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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.06.2001
Aktenzeichen: 4Z AR 56/01
Rechtsgebiete: EuGVÜ


Vorschriften:

EuGVÜ Art. 5 Nr. 1
Zum Gerichtsstand des Erfüllungsorts im Sinn des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ gehören auch Schadensersatzansprüche wegen Nicht- und Schlechterfüllung.
Der 4. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Jaggy sowie der Richter Dr. Pongratz und Frisch.

am 29. Juni 2001

in dem Verfahren

auf Bestimmung des zuständigen Gerichts

beschlossen:

Tenor:

Örtlich zuständig ist das Landgericht Osnabrück.

Gründe:

I.

Beide Parteien sind im Fleischhandel tätig. Die in Nürnberg ansässige Klägerin kaufte bei der in Dänemark ansässigen Beklagten Fleisch, das am 22.5.1997 aus Frankreich in ein Kühlhaus der Klägerin im Landgerichtsbezirk Osnabrück angeliefert wurde, das nach dem Vortrag der Klägerin als Lieferort vereinbart worden sei. Die Klägerin behauptet, die gelieferte Ware sei mangelhaft gewesen, und begehrte von der Beklagten Schadensersatz. Mit der beim Landgericht Nürnberg-Fürth erhobenen Klage beantragt sie, die Beklagte zur Zahlung von 33 294,80 DM Hauptsache nebst Zinsen zu verurteilen. Sie vertritt die Auffassung, das Landgericht Nürnberg-Fürth sei aufgrund einer zwischen den Parteien geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung zuständig und stützt sich hierbei auf ihre Liefer- und Zahlungsbedingungen, die Vertragsbestandteil geworden seien. Die Beklagte rügt die Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth, da nach ihrer Ansicht die Parteien die Zuständigkeit des dänischen See- und Handelsgerichts in Kopenhagen vereinbart hätten, was sich aus ihrer Auftragsbestätigung vom 20.5.1997 ergebe.

Nach einem Hinweis des Gerichts beantragte die Klägerin, den Rechtsstreit an das Landgericht Osnabrück zu verweisen.

Mit Beschluss vom 11.12.2000 verwies das Landgericht Nürnberg-Fürth den Rechtsstreit an das Landgericht Osnabrück, das mit Beschluss vom 2.5.2001 die Übernahme des Verfahrens ablehnte und den Rechtsstreit an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückverwies.

Es begründet seine Entscheidung im wesentlichen damit, dass der Verweisungsbeschluss willkürlich sei, weil die Klägerin ein ihr zustehendes Wahlrecht bezüglich des zuständigen Gerichts wirksam ausgeübt habe. Eine Verweisung sei deshalb nicht mehr möglich gewesen. Beide Landgerichte haben den Parteien vor Erlass der Verweisungsbeschlüsse jeweils rechtliches Gehör gewährt.

Mit Beschluss vom 1.6.2001 legte das Landgericht Nürnberg-Fürth die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits berufen (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 37 ZPO, § 9 EGZPO), denn die beteiligten Gerichte gehören einem bayerischen und einem außerbayerischen Oberlandesgerichtsbezirk an. Zuerst mit der Sache befasst war das Landgericht Nürnberg-Fürth.

2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Beide Landgerichte haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt. Die Entscheidungen sind den Parteien bekannt gemacht worden.

3. Als zuständiges Gericht ist das Landgericht Osnabrück zu bestimmen.

a) Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind nicht nur die materiell-rechtlichen Zuständigkeitsvorschriften, sondern auch die verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen (§ 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO) zu beachten. Regelmäßig ist daher das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten bindenden Verweisungsbeschluss gelangt ist; denn die Bindung durch den Verweisungsbeschluss wirkt im Bestimmungsverfahren fort (BayObLGZ 1985, 397/399).

Die gesetzlich angeordnete Verbindlichkeit eines Verweisungsbeschlusses wird noch nicht dadurch in Frage gestellt, dass er auf einem Rechtsirrtum des Gerichts beruht oder sonst fehlerhaft ist. Ein Verweisungsbeschluss kann nur dann nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn ihm jede rechtliche Grundlage fehlt, so dass er objektiv willkürlich erscheint oder wenn er auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (vgl. BGHZ 102, 338/341; BayObLGZ 1993, 317/319; Zöller/ Greger ZPO 22. Aufl. § 281 Rn. 17, 17 a m. w. N.).

b) Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.12.2000 ist bindend. Einer der genannten Ausnahmefälle, in denen aus rechtsstaatlichen Gründen ein Verweisungsbeschluss nicht als bindend angesehen wird, liegt nicht vor.

Die Beklagte hatte Gelegenheit, zu dem Verweisungsantrag der Klägerin Stellung zu nehmen (Art. 103 Abs. 1 GG).

Die Verweisung erfolgte auch nicht willkürlich. Ob die Rechtsansicht des Landgerichts Nürnberg-Fürth zutrifft, auf Grund der Allgemeinen Geschäftsbedingung der Klägerin sei Nürnberg nicht wirksam als Gerichtsstand vereinbart worden, kann dahinstehen. Diese Rechtsauffassung ist jedenfalls nicht unvertretbar, weil es sich um Liefer- und Zahlungsbedingungen handelt, die Klägerin die hier streitgegenständliche Ware jedoch nicht geliefert, sondern gekauft hat, und sich die Lieferbedingungen nicht ohne weiteres in Einkaufsbedingungen umdeuten lassen.

Da das Landgericht Nürnberg-Fürth einen sonstigen, seine Zuständigkeit begründenden Gerichtstand nicht festgestellt hat, steht auch eine etwaige wirksame Ausübung des Wahlrechts gemäß § 35 ZPO durch die Klägerin der Bindungswirkung der Verweisung nicht entgegen. Nachdem durch die Anrufung eines unzuständige Gerichts das Wahlrecht der Klagepartei nicht erlischt, und das Landgericht auf Grund vertretbarer Rechtsansicht von seiner Unzuständigkeit ausgegangen ist, wäre die im Hinblick hierauf vom Landgericht als zulässig erachtete Verweisung des Rechtsstreits allenfalls als rechtsfehlerhaft, nicht jedoch als willkürlich zu bewerten.

Dahinstehen kann auch, ob die Annahme des Landgerichts Nürnberg-Fürth zutrifft, beim Landgericht Osnabrück bestehe der Gerichtsstand des Erfüllungsortes, denn auch diese Rechtsansicht wäre im Hinblick auf die Behauptung der Klägerin, die Ware sei vereinbarungsgemäß an die im Bezirk des Landgerichts Osnabrück gelegene Kühlhalle geliefert worden, nicht als unvertretbar zu qualifizieren, denn nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat dann, wenn ein vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Neben Ansprüchen auf Erfüllung fallen unter den Gerichtsstand des Erfüllungsorts auch Ansprüche auf Schadensersatz wegen Nicht- und Schlechterfüllung oder sonstiger Vertragsverletzung (Musielak/Weth EuGVÜ 2. Aufl. Art. 5 Rn. 3; Zöller/Geimer EuGVÜ 22.Aufl. Art. 5 Rn. 2; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl. EuGVÜ Art. 5 Rn. 10).

Dass die Beklagte die Vereinbarung eines Erfüllungsortes bestreitet, ist bei der Frage der Zuständigkeit ohne Belang, da es im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ allein auf den unstreitigen Sachverhalt und den streitigen Klagevortrag ankommt (OLG Köln NJW 1988, 2182f) und nach der Erfüllung der tatsächliche Erfüllungsort maßgebend ist, wenn der Gläubiger die Leistung an diesem Ort als vertragsgemäß angenommen hat (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl. EuGVÜ Art. 5 Rn. 23; Musielak/Weth EuGVÜ 2. Aufl. Art. 5 Rn. 7).

Nur klarstellend weist der Senat darauf hin, dass das Landgericht Osnabrück durch die bindende Verweisung des Rechtsstreits durch das Landgericht Nürnberg-Fürth nicht gehindert ist, die internationale Zuständigkeit zu prüfen (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 1989, 187f).

Ende der Entscheidung

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