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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 27.11.2003
Aktenzeichen: 5 St RR 300/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 55 Abs. 1
StGB § 56 Abs. 2
StGB § 56 Abs. 3
StGB § 58 Abs. 1
1. Für die Entscheidung, ob die Vollstreckung einer (nachträglichen) Gesamtstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, ist es erforderlich, alle der Gesamtstrafe zu Grunde liegenden Einzeltaten in die Prüfung einzubeziehen.

2. Zwar müssen die besonderen Umstände des § 56 Abs. 2 StGB nicht für jede Einzeltat vorliegen, es ist auch unerheblich, ob die eine oder andere Einzeltat die Vollstreckung nicht gebietet, jedoch ist es bei der jeweils vorzunehmenden Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit rechtsfehlerhaft, bei der Bewertung nur auf eine der Taten abzustellen und die übrigen außer Betracht zu lassen. Dass der Tatrichter diese Gesamtbetrachtung vorgenommen hat, hat er, jedenfalls in einem Fall, in dem die der Gesamtstrafe zu Grunde liegenden Taten jeweils mit Freiheitsstrafen geahndet werden mussten, in den Urteilsgründen darzulegen.


Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 5.11.2002 wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil eines anderen Amtsgerichts vom 12.3.2002 von einem Jahr, drei Monaten und drei Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, wobei es hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr erkannte.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht mit der Maßgabe, dass die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Gegen dieses Urteil wandte sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkten Revision und rügte die Verletzung materiellen Rechts. Die wirksam auf die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft (§ 344 Abs. 1 StPO) hatte zumindest vorläufig Erfolg.

Gründe:

1. Die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann diese Entscheidung nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen (BGHSt 6, 391/392). Auch wenn das Revisionsgericht die Prognoseentscheidung des Tatgerichts für fragwürdig und die Auffassung der Anklagebehörde für überzeugender hält, hat es die subjektive Wertung der Strafkammer, soweit sie vertretbar ist und deshalb neben anderen abweichenden Meinungen als gleich richtig zu bestehen vermag, auch dann hinzunehmen, wenn eine zum entgegengesetzten Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre (BGH NJW 1978, 599; NStZ 1990, 334). Der Senat hat, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, die Ermessensentscheidung des Tatrichters bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren, da allein der Tatrichter aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten sich eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird. Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt jedoch dann vor, wenn die Begründung der Strafkammer zur Strafaussetzung nicht nachprüfbar dargestellt oder unzureichend ist (Schönke/ Schröder/Stree StGB 26. Aufl. § 56 Rn. 50). Dabei ist der Tatrichter allerdings nicht gehalten, eine erschöpfende Darstellung aller irgendwie mitsprechenden Erwägungen vorzunehmen (KK/Engelhardt StPO 5. Aufl. § 267 Rn. 24; BGH StV 1994, 126).

1.1 Diese Grundsätze gelten auch für die Frage, ob nach § 56 Abs. 2 StGB bei günstiger Sozialprognose besondere Umstände in der Tat und Persönlichkeit des Angeklagten vorliegen. Auch diese Beurteilung durch den Tatrichter ist revisionsrechtlich nur beschränkt nachprüfbar und kann deshalb nur beanstandet werden, wenn die Gründe, auf die sich der Tatrichter stützt, nicht im Rahmen dessen liegen, was nach den Feststellungen über Tat und Täter sachlich noch vertretbar ist (Schönke/ Schröder/Stree aaO Rn. 27; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 56 Rn. 25; BGH NStZ 1982, 285/286).

1.2 Danach ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer hier eine positive Sozialprognose angenommen hat. Sie hat insbesondere nicht verkannt, dass bei einschlägigen oder gewichtigen und noch nicht lange zurückliegenden Vorstrafen es besonderer Umstände bedarf, um gleichwohl zu einer positiven Sozialprognose zu kommen (Tröndle/Fischer § 56 Rn. 6). Dass sie diese darin gesehen hat, dass

- der Angeklagte nunmehr eine feste persönliche Beziehung zu einer Partnerin eingegangen ist, die ihn von Discobesuchen abhält, die den Hintergrund sämtlicher bisheriger Tathandlungen gebildet haben,

- er seit November 2002 eine Aggressionstherapie begonnen hat und sich auch um eine Gruppentherapie bemüht, die er lediglich aus nicht in seiner Person liegenden Umständen bisher nicht antreten konnte und

- er offensichtlich durch die letzten beiden Hauptverhandlungen einen Reifeprozess durchgemacht habe,

hat das Revisionsgericht deshalb hinzunehmen. Auch die von der Strafkammer im Rahmen der Erörterung des § 56 Abs. 2 und 3 StGB ausgeführten Gesichtspunkte sind für sich gesehen vertretbar und deshalb nicht zu beanstanden. Insbesondere gebietet die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe in der Regel nicht, wenn die besonderen Umstände des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen (Schönke/Schröder/Stree § 56 Rn. 31).

2. Ein durchgreifender Rechtsfehler ist jedoch insofern gegeben, als die Strafkammer sowohl bei der Prüfung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, als auch bei der Prüfung, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung gebietet, nach den Urteilsausführungen lediglich auf die gegenständliche, am 12.2.2001 begangene, Straftat abgestellt hat und die den einbezogenen Strafen aus dem Urteil vom 12.3.2002 zugrunde liegenden Taten außer Betracht gelassen hat. Zwar ist der Tatrichter, wie bereits ausgeführt, nicht gehalten, sämtliche Erwägungen auch schriftlich darzulegen, jedoch ist jedenfalls in einem Fall, in dem eine Gesamtstrafe bei verschiedenen, jeweils für sich gesehen nicht unerheblichen Straftaten gebildet wurde, die jeweils mit Freiheitsstrafe geahndet werden mussten, deutlich zu machen, dass auch diese Taten bei der Entscheidung über die Aussetzung der Gesamtstrafe berücksichtigt worden sind.

2.1. Die Annahme besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB erfordert eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter (Schönke/Schröder/Stree § 56 Rn. 27). Wenn es auch nicht erforderlich ist, dass sowohl in der Tat wie auch in der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände liegen, ist gleichwohl eine Gesamtbetrachtung von Tat und Täterpersönlichkeit vorzunehmen (Schönke/Schröder/Stree aaO). Dies bedeutet, dass bei einer Gesamtstrafe in diese Bewertung auch alle der Gesamtstrafe zugrunde liegenden Taten einbezogen werden müssen (Schönke/Schröder/Stree § 58 Rn. 3; Tröndle/Fischer § 58 Rn. 2; BGHSt 25, 142 ff.).

2.2 Dies gilt auch für die Erwägungen im Zusammenhang mit § 56 Abs. 3 StGB. Auch insoweit ist zwar allein die Höhe der Gesamtstrafe von Bedeutung, gleichwohl ist eine Gesamtbetrachtung von Tat und Täterpersönlichkeit, hier unter dem Blickwinkel der Verteidigung der Rechtsordnung, erforderlich, die naturgemäß nicht nur auf eine der Taten beschränkt bleiben kann, sondern in einer Gesamtbewertung alle dem Urteil und der Gesamtstrafe zugrunde liegenden Taten zu berücksichtigen hat. Dass die eine oder andere Einzeltat die Vollstreckung für sich nicht gebietet, ist insofern unerheblich (LK/Gribbohm StGB 11. Aufl. § 58 Rn. 4).

Die Tatsache, dass die Strafkammer im Wesentlichen auf die zuletzt begangene Tat abgestellt hat, lässt besorgen, dass sie die Gesamtheit der Taten und die sich daraus ergebende Schuldschwere außer Acht gelassen hat. Zwar hat sie die "Häufung der Straftaten" angesprochen und ausgeführt, dass "nach der grundlegenden Wende des Angeklagten hin zu einem rechtstreuen Verhalten, keine Bedrohung des Rechtsfriedens mehr angenommen werden" (BU S. 26) könne, jedoch lässt sich nicht ausschließen, dass sie damit die zugrunde liegenden erheblichen Aggressionsdelikte lediglich unter dem Blickwinkel bewertet hat, ob der Angeklagte weiter eine Bedrohung darstellt, was bereits im Rahmen der Sozialprognose zu berücksichtigen war, nicht aber, ob das Rechtsempfinden der Allgemeinheit angesichts der Häufung und Erheblichkeit der Aggressionsdelikte bei einer Strafaussetzung zur Bewährung erschüttert werden könnte.



Ende der Entscheidung

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