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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 06.11.2001
Aktenzeichen: 5 St RR 288/01
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a
StGB § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d
Zur Frage des Verbreitens einer Schrift im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 a StGB.
Tatbestand:

Der Angeklagte betrieb als Schüler und Wehrdienstleistender (Abitur Juli 1999, Wehrdienst bis 15.2.2000) seit Dezember 1997 ein Gewerbe als selbständiger CD-Verkäufer. In diesem Gewerbe verkaufte er im Jahr 1998 etwa 150 CD' s, 1999 und 2000 jeweils etwa 250 CD' s.

Im Rahmen dieser Tätigkeit bestellte der Angeklagte am 10.6.1998 bei dem Versandhandel "Ohrwurmversand" telefonisch und per Nachnahme insgesamt 28 CD' s verschiedener Titel, darunter drei Exemplare einer CD mit der Bezeichnung "Sampler DDK (Die Deutschen kommen)" zum Einzelpreis von jeweils 20,90 DM. Beim anschließenden Abhören kurz nach der Lieferung (Rechnung vom 10.6.1998) im Juni 1998 erkannte der Angeklagte, dass der 11. Titel dieser CD mit der Bezeichnung "Hauptkampflinie: Titel... raus!" nationalsozialistisches und volksverhetzendes Gedankengut enthielt.

Die CD' s aus dieser Bestellung hatte der Angeklagte zum großen Teil weiterverkauft. Was er mit zwei der drei zum Weiterverkauf bestimmten Exemplare der CD "Die Deutschen kommen" in der Folgezeit gemacht hatte, konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls hielt er ein Exemplar dieser CD trotz Kenntnis des nationalsozialistischen und volksverhetzenden Gedankengutes des 11. Titels der CD auch noch im Juni 2000 in seiner Wohnung vorrätig, um auch diese CD weiterzuverbreiten. Dort wurde sie bei einer am 14.6.2000 durchgeführten Wohnungsdurchsuchung gefunden und sichergestellt.

Das Amtsgericht - Jugendrichter - verurteilte den Angeklagten am 22.2.2001 unter Anwendung von Erwachsenenstrafrecht wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1 d i.V.m. Nr. 1 a StGB zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen a_ 20 DM. Die dagegen gerichteten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, die ihre Berufung auf die Rechtsfolgen beschränkt hatte, verwarf das Landgericht - Jugendkammer - am 6.6.2001 als unbegründet, mit der Maßgabe, dass die sichergestellte CD "Die Deutschen kommen" eingezogen wird. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt die Jugendkammer aus, dass sie die Einlassung des Angeklagten, er habe zwei CD' s, nachdem er Kenntnis vom Text des 11. Titels der CD genommen hatte "und sich nicht strafbar machen wollte" weggeworfen, für unglaubhaft hält. Was er mit diesen beiden Exemplaren wirklich gemacht habe, stehe nicht fest. Nach menschlichem Ermessen habe er sie verkauft oder gegebenenfalls auch unentgeltlich an Gesinnungsgenossen weitergegeben.

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung führt die Jugendkammer aus, der Angeklagte habe jedenfalls das dritte Exemplar vorrätig gehalten, um es zu verbreiten. "Er wollte es weiterverkaufen und zwar an einen x-beliebigen Interessenten".

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Die Feststellungen der Jugendkammer tragen den Schuldspruch wegen Volksverhetzung durch Vorrätighalten von Schriften, um sie zu verbreiten, die zum Hass gegen eine nationale und rassisch bestimmte Gruppe aufstacheln und zu Gewaltmaßnahmen gegen sie auffordern, gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1 d i.V.m. mit Nr. 1 a StGB, nicht.

Zu Recht hat die Jugendkammer den in den Urteilsgründen im übrigen wiedergegebenen Inhalt des 11. Titels der CD "Die Deutschen kommen" als volksverhetzend im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB beurteilt, weil die CD als Schrift im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB zum Hass gegen die Volksgruppe der Türken aufstachelt und zu Gewaltmaßnahmen gegen sie auffordert (Tröndle/ Fischer StGB 50. Aufl. § 130 Rn. 9, 11, 13).

Die Strafkammer hat auch zu Recht angenommen, dass für das Tatbestandsmerkmal des "Vorrätighaltens" der Besitz eines Exemplars, um die Schrift zu verbreiten, genügt. Ausreichend ist auch der Besitz eines Exemplars, mit dem eine Verbreitung durch andere ermöglicht werden soll (RGSt 42, 209/210; RGSt 62, 396; Tröndle/Fischer 184 Rn. 30; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron StGB 26. Aufl. 184 Rn. 46).

Sie hat aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass der Angeklagte diese Schrift im Sinne des § 130 StGB "verbreiten" wollte.

Verbreiten bedeutet die mit einer körperlichen Weitergabe der Schrift verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen, wobei dieser nach Zahl und Individualität so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist (BGHSt 13, 257/258; BayObLG NStZ 1996.- 436/437; StV 2001, 16/17). Dabei reicht schon die Weitergabe eines Exemplars der Schrift aus, wenn dies mit dem Willen geschieht, der Empfänger werde die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen (BayObLGSt 1979, 71/72) oder der Täter mit einer Weitergabe an eine größere nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet (BayObLG NStZ 1983, 120/121; BGHSt 19, 63/71; Schönke/Schröder/ Lenckner/Perron § 184 Rn. 57; TrÖndle/Fischer § 74 d Rn. 4). Bei der Mengenverbreitung, d.h. der Aushändigung einer Vielzahl gleicher Exemplare an verschiedene Abnehmer wird bereits verbreitet, wenn der Täter das erste Exemplar einer Mehrzahl von ihm zur Verbreitung bestimmter Schriften an einen einzelnen Bezieher abgegeben hat (RGSt 42, 209/210; BGH NJW 1999, 1979/1980; strenger Franke GA 1984, 459, 470. "mindestens drei"). Voraussetzung ist aber immer, dass an einen größeren individualisierten und nicht (vom Täter) kontrollierbaren Personenkreis weitergegeben wird oder weitergegeben werden soll.

Solche Feststellungen, die geeignet wären, die in diesem Sinne erforderliche Verbreitungsabsicht des Angeklagten zu belegen, hat das Gericht nicht getroffen. Sie lassen sich auch nicht daraus schließen, dass das Gericht ausgeführt hat, dass der Angeklagte (nebenberuflich) einen CD-Handel betrieb und in diesem Rahmen in den Jahren 1998 bis 2000 eine gewisse Anzahl von CD' s verkauft hatte. Feststellungen zur Art und Weise dieses Handels, zum Vertrieb, zum Empfängerkreis fehlen. Die nicht weiter begründeten Annahme in der rechtlichen Würdigung, der Angeklagte habe die CD an einen x-beliebigen Interessenten weiterverkaufen wollen, wird durch die getroffenen Feststellungen nicht gestützt. Solche wären aber erforderlich gewesen, um nachvollziehen zu können, ob es sich bei den "Kunden" des Angeklagten um einen individualisierten größeren Personenkreis handelte, den der Angeklagte nicht (mehr) kontrollieren konnte.

Das Gericht hat ausdrücklich ausgeführt, dass es nicht klären kann, was mit den beiden nicht mehr aufgefundenen Exemplaren geschehen ist. Soweit sich aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils die Überzeugung der Strafkammer ergibt, dass der Angeklagte diese weiterverkauft oder unentgeltlich an Gesinnungsgenossen abgegeben, er diese beiden Exemplare also nicht weggeworfen hat, reicht dies auch im Zusammenhang mit den sonst getroffenen Feststellungen weder zur Annahme des Beginns des Vertreibens an einen größeren Personenkreis aus, noch lässt sich daraus auf die Verbreitungsabsicht hinsichtlich des dritten Exemplars schließen. Zwar muss ein vom Tatgericht gezogener Schluss nur möglich, nicht zwingend sein (KK/Engelhardt StPO 4. Aufl. § 261 Rn. 3), er muss sich aber für das Revisionsgericht als nachvollziehbar darstellen (KK/Engelhardt Rn. 45). Daran fehlt es, wenn das Urteil - wie hier - dazu keine tatsächlichen Feststellungen enthält. Die "Überzeugung" des Gerichts stellt deshalb letztlich eine bloße Vermutung dar; nur mögliche Schlussfolgerungen können dann die angebliche Überzeugung nicht begründen (KK/Engelhardt aaO; BGHR StPO § 261 Vermutung 1). Ob es sich bei den Beziehern um Personen aus einem größeren Personenkreis handelt, die x-beliebige Empfänger waren, oder zumindest um solche, bei denen der Angeklagte damit rechnete, dass sie ihrerseits die CD weiterverbreiten würden, bleibt völlig offen. Solche Feststellungen sind aber sowohl bei der Mengenverbreitung wie auch der Kettenverbreitung (zum Unterschied vgl. Keltsch NStZ 1983, 121/122) unabdingbar. Soweit Keltsch unter Hinweis auf RGSt 36, 330/331 und BGHSt 13, 257/258 auch die Weitergabe an einen bestimmten Erwerber aus einem nach Zahl und Individualität genau bestimmten Personenkreis ausreichen lässt, macht dies tatsächliche Feststellungen zur Verbreitungsabsicht in einem größeren Personenkreis nicht entbehrlich (RGSt 36, 330/331). Die Weitergabe an einzelne bestimmte Dritte allein, vermag das Merkmal des Vertreibens nicht zu erfüllen (RGSt 71, 347; OLG Köln OLGSt a.F. § 186 S. 14), wenn dazu nicht weitere Feststellungen kommen, dass der Dritte seinerseits die Schrift an weitere Personen überlassen wird (BayObLGSt 1963, 37/38; 1951, 417/422).

Soweit das Tatgericht die Verurteilung ausdrücklich auf das "Vorrätighalten" nur der dritten CD stützt, enthält es im übrigen keinerlei Feststellungen dazu, wie das "Verbreiten" des beim Angeklagten noch sichergestellten Exemplars nach dessen Vorstellungen insoweit erfolgen sollte (etwa als Muster zur Bestellung [vgl. RGSt 62, 3961, sei es, dass der Angeklagte dann seinerseits Bestellungen tätigt und liefert oder, dass er selbst Kopien der CD herstellt und weitergibt).

Ende der Entscheidung

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