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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.06.2000
Aktenzeichen: 4St RR 76/2000
Rechtsgebiete: BtMG, StPO


Vorschriften:

BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 473 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS

4St RR 76/2000

Der 4. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Bayerischen Obersten Landesgericht Lancelle sowie der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Steiner und Kaiser

am 29. Juni 2000

in dem Strafverfahren

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.

auf Antrag der Staatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15. Dezember 1999 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Nürnberg verurteilte den Angeklagten am 12.7.1999 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 1 Monat. Das Amtsgericht sah es u.a. als erwiesen an, daß der Angeklagte bei dem Mitangeklagten S S 500 g Haschisch bestellt hatte, wovon 100 g zum Eigenverbrauch und 400 g zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmt waren.

Hiergegen legten der Angeklagte unbeschränkt und die Staatsanwaltschaft beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch Berufung ein.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth erachtete die Berufungsbeschränkung der Staatsanwaltschaft als unwirksam. Es verwarf am 15.12.1999 die Berufung des Angeklagten als unbegründet und änderte das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Staatsanwaltschaft dahingehend ab, daß der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monate verurteilt wurde. Dabei ging es aufgrund eigener Feststellungen davon aus, daß der Angeklagte 2352,6 g Haschisch (Wirkstoffmenge 110 g THC) erworben hatte, von dem ca. 150 g zum Eigenverbrauch vorgesehen waren und der Rest zum Handeltreiben (BU S. 16).

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Die zulässige Revision (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht war aus Rechtsgründen nicht gehindert, neue tatsächliche Feststellungen zu Lasten des Angeklagten zu treffen und diese der Strafzumessung zugrundezulegen.

Allerdings findet die Feststellung neuer Tatsachen, die auch für den Schuldspruch Bedeutung haben (doppelrelevante Tatsachen, vgl. BGHSt 29, 359), in der Berufung der Staatsanwaltschaft keine rechtliche Grundlage, denn diese wurde wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Der Auffassung der Strafkammer, die Beschränkung sei wegen innerer Widersprüche zwischen der Beschränkungserklärung und der Berufungsbegründung unwirksam (BU S. 7), vermag der Senat nicht zu folgen. Wird ein Rechtsmittel, wie im vorliegenden Fall, ausdrücklich und eindeutig auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, so ist dieser Erklärung gegenüber ihrer Begründung der Vorrang einzuräumen, so daß für eine Auslegung kein Raum bleibt (BayObLGSt 1999, 155/156). Dies gilt zumindest für Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers, bei denen ein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei der Erklärung eines rechtsunkundigen Angeklagten (BayObLG aaO).

Der Angeklagte hat jedoch durch seine unbeschränkt eingelegte Berufung auch die Schuldfrage einschließlich der sie tragenden Feststellungen zur Disposition des Berufungsgerichts gestellt. Das Verschlechterungsverbot (§ 331 StPO) verbietet nicht die Feststellung dem Angeklagten ungünstiger Tatumstände oder eine Verschärfung des Schuldspruchs, sondern es hindert das Berufungsgericht nur, über die vom Erstrichter verhängte Rechtsfolge hinauszugehen. Diese Sperrwirkung ist im vorliegenden Fall allerdings durch das auf den Rechtsfolgenausspruch gerichtete Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft beseitigt worden (vgl. BGH NJW 1986, 332/333). Das Verschlechterungsverbot führt insoweit lediglich dazu, daß bei einer - hier nicht einschlägigen - Verschärfung des Schuldspruchs die Strafe nur bis zur Obergrenze der im Ersturteil angewendeten Strafvorschrift erhöht werden darf (BGH aaO).

Innerhalb des mit dieser Maßgabe eröffneten Strafrahmens bildet die in der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht getroffene rechtliche und tatsächliche Beurteilung die Grundlage der Strafzumessung (OLG Hamm NJW 1957, 1850/1851; OLG Stuttgart JZ 1966, 105/106; wohl auch BGH NJW 1986, 332/333, der die Berücksichtigung eines in der Berufungsinstanz festgestellten größeren Tatumfangs unbeanstandet gelassen hat; a.A.: OLG Hamburg NJW 1961, 745; OLG Celle NJW 1967, 2275/ 2276). Die gegenteilige Ansicht würde dazu führen, daß bei der - zulässigen - Feststellung neuer Tatsachen zum Nachteil des Angeklagten diese nur dem Schuldspruch zugrundegelegt werden dürften, während die davon abweichenden Feststellungen des Erstgerichts weiterhin für die Strafzumessung maßgeblich blieben. Eine derartige "relative" Fortwirkung überholter oder gar aufgehobener Feststellungen zugunsten desjenigen, der mit seinem Rechtsmittel die Änderung herbeigeführt hat, ist dem geltenden Prozeßrecht fremd (vgl. BGH NJW 1986, 332/ 333). Das Verschlechterungsverbot beschränkt deshalb seine Wirkungen auf das Festschreiben des vom Erstgericht angewendeten Strafrahmens (vgl. BGH aaO), steht aber dessen Ausschöpfung aufgrund neuer dem Angeklagten nachteiliger Feststellungen nicht entgegen (OLG Hamm und OLG Stuttgart, jeweils aaO).

2. Auch im übrigen läßt das Urteil keine durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.

Die Beweiswürdigung ist frei von Widersprüchen, Lücken oder Unklarheiten und verstößt nicht gegen Denkgesetze und gesichertes Erfahrungswissen. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, daß die Strafkammer die von ihr erörterten Gesichtspunkte nicht nur einzeln abgewogen, sondern einer umfassenden Gesamtbetrachtung unterzogen hat ("insgesamt", vgl. BU S. 28). Daß die dabei gezogenen Schlußfolgerungen nicht zwingend sind, stellt keinen Rechtsfehler dar. Genügend ist, daß sie möglich sind und der Tatrichter von ihnen überzeugt ist (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 m.w.N.).

Ohne Rechtsfehler ist die Strafkammer auch davon ausgegangen, daß die beim Angeklagten aufgefundenen Opiumrauchrückstände mit einem Anteil von 7,2 g Morphinhydrochlorid eine nicht geringe Menge i.S. von § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG darstellen (vgl. BGH StV 1988, 107).

III.

Aus den dargelegten Gründen wird die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch einstimmig gefaßten Beschluß verworfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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