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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.11.2003
Aktenzeichen: 5 St RR 301/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 1
1. Die Zulässigkeit der ausschließlich mit der Sachrüge begründeten Revision gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO hat zur Konsequenz, dass das angefochtene Urteil nach den allgemeinen Regeln der Sachrüge daraufhin zu überprüfen ist, ob der Tatrichter das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen und das Fehlen von Prozesshindernissen rechtsfehlerfrei festgestellt hat (im Anschluss an BGHSt 46, 230 f.; 21, 241 f.).

2. Dies gilt unabhängig davon, dass das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen und das Fehlen von Verfahrenshindernissen an sich schon von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen ist, also auch vom Revisionsgericht.


Tatbestand:

Mit Urteil vom 8.5.2003 verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Angeklagten gegen einen Strafbefehl nach §§ 412, 329 StPO. Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Passau mit Urteil vom 30.7.2003 gemäß § 329 Abs. 1 StPO. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision; er erhebt die Sachrüge und beanstandet auch die Verletzung formellen Rechts.

Gründe:

Die Revision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, obwohl diese nur zur Nachprüfung führt, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen bzw. Verfahrenshindernisse fehlen (BGHSt 46, 230 f.; 21, 242 f.).

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil dessen Gründe lückenhaft sind.

Die Strafkammer befasst sich in ihren Entscheidungsgründen ausschließlich damit, ob das Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ausreichend entschuldigt war, also mit den Voraussetzungen für den Erlass eines Prozessurteils nach § 329 Abs. 1 StPO (Verwerfung der Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache).

Das Berufungsurteil verhält sich jedoch nicht zu der Frage, ob beim Angeklagten - trotz dessen etwaiger Befähigung, im Hauptverhandlungstermin physisch präsent zu sein - die Voraussetzungen des § 20 StGB bestehen und in deren Folge dauernde Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 206a StPO vorliegt (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 205 Rn. 2). Zu diesbezüglichen Erwägungen bestand aber nach Aktenlage offensichtlich Anlass.

Ausweislich eines neueren BZR-Auszugs wurden in jüngerer Zeit von Staatsanwaltschaften jeweils Ermittlungsverfahren wegen Schuldunfähigkeit des Beschwerdeführers eingestellt.

Auch im vorliegenden Verfahren äußerte die Staatsanwaltschaft "erhebliche Zweifel" bezüglich der Schuldfähigkeit des Angeklagten und hielt die Einholung eines landgerichtsärztlichen Gutachtens zu dieser Frage für erforderlich. Zu dieser Begutachtung kam es nur deshalb nicht, weil der Angeklagte seine Mitwirkung hieran verweigert hatte.

Letzteres entbindet den Tatrichter jedoch nicht von der Verpflichtung, die etwaige Schuldunfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 20 StGB und das möglicherweise damit einhergehende Vorliegen eines dauernden Verfahrenshindernisses besonders sorgfältig zu prüfen, evtl. unter Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage unter Auswertung auch der aus dem Bundeszentralregister ersichtlichen relevanten Vorakten. Allein die Tatsache, dass das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen bzw. das Fehlen von Prozesshindernissen in jeder Lage des Verfahrens - also auch vom Revisionsgericht - von Amts wegen zu prüfen ist (Meyer-Goßner Einl. 150 m.w.N.), ändert nichts an der rechtlichen Notwendigkeit für den Tatrichter, diese Frage (Schuldfähigkeit) in seinem Verwerfungsurteil für eine entsprechende Überprüfung durch das Revisionsgericht nachvollziehbar zu begründen, wenn hierzu - wie ausgeführt - Anlass besteht.

Wenn - wie im vorliegenden Fall - davon auszugehen oder zumindest zu befürchten ist, dass der Tatrichter die erforderliche Überprüfung des Vorliegens eines Prozesshindernisses nicht oder rechtsfehlerhaft vorgenommen hat, bleibt der darin liegende durchgreifende Rechtsfehler unabhängig davon bestehen, ob das Revisionsgericht diese Prüfung selbständig vorzunehmen oder nur die entsprechende Entscheidung der Vorinstanz zu überprüfen hat.

Dies ergibt sich letztlich als Konsequenz aus der Zulässigkeit der Sachrüge bei der revisionsrechtlichen Überprüfung eines Verwerfungsurteils gemäß § 329 Abs. 1 StPO. Die danach anzustellende Sachprüfung geht nämlich ungeachtet der Tatsache, dass sie ein Prozessurteil zum Gegenstand hat, nicht ins Leere. Sie führt vielmehr zwangsläufig zu der Untersuchung, ob hier überhaupt das Ermittlungsverfahren in ein Strafverfahren übergeleitet bzw. ein solches fortgesetzt werden durfte.

Der Senat kann nach Sachlage nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht (§§ 267, 337 StPO).



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