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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 25.04.2002
Aktenzeichen: 5 St RR 106/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 170
Zur Frage, wie das unterhaltsrechtlich relevante Einkommens bei selbständig Erwerbstätigen zu bemessen ist.:
Tatbestand:

1. Am 9.12.1998 gegen 17 Uhr kam es zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau in der Küche des gemeinsam bewohnten Hauses in der A.-Straße in M. zu einer verbalen Auseinandersetzung. Der Angeklagte war im Begriffe, wegen seiner Erkrankung sich in eine Klinik zu einer Untersuchung zu begeben. Er war durch seine gesundheitlichen und finanziellen Probleme sehr reizbar geworden. Deshalb beschimpfte er seine Frau, als er sah, dass sie ihm Sauerkraut mit Fleisch gekocht hatte, mit den Worten. "Du blöde Kuh, Du denkst nicht für einen Pfennig".

Daraufhin geriet auch die Geschädigte in Wut und es kam zu einem heftigen Wortwechsel mit im einzelnen nicht mehr feststellbaren wechselseitigen Schimpfwörtern. Die Geschädigte zog ihre Schuhe aus und warf sie auf den Boden. Daraufhin nahm der Angeklagte das Kind an der Hand und ging auf die Geschädigte los. Diese kauerte sich auf den Boden und hielt ihre Arme schützend vor das Gesicht. Der Angeklagte schlug nun mehrmals auf sie ein und traf sie mindestens an beiden Armen und im Gesicht. Die Geschädigte erlitt dadurch Prellungen an beiden Armen und im Gesicht. Die Schläge waren schmerzhaft, was sie mehrere Wochen lang verspürte. Der Angeklagte ist der Geschädigten, die eher von schmächtiger Statur ist, körperlich überlegen. Sie ist 1,53 m groß und 48 kg schwer. Er ist größer und mindestens mehr als doppelt so schwer und besitzt eine überaus kräftige Figur.

Die Auseinandersetzung verlagerte sich nunmehr in den Flur des Hauses und auf die Straße, weil der Angeklagte mit dem Sohn auf dem Arm aus dem Haus zu Nachbarn strebte. Hierbei zerriss die Geschädigte das Hemd und das Unterhemd des Angeklagten. Die Geschädigte erlitt weitere Verletzungen an den Beinen und am Körper, die jedoch nicht mit Sicherheit dem Angeklagten zugeordnet werden können, sondern auch durch einen Sturz oder einen Fehltritt der Geschädigten hervorgerufen sein können.

Der Angeklagte wusste, dass er mit der Äußerung "Du blöde Kuh, Du denkst nicht für einen Pfennig" sowie den Schlägen seine Missachtung gegenüber seiner Ehefrau zum Ausdruck brachte.

2. Der Angeklagte ist der leibliche Vater des 1991 in geborenen Kindes M.W. Seit Januar 1992 lebt dieses Kind im Haushalt der Mutter B.W., der früheren Lebensgefährtin des Angeklagten. Seitdem sorgt allein die Kindsmutter für das gemeinsame Kind. Sie erhält Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz durch das Kreisjugendamt D. Sie ist nicht berufstätig und hat kein Einkommen. Sie wird von ihren Eltern unterstützt.

Das Amtsgericht setzte den vom Angeklagten monatlich im voraus zu leistenden Unterhalt durch Beschlüsse wie folgt fest:

Beschluss Zeitraum Betrag/DM 27.07.1993 01.07.1992 - 02.07.1997 256 26.07.1996 01.01.1996 - 31.12.1996 249 01.07.1997 - 02.07.1997 239 03.07.1997 - 02.07.2003 314 07.10.1999 ab 01.07.1999 306

Trotz dieser dem Angeklagten bekannten Verpflichtungen leistete er keinen Barunterhalt. Deshalb erbrachte das Kreisjugendamt D. nach dem Unterhaltsvorschussgesetz folgende Leistungen an die Kindsmutter, ohne die der Lebensunterhalt des Kindes M. gefährdet gewesen wäre, wie der Angeklagte wusste:

Zeitraum Monate Unterhaltsbetrag Summe DM DM 01.01.1996 - 31.12.1996 12 249,00 2998,00 01.01.1997 - 30.6.1997 6 239,00 1434,00 01.07.1999 - 02.07.1997 0,066 239,00 15,03 03.07.1997 - 31.7.1997 0,933 314,00 239,07 01.08.1997 - 31.03.1998 8 314,00 2512,00

Der Angeklagte war in dieser Zeit als Rechtsanwalt erwerbstätig. Darüber hinaus betrieb er die Einzelfirma M.B., Unternehmensberatung, BuCroservice, Hausverwaltung und war mit 52 % an der Firma B. GmbH (Stammkapitalanteil 26.000 DM) beteiligt, die am 12.7.1995 gegründet worden war.

Aus diesen Quellen bezog der Angeklagte folgende Einkünfte:

Bezeichnung 1996 1997 1998 DM DM DM Korrig. Bruttoeink./Jahr 50383,53 43056,10 33911,91 Bruttoeinkommen pro Monat 4198,63 3588,01 2826,00 Altersvorsorge 16571,10 6500,00 4894,45 Krankenversicherung 3885,75 3223,92 3223,92 Unfallversicherung 236,40 283,30 165,10 Steuern 0,00 4322,16 0,00 Außergewöhnl. Belastungen 0,00 0,00 1395,11 Nettoeinkommen pro Jahr 29690,28 28726,72 24233,33 Nettoeinkommen pro Monat 2474,19 2393,90 2019,45

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 16.1.2001 wegen Beleidigung rechtlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Unterhaltspflichtverletzung zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Einzelstrafen: 60 Tagessätze Geldstrafe bzw. sechs Monate Freiheitsstrafe). Dagegen legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft - insoweit beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch - Berufung ein. Das Landgericht entschied hierüber mit Urteil vom 30.10.2001; es erkannte in Abänderung des Rechtsfolgenausspruchs auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten mit Bewährung,(Einzelstrafen: 45 Tagessätze Geldstrafe bzw. drei Monate Freiheitsstrafe) und verwarf im übrigen die beiden Berufungen als unbegründet.

Nach Auffassung der Strafkammer hätte der Angeklagte im Jahr 1996 mindestens 156,69 DM, für die erste Hälfte des Jahres 1997 130,51 DM, für die zweite Hälfte des Jahres 1997 163,50 DM und für die ersten drei Monate 1998 101,12 DM monatlich für M.W. leisten können.

Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich der Verurteilung wegen Unterhaltspflichtverletzung und im Rechtsfolgenausspruch Erfolg.

Gründe:

Soweit das Landgericht die Berufung des Angeklagten gegen den erstinstanzlichen Schuldspruch wegen Unterhaltspflichtverletzung als unbegründet verworfen hat, sind die Gründe der angefochtenen Entscheidung widersprüchlich und lückenhaft.

Der Senat teilt den rechtlichen Ansatz des Berufungsgerichts, wonach der Strafrichter ohne Bindung an die vorliegenden einschlägigen zivilrechtlichen Erkenntnisse die Unterhaltspflicht des Angeklagten, deren Verletzung ihm angelastet wird, eigenverantwortlich festzustellen hat und Maßstab hierfür das Bürgerliche Recht ist (Schönke/Schröder-Lenckner StGB 26. Aufl. § 170 Rn. 20 f. m.w.N.).

Zutreffend führt die Strafkammer ferner aus, dass die verfahrensgegenständliche Unterhaltspflicht des Angeklagten der Höhe nach nur nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit bestand und dass für deren Ermittlung wegen der freiberuflichen bzw. selbständigen gewerblichen Erwerbstätigkeit des Angeklagten "die Jahresabschlüsse der letzten drei Jahre heranzuziehen sind", d. h., es ist für das jeweilige Unterhaltsjahr auf das unterhaltsrechtlich bereinigte durchschnittliche Einkommen des Unterhaltspflichtigen während der jeweils letzten drei Jahre abzustellen (Palandt/Diederichsen BGB 61. Aufl. § 1603 Rn. 14 m.w.N.).

Mit ihrer konkreten rechnerischen Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten wird die Strafkammer diesen von ihr selbst einleitend zitierten, der obergerichtlichen Rechtsprechung in Familiensachen entnommenen Grundsätzen aber nicht gerecht.

Das Berufungsurteil enthält zwar umfangreiche Aufstellungen zu den Einkünften des Angeklagten aus freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit in den Jahren 1996 bis 1998 sowie zu deren aus Sicht der Strafkammer unterhaltsrechtlich gebotener Korrektur. Die strafrechtlich relevante Leistungsfähigkeit des Angeklagten beurteilt die Strafkammer aber letztlich nicht nach den dabei erzielten, unterhaltsrechtlich hinsichtlich Vorsorgeaufwendungen, Steuern, außergewöhnlichen Belastungen usw. noch fortzuschreibenden Zwischenergebnissen, sondern ausschließlich nach Maßgabe der dargestellten und um den "notwendigen Selbstbehalt" für Erwerbstätige nach Maßgabe der "Düsseldorfer Tabelle" in Höhe von 1500 DM gekürzten "Privatentnahmen", zzgl. "Gewinnkorrektur" (als Betriebsausgaben gebuchte Aufwendungen für die private Lebensführung) und abzüglich unterhaltsrechtlich relevanter Vorsorgeaufwendungen sowie - nicht näher erläuterter - außergewöhnlicher Belastungen und abzüglich für das Jahr 1997 auf S. 23 offensichtlich versehentlich nicht aufgeführter, aber auf S. 8 erwähnter Steuern in Höhe von 4322,16 DM.

Dabei fällt auf, dass die Strafkammer - abgesehen von einem zu einer rechnerischen Differenz von 10000 DM bzgl. Der "Kanzleientnahmen" im Jahr 1997 führenden mutmaßlichen Schreibversehen (S. 22: 9504,13 DM, richtig wohl 19504,13 DM: B.- Gutachten vom 10.4.2000, S. 58) - innerhalb der Ausführungen auf S. 22 zumindest bzgl. des Kalenderjahres 1997 die Berechnungsgrundlagen für die dem Angeklagten zugeschriebenen Privatentnahmen wechselte, ohne hierfür - wie auch für den jeweiligen Berechnungsmodus überhaupt - eine plausible Erklärung erkennen zu lassen; zu den Entnahmen im Bereich der freiberuflichen Tätigkeit weist das Berufungsurteil auf S. 22 für das Jahr 1997 zunächst einen Betrag von 13844,61 DM auf, in der folgenden Aufstellung zur unterhaltsrechtlichen Korrektur dieser Entnahmen erscheint demgegenüber insoweit ein Betrag von 9504.13 DM, der nach dem folgenden Additionsergebnis richtigerweise auf 19504,13 DM lauten müsste.

Zum Grundsätzlichen führt die Strafkammer im Rahmen ihrer allgemeinen rechtlichen Erwägungen richtigerweise aus, die Privatentnahmen seien "als Grundlage für die Berechnung ein wichtiger Posten". Dem ist präzisierend anzufügen, dass nach der obergerichtlichen Rechtsprechung in Familiensachen Privatentnahmen einen Anhaltspunkt für das unterhaltsrelevante Einkommen und für dessen Schätzung bei unzureichender Darstellung, insbesondere bei Manipulationsverdacht geben können (Palandt aaO m. w. N.). Die Privatentnahmen sind aber entgegen der Verfahrensweise des Berufungsgerichts nicht ohne weiteres dem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen gleichzusetzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der tatsächlich durch selbständige Erwerbstätigkeiten erzielte Gewinn die festgestellten Entnahmen wirtschaftlich nicht rechtfertigt (Palandt aaO m. w. N.). Dies trifft im vorliegenden Fall nach den Feststellungen der Strafkammer zumindest für das Kalenderjahr 1997 zu, wonach der Angeklagte unterhaltsrechtlich bereinigte Einkünfte in Höhe von 17669,29 DM (Kanzlei) und weiteren 11954,36 DM (Gewerbebetrieb) erwirtschaftete, insgesamt also 29623,65 DM, bei bereinigten Entnahmen in Höhe von 43056,10 DM. Die Entnahmen überstiegen danach die Einkünfte um gut 45 %. Dennoch legte die Strafkammer ihren weiteren Berechnungen zur Leistungsfähigkeit des Angeklagten die Entnahmen zugrunde, ohne auch nur zu klären, ob diese für die private Lebensführung des Angeklagten frei verfügbar oder aber, gegebenenfalls in welchem Umfang, durch langfristige Darlehensverbindlichkeiten (Hausschulden) gebunden waren.

Rechtlichen Bedenken begegnet ferner die unterhaltsrechtliche Behandlung der vom Angeklagten geltend gemachten, weder im angefochtenen Urteil noch in der Revisionsbegründung bezifferten Hausschulden durch die Strafkammer.

Das Berufungsgericht führt hierzu aus, es habe den "fiktiven Mietwert bei ... diesem ... selbstgenutzten Anwesen" und die den "Wohnwert übersteigenden Ratenzahlungen (entsprechend der Vorgabe des von ihr beigezogenen Sachverständigen) ... nicht berücksichtigt", weil "diese Aufwendungen nicht prägend gewesen" seien.

Damit setzt sich die Strafkammer in Widerspruch zu ihren Feststellungen, wonach dieses Haus nicht nur als Privatwohnung des Angeklagten sowie der weiteren Angehörigen seines jeweiligen Hausstandes diente, sondern vom Zeitpunkt der Anschaffung an gleichzeitig zumindest auch Kanzleisitz war, möglicherweise - was noch zu klären ist - auch Basis seiner gewerblichen Tätigkeit, zu einem bestimmten, im einzelnen noch zu klärenden Anteil also der Erzielung von Erwerbseinkünften diente, aus denen die Strafkammer auf der Grundlage - widersprüchlich - festgestellter "Entnahmen" letztlich eine partielle Leistungsfähigkeit des Angeklagten und damit eine Unterhaltspflichtverletzung im Sinne des § 170 StGB herleitet.

Wenn und soweit dieses Haus Erwerbszwecken diente, sind aber die dafür erbrachten Aufwendungen, neben den laufenden Betriebskosten zumindest die Kapitalkosten und der Erhaltungsaufwand, als berufsbedingte Werbungskosten zu berücksichtigen.

Sollte die Anschaffung dieses Hauses - was ebenfalls noch zu klären ist - die Erschließung zusätzlicher Erwerbsquellen bezweckt haben, wäre darüber hinaus auch die Berücksichtigung von - angemessenen - Tilgungsleistungen in Betracht zu ziehen (Palandt aaO Rn. 25 m.w.N.).

Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Feststellungen hierzu ergeben sollten, dass dieser Hauskauf aufgrund der Gesamtsituation des Angeklagten von vornherein objektiv wirtschaftlich unvernünftig war bzw. die Beibehaltung des Hauses nach Auflösung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft des Angeklagten Ende 1991/Anfang 1992 unwirtschaftlich wurde. Die Anmerkung der Strafkammer auf S. 10 (Abs. 3) zur Einlassung des Angeklagten nach der Beweisaufnahme scheint darauf hinzudeuten, dass eine solche unterhaltsrechtlich relevante Unwirtschaftlichkeit dieses Hauskaufs von Anfang an bestand und dem Angeklagten auch bewusst war.

Unabhängig davon ist vor der erneuten Entscheidung zu prüfen, ob und in wieweit sich der Angeklagte im fraglichen Zeitraum um eine den Interessen der ihm gegenüber Unterhaltsberechtigten gerechtwerdende Streckung der hausbezogenen Verpflichtungen bemühte, wozu er familienrechtlich verpflichtet war (Palandt aaO Rn. 25 f., 27 m.w.N.).

Im übrigen ist bei der erneuten Entscheidung dann, wenn nach dem Ergebnis der noch durchzuführenden Beweisaufnahme wiederum nur eine gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB (i.V.m. §§ 1615a, f, h BGB a.F.) bestehende Unterhaltspflicht des Angeklagten festgestellt wird zu erwägen, ob und in wieweit andere Verwandte des betroffenen Kindes diesem gegenüber nach § 1603 Abs. 3 Satz 2 BGB im fraglichen Zeitraum vorrangig zu Unterhalt verpflichtet waren. Hierzu geben insbesondere die Feststellungen der Strafkammer zu den Unterhaltsleistungen der Großeltern des betroffenen Kindes gegenüber dessen Mutter Anlass (BU S. 6; BayObLGSt 1961, 260/262).

Das Berufungsurteil bietet demnach wegen seiner vielfachen Lücken und Widersprüche bei der Feststellung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten keine tragfähige Grundlage für einen Schuldspruch wegen Unterhaltspflichtverletzung und war deshalb insoweit aufzuheben (§§ 337, 353 Abs. 1 StPO).

Damit entfällt auch die Grundlage für die diesbezüglich festgesetzte Einzelstrafe und für den Gesamtstrafenausspruch.

Da die von der Strafkammer bezüglich des aufrechterhaltenen Schuldspruchs wegen Körperverletzung und Beleidigung ausgeworfene Geldstrafe unvollständig ist, weil die Strafkammer keine Tagessatzhöhe festgesetzt hat, erschien es sachgerecht, den Rechtsfolgenausspruch deshalb insgesamt aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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