklagte Arbeitnehmer gesundheitlich gefährdet habe.
B. Revision der Staatsanwaltschaft zu Lasten des Angeklagten P.:
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig, führt aber zur Aufhebung schon des Schuldspruchs gegenüber dem Angeklagten P.
Zutreffend hat die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Feststellungen der Strafkammer auch die Verwirklichung des Tatbestandes des verbotenen Inverkehrbringens von mit Gefahrstoffen behandelten Erzeugnissen beinhaltet. Gemäß § 8 Nr. 1 ChemVerbotsV wird nämlich bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 1 i.V.m. dem Anhang die dort aufgeführten Stoffe, Zubereitungen oder Erzeugnisse in Verkehr bringt. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 ChemVerbotsV ist das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die in Spalte 1 des Anhangs bezeichnete Stoffe oder Zubereitungen freisetzen oder enthalten, verboten. Der Verbotsumfang richtet sich nach den Spalten 2 und 3 des Anhangs. Unter Abschnitt 17 Spalte 1 des Anhangs zur ChemVerbotsV sind Teeröle aufgeführt; nach Nr. 2 der Spalte 2 dürfen Erzeugnisse, die ganz oder teilweise aus Holz oder Holzwerkstoffen bestehen und mit Holzschutzmitteln nach Nr. 1 (= Teeröle oder Bestandteile aus Teerölen) behandelt worden sind, nicht in den Verkehr gebracht werden. Die Ausnahmeregelung in Spalte 3 Abs. 6 ist mit derjenigen nach Nr. 13.3 Abs. 3 des Anhangs IV zur Gefahrstoffverordnung identisch. Unter Inverkehrbringen versteht das Gesetz (§ 3 Nr. 9 ChemG) die Abgabe an Dritte oder die Bereitstellung für Dritte. Damit hat die Strafkammer alle diese Tatbestandsmerkmale tatsächlich festgestellt, ohne hieraus die rechtliche Konsequenz zu ziehen und damit den dem Angeklagten P. im Strafbefehl gemachten Schuldvorwurf rechtlich erschöpfend zu würdigen.
Obwohl das Verwenden in Form des Bearbeitens (GefStoffG) und das Inverkehrbringen (ChemVerbotsV) tateinheitlich zusammenfallen und daher eine Ergänzung des Schuldspruchs durch den Senat an sich möglich wäre, scheitert dies im vorliegenden Fall daran, dass die Revision der Staatsanwaltschaft mit dem Angriff auf den den Schuldvorwurf nicht völlig abdeckenden Schuldspruch diesen insgesamt erfasst und der Senat daher auch zu prüfen hat, ob der Qualifizierungstatbestand des § 27 Abs. 2 ChemG im Fall des Verwendens (Bearbeitens der Bahnschwellen durch die Arbeitnehmer) gegeben ist. Das Landgericht hat nämlich (allerdings nur bei der Strafzumessung) berücksichtigt, dass der Angeklagte P. zwei seiner Arbeitnehmer gesundheitlich gefährdet habe. Ob es damit eine Gesundheitsgefährdung im Sinne des § 27 Abs. 2 ChemG annehmen wollte, ist dem angefochtenen Urteil hingegen nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen. Die bei der rechtlichen Würdigung aufgeführte Nr. (!) 2 bei § 27 ChemG könnte zwar darauf hindeuten, lässt sich aber nicht mit dem zugrunde gelegten Strafrahmen vereinbaren.
Kommt aber eine Verurteilung nach § 27 Abs. 2 ChemG in Betracht, wird die Strafkammer bei der Strafzumessung den erhöhten Strafrahmen zu berücksichtigen haben. Dass ihr die Vorschrift des § 40 Abs. 1 StGB nicht geläufig gewesen sei, kann allerdings angesichts des Hinweises darauf nicht angenommen werden, dass das Landgericht das Strafverfahren hätte einstellen wollen.
C. Revision der Staatsanwaltschaft zu Lasten des Angeklagten S.:
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig, aber im Ergebnis nicht begründet.
Dem Angeklagten lag zur Last, den am 4.8.1998 vorgenommenen Einbau von teerölimprägnierten Eisenbahnschwellen auf seinem Grundstück veranlasst zu haben. Die Strafkammer hat dem Angeklagten einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zugebilligt und sich daher folgerichtig nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich der Angeklagte in einem Tatbestandsirrtum befunden und die Tat fahrlässig begangen hat. Die Teerölimprägnierung ist gemäß Nr. 13.1 Abs. 2 des Anhangs IV zur GefStoffV Tatbestandsmerkmal. Aus dem Zusammenhang der Gründe des angefochtenen Urteils ergibt sich aber, dass der Angeklagte S. vor dem Einbau von dieser Teerölimprägnierung keine Kenntnis hatte. Er handelte daher in einem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB), so dass nur unbewusst fahrlässige Begehungsweise in Betracht kommt (§ 16 Abs. 1 Satz 2, § 15 StGB; § 51 GefStoffV). Die rechtliche Würdigung der insoweit von der Strafkammer getroffenen Feststellungen ergibt aber, dass der Angeklagte S. nicht fahrlässig gehandelt hat.
Unbewusst fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, außer acht lässt und infolge dessen die Tatbestandsverwirklichung nicht voraussieht. Eine Sorgfaltsverpflichtung kann sich aus Rechtsnorm, aus Vertrag, dem Beruf des Täters oder dessen vorangegangenem Verhalten, aber auch aus dem Grundsatz ergeben, dass man fremde Rechtsgüter nicht verletzten darf (Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 15 Rn. 14, 16). Im vorliegenden Fall ist nur dieser letztere allgemeine Grundsatz diskussionswürdig, da sich auch aus Art. 56 BayBauO insoweit für den Bauherrn keine Verpflichtungen ergeben. Zwar besteht der Zweck des Chemikaliengesetzes nach dessen § 1 darin, den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen zu schützen, insbesondere sie erkennbar zu machen, sie abzuwenden und ihrem Entstehen vorzubeugen. Da die Sorgfaltspflicht aber insbesondere von den konkreten Umständen abhängt, wird die Pflicht, der Frage der Gefährlichkeit nachzugehen, wiederum von der mehr oder weniger großen Offensichtlichkeit dieser Gefährlichkeit beeinflusst. Zwar hat die Strafkammer festgestellt, dass die Imprägnierung von Bahnschwellen allgemein bekannt sei; einen Erfahrungssatz dahingehend, dass jedermann weiß, Bahnschwellen seien mit Teeröl imprägniert, gibt es aber nicht. Innerhalb der Umstände, welche eine Sorgfaltsverpflichtung auslösen können, hat die Strafkammer aber auch im Rahmen der Prüfung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums, die im wesentlichen Komponenten der Fahrlässigkeit entspricht, zutreffend darauf hingewiesen, dass der Angeklagte, der auf dem von ihm gekauften Grundstück bereits eingebaute Eisenbahnschwellen vorgefunden hatte, bei der Beauftragung einer Baufirma mit dem Einbau solcher Schwellen keine Veranlassung hatte, sich besonders nach deren Gefährlichkeit (hier Zusammensetzung) dieser Baustoffe zu erkundigen. Auch die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Angeklagten hat die Strafkammer im Rahmen des Verbotsirrtums zutreffend dahingehend gewürdigt, dass sich auch hieraus keine Veranlassung zu weiterer Erkundigung ergeben habe.
Da der Angeklagte demnach schon nicht fahrlässig gehandelt hat, stellt sich die Frage der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht mehr.
Ob der Angeklagte S. nach Kenntnis von der Teerölhaltigkeit der Bahnschwellen und des Verwendungsverbotes diese weiterhin auf seinem Grundstück belassen und sich dadurch strafbar gemacht haben kann, wird von dem ihm im Strafbefehl angelasteten Tatgeschehen nicht umfasst, so dass auch aus diesem Grunde eine Aufhebung des Freispruchs und eine Zurückverweisung nicht erfolgen kann.
D. Revision der Staatsanwaltschaft zu Lasten des Angeklagten B.:
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig, aber auch hier im Ergebnis nicht begründet.
Die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat (Veranlassung der Halbierung von 12 teerölgetränkten Eisenbahnschwellen zur Verwendung als Unterleghölzer im Sägewerk) ist nämlich nicht strafbar, da die Ausnahmevorschrift der Nr. 13.3 Abs. 3 des Anhangs IV zur GefStoffV eingreift, so dass es auf den vom Landgericht angenommenen unvermeidbaren Verbotsirrtum nicht ankommt.
Zwar kann sich gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 ChemG, § 51 Abs. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Nr. 13 GefStoffV i.V.m. Nr. 13.1 Abs. 2 des Anhangs IV zu dieser Verordnung strafbar machen, wer Erzeugnisse verwendet, die ganz oder teilweise aus Holz oder Holzwerkstoffen bestehen und die mit dem in Absatz 1 genannten Holzschutzmitteln behandelt worden sind. Unter Verwenden ist nach § 3 Abs. 2 GefStoffV i.V.m. § 3 Nr. 10 ChemG das Gebrauchen, Verbrauchen, Lagern, Aufbewahren, Be- und Verarbeiten, Abfüllen, Umfüllen, Mischen, Entfernen, Vernichten und innerbetriebliche Befördern zu verstehen. Von diesem Verwendungsverbot nimmt die Nr. 13.3 Abs. 3 des Anhangs IV u.a. Bahnschwellen aus, die mit Holzschutzmitteln nach Nr. 13.1 Abs. 1 imprägniert worden sind, wenn die letzte Imprägnierung vor mehr als 15 Jahren stattgefunden hat, frische Schnittstellen dauerhaft versiegelt oder abgedeckt sind, die Schwellen nicht für Innenräume, Kinderspielplätze oder sonstige mit regelmäßigem Hautkontakt verbundene Zwecke bestimmt sind, sie nicht für Zwecke des privaten Endverbrauchers bestimmt sind und sie keine Bedarfsgegenstände im Sinne des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes sind. Zu Recht hat schon die Strafkammer darauf hingewiesen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind bzw. zugunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden können. Sie ist zwar ebenfalls davon ausgegangen, dass das vom Angeklagten veranlasste Halbieren der Schwellen dem Verwendungsverbot nicht widerspreche, hat diese Frage aber letztendlich offengelassen und den Freispruch auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum gestützt. Der Senat teilt allerdings die Auffassung des Landgerichts, dass die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift gegeben sind. Wenn nämlich der in Nr. 13.3 Abs. 3 des Anhangs IV zur Gefahrstoffverordnung aufgeführte Begriff des Verwendens auch das Bearbeiten umfasst, kann das Versiegelungsgebot sich logischerweise nur darauf beziehen, dass die Schnittstellen vor dem Bearbeiten versiegelt waren oder nach dem Bearbeiten versiegelt werden. ob das Versiegelungsgebot den Zeitraum vor oder nach dem Bearbeiten betrifft, kann im vorliegenden Fall zwar dahingestellt bleiben, weil der Senat aufgrund der tatsächlichen Feststellungen auszuschließen vermag, dass eine dieser beiden Varianten zu Lasten des Angeklagten feststellbar ist; vernünftigerweise wird sich das Versiegelungsgebot aber auf den Zeitraum nach der Bearbeitung beziehen, auch wenn der Wortlaut "versiegelt oder abgedeckt sind" eher den Zustand bezeichnet, der vor der Verwendung d.h. Bearbeitung besteht. Wenn der Verordnungsgeber das Bearbeiten und damit auch das Aufschneiden oder Teilen alter Schwellen hätte verhindern wollen, hätte er den Begriff des Verwendens einschränken müssen...
Ende der Entscheidung
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