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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.12.2001
Aktenzeichen: 4Z BR 35/01
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 64 Abs. 2
InsO § 9 Abs. 3
Durch die öffentliche Bekanntmachung allein gegenüber allen Verfahrensbeteiligten kann die Rechtsmittelfrist bei Vergütungsfestsetzungsbeschlüssen gemäß § 64 InsO in Lauf gesetzt werden.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht Amberg hat in dem am 20.4.1999 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beschwerdeführers mit Beschlüssen vom 22.9.1999 die Vergütung von Rechtsanwalt R. als Insolvenzverwalter bzw. als Sachwalter in der jeweils beantragten Höhe - 40086,33 DM bzw. 32176,25 DM - festgesetzt. Diese beiden Beschlüsse wurden am 15.10.1999 im Bayerischen Staatsanzeiger veröffentlicht; ihre Einzelzustellung an den Schuldner persönlich unterblieb.

Mit am 15.2.2001 beim Landgericht Amberg eingegangenem Schriftsatz vom 13.2.2001 legte der Schuldner "gegen den Vergütungsantrag des Insolvenzverwalters bzw. den diesbezüglichen Beschluss unbekannten Datums" sofortige Beschwerde ein und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Mit am 15.3.2001 beim Landgericht Amberg eingegangenem Schriftsatz vom 12.3.2001 ergänzte der Schuldner sein Rechtsmittel dahingehend, dass "die sofortige Beschwerde sich selbstverständlich auch gegen die Festsetzung der Sachwaltervergütung richtet".

Das Landgericht Amberg verwarf die sofortige Beschwerde des Schuldners mit am 31.8.2001 an diesen zugestelltem Beschluss vom 23.8.2001 als wegen Fristversäumung unzulässig und führte in den Gründen u.a. aus, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme wegen Versäumung der Jahresfrist gemäß § 234 Abs. 3 ZPO nicht in Betracht.

Hiergegen wendet sich der Schuldner mit seiner am 12.9.2001 beim Landgericht Amberg eingegangenen sofortigen weiteren Beschwerde, für deren Durchführung er Prozesskostenhilfe begehrt.

Der Beschwerdeführer rügt, das Insolvenzgericht habe gegen seine Verpflichtung zur Einzelzustellung an den Schuldner gemäß § 64 Abs. 2 InsO verstoßen und dadurch den Schuldner im Hinblick auf BVerfG NJW 1988, 1255 bzw. 2361 außerdem in seinen "verfassungsmäßigen Rechten aus GG Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1" verletzt. Wegen Fehlens der in § 64 Abs. 2 InsO vorgeschriebenen Einzelzustellung der beiden Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse an den Schuldner seien "Rechtsmittelfristen überhaupt noch nicht in Gang gesetzt" worden.

II.

1. Für die Entscheidung über die sofortige weitere Beschwerde ist das Bayerische Oberste Landesgericht gemäß § 7 Abs. 3 InsO i.V.m. § 29 Abs. 2 GZVJu in der Fassung vom 6.7.1995 (GVB1. S. 343/345) zuständig.

2. Die form- und fristgerechte sofortige weitere Beschwerde des Schuldners ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 InsO statthaft.

Das Landgericht Amberg hat mit dem angefochtenen Beschluss über nach § 6 Abs. 1, § 64 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 InsO zulässige sofortige (Erst-) Beschwerden entschieden. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 100,- DM (§ 64 Abs. 3 Satz 2 InsO i.V.m. § 567 Abs. 2 Satz 2 ZPO). § 568 Abs. 3 ZPO wird insoweit durch die Sonderregelung gemäß § 64 Abs. 3, § 6 Abs. 1, § 7 InsO verdrängt (BGH ZIP 2001, 296/297 m. w. N.).

3. Die sofortige weitere Beschwerde bedarf nach § 7 Abs. 1 Satz 1 InsO der Zulassung. Diese setzt einen Antrag des Beschwerdeführers voraus. Die Beschwerdeschrift des Schuldners enthält einen solchen ausdrücklichen Antrag nicht. Dies ist aber dann unschädlich, wenn - wie hier - der Beschwerdeführer zumindest schlüssig eine Gesetzesverletzung rügt und außerdem wenigstens sinngemäß geltend macht, es handle sich um eine Frage von allgemeiner Bedeutung, so dass die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei (BayObLGZ 1999, 370/372, OLG Celle NZI 2000, 226, jeweils m. w. N.).

Der somit konkludent gestellte Zulassungsantrag des Beschwerdeführers bleibt jedoch ohne Erfolg, weil die Nachprüfung der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Amberg zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht geboten ist.

In Bezug auf die vom Beschwerdeführer problematisierten Zustellungserfordernisse im Hinblick auf die sich aus § 64 Abs. 2, § 9 Abs. 3 InsO ergebende Rechtslage für den Beginn der Beschwerdefrist gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1, 4 InsO i.V.m. § 577 Abs. 2 ZPO besteht soweit ersichtlich keinerlei uneinheitliche Rechtsprechung bei den Instanzgerichten, erst recht nicht bei den Obergerichten, und es ist darüber hinaus wegen der Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelung und deren Entstehungsgeschichte auch nicht die Entwicklung einer insoweit divergierenden Rechtsprechung zu befürchten.

Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Beschluss über die Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters öffentlich bekannt zu machen und zusätzlich u.a. dem Schuldner besonders zuzustellen.

Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 InsO sind die festgesetzten Beträge jedoch nicht zu veröffentlichen; in der öffentlichen Bekanntmachung ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der vollständige Beschluss in der Geschäftsstelle eingesehen werden kann.

Diesen Anforderungen an die öffentliche Bekanntmachung seiner beiden Beschlüsse vom 22.9.1999 hat das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Amberg mit der Einrückung in den Bayerischen Staatsanzeiger vom 15.10.1999 (Nr. 41, S. 7) entsprochen.

Nach § 9 Abs. 3 InsO genügt diese öffentliche Bekanntmachung allein auch dann zum Nachweis der Zustellung an den Schuldner, wenn - wie in § 64 Abs. 2 InsO - neben ihr eine besondere Zustellung an den Schuldner persönlich gesetzlich vorgeschrieben ist.

Diese Regelung ist nach der Begründung des insoweit letztlich auch Gesetz gewordenen Entwurfs der Bundesregierung zur Insolvenzordnung (BTDrs. 12/2443 S. 111; vgl. ferner den zweiten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, Leitsatz 9.6, S. 191) aus § 76 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 KO a.F. übernommen worden. Nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur zu § 76 KO a.F. war danach für den Lauf der Rechtsmittelfrist ausschließlich auf die öffentliche Bekanntmachung abzustellen und eine etwaige zusätzlich vorgeschriebene Einzelzustellung - somit auch deren vorschriftswidrige Unterlassung - für die Berechnung der Beschwerdefrist ohne jegliche Bedeutung. Das Gebot besonderer Zustellung neben der öffentlichen Bekanntmachung war danach stets nur eine Ordnungs- oder Sollvorschrift, deren Verletzung allenfalls Schadenshaftungen (§ 839 BGB, Art. 34 GG) und/ oder disziplinarrechtliche Folgen nach sich ziehen konnte (Hess Kommentar zur KO 5. Aufl. § 76 Rn. 5 und Kuhn/Uhlenbruck KO 11. Aufl. § 76 Rn. 4, 5, jeweils m. w. N.; Jaeger KO 8. Aufl. § 76 Rn. 2).

Im Anschluss daran wird zu § 64 Abs. 2, § 9 Abs. 3 InsO wegen deren Wortlauts, insbesondere aber auch im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte dieser Vorschriften - soweit ersichtlich - in der obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig und in der Literatur nahezu einhellig die auch vom Landgericht Amberg in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Auffassung vertreten, dass die Rechtsmittelfrist jedenfalls auch durch die Zustellung im Wege der öffentlichen Bekanntmachung allein gegenüber allen Verfahrensbeteiligten in Lauf gesetzt werden kann und diese somit - insbesondere bei völligem Ausbleiben einer daneben gesetzlich vorgeschriebenen Einzelzustellung - für deren Berechnung auch maßgeblich ist (OLG Celle NZI 2000, 265, OLG Köln NZI 2000, 169, jeweils m. w. N.; Münchner Kommentar InsO Auflage 2001 § 9 Rn. 23 (Ganter) und § 64 Rn. 10 (Nowak), Frankfurter Kommentar zur InsO/Schmerbach 2. Aufl. § 9 Rn. 6; Breutigam/Blersch/Goetsch InsO Kommentar Stand 6/2001 § 64 Rn. 16, 21; Kübler/Prütting Kommentar zur InsO Stand 8/2001 § 64 Rn. 15; Keller "Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren11 Rn. 160; Nerlich/Römermann InsO Stand 11/2000 § 9 Rn. 23 (Becker), § 64 Rn. 8 (Delhaes), § 34 Rn. 29 (Mönning); anderer Auffassung soweit ersichtlich lediglich Nerlich/Römermann/Madert § 8 InsVV Rn. a und möglicherweise Haarmeyer/Wutzke/Förster "Vergütung in Insolvenzverfahren InsVV/VergVO" 2. Aufl. § 8 InsVV Rn. 24).

Problematisiert wird insoweit in der Rechtsprechung (OLG Köln aaO) lediglich die hier nicht entscheidungserhebliche Frage eines etwaigen Vorrangs einer neben der öffentlichen Bekanntmachung und vor dieser erfolgten Einzelzustellung für die Berechnung der Beschwerdefrist.

Bei diesem Sachstand ist, da es nur auf die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ankommt, das für die Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde erforderliche Divergenzkriterium nicht erfüllt, auch nicht unter dem Aspekt einer lediglich prophylaktischen obergerichtlichen Entscheidung zu deren Wahrung [Frankfurter Komm./Schmerbach § 7 InsO Rn. 16].

Der Schuldner wird durch diese Auslegung der H 9, 64 InsO auch nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten gemäß GG Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 verletzt. Insofern stützen die vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1988, 1255/1256 bzw. 2361) die Auffassung des erkennenden Senats.

Mit Beschluss vom 2.12.1987, der einen Fall zur Vergleichsordnung betraf, beanstandete das Bundesverfassungsgericht unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG lediglich die Kumulierung einer einwöchigen Rechtsmittelfrist mit der Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung ohne zusätzliche Einzelzustellung, wobei die öffentliche Bekanntmachung wiederum nur die Mitteilung enthielt, dass "die Vergütung und die Auslagen des Vergleichsverwalters... festgesetzt worden" seien. Dadurch sei die Einhaltung der ohnehin kurzen Rechtsmittelfrist für den Adressaten unzumutbar erschwert worden.

Gleichzeitig ließ das Bundesverfassungsgericht aber mit der Anmerkung, "unter diesem Gesichtpunkt... sei... die von der Kommission für Insolvenzrecht vorgeschlagene Verlängerung der (Beschwerde-) Frist auf zwei Wochen... möglicherweise... verfassungsrechtlich geboten", erkennen, dass die im vorliegenden Fall bereits geltende zweiwöchige Beschwerdefrist auch bei Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung ohne gleichzeitige Mitteilung der festgesetzten Beträge - jedoch bei Hinweis auf die Möglichkeit der Einsicht des vollständigen Beschlusses in der Geschäftsstelle - selbst dann verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn die daneben vorgeschriebene Einzelzustellung unterblieb (NJW 1988 S. 1256 Ziff. III 1 aE).

Dies muss erst Recht dann gelten, wenn der Betroffene - wie hier - aufgrund seiner - unstreitigen - Anhörung im schriftlichen Verfahren einschätzen konnte, wann in etwa mit einer - der befristeten Beschwerde unterworfenen - möglicherweise nur durch öffentliche Bekanntmachung zugestellten gerichtlichen Entscheidung zu rechnen war, und er deshalb in der Lage - zur angemessenen Wahrung seiner eigenen Interessen überdies gehalten - war, sich bei Ausbleiben einer Einzelzustellung rechtzeitig danach beim Insolvenzgericht zu erkundigen, zumindest aber die Wiedereinsetzungs-(jahres-)frist des § 234 Abs. 3 ZPO zu wahren.

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.10.1987 (NJW 1988, 2361) muss den Beteiligten gemäß Art. 103 Abs. 1 GG prinzipiell Gelegenheit gegeben werden, auf die gerichtliche Willensbildung Einfluss zu nehmen. Die Zustellungsfiktion der öffentlichen Bekanntmachung ist dabei auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist.

Letztere Voraussetzung liegt hier angesichts der - ausweislich der umfangreichen Auflistung auf Bl. 78 bis 80 d.A. - zahlreichen am Vergütungsfestsetzungsverfahren beteiligten und insoweit auch rechtsmittelbefugten Gläubiger vor (§ 64 Abs. 3 Satz 1 InsO).

Dem Beschwerdeführer wurde durch die Zustellung allein im Wege der öffentlichen Bekanntmachung auch nicht die Möglichkeit einer sachgerechten Einflussnahme auf die Entscheidung des Insolvenzgerichts genommen. Ihm wurde - wie er in der Begründung seiner Erstbeschwerde vom 13.2.2001 selbst einräumt und im Gegensatz zu dem Fall der von ihm hierzu zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - unter Übersendung der beiden Festsetzungsanträge des Rechtsanwalts R. am 6.9.1999 von dem Amtsgericht Amberg das rechtliche Gehör gewährt, angesichts des Entscheidungsdatums 1122.9.9911 auch in ausreichendem zeitlichen Umfang. Er musste deshalb mit der alsbaldigen Entscheidung des Insolvenzgerichts sowie deren öffentlicher Bekanntmachung rechnen und hatte deshalb - wie bereits ausgeführt - Anlass, sich bei Ausbleiben einer persönlichen Zustellung hierüber beim Insolvenzgericht - und nicht bei dem in diesen Festsetzungsverfahren seine eigenen Interessen vertretenden Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter, wie der Beschwerdeführer geltend macht - binnen angemessener Frist über deren Verbleib erkundigen. Der Schuldner hat demgegenüber nicht nur die am 18.10.1999 angelaufene zweiwöchige Beschwerdefrist, sondern zusätzlich sogar auch noch die daran anschließende Jahresfrist gemäß § 234 Abs. 3 ZPO, § 4 InsO verstreichen lassen.

Seine nunmehrige prozessuale Situation ist demnach nicht auf eine Rechtsverletzung seitens des Insolvenzgerichts, sondern auf eigene grobe Nachlässigkeit zurückzuführen.

Die sofortige weitere Beschwerde des Schuldners war danach ohnehin auch unbegründet.

4. Da der Antrag auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde somit keinen Erfolg hat, ist das Rechtsmittel insgesamt mit der Kostenfolge gemäß § 4 InsO, § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen (§ 7 InsO).

5. Der Gegenstandswert des Verfahrens über die sofortige weitere Beschwerde war nach § 35 GKG i.V.m. § 3 ZPO in Höhe der Summe der beiden festgesetzten Vergütungen zu bemessen: 40086,33 DM + 32176,25 DM = 72262,58 DM.

6. Der Prozesskostenhilfeantrag des Schuldners für das Verfahren über die sofortige weitere Beschwerde war schon deshalb als unbegründet zurückzuweisen, weil sein Rechtsmittel aus den Erwägungen zu Ziff. II 2, 3 von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 4 InsO i.V.m. § 114 ZPO). Insoweit war eine Kostenentscheidung nicht veranlasst, weil sich die Gerichtskostenlast unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (§ 50 GKG) und weil außergerichtliche Kosten im PKH-Verfahren von Gesetzes wegen regelmäßig nicht zu erstatten sind (§ 4 InsO, § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).



Ende der Entscheidung

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