Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.09.2004
Aktenzeichen: 4St RR 113/04
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 56 Abs. 4
1. Eine Duldung erlischt nach § 56 Abs. 4 AuslG bei der Ausreise eines geduldeten Drittausländers in einen Staat der Europäischen Union auch dann, wenn dieser Staat die Rückübernahme nach Art. 16 Abs. 1 lit. e der VO (EG) Nr. 343/2003 vom 18.2.2002 (ABl EG Nr. 050 vom 25.2.2003) verlangen kann.

2. Kehrt ein Ausländer in einem solchen Fall aus freien Stücken und ohne dass seine Rückübernahme verlangt worden wäre, entgegen § 58 Abs. 1 AuslG wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurück, so ist seine Wiedereinreise strafbar nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG.


Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubter Einreise zu einer Geldstrafe. Seine hiergegen eingelegte Berufung verwarf das Landgericht. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten.

Nach den Feststellungen der Strafkammer hielt sich der Angeklagte, ein syrischer Staatsangehöriger, seit 1998 im Bundesgebiet auf. Sein Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt. Seit dem 24.4.2000 ist er vollziehbar ausreisepflichtig. Seine Abschiebung war bislang nicht möglich, da er weder Ausweispapiere hat noch an seiner Identifizierung mitwirkt. Dennoch reiste er an einem nicht mehr feststellbaren Tag im Dezember 2003 aus Deutschland in die Niederlande, um dort einen Asylantrag zu stellen. Diese Absicht verfolgte er jedoch nicht weiter, sondern fuhr am 6.12.2003 nach Deutschland zurück, wo er nach dem Grenzübertritt festgenommen wurde. Der Angeklagte war zur Tatzeit Inhaber einer Duldungsbescheinigung, die den Hinweis enthielt, dass sie mit der Ausreise erlischt. Nach seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet wurde ihm erneut eine Duldungsbescheinigung ausgehändigt.

Die Revision des Angeklagten eries sich als unbegründet:

Gründe:

Die Bewertung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich am 6.12.2003 der unerlaubten Einreise schuldig gemacht, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

1. Der Tatbestand der unerlaubten Einreise gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG ist erfüllt, wenn ein Ausländer entgegen § 58 Abs.1 Nr. 1 oder 2 AuslG in das Bundesgebiet eingereist ist und in Kenntnis aller Tatumstände gehandelt hat. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein Negativstaatler im Sinne des § 1 Abs. 1 DVAuslG i.V.m. der Anlage I oder des Anhangs I zu Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 539/2001 vom 15.3.2001 (ABl EG Nr. 81 vom 21.3.2001), zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 453/2003 vom 6. März 2003 (ABl EG Nr. 69 vom 13.3.2003) einreist, der weder eine Aufenthaltsgenehmigung noch ein Visum besitzt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer festgestellt.

2. Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Revision greifen nicht durch.

2.1 Der Angeklagte war insbesondere nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung. Die Arten der Aufenthaltsgenehmigung sind in § 5 AuslG abschließend aufgezählt. Einen der dort genannten Aufenthaltstitel hatte der Angeklagte nicht. Die ihm bereits vor der Ausreise erteilte Duldung stellt keinen Aufenthaltstitel dar (Westphal/Stoppa Ausländerecht für die Polizei 2. Aufl. Ziff. 6.11; Senge in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze AuslG - Stand: 1.5.2000 - § 55 Rn. 1 m.w.N.). Sie bringt lediglich zum Ausdruck, dass seine Abschiebung wegen der momentanen Unmöglichkeit des Vollzugs zeitweise ausgesetzt ist (§ 55 Abs. 1 AuslG). Im Übrigen war sie durch die Ausreise erloschen. Diese Wirkung tritt kraft Gesetzes ein, unabhängig vom Motiv der Ausreise und der Dauer der Abwesenheit (vgl. hierzu OVG Hamburg EZAR 045 Nr. 3). Irgendwelche Rechtswirkungen in Bezug auf die Erlaubtheit der Einreise konnten zugunsten des Angeklagten deshalb von einer erloschenen Duldungsbescheinigung nicht ausgehen.

Demgegenüber findet die Meinung der Revision, der Angeklagte sei im Sinne des § 56 Abs. 4 AuslG nicht ausgereist, weil er seiner Ausreisepflicht nicht genügt habe, weder im Wortlaut noch im Sinn der Bestimmung des § 56 Abs. 4 AuslG eine Stütze. So stellt deren Wortlaut nicht darauf ab, ob der ausreisende Angeklagte in sein Heimatland oder in einen Drittstaat ausreist. Sie enthält auch keinen Verweis auf § 42 Abs. 4 AuslG. Unter Ausreise versteht das Ausländergesetz vielmehr das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland durch Überschreiten der Grenze zum Nachbarstaat; die Streitfrage, ob eine Person auch dann ausgereist ist, wenn sie sofort wieder zurück geschoben wird, ist hier nicht einschlägig (vgl. hierzu Westphal/Stoppa Ziffer 21.2 m.w.N.). Hinsichtlich des Interesses der Bundesrepublik an der Ausreise eines ausreisepflichtigen Ausländers ist es auch ohne jede Bedeutung, ob der Ausländer in sein Heimatland oder in einen Drittstaat ausreist. Nur eine solche Auslegung des Begriffs der Ausreise entspricht der Ausreisefreiheit, wie sie in § 62 Abs. 1 AuslG normiert ist.

2.2 Der Unerlaubtheit der Einreise des Angeklagten steht auch nicht entgegen, dass die Bundesrepublik Deutschland aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen verpflichtet gewesen wäre, den Angeklagten, falls er in den Niederlanden aufgegriffen und den deutschen Behörden zurück überstellt worden wäre, wieder hätte einreisen lassen müssen. So sieht das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und den Regierungen des Königreichs Belgien, des Großherzogtums Luxemburg und des Königreichs der Niederlande über die Übernahme von Personen an der Grenze vom 10.6.1966 (vgl. Bundesanzeiger 1966 Nr. 131 Seite 1/2) nach dessen Artikel 4 Abs. 1 grundsätzlich vor, dass die Bundesrepublik Deutschland auf Antrag der Behörden eines der Benelux-Staaten Personen übernimmt, die nicht Staatsangehörige einer der Vertragsparteien sind, wenn diese Personen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland über die gemeinsame Grenze unbefugt in das Benelux-Gebiet eingereist sind. Gleiches ergibt sich auch aus Art. 16 Abs. 1 lit.e der VO (EG) Nr. 343/2003 vom 18.2.2002 (ABl EG Nr. 050 vom 25.2.2003). Das entlastet den Angeklagten nicht, weil sich hieraus nur eine völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Rückübernahme ergibt.

Der Angeklagte wurde jedoch nicht zur Rückübernahme überstellt, sondern kehrte vielmehr aus freien Stücken wieder nach Deutschland zurück. Entscheidend ist, dass sich aus zwischenstaatlichen Rückführungsübereinkommen grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Ausländers dafür herleiten lassen, unter Befreiung von den Erfordernissen der nationalen Einreisevorschriften in seinen Herkunftsstaat wiederum einreisen zu dürfen. Andernfalls würde dies zu einer Privilegierung rücküberstellungspflichtiger Ausländer führen, denen die Möglichkeit eröffnet würde, jederzeit auszureisen und ohne Erfüllung nationaler Einreisevorschriften wieder zurückzukehren (vgl. hierzu Westphal/Stoppa Ziffer 11.6.5 bezüglich des Dublinger Übereinkommens (DÜ) vom 27.6.1994 (BGBl 1994, II Seite 791). Eine Rechtspflicht zur Rückkehr nach Deutschland bestand für den Angeklagten entgegen der Meinung der Revision nicht. Eine solche lässt sich aus dem Ausländergesetz nicht ableiten und würde § 62 Abs.1 AuslG widersprechen.

2.3 Auf eine entsprechende zwischenstaatliche Übernahmeverpflichtung aufgrund des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) kann sich der Angeklagte schon deshalb nicht berufen, weil er als Drittausländer über keinen Aufenthaltstitel eines Schengen-Staates verfügte (vgl. hierzu Art. 23 Abs. 2 und 4 SDÜ).

2.4 Der Angeklagte kann auch nicht mit dem Einwand gehört werden, er sei zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland sozusagen gezwungen gewesen, weil er sich sonst den niederländischen Behörden gegenüber der Straftat der unerlaubten Einreise hätte bezichtigen müssen. Das entschuldigt den Angeklagten nicht, weil er die Ursache dafür, dass er nunmehr bestraft wird, selbst gesetzt hat. Ein Straftäter, der eine Straftat begangen hat (hier: unerlaubte Einreise in die Niederlande) ist dann, wenn er zur Vermeidung der Aufdeckung dieser Straftat eine weitere Straftat begeht (hier: unerlaubte Einreise in die Bundesrepublik Deutschland), deshalb nicht entschuldigt. Er hat vielmehr die Folgen seines Tuns zu tragen.



Ende der Entscheidung

Zurück