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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.06.2001
Aktenzeichen: 5 St RR 138/01
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 55 Abs. 1
Zu Fragen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung
Tatbestand:

Das Amtsgericht Mb. verurteilte die Angeklagte am 28.3.2000 wegen Betrugs "unter Auflösung der Gesamtstrafe des Amtsgerichts M. vom 14.2.2000 von neun Monaten und unter Einbeziehung der verhängten Einzelstrafe von zwei Monaten und der (drei) Einzelstrafe(n) des Urteils des Amtsgerichts Mb. vom 8.2.1999 von jeweils sechs Monaten zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten". Die dagegen gerichteten, jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten verwarf das Landgericht mit Urteil vom 6.3.2001.

Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Die Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Umfang der Revision., weil die Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Grundlagen der Strafzumessung lückenhaft sind und der angegriffene Rechtsfolgenausspruch deshalb vom Revisionsgericht nicht zuverlässig auf etwaige Rechtsfehler überprüft werden kann.

Auf die Sachrüge hat das Revisionsgericht grundsätzlich auch - und zwar ausschließlich anhand des Berufungsurteils (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 337 Rn. 22 m. w. N.) - zu prüfen, ob der Tatrichter bei der Strafzumessung § 55 StGB richtig angewendet hat (BGHSt [GrS] 12, 1). Der Tatrichter muss deshalb in den Urteilsgründen stets die nach Sachlage für eine Gesamtstrafenbildung relevanten Tatzeiten angeben und außerdem feststellen, wann in für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung in Betracht kommenden früheren Verfahren die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten, wobei auch ein etwaiges Berufungsverfahren von Bedeutung ist (§ 55 Abs. 1 Satz 2 StGB; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 55 Rn. 6, 7, jeweils m. w. N.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht.

Im Hinblick auf § 55 StGB hat das Landgericht zunächst festgestellt.

"Strafrechtlich ist die Angeklagte wie folgt in Erscheinung getreten (nach Maßgabe des vorliegenden BZR-Auszugs):

8. 20.7.1995 AG W. - Az ... rechtskräftig seit 1.3.1996

Tatbezeichnung: Zwei in Tatmehrheit stehende Vergehen des Betrugs

19 Monate Freiheitsstrafe

5 Jahre Bewährungszeit

...

9. 28.8.1996 AG M. - Az ... rechtskräftig seit 28.8.1996

Tatbezeichnung: Untreue

Datum der letzten Tat: 21.8.1992

angewendete Vorschriften: StGB § 266 Abs. 1, § 56

1 Jahr-8 Monate Freiheitsstrafe

4 Jahre Bewährungszeit

einbezogen wurde die Entscheidung vom 20.7.1995,

- AG Wolfratshausen -;

10. 8.2.11999 AG Mb. Az ..... rechtskräftig seit 16.2.1999

Tatbezeichnung: Betrug in 3 Fällen

Datum der (letzten) Tat: 2.9.1995

angewendete Vorschriften: StGB § 263 Abs. 1, § 56, § 53

8 Monate Freiheitsstrafe

3 Jahre Bewährungszeit

..."

Nach den weiteren Ausführungen des Tatrichters wurde das Urteil des Amtsgerichts Mb. vom 8.2.1999 [Tatzeiten der drei Betrugsdelikte: "Anfang August 1995" bzw. "am 11.(?: anders in BZR-Nr. 10: letzte Tat: 2.9.1995)9.1995" und "am 2.9.1995"; Einzelstrafen: jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe] "zwischenzeitlich einbezogen in eine Entscheidung des Amtsgerichts M. unter Aktenzeichen: 832 Ds... zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten".

Gegenstand des Verfahrens des Amtsgerichts M. war ein "zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 1.7.1997 und dem 26.3.19970 begangenes Vergehen des Diebstahls, welches das Amtsgericht mit einer Einzelstrafe von zwei Monaten ahndete.

Für das im vorliegenden Verfahren abzuurteilende Vergehen des Betrugs verhängte der Tatrichter eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Hieraus bildete er unter Auflösung der vom Amtsgericht M. im Verfahren Az. 832 Ds... nachträglich gebildeten Gesamtstrafe sowie unter Einbeziehung der in den Urteilen des Amtsgerichts Mb. vom 8.2.1999 (dreimal sechs Monate Freiheitsstrafe) und des Amtsgerichts M. im zitierten Verfahren (zwei Monate Freiheitsstrafe) erkannten Einzelstrafen eine neue Gesamtstrafe von zwei Jahren sieben Monaten Freiheitsstrafe.

Dem angefochtenen Urteil ist jedoch nicht zu entnehmen, wann in dem nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nach erstinstanzlicher Entscheidung am 20.7.1995 erst am 1.3.1996 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren des Amtsgerichts W. die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB letztmals geprüft werden konnten, weil hierfür auch ein Berufungsurteil in Betracht kommt.

Das angefochtene Urteil lässt auch nicht erkennen, ob die vom Amtsgericht M. mit Urteil vom 28.8.1996 nachträglich gebildete Gesamtstrafe (BZR-Nr. 8 und 9) im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Zeit der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts bereits erledigt war; Anlass zur diesbezüglichen Prüfung besteht schon deshalb, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die vom Amtsgericht M. am 28.8.1996 bestimmte und am selben Tag in Lauf gesetzte vierjährige Bewährungsfrist bereits mit dem 27.8.2000 abgelaufen ist.

Das angefochtene Berufungsurteil enthält darüber hinaus nicht einmal Feststellungen zum Zeitpunkt der Begehung und insbesondere der Beendigung des im vorliegenden Verfahren abzuurteilenden Betrugsdelikts und lässt außerdem den Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts M. im erwähnten Verfahren Az. 832 Ds... und insbesondere Angaben zum Rechtskrafteintritt vermissen.

Auf die genaue Angabe dieser Daten kommt es für den Rechtsfolgenausspruch in vorliegender Sache wegen der besonderen Konstellation der vom Berufungsgericht festgestellten Tat- und Urteilszeitpunkte aber an.

Sollte nämlich die vom Amtsgericht M. am 28.8.1996 erkannte nachträgliche Gesamtstrafe noch nicht erledigt sein, wofür die Feststellungen des Berufungsgerichts anhand des vorliegenden BZR-Auszugs sprechen, und im Verfahren gemäß BZR-Nr. 8 ein Berufungsurteil nach dem 2.9.1995 ergangen sein, was aufgrund des erst per 1.3.1996 festgestellten Rechtskrafteintritts bei erstinstanzieller Erledigung der Sache bereits am 20.7.1995 zumindest nicht fern liegt, dann durften die vom Amtsgericht Mb. mit Urteil vom 8.2.1999 verhängten Einzelstrafen von dreimal sechs Monaten Freiheitsstrafe nicht zu einer Gesamtstrafenbildung mit der in vorliegender Sache verhängten zweijährigen (Einzel)-Freiheitsstrafe und der vom Amtsgericht M. (mit Urteil vom 14.2.2000) verhängten Einzelstrafe von zwei Monaten Freiheitsstrafe herangezogen werden; vielmehr wären dann unter Auflösung der vom Amtsgericht M. am 28.8.1996 gebildeten nachträglichen Gesamtstrafe eine neue Gesamtstrafe aus den in den Verfahren gemäß BZR-Nr. 8, 9 und 10 erkannten Einzelstrafen sowie eine weitere Gesamtstrafe aus den vom Amtsgericht M. (rechtskräftig?) mit Urteil vom 14.2.2000 sowie vom Tatrichter in vorliegender Sache erkannten Einzelstrafen zu bilden.

Nach § 55 Abs. 1 StGB ist nämlich eine Gesamtstrafe stets dann zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe erledigt ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Wie dabei zu verfahren ist, entscheidet ausschließlich die materiell-rechtliche Regelung (§§ 53, 54 StGB), nicht die verfahrensrechtliche Situation. § 5S StGB ermächtigt und verpflichtet den Tatrichter, auch in etwaige rechtskräftige frühere Gesamtstrafen einzugreifen. Die Rechtskraft eines Urteils, das unter Missachtung der Zäsurwirkung eines früheren Urteils rechtsfehlerhaft eine oder mehrere Gesamtstrafen gebildet hat, steht bei weiterer nachträglicher Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB der dann gebotenen Korrektur nicht entgegen.

Auch der bloße Ablauf einer im vorausgegangenen Urteil bestimmten Bewährungszeit hindert die Einbeziehung einer solchen Verurteilung in eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe nicht. Vielmehr ist bei späterer Aburteilung früher begangener Straftaten auch in solchen Fällen die fehlerhaft gebildete Gesamtstrafe aufzulösen und die Gesamtstrafenbildung insgesamt neu vorzunehmen (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 - "Strafen, einbezogene" 7, 4 und 2 sowie "Einbeziehung" 1 und 2, "Ablauf der Bewährungszeit"; vgl. ferner Tröndle/Fischer § 55 Rn. 6 ff. und Schönke/Schröder/Stree StGB 26. Aufl. § 55 Rn. 35 ff., jeweils m. w. N.).

Nach diesen Kriterien bildet in vorliegender Sache die letzte tatrichterliche Entscheidung im Verfahren gemäß BZR-Nr. 8 die erste Zäsur im Sinne des § 55 StGB, wenn die gemäß BZR-Nr. 9 gebildete Gesamtstrafe zur Zeit der angefochtenen Berufungsentscheidung noch nicht erledigt war. Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass eine unter Verletzung des § 55 StGB unterbliebene Bildung einer oder mehrerer Gesamtstrafen unter Einbeziehung von BZR-Nr. 8, 9 auch dann nachzuholen wäre, wenn die Erledigung dieser Strafe zwischenzeitlich eingetreten sein sollte (Tröndle/Fischer § 55 Rn. 6 m. w. N.).

Der Verurteilung der Angeklagten durch das Amtsgericht Mb. vom 8.2.1999 kommt dann die Wirkung einer weiteren Zäsur hingegen nur zu, wenn die dort abgeurteilten Taten oder einzelne hiervon erst nach der letzten tatrichterlichen Sachentscheidung im Verfahren gemäß BZR-Nr. 8 begangen wurden. Es ist deshalb erforderlich festzustellen, ob und gegebenenfalls wann in jenem Verfahren nach der erstinstanzlichen Entscheidung vom 20.7.1995 die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen erneut tatrichterlich geprüft wurden.

Bei einer Berufungsentscheidung nach Beendigung auch nur einer der vom Amtsgericht Mb. am 8.2.1999 abgeurteilten drei Betrugsdelikte (gemäß BZR-Nr. 10 Datum der letzten Tat: 2.9.1995) wäre die vom Tatrichter vorgenommene Gesamtstrafenbildung unter Verstoß gegen § 55 StGB (§ 337 StPO) zustande gekommen.

Eine abschließende Beurteilung durch das Revisionsgericht lassen die lückenhaften Feststellungen des Tatrichters zu den Grundlagen seines Rechtsfolgenausspruchs nicht zu. Insbesondere vermag der Senat aufgrund der Datenkonstellation auch nicht auszuschließen, dass eine fehlerhafte und die Angeklagte beschwerende Gesamtstrafenbildung vorliegt. Letzteres gilt auch im Hinblick auf die im vorliegenden Verfahren abzuurteilende Straftat, zu deren Tatzeit [Beendigung] das Berufungsurteil keinerlei Feststellungen enthält; der vom Tatrichter erwähnte Zeitpunkt des Beginns der Verzinsungspflicht (15.8.1996) lässt allenfalls vermuten, dass dieses Vergehen zu irgendeinem Zeitpunkt im Verlauf des Jahres 1996 begangen wurde. Die die alleinige Grundlage der revisionsrichterlichen Überprüfung bildende Urteilsurkunde lässt folglich nicht einmal ausschließen, dass auch diese Straftat vor der letzten tatrichterlichen Entscheidung zu BZR-Nr. 8, für die nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts als spätester Zeitpunkt der 1.3.1996 in Betracht kommt, begangen worden ist und deshalb mit den - ebenfalls nicht festgestellten - Einzelstrafen aus der Verurteilung gemäß BZR-Nr. 8 gesamtstrafenfähig ist.

Ende der Entscheidung

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