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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: 4Z BR 70/04
Rechtsgebiete: AuslG, FGG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 3 Satz 1
FGG § 12
1. Zu den materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Sicherungshaft von über 6 Monaten in Abschiebungssachen.

2. Zu den verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine Entscheidung, mit der Abschiebungshaft über 6 Monate hinaus verlängert wird.


Gründe:

I.

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, der sich seit 13.2.2004 in Abschiebungshaft befindet. Wegen des Verfahrensgangs bis 30.6.2004 wird auf den Senatsbeschluss von diesem Tag - 4Z BR 051/04 - verwiesen, mit dem die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen gegen die Haftanordnung des Amtsgerichts und deren Aufrechterhaltung durch das Landgericht als unbegründet zurückgewiesen worden war.

Auf Antrag der Ausländerbehörde verlängerte das Amtgericht Nürnberg mit Beschluss vom 11.8.2004 die Abschiebungshaft bis längstens 11.11.2004. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen wies das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Beschluss vom 26.8.2004 als unbegründet zurück.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde. Die Haftverlängerung könne nicht auf den Umstand gestützt werden, dass er den Pass, mit dem er in Bangkok das Flugzeug bestiegen hatte, vor der Landung in München vernichtet hat, denn es könne sich "höchstens um einen gefälschten Pass gehandelt haben", der, weil unrichtige Angaben enthaltend, zur Verwirklichung der Ausreisepflicht nichts hätte beitragen können. Ein Verhalten vor der Festnahme sei im Übrigen nach gefestigter Rechtsprechung nicht geeignet, eine Haftverlängerung nach § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG zu rechtfertigen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Das Landgericht muss den Sachverhalt weiter aufklären (§ 12 FGG).

Zutreffend hat das Landgericht die Voraussetzungen des Hafttatbestandes in § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG bejaht. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass eine Einreise mittels Schleuserhilfe oder mit fremden und damit falschen Personalien oder mit gefälschten Papieren eine Haftanordnung nach dieser Bestimmung rechtfertigt; wer, wie der Betroffene, seine illegale Einreise mit unredlichen Mitteln bewerkstelligt, gibt Grund für die Befürchtung, dass er sich im Falle seiner Freilassung durch Untertauchen der Abschiebung entziehen wird (vgl. Hailbronner, AuslR 33. Erg.-Lfg. § 57 Rn 37, 42 m.w.N.).

Rechtsirrig hat das Landgericht dagegen einen Haftgrund nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG angenommen. Die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht entfällt, wenn - wie hier - zwischenzeitlich der Aufenthalt auf Grund einer Aufenthaltsgestattung rechtmäßig geworden war und erst auf Grund einer Abschiebungsandrohung eine Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht eintrat (vgl. Hailbronner aaO Rn 27). Dem Betroffenen war, da er um Asyl nachsuchte, der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Erst der Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2.2.2004 begründet, wenn rechtsbeständig, eine vollziehbare Ausreisepflicht.

Das Landgericht hat nicht verkannt, dass eine Verlängerung der Sicherungshaft über den in § 57 Abs. 3 Satz 1 AuslG normierten Zeitraum von sechs Monaten hinaus nur "in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert" (§ 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG) zulässig ist.

Die Beschwerdekammer hat hierzu auf Seite 4 Abs. 3 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt:

"§ 57 Abs. 3 AuslG steht der Verlängerung der Sicherungshaft über sechs Monate hinaus nicht entgegen, da der Betroffene seine Abschiebung durch die Vernichtung seines Reisepasses sowie seine mangelnde Mitwirkung an der Feststellung seiner Identität bzw. Staatsangehörigkeit nach Überzeugung der Kammer bislang verhindert hat und weiterhin verhindert".

Das Landgericht hat es jedoch bisher unterlassen, gemäß § 12 FGG konkrete Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, die geeignet sind, die angeführte Überzeugung eines noch in der Gegenwart anhaltenden Verhinderungsverhaltens zu tragen. Die in diesem Zusammenhang von der Kammer allein angeführte Tatsache (Reisepassvernichtung) kann eine Haftverlängerung nach § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG nicht tragen. Zu Recht weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass ein gefälschter Pass zur Identitätsfeststellung und zur Ersatzpapierbeschaffung nichts beitragen kann und dass eine vor der Inhaftierung liegende Handlung jedenfalls in der Regel nicht zur Begründung eines Verhinderungsverhaltens im Sinne von § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG geeignet ist (vgl. KG FGPrax 2000, 83/84).

Melchior (www.abschiebungshaft.de/Kommentar/Haftdauer § 57 III 2 AuslG) fasst die von ihm analysierte obergerichtliche Rechtsprechung wie folgt zusammen:

"Ein Verhindern im Sinne des Gesetzes (und damit die Möglichkeit der Verlängerung der Haft über 6 Monate hinaus) liegt dann vor, wenn ein vom Willen des Betroffenen abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung innerhalb der ersten 6 Monate (grundsätzliche Höchsthaftdauer) nicht erfolgen konnte. Es müssen also stets zwei Dinge geprüft werden, und zwar einmal das Verhinderungsverhalten und zum anderen die Ursächlichkeit dieses Verhaltens dafür, dass die Abschiebung nicht innerhalb der ersten 6 Monate durchgeführt werden konnte. Dabei verlangt die Rechtsprechung, dass das Verhinderungsverhalten die maßgebliche Ursache für die Verzögerung sein muss. Nach der Rechtsprechung liegt die Feststellungslast für beide Merkmale bei der Behörde. Das Verhinderungsverhalten muss also positiv feststehen (der Richter muss z.B. überzeugt sein, dass der Betroffene sich pflichtwidrig weigert, notwendige Formulare zu unterschreiben). Außerdem muss feststehen, dass dieses Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung innerhalb der ersten 6 Monate nicht erfolgen konnte. Ergibt sich, dass die Abschiebung (z.B. wegen zögerlicher Bearbeitung der Heimatbehörden) auch bei Leistung der Unterschrift nicht innerhalb der ersten 6 Monate möglich gewesen wäre, ist das Verhinderungsverhalten nicht ursächlich für die Verzögerung. Verbleiben Zweifel, ob die Abschiebung bei Leistung der Unterschrift innerhalb der ersten 6 Monate möglich gewesen wäre, geht auch dies zu Lasten der Antrag stellenden Behörde, weil die Ursächlichkeit der Verhinderungsverhaltens feststehen muss."

Dem schließt sich der Senat an (vgl. BayObLG InfAuslR 1994, 53; BayObLGZ 1993, 377/378; OLG Düsseldorf InfAuslR 1995, 367; BayObLGZ 1997, 350/352; BayObLG vom 13.3.1998 - 3Z BR 65/98 - = EZAR 048 Nr. 43; KG aaO; BayObLG InfAuslR 2000, 453; BayObLGZ 2000, 227; OLG Hamm vom 12.2.2001 bei Melchior [Anhang Entscheidungen im Volltext]; Senat vom 12.4.2002 - 4Z BR 23/02 - und vom 28.7.2003 bei Melchior aaO).

Das Landgericht lässt auf Seite 3 Abs. 4 des angefochtenen Beschlusses offen, ob das Ausbleiben einer Rückmeldung der Heimatgemeinde in Pakistan an das pakistanische Konsulat in Frankfurt auf unrichtige Angaben des Betroffenen oder auf eine zögerliche Arbeitsweise der pakistanischen Behörden zurückzuführen ist; es übersieht dabei, dass die zweite Fallvariante nicht als Grund für eine Haftverlängerung nach § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG geeignet ist. Dies gilt, wie schon ausgeführt, auch für die Vernichtung eines ohnehin falschen Passes; Entsprechendes gilt für die Feststellung "Es ist daher nicht einmal gesichert, dass der Betroffene tatsächlich pakistanischer Staatsangehöriger ist" (Seite 4 Abs. 1). Für die erste Fallvariante - unrichtige Angaben - fehlen tragfähige Feststellungen darüber, wann und wo der Betroffenen bestimmte Angaben gemacht hat, deren Unrichtigkeit feststeht.

Das Landgericht wird in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht zu prüfen haben, ob möglicherweise andere tatsächliche Umstände vorliegen, die ein sich gegenwärtig noch auswirkendes Verhinderungsverhalten darstellen. Die Beschwerdekammer konnte in diesem Fall auch nicht auf eine persönliche Anhörung des Betroffenen verzichten; sie bietet die Möglichkeit, den Betroffenen ausführlich über seine Herkunft, seine familiären Verhältnisse, Ausbildung, Reiseweg, Schleuserhilfe u.ä. zu befragen, die von dem Betroffenen bei dieser Anhörung gemachten Angaben mit den von ihm bei früheren Befragungen gemachten zu vergleichen und aus Inhalt und Aussageverhalten die für eine Beweiswürdigung erforderlichen Schlüsse zu ziehen.



Ende der Entscheidung

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