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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 28.02.2002
Aktenzeichen: 5 St RR 355/01
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 86 a
Der Tatrichter muß eingehend begründen, warum seiner Meinung nach die von ihm festgestellte, aus geringfügigem Anlass erfolgte Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ausnahmsweise nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB widerspricht.
Tatbestand:

Am 4.2.2001 gegen 19 Uhr war der Angeklagte in der N. K.P. in angetrunkenem Zustand unterwegs.

Da er eine geöffnete Bierdose in der Hand hielt, in der K.P. jedoch durch städtische Satzung der Genuss von Alkohol verboten ist, wurde der Angeklagte von den Polizeibeamten M., W., Wo. und E. hierauf angesprochen und aufgefordert, die K.P. zu verlassen.

Im Anschluss an diese polizeiliche Kontrolle schrie der Angeklagte lauthals "Heil Hitler" und hob den ausgestreckten rechten Arm zum "Hitlergruß".

Bei der K.P. handelt es sich um den unterirdischen Zugang vom Hauptbahnhof N. in das Zentrum der Stadt in die K.-Straße. Sie wird von zahlreichen Passanten benutzt.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 28.6.2001 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 DM. Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten führte aus rechtlichen Gründen zur Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung und zum Freispruch des Angeklagten durch Urteil des Landgerichts vom 29.8.2001. Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Gründe:

Der Senat teilt den rechtlichen Ansatz des Berufungsgerichts nach Maßgabe der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (insbesondere BGHSt 28, 394/396; 25, 30). Danach gilt zunächst der Grundsatz, wonach - bei Vorliegen auch der weiteren Voraussetzungen des § 86a StGB - jedes irgendwie geartete Gebrauchmachen von einem NS-Kennzeichen den Tatbestand des § 86a StGB erfüllt und es nicht darauf ankommt, ob der festgestellten Verwendung des Kennzeichens ein für den Nationalsozialismus werbender Charakter zukommt.

Auch die bloße Unmöglichkeit, eine damit verbundene konkrete Gefährdung des politischen Friedens oder die naheliegende Möglichkeit einer solchen Gefährdung nachzuweisen, hindert eine Bestrafung nicht.

Der Bundesgerichtshof geht vielmehr in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass nach dem Willen des Gesetzgebers solche Kennzeichen allgemein aus dem öffentlichen Erscheinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland verbannt sein sollen, und hat von diesem Schutzzweck der Vorschrift her eine Ausnahme und damit eine Einschränkung des eingangs zitierten Grundsatzes nur bei einer Kennzeichenverwendung anerkannt, die dem Schutzzweck des § 86a StGB "ersichtlich nicht zuwiderläuft".

Das Berufungsgericht verweist insoweit zwar zu Recht darauf, dass diese Voraussetzung einer ausnahmsweise nicht im Sinne des § 86a StGB tatbestandsmäßigen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen beispielsweise dann gegeben sein kann, wenn das Verhalten des Angeklagten von objektiven Beobachtern ohne weiteres als bloßer Protest gegen unmittelbar vorausgegangenes Einschreiten von Polizeibeamten ihm gegenüber und damit gleichzeitig als Vorwurf gegen diese erkannt werden kann, sie seien im Begriff, sich nazistischer Methoden zu bedienen, womit letztlich seine Gegnerschaft zu den Methoden des nationalsozialistischen Regimes zum Ausdruck habe gebracht werden sollen.

Aus welchen Gründen in vorliegendem Fall für einen objektiven Beobachter eine derartige Protesthaltung des Angeklagten in seiner an sich im Sinne des § 86a StGB tatbestandsmäßigen Kennzeichenverwendung ohne weiteres erkennbar gewesen sein soll, lässt das angefochtene Urteil jedoch nicht erkennen.

Die Strafkammer stellt lediglich einen Tathergang fest, der keinerlei Anwendung unmittelbaren Zwangs oder von Gewalt schlechthin zu Lasten des Angeklagten erkennen lässt. Für einen objektiven Beobachter war nach diesen Feststellungen des Berufungsgerichts darüber hinaus auch kein sonstiges, irgendwie auch nur ansatzweise rechtsstaatlichem Verhalten zuwiderlaufendes Vorgehen der den - sich objektiv eindeutig rechtswidrig verhaltenden - Angeklagten kontrollierenden Polizeibeamten ersichtlich. Weshalb bei diesem offensichtlich rechtlich völlig einwandfreien polizeilichen Eingriff denkbar geringster Intensität die - in zudem ungeklärtem zeitlichen und örtlichen Abstand - daran anknüpfende Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen durch den Angeklagten sich einem objektiven Beobachter dennoch "ohne weiteres" als Protest gegen "nazistischen Methoden" ähnelndes vorausgegangenes Fehlverhalten von Polizeibeamten dem Angeklagten gegenüber erschließen können sollte, ist nach Maßgabe der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts zum Geschehensablauf schlechterdings nicht nachvollziehbar.

Der Senat schließt dabei nicht von vornherein aus, dass sich die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Einzelfall auch bei geringfügigem Anlass als Ausnahme vom Tatbestand des § 86a StGB darstellen kann. Dies bedarf dann aber einer eingehenden Begründung schon im Hinblick darauf, dass § 86a StGB auch verhindern will, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen - ungeachtet der damit verbundenen Absichten - sich beispielsweise als Form einer allgemein üblichen, selbst bei nichtigem Anlass gebräuchlichen Unmutsäußerung derart einbürgert, dass das eingangs zitierte Ziel des Gesetzgebers, solche Kennzeichen generell aus dem öffentlichen Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von Verfechtern politischer Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGHSt 25, 30/33).

Insoweit sind die Feststellungen des Berufungsgerichts lückenhaft - auch im Hinblick auf die Anwesenheit Dritter und deren Wahrnehmungsmöglichkeiten - und sie rechtfertigen den Freispruch des Angeklagten nach Maßgabe der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht.

Ende der Entscheidung

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