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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 25.05.2000
Aktenzeichen: 5St RR 100/00
Rechtsgebiete: StGB, StPO
Vorschriften:
StGB § 56 Abs. 1 | |
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 |
5St RR 100/00
Bayerisches Oberstes Landesgericht
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Der 5. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat in dem Strafverfahren gegen
wegen Diebstahls
aufgrund der Hauptverhandlung in der öffentlichen Sitzung vom 25. Mai 2000, an der teilgenommen haben:
1. als Richter der Vorsitzende Richter Jaggy sowie die Richter Kehrstephan und Heiss,
2. als Beamter der Staatsanwaltschaft Oberstaatsanwalt Dr. Todd,
3. als Verteidiger Rechtsanwalt Waffenschmidt Erlangen,
4. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Amtsinspektor Wallner,
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. November 1999 im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den Feststellungen samt der Kostenentscheidung aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Erlangen verurteilte den Angeklagten am 17.3.1999 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Berufung des Angeklagten war erfolgreich; das Landgericht Nürnberg-Fürth bewilligte dem Angeklagten mit Urteil vom 8.11.1999 eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung und verwarf im übrigen die Berufung als unbegründet.
Gegen die Bewährungsbewilligung richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.
II.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, weil die Strafkammer die Anforderungen an eine günstige Täterprognose nach § 56 Abs. 1 StGB verkannt hat; die Urteilsgründe tragen die getroffene positive Prognoseentscheidung nicht.
1. Durch die wirksame Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung sind Schuld- und Strafausspruch des amtsgerichtlichen Urteils und die sie tragenden tatsächlichen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen und für das weitere Verfahren bindend.
Das Amtsgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Am 19.12.1998 tapezierte der Angeklagte in der Wohnung seiner Tochter in F das Kinderzimmer. Nachdem ihm die Tapetenrollen ausgegangen waren, begab sich der Angeklagte in die Geschäftsräume der Firma O in H, und kaufte dort weitere Tapetenrollen. Darüber hinaus steckte er zwei Rollen Tapetenbordüren im Gesamtwert von 33,80 DM ein und bezahlte diese an der Kasse nicht. Aus dem Berufungsurteil ergibt sich im Hinblick auf die Bewährungsfrage, daß die 16 Eintragungen aufweisende Strafliste 1973 mit einer Verurteilung wegen Diebstahls beginnt, der noch 12 weitere Verurteilungen wegen dieses Delikts folgten. Die Tat vom 19.12.1998 beging der Angeklagte während des Laufs von zwei Bewährungen: Sowohl eine Freiheitsstrafe von drei Monaten als auch eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten und zwei Wochen, auf die das Amtsgericht Erlangen mit Urteilen vom 15.11.1994 und 13.6.1995 jeweils wegen Diebstahls erkannt hatte, waren zur Bewährung ausgesetzt worden; die Bewährungszeiten waren bis Juni bzw. November 1999 verlängert worden. Zwischen der letztgenannten Strafaussetzung und der verfahrensgegenständlichen Tat wurde der Angeklagte am 16.9.1997 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 DM verurteilt.
2. Für eine günstige Täterprognose nach § 56 Abs. 1 StGB kommt es auf eine für den Zeitpunkt der tatrichterlichen Verhandlung zu bejahende Erwartung straffreier, das heißt, einer die Strafgesetze allgemein respektierenden künftigen Lebensführung an, wobei für diese Erwartung wenigstens eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit sprechen muß (Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 56 Rn. 8 m. w. N.). Hierzu hat der Tatrichter eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, welche Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen, wobei mit besonderer Sorgfalt vorzugehen ist, wenn der Täter einschlägig oder gewichtig vorbestraft und Bewährungsversager ist (Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 56 Rn. 6 b m. w. N.). In einem solchen Fall bedarf es - wie die Berufungskammer zutreffend ausgeführt hat - besonderer Feststellungen, um gleichwohl zu einer positiven Prognose zu kommen. Diese Beurteilung obliegt zwar grundsätzlich dem Tatrichter. Hält dieser aber trotz der negativen strafrechtlichen Vergangenheit und des doppelten Bewährungsversagens des Angeklagten die Durchführung einer erneuten Probation für gerechtfertigt, so bedarf es im Einzelfall einer besonders eingehenden, revisionsrechtlich nachprüfbaren Begründung, weshalb dem Angeklagten, im Gegensatz zu der in Fällen dieser Art üblicherweise zu stellenden negativen Prognose, ein erneuter Vertrauensvorschuß eingeräumt werden soll.
3. Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
Die Berufungskammer führt aus, sie sei überzeugt, daß der Angeklagte sich nun die Verurteilung schon zur Warnung dienen lasse und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde. Diese "Überzeugung" leitet die Strafkammer im wesentlichen aus den Ausführungen des als sachverständigen Zeugen gehörten Diplompsychologen Dr. S und aus den Darlegungen des Sachverständigen Dr. med. L ab.
Nach den Urteilsfeststellungen bekundete Dr. S, der Angeklagte sei bei ihm seit 12.4.1999 in Behandlung und absolviere gegenwärtig eine Verhaltenstherapie. Nach fünf probatorischen Sitzungen habe der Angeklagte bislang etwa 25 Einheiten à 50 Minuten einer Kurzzeittherapie absolviert. Diese habe sich so entwickelt, daß für den Angeklagten eine anschließende Langzeittherapie von etwa 60 bis 70 weiteren Gesprächseinheiten von der Krankenkasse des Angeklagten bereits genehmigt worden sei. Diese Langzeittherapie stehe jetzt an. Er wisse, daß der Angeklagte bereits einmal eine Therapie absolviert habe und diese keinen durchgreifenden Behandlungserfolg gehabt habe. Das von ihm, dem sachverständigen Zeugen, bei dem Angeklagten angewendete psychopathologische Behandlungskonzept sei geeignet, den Angeklagten endgültig zu künftigem, gesetzestreuem Verhalten anzuleiten. In der von ihm durchgeführten Psycho- und Sozialtherapie würden die kriminellen Handlungen in der Vergangenheit exploriert und Gegenmaßnahmen und Alternativen zu diesen Handlungen entwickelt. Der Angeklagte sei sehr gut motiviert und arbeite zuverlässig mit. Diese Therapie sei geeignet, das bisherige strafbare Verhalten des Angeklagten dergestalt positiv zu verändern, daß zu erwarten sei, der Angeklagte werde künftig keine Straftaten mehr begehen.
Nach den Urteilsfeststellungen führte der Sachverständige Dr. med. L aus, er halte die von dem Angeklagten bei Dr. S absolvierte Verhaltenstherapie für durchaus geeignet, bei dem Angeklagten eine positive Veränderung seiner bisherigen deliktischen Verhaltensweise zu bewirken. Wenn die an die Kurzzeittherapie anschließende Langzeittherapie sogar schon von der Krankenkasse genehmigt worden sei, dann scheine doch eine gute Chance zu der positiven Veränderung des Angeklagten zu bestehen.
Die Strafkammer, die die Ausführungen beider Auskunftspersonen für überzeugend hält, hat damit keine objektiven Umstände aufgezeigt, die für den Zeitpunkt der Berufungsverhandlung die oben definierte positive Erwartung rechtfertigen könnte, sondern lediglich die Hoffnung, daß sich der Angeklagte, wenn er eine Langzeittherapie erfolgreich durchstehe, künftig straffrei verhalten werde.
Die Berufungskammer geht nicht auf den Gesichtspunkt ein, daß der Angeklagte die Therapie bei Dr. S nicht kurz nach der Tat, sondern kurz nach der Verhandlung vor dem Amtsgericht, in der ihm eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt wurde, begann, obwohl sich eine Erörterung dieser Frage und eine Prüfung, ob die Therapie nur aus prozeßtaktischen Gründen begonnen wurde, aufdrängen.
Die im Berufungsurteil mitgeteilten Darlegungen des Therapeuten Dr. S tragen eine günstige Täterprognose im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht. Dr. S legt nicht dar, daß die bis zur Berufungsverhandlung absolvierte Kurzzeittherapie bereits die Einstellung des Angeklagten zu Straftaten gebessert habe. Der Umstand, daß die Krankenkasse sich bereit erklärt hatte, auch die Kosten einer Langzeittherapie zu tragen, gibt in dieser Richtung keinen Aufschluß. Wenn Dr. S weiter ausführt, daß das von ihm angewendete psychopathologische Behandlungskonzept geeignet sei, den Angeklagten endgültig zu künftigem gesetzestreuem Verhalten anzuleiten, kann daraus nicht auf eine bereits zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung eingetretene positive Veränderung geschlossen werden. Letztlich drückt der Therapeut Dr. S nur die Hoffnung aus, daß am Ende der von ihm empfohlenen Langzeittherapie bei dem Angeklagten mit einer positiven Veränderung gerechnet werden könne.
Auch die vom Landgericht mitgeteilten Darlegungen des Sachverständigen Dr. med. L tragen eine günstige Täterprognose nicht. Der Sachverständige gibt eine Bewertung der von Dr. S, angebotenen Langzeittherapie in dem Sinne ab, daß er eine solche für durchaus geeignet hält, bei dem Angeklagten eine positive Veränderung zu bewirken. Auch die weitere Aussage des Sachverständigen, die Langzeittherapie biete eine gute Chance, den Angeklagten positiv zu verändern, reicht für eine günstige Täterprognose zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht aus; die Bewertung des Sachverständigen bezieht sich erkennbar auf die Zeit nach Abschluß der Langzeittherapie. Auch aus der von einer gesetzlichen Krankenkasse erklärten Bereitschaft, die Kosten einer Langzeittherapie zu übernehmen, kann nicht auf eine bereits eingetretene positive Veränderung geschlossen werden.
III.
Da die Revision mit der Sachrüge Erfolg hat, erübrigen sich weitere Ausführungen zu der nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge. In der neuen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wird allerdings zu beachten sein, daß die aufeinander folgende Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten und einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten nicht mehr als Verbüßung einer "kurzen Freiheitsstrafe" (BU S. 13) qualifiziert werden kann. Wenn die Eintragung Nr. 9 (Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 11.4.1984) über den auf S. 6 des Berufungsurteils mitgeteilten Inhalt hinaus den von der Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung vom 17.1.2000 mitgeteilten Inhalt hat, ist zu befürchten, daß die Berufungskammer weder die Verhängung noch die Vollstreckung einer zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten zur Kenntnis genommen hat. Der Warneffekt, der von einer 14-monatigen Strafverbüßung ausgeht, läßt sich kaum mit dem einer 4-monatigen Verbüßung vergleichen.
IV.
Wegen der aufgezeigten Sachmängel ist das Urteil im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den dieser Entscheidung zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO). Mitaufzuheben ist die Kostenentscheidung.
Die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO), die auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird.
Ende der Entscheidung
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