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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 14.03.2002
Aktenzeichen: 4 St RR 8/02
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 92
AO § 370 Abs. 1 Nr. 1
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2
Der Begriff der "Finanzbehörden" in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO entspricht dem in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Tatbestand:

Der Angeklagte ist seit 1992 als selbständiger Projektentwickler gewerblich tätig. Er ermittelt als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben. Im Juli 1990 erhielt er eine Maklerprovision in Höhe von 1750000 DM brutto ausbezahlt.

Dies wurde dem für ihn zuständigen Finanzamt R. anlässlich einer bei ihm im September 1995 für die Monate Januar bis August dieses Jahres durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung bekannt.

Der Angeklagte weiß, dass er seine Steuererklärungen wahrheitsgemäß und fristgerecht beim Finanzamt R. einzureichen hat. Trotz Mahnung unterließ er dies aber hinsichtlich der Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen für 1995 bis zum Veranlagungsschluss am 30.6.1997.

Am 24. bzw. 25.11.1997 erließ daraufhin das Finanzamt R. unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Schätzungsbescheide für den Veranlagungszeitraum 1995, in denen es die Nettoumsätze des Angeklagten auf 1600000 DM, die Vorsteuern auf 78000 DM sowie seinen gewerblichen Gewinn auf 150000 DM festsetzte. Hieraus ergab sich, dass der Angeklagte 51300 DM Einkommen- und 11475 DM Gewerbesteuer zu zahlen hatte.

Die Stadt R. erließ am 21.1.1998 den Gewerbesteuerbescheid 1995, der auf einem gewerblichen Gewinn von 150000 DM basierte.

Gegen beide Bescheide legte der Angeklagte am 23.12.1997 Einspruch mit der Begründung ein, die Steuererklärungen würden nachgereicht, was aber nicht geschah. Mit Bescheid vom 6.4.1998 hob das Finanzamt den Vorbehalt der Nachprüfung für den Einkommensteuerbescheid 1995 und den Gewerbesteuermeßbescheid 1995 auf. Mit Schreiben vom 18.6.1998 nahm der Angeklagte die genannten Einsprüche gegen die beiden Mahnbescheide zurück.

Tatsächlich betrugen die gewerblichen Einkünfte des Angeklagten, wie er wusste, im Veranlagungszeitraum 1995 jedoch 845488 DM, so dass die Einkommensteuern um 306379 DM und die Gewerbesteuer um 147772 DM zu niedrig festgesetzt worden waren. Der Angeklagte nahm zumindest billigend in Kauf, dass durch die Nichtabgabe der Steuererklärungen diese Steuern in der genannten Höhe verkürzt wurden.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 12.3.2001 wegen Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung zur Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 40 DM.

Am 22.10.2001 verwarf das Landgericht die vom Angeklagten gegen die amtsgerichtliche Entscheidung eingelegte Berufung als unbegründet.

Die Revision des Angeklagten war unbegründet.

Gründe:

Art und Höhe der Steuerverkürzungen hat die Strafkammer auf revisionsrechtlich nicht zu beanstandende Weise festgestellt.

Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel. Sie ist jedoch der Ansicht, dass der Angeklagte die Finanzbehörden nicht im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen habe. Denn der zuständige Finanzbeamte, der über das Ergebnis der Umsatzsteuer-Sonderprüfung informiert gewesen sei, habe über die für die Steuerfestsetzung erforderlichen Kenntnisse verfügt. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Der Bundesgerichtshof hat bei Steuerhinterziehungen nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO bisher die Frage offengelassen, ob diese Vorschrift eine Unkenntnis der Finanzbehörden voraussetzt. Er hat lediglich ausgesprochen, dass die für eine Tatbestandsverwirklichung das § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erforderliche objektive kausale Verknüpfung zwischen den unrichtigen Angaben gegenüber dem Finanzamt und dem Eintritt der Steuerverkürzung keine gelungene Täuschung mit Irrtumserregung beim zuständigen Finanzamt voraussetzt. Es genüge vielmehr, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung ursächlich werden. Falls es überhaupt auf die Kenntnis der Finanzbehörden ankommen sollte, muss nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der für die Steuerfestsetzung zuständige Beamte des Finanzamts über die positive Kenntnis aller Tatsachen verfügen, die für eine zutreffende Steuerfestsetzung erforderlich sind (vgl. etwa BGH wistra 2001, 263; BStBl II 1999, 854; BGHSt 37, 266; BGH wistra 1989, 29; BGHSt 34, 272; 24, 178). Die Verwirklichung des Tatbestandes des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfordert, dass der Täter die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Dem Senat erscheint es auch bei dieser Tatbestandsvariante fraglich, ob die Erfüllung des Merkmals "In-Unkenntnis-lassen" vom Kenntnisstand der Finanzbehörden abhängen kann. Denn auch hier kommen Fallgestaltungen in Betracht, die die Regelbeispiele des § 370 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 AO erfüllen (zur Steuerhinterziehung durch Finanzbeamte vgl. etwa BGH wistra 1990, 58; 1987, 27; BFHE 185, 370; FG Saarland wistra 1991, 353). Die Finanzbehörden könnten deshalb ungeachtet ihres anderweit erlangten Kenntnisstandes bereits dann im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Unkenntnis gelassen werden, wenn Steuererklärungen pflichtwidrig (§ 149 AO) nicht abgegeben werden. Die Entscheidung dieser Frage kann dahinstehen. Denn der Begriff "Finanzbehörden" in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann nicht anders beurteilt werden als der in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Deshalb genügt es jedenfalls nicht, dass irgendeine der in § 6 Abs. 2 AO genannten bzw. der im Gesetz über die Finanzverwaltung (FVG) vom 30.8.1971 (BGBl I S. 1426), zuletzt geändert durch Art. 6 des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes vom 19.12.2001 (BGBl I S. 3922/3924) aufgeführten Finanzbehörden über die für die Steuerfestsetzung erforderlichen Kenntnisse verfügt. Maßgeblich kann auch hier nur der Kenntnisstand des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten des Finanzamts sein (vgl. zur ähnlichen Problematik des Kenntnisstandes der Finanzbehörde im Rahmen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO z.B. BFHE 186, 70; 185, 98; BFH NVwZ-RR 1998, 262). Er muss vor Veranlagungsschluss über die positive Kenntnis aller Tatsachen verfügen, die für eine zutreffende Steuerfestsetzung erforderlich sind und gebotenenfalls auch alle hierfür notwendigen Beweismittel im Sinne des § 92 AO besitzen. Soweit im Beschluss vom 3.11.1989 (BayObLGSt 1989, 145/153) in der Anmerkung zum weiteren Verfahren undifferenziert auf die "Kenntnisse des Finanzamts" abgestellt wird, die genannte Entscheidung beruht hierauf nicht, hält der Senat an dieser Auffassung nicht fest.

Schon an dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die nur vom Betriebsprüfer im Rahmen der beim Angeklagten durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung gewonnenen Erkenntnisse spielen für sich allein gesehen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Die Strafkammer hat dagegen nicht festgestellt, dass der für die einkommensteuerliche Veranlagung des Angeklagten zuständige Finanzbeamte vor Veranlagungsschluss die für die zutreffende Festsetzung der Einkommensteuer 1995 und den Erlass des richtigen Gewerbesteuermessbescheids für dieses Jahr erforderlichen umfassenden Kenntnisse hatte. Dabei kann dahinstehen, ob der zuständige Veranlagungsbeamte das Ergebnis der im September 1995 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung rechtzeitig erfuhr, das angefochtene Urteil äußert sich dazu nicht eindeutig. Denn die so gewonnenen Erkenntnisse genügten für die richtige Festsetzung der Einkommensteuer für 1995 und dementsprechend für den Erlass des Gewerbesteuermessbescheides (vgl. §§ 6, 7, 14 GewStG) nicht. Eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung (vgl. dazu Abschn. 232 der Umsatzsteuer-Richtlinien) erfasst ohnehin nicht alle für die Festsetzung der Einkommensteuer maßgeblichen Tatsachen. Zudem war sie auf die Monate Januar bis August beschränkt. Der Hinweis der Revision, anschließend sei es im Jahr 1995 nicht mehr zu einkommensteuerrechtlich relevanten Vorgängen gekommen, wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Er ist auch unbehelflich, weil dies der Veranlagungsbeamte ohne entsprechendes konkretes Wissen der Festsetzung der Einkommensteuer nicht zugrundelegen konnte.

Im übrigen zeigt die Differenz zwischen den in den Bescheiden vom 24./25.11.1997 geschätzten gewerblichen Einkünften (150000 DM) und den tatsächlich erzielten (845488 DM) mit aller Deutlichkeit, dass der Veranlagungsbeamte nicht über die für die richtige Festsetzung der Einkommensteuer erforderlichen Kenntnisse verfügte. Denn die Feststellungen des angefochtenen Urteils bieten keinerlei Anhalt für die Annahme, dass die Schätzungsbescheide vom 24./25.11.1996 fehlerhaft waren, weil der Veranlagungsbeamte die vollständig vorliegenden Unterlagen unzutreffend beurteilt hatte.

Der Rechtsfolgenausspruch weist aus revisionsrechtlicher Sicht keinen den Angeklagten belastenden Fehler auf. Die Strafkammer hat alle wesentlichen Strafzumessungsgründe berücksichtigt. Auch der Tagessatz ist nicht überhöht festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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