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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 13.05.2002
Aktenzeichen: 4Z SchH 4/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 1035 Abs. 4
Zur Frage der Voraussetzungen für die gerichtliche Bestellung eines Vorsitzenden gemäß § 1035 Abs. 4 ZPO vor.
Gründe:

I.

Die Parteien betreiben in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts seit 1.10.1993 eine augenärztliche Gemeinschaftspraxis. Die Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien sind in einem Gesellschaftsvertrag vom 30.10.1993 näher geregelt. Für die Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis, die durch ein vorgängiges berufskollegiales Schlichtungsverfahren nicht ausgeräumt werden können, ist die Zuständigkeit eines auf Antrag eines Vertragspartners zu bildenden Schiedsgerichts vereinbart.

Die Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts, seine Konstituierung und die Verfahrensgestaltung sind in einem als Anlage zum Gesellschaftsvertrag genommenen Schiedsvertrag vom 30.10.1993 gesondert geregelt. Danach besteht das Schiedsgericht aus drei Personen, nämlich je einem Beisitzer von der streitenden Partei und der Gegenpartei sowie einem nach Möglichkeit einvernehmlich zu benennenden Vorsitzenden. Hinsichtlich dieses Vorsitzenden enthält § 3 des Schiedsvertrags vom 3 0.10.1993 folgende Regelung:

1) a) Der Vorsitzende (Schiedsrichter), der die Befähigung zum Richteramt haben muss, ist nach Möglichkeit im Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien und den von ihnen benannten Beisitzern zu benennen.

b) Er soll sowohl über prozessuale, als auch über arztrechtliche Kenntnisse verfügen.

2) a) Kommt keine Einigung zustande, so soll der Vorsitzende des Schiedsgerichts auf Antrag einer Vertragspartei oder eines Beisitzers von einem auf diese Dinge spezialisierten ärztlichen Berufsverband wie z.B. dem Verband zur Förderung ärztlicher Kooperationsformen e.V. oder vom Präsidenten des für den Sitz der Arztpraxis zuständigen Landgerichtes benannt werden.

b) Der Vorschlag des Präsidenten des zuständigen Landgerichts bindet die Parteien unanfechtbar, wenn der Schiedsrichter die Berufung annimmt.

3) a) Das Schiedsgericht tagt am Ort des Landgerichts, das für den Sitz der Gemeinschaftspraxis zuständig ist, es sei denn, der Schiedsrichter und die Beisitzer bestimmen übereinstimmend einen anderen Tagungsort.

b) Durch eine Verlegung gem. vorstehend a) dürfen keine Mehrkosten entstehen.

4) Soweit die Mitwirkung eines ordentlichen Gerichts erforderlich ist, ist das Landgericht ausschließlich zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich die Gemeinschaftspraxis liegt.

Zu Beginn des Jahres 2001 kam es zwischen der Antragstellerin und den Antragsgegnern zu tiefgreifenden Streitigkeiten u.a. über die Art der Gewinnverteilung und die Arbeitsleistung der Antragstellerin, die schließlich in einem Ausschluss der Antragstellerin aus der Gemeinschaftspraxis gipfelten. Ein durchgeführtes Schlichtungsverfahren scheiterte.

Die Antragstellerin erstrebt nunmehr die Durchführung eines Schiedsgerichtsverfahrens, mit dem sie u.a. die Feststellung der Unwirksamkeit ihres Ausschlusses aus der Gemeinschaftspraxis, die vertragsgemäße Überweisung der eingenommenen Honorare auf die vereinbarten Gemeinschaftskonten sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Antragsgegner hinsichtlich der Folgen eines angeblich rechtswidrigen Gesellschaftsbeschlusses erreichen will.

Die Parteien haben je einen Beisitzer für das Schiedsgericht benannt. Eine einvernehmliche Benennung des Vorsitzenden ist trotz mehrfacher wechselseitiger Vorschläge der Parteien gescheitert.

Mit einem Schreiben vom 11.12.2001 baten die Antragsgegner den Verband zur Förderung ärztlicher Kooperationsformen e.V. (VFK) um die Benennung eines Vorsitzenden. Der Verband schlug daraufhin den Rechtsanwalt R vor, den die Antragstellerin aber schon bei einem früheren Einigungsversuch abgelehnt hatte.

Da die Antragstellerin an ihrer ablehnenden Haltung gegenüber R festhielt, teilten die Antragsgegner mit, dass sie die Bestimmung des Obmanns durch den VFK als bindend ansähen. Dieser Auffassung widersprach die Antragstellerin mit dem Hinweis, dass nach § 3 Abs. 2 b des Schiedsvertrags nur der Vorschlag des Präsidenten des Landgerichts Augsburg bindend sei.

Mit Schreiben vom 29.1.2002 bat die Antragstellerin den Präsidenten des Landgerichts um Benennung des Obmanns. Dieses Schreiben übersandte der Landgerichtspräsident den Antragsgegnern unter Fristsetzung bis 25.2.2002 zur Kenntnis und Stellungnahme. Mit einem Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 25.2.2002 an den Landgerichtspräsidenten wiederholten die Antragsgegner ihre Rechtsauffassung, dass die Benennung des Rechtsanwalts R als Obmann durch den VFK bindend sei. Der Präsident des Landgerichts übermittelte daraufhin dem Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 4.3.2002 folgende Stellungnahme:

Aus dem Schreiben vom 25.2.2002 nebst den beigefügten Anlagen ergibt sich, dass zwischen den Parteien offensichtlich keine Einigkeit darüber besteht, ob die Voraussetzungen für die Bestellung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts gemäß dem § 3 Abs. 2 des Schiedsvertrags vom 30.10.1993 durch den Präsidenten des Landgerichts vorliegen. Dies bedeutet für mich folgendes:

Die Bestellung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts durch den Präsidenten des Landgerichts wäre eine reine Gefälligkeit, aus der weder Ansprüche gegen den Freistaat Bayern noch gegen mich persönlich hergeleitet werden können. Auch bin ich in keiner Weise zu einer Bestellung rechtlich verpflichtet, weshalb ich auch in keine Prüfung eintreten werde, ob nach dem Schiedsvertrag die Voraussetzungen für die Bestellung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts durch den Präsidenten des Landgerichts erfüllt sind. Bei gegebener Sachlage werde ich mich mit der Angelegenheit erst wieder befassen, wenn beide Parteien die Voraussetzungen für die Bestellung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts durch mich als gegeben ansehen.

Die Antragstellerin ist der Meinung, die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestellung eines Vorsitzenden lägen gemäß § 1035 Abs. 4 ZPO vor, weil der im Falle mangelnder Einigung mit der Benennung eines Obmanns betraute Landgerichtspräsident die Wahrnehmung dieser Aufgabe unter den gegebenen Umständen abgelehnt habe und der Vorschlag des VFK im Gegensatz zu demjenigen des Landgerichtspräsidenten die Parteien nicht binde.

Die Antragstellerin beantragt:

einen weiteren Schiedsrichter (Obmann) zur Durchführung eines Schiedsverfahrens zwischen den Parteien zu bestellen;

hilfsweise:

anzuordnen, dass die Antragsgegner gegenüber dem Präsidenten des Landgerichts zu erklären haben, dass sie die Voraussetzungen für die Bestellung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts durch den Präsidenten des Landgerichts als erfüllt ansehen.

Die Antragsgegner beantragen, die Anträge als unbegründet zurückzuweisen.

Sie vertreten die Auffassung, die Voraussetzungen des § 1035 Abs. 4 ZPO seien nicht gegeben, weil nach dem Schiedsvertrag der Parteien bei mangelnder Einigung auch die Benennung durch einen ärztlichen Berufsverband Bindungswirkung entfalte. § 3 Abs. 2 a des Schiedsvertrags sei dahin zu verstehen, dass dem Vorschlag des Landgerichtspräsidenten nur dann der Vorzug zu geben sei, wenn die Parteien gleichzeitig einen Antrag auf Benennung eines Obmanns einerseits bei einem ärztlichen Berufsverband und andererseits beim Landgerichtspräsidenten gestellt haben sollten.

II.

1. Der Antrag ist zulässig. Der Senat ist gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 und 5 ZPO i.V.m. § 6 a der GZVO Justiz für den Antrag auf Bestellung eines Schiedsrichters zuständig.

2. Der Antrag ist im Hilfsantrag begründet, im Hauptantrag unbegründet.

a) Die Voraussetzungen des § 1034 Abs. 4 ZPO für eine gerichtliche Mitwirkung an der Schiedsrichterbestellung auf Antrag einer Partei liegen vor.

Die Parteien haben in § 3 des Schiedsvertrags vom 30.10.1993 für die Benennung des Vorsitzenden ein Bestellungsverfahren vereinbart. Eine Einigung entsprechend diesem Verfahren konnte nicht erzielt werden. Dies hat zur Folge, dass jede Partei bei Gericht die Anordnung der erforderlichen Maßnahmen beantragen kann.

b) Der Hauptantrag der Antragstellerin, einen Vorsitzenden zu benennen, ist unbegründet, weil die Parteien in § 3 Abs. 2 a und b ihres Schiedsvertrags bei fehlender Einigung eine die Parteien bindende Benennung des Vorsitzenden durch den Landgerichtspräsidenten vorgesehen haben, die Antragstellerin beim Landgerichtspräsidenten um diese Benennung nachgesucht hat und ein entsprechender Vorschlag des Landgerichtspräsidenten, der ein Tätigwerden in dieser Angelegenheit noch nicht endgültig abgelehnt hat, bei der gebotenen Zustimmung der Antragsgegner zu dem von der Antragstellerin eingeleiteten Bestellungsverfahren noch erwartet werden kann.

Aus dem Schreiben des Präsidenten des Landgerichts vom 4.3.2002 ist ersichtlich, dass der Landgerichtspräsident gegenwärtig von der Benennung eines Obmanns nur deshalb abgesehen hat, weil die Antragsgegner im Hinblick auf die vermeintliche Bindungswirkung des Vorschlags des VFK nicht bereit waren, eine bindende Vorschlagskompetenz des Landgerichtspräsidenten anzuerkennen.

Die Antragsgegner sind aufgrund der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen verpflichtet, einen Vorschlag des Landgerichtspräsidenten zu akzeptieren.

Nach der von den Parteien in § 3 Abs. 2 a getroffenen Regelung soll bei fehlender Einigung der Vorsitzende des Schiedsgerichts auf Antrag einer Vertragspartei oder eines Beisitzers von einem auf diese Dinge spezialisierten ärztlichen Berufsverband oder vom Präsidenten des für den Sitz der Arztpraxis zuständigen Landgerichts benannt werden. Da das Antragsrecht auf Benennung des Obmanns durch einen Dritten jeder Vertragspartei zusteht, ist es möglich, dass von den Parteien unterschiedliche Berufsverbände - der Verband VFK ist nur beispielhaft angeführt - oder, wie hier geschehen, neben einem Berufsverband auch der zuständige Landgerichtspräsident um eine Benennung gebeten werden; Für diesen Fall macht es Sinn, dass in § 3 Abs. 2 b des Schiedsvertrags bestimmt ist, dass nur der Vorschlag des Landgerichtspräsidenten die Parteien unanfechtbar bindet, wenn der Schiedsrichter die Berufung annimmt.

Die von den Antragsgegnern vertretene Rechtsauffassung, dem Vorschlag des Landgerichtspräsidenten solle nur dann der Vorzug zukommen, wenn die streitenden Parteien einen Antrag auf Benennung eines vorsitzenden Schiedsrichters gleichzeitig bei einem ärztlichen Berufsverband und beim Präsidenten des zuständigen Landgerichts gestellt haben sollten, ist angesichts der klaren Regelung in § 3 Abs. 2 des Schiedsvertrags nicht vertretbar. Danach spielt die zeitliche Priorität des Antrags einer Streitpartei für die Verbindlichkeit des auf diesen Antrag den Parteien unterbreiteten Vorschlags keine Rolle.

Die Vereinbarung einer Bindungswirkung nur für den Vorschlag des Landgerichtspräsidenten erscheint auch zweckmäßig, weil, wie bereits aufgezeigt, von den Parteien unterschiedliche ärztliche Berufsverbände angerufen werden können, bei denen offen ist, welchem Vorschlag dann aufgrund welcher Kriterien ein Vorzug einzuräumen ist, und weil der an arztberuflichen Konfliktsituationen in aller Regel nicht beteiligte Landgerichtspräsident eine besonders neutrale Stellung innehat.

Die in § 3 Abs. 2 des Schiedsvertrags getroffene Regelung hat somit nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt. Sie ist daher auch nicht auslegungsbedürftig.

Der Hauptantrag auf gerichtliche Bestellung eines Vorsitzenden war abzulehnen, weil der Landgerichtspräsident die Erfüllung der ihm nach dem vereinbarten Bestellungsverfahren übertragenen Aufgabe noch nicht endgültig abgelehnt hat, und bei Zustimmung der Antragsgegner zu einem Tätigwerden des Landgerichtspräsidenten ein Vorschlag von dessen Seite noch erwartet werden kann.

c) Der Hilfsantrag erweist sich als begründet.

Nach der in § 3 Abs. 2 des Schiedsvertrags getroffenen Vereinbarung sind die Antragsgegner verpflichtet, das von der Antragstellerin beim Präsidenten des Landgerichts beantragte Bestellungsverfahren zu akzeptieren und sich einem dort unterbreiteten Vorschlag zu unterwerfen. Ein weiteres Bestreiten der Vorschlagskompetenz des Landgerichtspräsidenten durch die Antragsgegner hätte zur Folge, dass dieser eine Mitwirkung an der Bestellung eines Vorsitzenden weiterhin ablehnt. Die Antragsgegner würden damit vertragswidrig den Erfolg des von den Parteien vereinbarten Bestellungsverfahrens vereiteln.

Als "erforderliche Maßnahme" i.S. des § 1035 Abs. 4 ZPO war daher auf den Hilfsantrag anzuordnen, dass die Antragsgegner verpflichtet sind, der Benennung eines Vorsitzenden des Schiedsgerichts durch den Präsidenten des Landgerichts zuzustimmen.

3. Kosten: § 92 ZPO.

4. Streitwert: § 3 ZPO (kleiner Bruchteil aus der Hauptsache in Höhe von 920000 Euro).

Ende der Entscheidung

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