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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.01.2001
Aktenzeichen: 5 St RR 378/00
Rechtsgebiete: GG, StGB


Vorschriften:

GG Art. 5 Abs. 1
StGB § 193
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Beleidigung nach § 185 StGB durch ein ehrverletzendes Werturteil ausgesprochen wird.
BayObLG Beschluss

5 St RR 378/00

18.01.01

Tatbestand

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 8.9.1999 wegen übler Nachrede zur Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 100 DM. Die Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht mit Urteil vom 12.7.2000 als unbegründet. Mit der Revision rügte der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hatte teilweise Erfolg.

Aus den Gründen:

1. Gegenstand der Urteilsfindung ist nur die in der Anklage (hier Strafbefehl, § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO) bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt (§ 264 Abs. 1 StPO). Danach hat der Angeklagte als Prozessbevollmächtigter der Kläger in seiner Klageschrift vom 20.5.1998 zum Amtsgericht angeführt:

"Es handelt sich bei den auf der Gegenseite befindlichen Personen ausnahmslos um Kriminelle, die zur Verfolgung ihres Ziels, der Entmietung der Kläger, vor keinen Straftaten zurückscheuten. Dies betrifft auch den gegnerischen Prozessbevollmächtigten, der unter dem Deckmantel der Seriosität seinen hierzu nicht unerheblichen Beitrag leistete."

Nur insoweit ist im übrigen der erforderliche Strafantrag (§ 194 Abs. 1 StGB) gestellt worden, also die entsprechende Prozessvoraussetzung erfüllt.

Im Gegensatz hierzu hat das Landgericht dem Angeklagten neben dieser Äußerung zusätzlich zur Last gelegt, dass er "in dem von ihm verfassten Schriftsatz den gegnerischen Prozessbevollmächtigten als Urheber und Förderer der von ihm nachfolgend dargestellten Straftat des Diebstahls, der Sachbeschädigung und der Nötigung im Rahmen einer Schikane bezeichnen wollte".

Ein solchermaßen vom Angeklagten geäußerter Verdacht wird jedoch von der angezeigten und angeklagten Tat nicht umfasst; denn nach der dort bezeichneten Äußerung ist davon auszugehen, dass der Geschädigte wie die Beklagtenseite "auch" ein Krimineller sei, der zur Entmietung der Kläger vor keinen Straftaten zurückgescheut habe, ohne dass diese Straftaten im einzelnen nach Zahl, Art und Schwere benannt und ohne dass der Geschädigte der Anstiftung bezichtigt wurde.

Der "Beitrag" des Geschädigten zu den Straftaten besteht - wie vom Angeklagten geäußert und vom Landgericht insoweit richtig festgestellt - lediglich darin, dass der Geschädigte versucht habe, zum Nachteil der Mandanten des Angeklagten einen Prozessbetrug zu begehen, in dem er die Passivlegitimation bestritt.

Das Landgericht hat damit gegen § 264 Abs. 1 StPO verstoßen und ein in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. Einl. 150 m. w. N.) übersehen (§ 337 StPO). Da diese Rechtsfehler auch sachlich-rechtliche Mängel des Urteils darstellen (BGH StV 1981, 127/128; BGH NStZ 1983, 174/175; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 264 Rn. 12; KK/Engelhardt StPO 4. Aufl. § 264 Rn. 25), waren sie aufgrund der erhobenen Sachrüge zu beachten.

2. a) Zutreffend hat das Landgericht in der der Anklage zugrunde gelegten Äußerung des Angeklagten eine erhebliche Ehrverletzung des gegnerischen Prozeßbevollmächtigten gesehen. Auf eine ausdrückliche Subsumtion verzichtend ging das Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung von übler Nachrede (§ 186 StGB) aus und brachte damit zum Ausdruck, dass der Angeklagte in Bezug auf den gegnerischen Parteivertreter unwahre Tatsachen behauptet hat, die geeignet sind, diesen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.

b) Das Landgericht hat damit ohne weitere Begründung in den zu beanstandenden Passagen des Schriftsatzes jeweils eine Tatsachenbehauptung gesehen und dem Angeklagten dadurch den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG versagt. Angesichts der bestehenden Sachlage war dies jedoch keineswegs selbstverständlich und bedurfte daher der Erörterung.

Grundsätzlich steht die Auslegung mündlicher oder schriftlicher Erklärungen ausschließlich dem Tatrichter zu, soweit es sich nicht um eine Wortinterpretation handelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die verfassungsrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit auch dann verletzt sein, wenn der Tatrichter eine Äußerung zu Unrecht als Tatsachenbehauptung qualifiziert hat, weil der sich Äußernde aufgrund dieser Einordnung die Möglichkeit der Berufung auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit weitgehend verliert (vgl. BVerfG NJW 1990, 1980/1981; 1993, 1845/1846; BayObLGSt 1994, 152/153). Umgekehrt kann die Rechtsposition des Angeklagten auch durch die Annahme einer (bloßen) Meinungsäußerung beeinträchtigt sein, da das Fehlen eines jeglichen Tatsachenbezuges die Annahme von Schmähkritik erleichtert und im Rahmen der Abwägung der Wahrheitsgehalt von Tatsachen keine Berücksichtigung findet.

c) Im vorliegenden Fall ist die Äußerung durchaus auf Tatsachen gestützt. Der Angeklagte leitet die Vorwürfe gegen den Parteivertreter des Beklagten vor allem aus dem Umstand ab, dass dieser die Passivlegitimation des Beklagten bestritt und dadurch das Gericht darüber getäuscht habe, dass der Beklagte doch Eigentümer und damit Vermieter der Wohnung gewesen sei.

Hat der Angeklagte den Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs somit erkennbar auf einen Sachverhalt gestützt, so hat er mit dem zusammenfassend wertenden Urteil "kriminell" lediglich verkürzt einen Sachverhalt umschrieben. Damit hat er im Ergebnis ein tatsachenbezogenes negatives Werturteil aufgestellt, das in Anbetracht des zugrunde liegenden (unterstellt erweislich wahren) Sachverhalte jedoch nicht mehr angemessen bzw. adäquat ist (Wertungsexzeß, vgl. BayObLG NSU 1983, 265/266; 1983, 126/127; OLG Hamm NJW 1982, 659/661; S/S-Lenckner StGB 25. Aufl. § 193 Rn. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht Besonderer Teil Teilband 1 1988 S. 246/247). Ist der Grad der Unangemessenheit - wie hier - erheblich ("kriminell" statt beispielsweise "strafbar"), erhält das ehrverletzende Werturteil ein eigenes Gewicht, weil es sich von der Kritik des versuchten Prozessbetrugs deutlich absetzt, und ist nach dem Auffangtatbestand der Beleidigung im Sinne des § 185 StGB zu beurteilen.

Der hier in Rede stehende Wertungsexzeß mit einer nicht mehr tatsachenadäquaten Überbewertung wird durch den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB im Licht der Meinungsfreiheit gemäß § 5 Abs. 1 GG nicht mehr gedeckt.

Da der Angeklagte die zu beanstandende Äußerung in einer Klagebegründung nach rechtskräftig abgeschlossenem Verfügungsverfahren gemacht hat, war er nicht gezwungen, im Kampf um das Recht auf einen Angriff im kontradiktorischen verfahren mit sinnfälligen, drastischen, scharfen Formulierungen zu reagieren, in dem er zu einem Gegenschlag hätte ansetzen müssen, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt der ehrverletzende Angriff auf den Geschädigten nicht gerechtfertigt war.

Mit der sachverhaltsverkürzenden Wertung "Krimineller" ist damit die Grenze zur Formalbeleidigung Überschritten, so dass der Schutz des § 193 StGB auch insoweit nicht mehr greift.

d) Der Angeklagte hat sich einer Beleidigung (§ 185 StGB) schuldig gemacht, weil er mit der abwertenden Behauptung, es handle "sich bei den auf der Gegenseite befindlichen Personen ausnahmslos um Kriminelle... ", was "auch den gegnerischen Prozeßbevollmächtigten" betreffe, die Ehre des Geschädigten verletzt hat.

e) Soweit im übrigen dieser Beleidigung die sachlich substantiiert ausgeführte Behauptung des Angeklagten zugrunde liegt, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe (neben dem Beklagten) "ein Vergehen des versuchten (Prozeß-)Betrugs", strafbar nach § 263 StGB, "begangen", stellt dies einerseits eine Tatsachenbehauptung im Sinne der üblen Nachrede (§ 186 StGB) dar; andererseits steht in Ausführung der Rechte der Kläger zur Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen in der Klagebegründungsschrift ("Kampf um das Recht") dem Angeklagten insoweit der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zur Seite, so dass eine Strafbarkeit aufgrund dieser Ausführungen nicht vorliegt. Insoweit hat das Landgericht die Anwendung des § 193 StGB rechtsfehlerhaft verkannt.

3. Der Senat ist in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO in der Lage, auf die Sachrüge des Angeklagten in der Sache selbst zu entscheiden, da die Änderung des Schuldspruchs ohne Änderung oder Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen getroffen werden kann und der geänderte Schuldvorwurf bereits von der Anklage (Strafbefehl) erfasst ist (KK/Kuckein 4. Aufl. § 354 Rn. 15).

Eines rechtlichen Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedurfte es nicht, da dem Angeklagten eine andere Verteidigung als bisher nicht möglich ist; in seiner Revisionsbegründungsschrift und in seiner Erwiderung auf die Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft greift er die Feststellungen des Landgerichts nicht an, wonach er die inkriminierte Äußerung in der Klagebegründung gemacht habe. Wie oben bereits ausgeführt, versagt der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB bei der vom Angeklagten erhobenen (Formal-)Beleidigung.

4. a) Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler ist das landgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen samt der Kostenentscheidung aufzuheben (§ 353 StPO). Die Entscheidung ergeht einstimmig (§ 349 Abs. 4 StPO).

b) Die weitergehende Revision des Angeklagten wird einstimmig als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

c) Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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