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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 30.08.2004
Aktenzeichen: 4St RR 084/04
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 2
Einem rechtskräftig ausreisepflichtigen Ausländer ist es grundsätzlich zuzumuten, bei der Vertretung seines Heimatlandes den Antrag auf einen Reisepass zu stellen, auch wenn er sich dadurch der Gefahr aussetzt, aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben zu werden.
Tatbestand:

Der Angeklagte ist äthiopischer Staatsangehöriger; sein Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt. Vom Amtsgericht wurde er wegen passlosen Aufenthalts zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich weigerte, einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses bei der Botschaft seines Heimatstaates zu stellen. Seine gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Berufung verwarf das Landgericht als unbegründet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Sie erwies sich als zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO), aber unbegründet.

Gründe:

1. Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Zwar hat die Staatsanwaltschaft nach der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht am 13.4.2004 diesem gegenüber erklärt, dass die Klage zurückgenommen werde. Sie hat am 22.4.2004 das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO mit der Begründung eingestellt, derzeit könne nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass angesichts unterschiedlicher Anforderungen der Botschaft des Staates Äthiopien die Staatsangehörigen dieses Landes in zumutbarer Weise einen Pass erlangen könnten. Diese Sachbehandlung der Staatsanwaltschaft hat nicht zu einem Prozesshindernis geführt, da die erhobene öffentliche Klage nach Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mehr zurückgenommen werden kann (§ 156 StPO) und die Einstellung des Verfahrens, wie die Staatsanwaltschaft bemerkt hat, deshalb gegenstandslos ist.

2. Die umfassende Überprüfung des angegriffenen Urteils aufgrund der Sachrüge deckte keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

2.1 Nach den Feststellungen handelt es sich bei dem Angeklagten um einen äthiopischen Staatsangehörigen, dessen Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde. Seit dem 29.7.1998 ist er vollziehbar ausreisepflichtig. Er ist seit dem 23.2.1999 im Besitz einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG.

Der Angeklagte hat keinen äthiopischen Reisepass, obwohl er weiß, dass er einen solchen bei der äthiopischen Konsularvertretung in Berlin ausgestellt bekommen kann. Hierzu müsste der Angeklagte eine äthiopische Geburtsurkunde vorlegen, die von seiner Heimatgemeinde ausgestellt wird. Im Falle des Angeklagten, der in Addis Abeba geboren ist, ist zur Ausstellung der Geburtsurkunde das City Government of Addis Abeba zuständig. Zur Beschaffung der Geburtsurkunde kann ein naher Verwandter oder ein in Äthiopien zugelassener Bevollmächtigter beauftragt werden. Der wirtschaftliche Aufwand hierfür beträgt zwischen 200 und 250 Euro. Diese Umstände sind dem Angeklagten bekannt. Er weiß auch, dass er nach deutschem Ausländerrecht verpflichtet ist, sich in zumutbarer Weise um einen Pass zu bemühen. Dieser ihm bekannter Verpflichtung ist der Angeklagte jedoch nicht nachgekommen, um seine Abschiebung nach Äthiopien zu vereiteln (BU S. 4).

2.2 Die Bewertung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich eines Vergehens der Passlosigkeit nach § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG schuldig gemacht, wird von den Feststellungen gedeckt.

2.2.1 Der Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG setzt zunächst voraus, dass der Angeklagte der Ausweispflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG unterliegt. Das ist der Fall. Wer sich im Bundesgebiet aufhalten will, benötigt grundsätzlich einen Pass. Ein Ausnahmefall nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 AuslG liegt nicht vor. Auch der Umstand, dass der Angeklagte Asyl beantragt hatte, befreite ihn nach Abschluss des Asylverfahrens nicht von der Passpflicht. Hierzu bestimmt § 64 Abs. 1 AsylVfG, dass der Ausländer nur für die Dauer des Asylverfahrens seiner Ausweispflicht mit einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung (§ 63 AsylVfG) genügt.

2.2.2 Als weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG bestimmt das Ausländerrecht, dass sich der passlose Ausländer unter Umständen auch mit der Aufenthaltsgenehmigung oder einem Ausweisersatz, also einer mit einem Lichtbild und Angaben zur Person versehenen Duldungsbescheinigung, ausweisen kann (§ 39 Abs. 1 AuslG). Diese Voraussetzung wäre grundsätzlich auch dann erfüllt, wenn dem Ausländer zur Tatzeit eine Duldungsbescheinigung in Form eines Ausweisersatzes zu erteilen gewesen wäre (OLG Frankfurt a.M. aaO; vgl. hierzu auch Beschluss des OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 308, 309, in dem allerdings auf die Frage der Zumutbarkeit der Passerlangung nicht eingegangen wurde). Einen Anspruch auf Erteilung einer solchen qualifizierten Duldungsbescheinigung macht § 39 Abs. 1 AuslG allerdings davon abhängig, dass der Ausländer einen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen konnte. Diese verwaltungsrechtliche Vorfrage muss der Tatrichter anhand aller ihm bekannten und erforderlichenfalls noch aufklärbaren Umstände entscheiden. Kommt er zu dem Ergebnis, der Angeklagte hätte in zumutbarer Weise einen Pass erlangen können, so kann diese Bewertung vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob von ihm der Begriff der Zumutbarkeit verkannt wurde oder ob er bei seiner Bewertung wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat. Das ist nicht der Fall.

2.2.3 Ein Ausländer kann einen Pass dann nicht in zumutbarer Weise erlangen, wenn ihm von seinen Heimatbehörden ein Pass verweigert wird oder wenn er einen solchen nicht in angemessener Zeit oder nur unter schwierigen Umständen erhalten kann (GK - AuslR Stand: Mai 2004 - AuslG § 39 Rn. 13). Dabei dürfen die Anforderungen zur Erlangung eines Passes nicht zu hoch angesetzt werden. Das Zumutbarkeitskriterium soll lediglich der Nachlässigkeit oder der Bequemlichkeit des Ausländers Einhalt gebieten (Hailbronner Ausländerrecht Stand: Juni 2004 - AuslG § 39 Rn. 7). Andererseits verpflichtet jedoch § 25 DVAuslG einen Ausländer, der sich im Bundesgebiet aufhält, unter anderem dann zur Beantragung eines neuen Passes, wenn der bisherige abhanden gekommen ist. Den Feststellungen der Strafkammer lässt sich zwar nicht entnehmen, aus welchen Gründen und seit wann der Angeklagte ohne Pass ist. Sie hat jedoch festgestellt, er sei ohne Pass und wolle einen solchen nicht beantragen. Ist ein Ausländer entgegen seiner Rechtspflicht aber nicht einmal zu einem entsprechenden Antrag auf Erteilung eines neuen Passes bereit, verbietet sich grundsätzlich die Annahme, ein solcher sei in zumutbarer Weise nicht zu erlangen. Insoweit ist es im Regelfall jedem Ausländer zuzumuten bei dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er vor der Einreise in das Bundesgebiet seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, einen Pass zu beantragen, soweit - wie hier - kein Rechtsanspruch auf einen deutschen Passersatz besteht (vgl. Allg. Verwaltungsvorschrift zum AuslG Nr. 39.0.2). Das entspricht auch der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Münster EZAR 605 Nr. 6 = DÖV 2004, 666/667).

2.2.4 Die bisher getroffenen Feststellungen lassen den Schluss zu, dass nach Erfüllung bestimmter Bedingungen die äthiopische Auslandsvertretung Pässe für äthiopische Staatsangehörige ausstellt. Zwar ist dem Senat bekannt, dass die Voraussetzungen hierfür nicht immer die gleichen sind. Für jeden Antragsteller ist es aber ohne weiteres zumutbar, sich zunächst mit einem schriftlichen Antrag an die Auslandsvertretung zu wenden und um die Benennung der derzeit gültigen Anforderungen nachzusuchen. Erst wenn die Auslandsvertretung hierauf nicht reagiert oder Anforderungen stellt, die billigerweise vom Antragsteller nicht erfüllt werden können, kommt eine Bewertung, dass die Erlangung eines Passes unzumutbar sei, in Betracht. Ein solcher Fall ist jedoch nicht festgestellt.

2.2.5 Der vom Angeklagten vorgebrachte Umstand, ihm sei die Beantragung eines Passes nicht zuzumuten, weil er dann abgeschoben werden könne, steht einem Schuldspruch nicht entgegen.

Der Angeklagte ist rechtskräftig ausreisepflichtig. Sein Recht auf "Selbstschutz" findet dort eine Grenze, wo Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit beeinträchtigt werden. Dieser Grundsatz (vgl. hierzu etwa BGH wistra 2001, 341, 344/345 m.w.Nachweisen) findet auch im vorliegenden Fall Anwendung. Verstöße gegen die Pass- und Ausweispflicht werden durch das Ausländerrecht sanktioniert, um die deutschen Behörden in die Lage zu versetzen, die Identität und Staatsangehörigkeit von Ausländern zweifelfrei feststellen zu können. Die Ordnungs- und Leistungsverwaltung wie auch die Sicherheitsbehörden sind hierauf angewiesen. Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann es deshalb nicht geduldet werden, dass sich Ausländer im Bundesgebiet aufhalten, über deren Identität Zweifel bestehen (so schon die amtliche Begründung zu AuslG 1965 BT-Drucks. IV/868, 12). Darüber hinaus soll die Passpflicht auch verhindern, dass ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland bleiben, weil sie ohne Ausweispapiere nicht in ihre Heimat abgeschoben werden können (vgl. hierzu Aurnhammer Spezielles Ausländerstrafrecht S. 79/80; BT-Drucks. 11/6321, 44). Im Übrigen trifft die Pass- und Ausweispflicht nicht nur Ausländer, sondern auch deutsche Staatsangehörige. Auch diese können sich der Verpflichtung zur Erlangung eines Personalausweises nicht unter Hinweis darauf entziehen, dass sie dann zu Adressaten ihnen nachteiliger Verwaltungsentscheidungen werden können.

3. Da auch der Rechtsfolgenausspruch nicht zu beanstanden ist, erwies sich die Revision des Angeklagten als unbegründet.



Ende der Entscheidung

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