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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 05.08.2003
Aktenzeichen: 4 St RR 82/03
Rechtsgebiete: BtMG, StPO


Vorschriften:

BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
StPO § 261
"1. Für eine Glaubwürdigkeitsüberprüfung muss sich der Tatrichter nicht nur mit der seiner Meinung nach unglaubwürdigen Aussage eines Belastungszeugen auseinandersetzen sondern auch den wesentlichen Inhalt der Einlassung des Angeklagten und etwaiger Entlastungszeugen mitteilen.

2. Für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmales "Besitz" in § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG ist die Eigentumslage an den Betäubungsmitteln unerheblich."


Gründe:

I.

Das Schöffengericht sprach die Angeklagte vom Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln aus tatsächlichen Gründen frei. Ihr lag zur Last, zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Mai 2000 in dem von ihr geführten Bordell von ihrem damaligen, inzwischen geschiedenen Ehemann M. 500 g Kokain zum Preis von mindestens 45.000 DM zur gewinnbringenden Weiterveräußerung gekauft und übernommen zu haben. Das Rauschgift stammte nach dem Anklagevorwurf vom anderweitig Verfolgten E., welcher bei der Bestellung des Kokains durch die Angeklagte in deren Bordell zugegen war und dem Ehemann half, das Rauschgift in seiner Wohnung abzupacken.

Darüber hinaus lag der Angeklagten zur Last, am 11.4.2002 in ihrer Wohnung 4 g Haschisch, die sich in einer Dose neben ihrem Bett im Schlafzimmer befanden, besessen zu haben. Hierzu hatte die Angeklagte sich eingelassen, dass dieses Rauschgift ihrem im Jahr 2000 verstorbenen Freund gehört habe.

Mit der Revision beanstandete die Staatsanwaltschaft die Verletzung des materiellen Rechts.

II.

Die (Sprung-)Revision ist zulässig (§ 335 Abs. 1, §§ 312, 341, 344, 345 StPO) und mit der Sachrüge begründet.

A. Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

1. Das Rechtsmittel ist erfolgreich, weil die Beweiswürdigung des Schöffengerichts fehlerhaft ist.

Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es aus tatsächlichen Gründen Zweifel an seiner Schuld hat, so ist das vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Grundsätzlich obliegt es nämlich allein dem Tatrichter, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden.

Das Revisionsgericht kann eine solche Entscheidung im Rahmen der Sachrüge nur auf Rechtsfehler hin überprüfen. Es ist insbesondere auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft oder Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BGH NJW 2003, 1821 m.w.N.; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 267 Rn. 42). Darüber hinaus prüft das Revisionsgericht, ob der Tatrichter die Anforderungen an die richterliche Überzeugung nicht überspannt hat (Löwe/Rosenberg/Gollwitzer StPO 25. Aufl. § 267 Rn. 150). Dieser Überprüfung hält die Beweiswürdigung des angegriffenen Urteils nicht stand.

1. Nach den Feststellungen des Schöffengerichts hat der anderweitig Verfolgte E., der am 7.4.2001 festgenommen und gegen den am 28.9.2001 Anklage wegen Betäubungsmitteldelikten zum Landgericht erhoben wurde, in späteren Vernehmungen, unter anderem am 12.12.2001, gegenüber dem polizeilichen Zeugen KHK R. angegeben, bei der Angeklagten handle es sich um die Ex-Frau des M. Er habe diese Person im Oktober 1994 kennen gelernt. Zu diesem Zeitpunkt habe er auch M. kennen gelernt. Im Mai 2000 sei er mit dem M. in dem Bordell der Angeklagten, den genauen Namen wisse er nicht, gewesen. Bei diesem Besuch habe die Angeklagte bei ihrem Ex-Mann 500 g Kokain bestellt. Er sei während des Verkaufsgespräches zeitweise anwesend gewesen und habe mitbekommen, wie die Angeklagte zu ihrem Ex-Mann gesagt habe, dass sie 500 g Kokain brauche. Anschließend sei er mit M. in dessen Wohnung gefahren und beide hätten dort 500 g Kokain abgepackt. Am nächsten Tag sei M. dann bei ihm vorbeigekommen, habe das abgepackte Kokain abgeholt und den Gramm-Preis von 90 DM bezahlt und es mit einem Taxi zu seiner Ex-Ehefrau gebracht. M. habe ungehinderten Zugang zu seinem Kokaindepot gehabt.

Daneben hat das Schöffengericht festgestellt, E. habe bis August 1999 eine mehrjährige Haftstrafe wegen Betäubungsmitteldelikten verbüßt, anschließend wieder mit der Einfuhr von Kokain und Haschisch aus den Niederlanden in erheblichen Mengen begonnen und dies bis zu seiner Festnahme fortgesetzt. Darüber hinaus enthält das Urteil die Feststellung, dass nach den Angaben eines weiteren Zeugen E. im Übrigen Kontakte im sogenannten Rotlicht-Milieu der Stadt B. hatte, wo er vor seiner früheren Inhaftierung auch entsprechend selbst tätig war.

Hinsichtlich der Einlassung der Angeklagten und der Aussage des Zeugen B. hat das Schöffengericht lediglich festgestellt, dass diese die Darstellung des E., wie sie von KHK R. wiedergegeben wurde, als wahrheitswidrig bestritten. E. selbst hat in der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht.

Das Schöffengericht hat seine Überzeugung, dass bei dieser Sachlage die Angaben des E. zur Überführung der Angeklagten nicht ausreichten, damit begründet, E. habe ein erhebliches Eigeninteresse im Hinblick auf § 31 BtMG, so dass seine Angaben einer besonders eingehenden Überprüfung bedürften. Zudem wiesen diese kaum Details des Geschehens auf, die auf bestimmte Glaubwürdigkeitsmerkmale zu untersuchen wären. Darüber hinaus sei seine Aussage von nur geringer bzw. mangelnder Plausibilität. Diese Bewertung trägt den Freispruch nicht.

2.1 Zwar ist die Erwägung des Schöffengericht richtig, dass im Hinblick auf die bevorstehende Hauptverhandlung gegen E. dessen nach Anklageerhebung gemachten Angaben einer besonders eingehenden Überprüfung bedürfen. Eine umfassende Glaubwürdigkeitsüberprüfung hat das Schöffengericht jedoch nicht vorgenommen. In eine Glaubwürdigkeitsüberprüfung der am behaupteten Geschehen beteiligten Personen ist es nicht eingetreten. Bereits das stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. hierzu BGH NJW 1961, 2069/2070). Das Schöffengericht führt zwar mit dem Hinweis auf § 31 BtMG einen Umstand an, der für die Glaubwürdigkeitsprüfung des E. von hoher Bedeutung ist. Im Rahmen der Glaubwürdigkeitsprüfung des Belastungszeugen wäre es jedoch auch erforderlich gewesen, die Einlassung der Angeklagten wie auch die Aussage des Zeugen M., die den belastenden Angaben entgegenstehen, ebenfalls auf deren Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen. Eine solche Überprüfung findet sich auch nicht andeutungsweise im Urteil. Insoweit ist diesem schon nicht zu entnehmen, wie sich die Angeklagte eingelassen hat, d.h. ob sie substantiiert oder unsubstantiiert dem Anklagevorwurf widersprochen hat. Auch hinsichtlich des Zeugen M. ist nicht ersichtlich, wie er über die Tatsache hinaus, dass er die Darstellung des E. als wahrheitswidrig bezeichnet, ausgesagt hat. Zwar ist der Tatrichter nicht gehalten, in den Urteilsgründen in allen Einzelheiten die Einlassung des Angeklagten und der Zeugen wiederzugeben. Die Einlassung der Angeklagten wie auch die Aussagen der wesentlichen Zeugen müssen jedoch mitgeteilt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner § 267 Rn. 12).

2.2 Soweit das Schöffengericht beanstandet, die Angaben des E. gegenüber KHK R. wiesen kaum Details des Geschehens auf, die auf bestimmte Glaubwürdigkeitsmerkmale zu untersuchen wären, bzw. ihnen fehle die inhaltliche Überprüfbarkeit und deshalb seien sie zur Widerlegung der Einlassung der Angeklagten ungeeignet, überspannt es die an die Tauglichkeit eines Beweismittels gestellten Anforderungen. Das Schöffengericht hat hierbei übersehen, dass E. mit seinen Angaben, im Mai 2000 habe die Angeklagte von ihrem damaligen Ehemann 500 g Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf gekauft und übernommen, wobei er selbst im Bordell der Angeklagten anwesend gewesen sei und nach dem Kauf das Rauschgift in seiner Wohnung mit dem Zeugen B. abgepackt habe, die für die Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale eines Verbrechens des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erforderliche Tatsachengrundlage - ihre Richtigkeit unterstellt - geliefert hat. Diese Angaben enthalten die Tatzeit, die Namen der beteiligten Personen, die Tatorte und den Verfahrensgegenstand spezifiziert nach Menge und Preis. Die Angaben enthalten lediglich keine Angaben zum Wirkstoffgehalt des Rauschgifts. Dieser Mangel ist unschädlich, weil der Tatrichter insoweit anhand des Preises oder erforderlichenfalls in Anwendung des Zweifelssatzes den zur Bestimmung des Schuldumfangs erforderlichen Mindestwirkstoffgehalt bestimmen kann. Bei dieser Sachlage ist nicht nachvollziehbar, warum das Schöffengericht insoweit zu der Wertung gelangt, die Angaben seien detailarm und für eine Überprüfung nicht geeignet. Dem Schöffengericht ist auch hier der Fehler unterlaufen, dass es zwischen der grundsätzlichen Eignung der Zeugenaussage zur Widerlegung der Einlassung der Angeklagten und der Frage, ob dieser Aussage Glauben geschenkt werden kann, nicht unterschieden hat. Das war sachlich-rechtlich fehlerhaft.

2.3 Die weitere Bewertung des Schöffengerichts, die Angaben des E. seien von geringer bzw. mangelnder Plausibilität, lässt wesentliche Umstände außer Betracht und ist deshalb lückenhaft. Das Schöffengericht hat seine Würdigung damit begründet, es gebe keinen einleuchtenden Grund, weshalb die einschlägig vorbestrafte Angeklagte in Gegenwart eines ihr nicht näher bekannten Dritten ein derartiges (Kauf-)Gespräch geführt haben sollte. Es übersieht hierbei, dass E. angegeben hat, er habe sowohl die Angeklagte wie auch ihren damaligen Ehemann bereits im Oktober 1994 kennen gelernt. Wenn er weiter, wie geschehen, angibt, er sei in Gegenwart des früheren Ehemanns der Angeklagten, der nach seinen Angaben sogar ungehinderten Zutritt zu seinem Kokaindepot gehabt hat und zu dem deshalb ein außergewöhnliches Vertrauensverhältnis bestanden haben muss, im Bordell der einschlägig vorbestraften Angeklagten bei einem Kaufgespräch zwischen dieser und ihrem früheren Ehemann anwesend gewesen, so ist das ohne weiteres einleuchtend. Es ist sogar naheliegend, dass die Angeklagte gerade in Anwesenheit einer solchen mit ihrem früheren Ehemann sehr vertrauten Person ohne Hemmungen ein Rauschgiftgeschäft abschloss. Das Schöffengericht hätte somit aus den genannten Gründen die Aussage des E. nicht von vorneherein als untaugliches Beweismittel ansehen dürfen, sondern hätte sich primär damit befassen müssen, ob sie dessen Angaben im Verhältnis zur Einlassung der Angeklagten und unter Würdigung der Aussage des Zeugen M. als glaubhaft ansieht. Dieser sachlich-rechtliche Mangel begründet den Erfolg des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft in diesem Punkt.

B. Vorwurf des unerlaubten Besitzes vom Betäubungsmitteln

Der Freispruch kann nicht bestehen bleiben, weil das Schöffengericht das Tatbestandsmerkmal des unerlaubten Besitzes verkannt hat. Besitzen im Sinne des Betäubungsmittelstrafrechts setzt ein bewußtes tatsächliches Innehaben und den Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Rauschgift zu erhalten (vgl. Weber BtMG 2. Aufl. § 29 Rn. 831 m.w.N.). Entscheidend ist somit die Einwirkungsmöglichkeit auf das Rauschgift, nicht die Frage, wem das Rauschgift im vorliegenden Fall nach dem Tod des ursprünglichen Eigentümers nunmehr eigentumsrechtlich zuzuordnen ist.

Ende der Entscheidung

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