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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 10.09.2001
Aktenzeichen: 5Z RR 209/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 823 Abs. 1, Abs. 2 | |
ZPO § 551 Nr. 7 |
Der 5. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Werdich, Kenklies, Seifried und Zwirlein aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. September 2001
in dem Rechtsstreit
wegen Schmerzensgeldforderung und Feststellung,
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 13. März 2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand:
Die Klägerin ist am 10.4.1998 in eine von der Beklagten betriebene Kiesgrube gefallen und begehrt wegen der dabei erlittenen Verletzungen Schmerzensgeld wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht und die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz künftigen materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet sei. Gegenüber ihrer Krankenkasse hatte die Klägerin am 26.4.1998 den Unfallhergang wie folgt geschildert:
Ich machte mit meinen Kindern einen Spaziergang zu einer neu ausgebaggerten Sandgrube, die sie mir zeigen wollten.
Unvorsichtigerweise ging ich zu nah an den Rand der Grube, der gelockerte Boden bröckelte weg und ich musste, um nicht hinunterzustürzen, ca. vier Meter tief springen, wobei meine Wirbelsäule so stark gestaucht wurde, dass ein Wirbel einbrach.
Die Beklagte betreibt seit 1985 aufgrund einer Teilbaugenehmigung des Landratsamts vom 27.2.1985 eine Kiesgrube auf einem ehemaligen landwirtschaftlichen Gelände südlich der Bahngleise des Bahnhofs der Gemeinde U. Die Grube hat ein Ausmaß von ca. 50 x 100 m. Sie wird entlang der südlichen Grenze des Abbaugebietes durch einen Feldweg erschlossen, der in eine Kreisstraße mündet. An der Ostseite des Grubengrundstücks schließt sich eine Ackerfläche an, an der Nordseite ein zu den Bahngleisen abfallendes Wiesengrundstück, in das ein Feldweg mündet und dort ausläuft. An der Westseite schließt sich ein Waldgebiet an. Wiese und Wald werden zur Grube hin durch eine Hügelkette begrenzt. Der unregelmäßig verlaufende Grubenrand ist hiervon bis zu ca. 25 m entfernt. Parallel zu ihm verläuft im Abstand von ca. 2 m ebener Fläche eine ca. 1 m hohe Böschung.
Die Klägerin behauptet, sie sei am 10.4.1998 gegen 15.30 Uhr ca. 4 m tief in die Kiesgrube gestürzt, als plötzlich und für sie unvorhersehbar das Gelände unter ihr weggebrochen sei. Hierbei habe sie erhebliche Verletzungen erlitten mit unangenehmen Behandlungsfolgen und anhaltenden Beschwerden und fortdauernder Arbeitsunfähigkeit. Sie ist der Auffassung, die Beklagte treffe das alleinige Verschulden an dem Sturz, weil diese das frei zugängliche Kiesgrubengelände nicht umzäunt oder zumindest ausreichend mit Warnschildern versehen habe. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Bezahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens DM 150000,-- zu verurteilen und festzustellen, dass diese ihr sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen habe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie bestreitet, dass die Klägerin infolge eines Kantenabbruchs am Rand der Kiesgrube gestürzt sei. Die Kiesgrube sei von allen Seiten gut und deutlich einsehbar, so dass ein unvermitteltes, versehentliches Hinkommen an deren Rand ausgeschlossen sei. Die Klägerin habe sich bewusst in eine ohne weiteres erkennbare Gefahr begeben, wenn sie an die Kante der Kiesgrube getreten sei; insoweit bestehe keine Verkehrssicherungspflicht. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Augenscheinseinnahme des Kiesgrubengeländes sowie durch Einvernahme dreier Zeugen. Es hat die Klage mit Endurteil vom 9.7.1999 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin mit dem geänderten Antrag auf mindestens DM 100000,-- Schmerzensgeld und Feststellung einer Schadensersatzpflicht zu 2/3 hat das Oberlandesgericht mit Urteil vom 12.3.2000 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Beklagte hat die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
1. Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landgerichts zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Klägerin nicht verletzt habe. Es hat ausgeführt, dass die Umzäunung des Geländes und das Aufstellen von Warnschildern nicht geboten gewesen sei, weil die Kiesgrube und deren Randbereich bei Tageslicht gut wahrnehmbar gewesen sei und sich die Klägerin wie auch andere Spaziergänger rechtzeitig auf etwaige von der Umrandung ausgehende Gefahren hätte einstellen können. Die Klägerin habe eingeräumt, mit einem Fuß unmittelbar an den Rand der Grube getreten zu sein und sich leicht nach vorne gebeugt zu haben, um nach ihren schon in der Grube befindlichen Kindern zu schauen. Dass bei dieser Gewichtsverlagerung am direkten Randbereich der Grube die Gefahr des Abbröckelns und Kantenabbruchs bestehe, entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung und habe eines gesonderten Warnhinweises nicht bedurft.
Das Berufungsgericht verneint eine Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB. Eine analoge Anwendung des § 909 BGB (Vertiefung) komme mangels rechtsähnlichen Regelungsgehalts nicht in Betracht, weil die Vorschrift die Standsicherheit eines Nachbargrundstücks betreffe. Art. 14 Abs. 1, Art. 15, Art. 16 Abs. 1 und Art. 19 BayBO seien schon dem Wortlaut nach nicht einschlägig. Die Bauaufsichtsbehörde habe keine Einfriedung der Kiesgrube angeordnet, obwohl sie dies gemäß Art. 9 BayBO hätte tun können, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung dies erfordert hätte. Die dem Arbeitsschutz dienenden Auflagen in der Baugenehmigung vom 27.2.1985 sowie § 24 der Unfallvorschriften der Bayerischen Berufsgenossenschaft seien keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, da sie nur dem Schutz der Personen dienten, die die Baustelle befugterweise betreten.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass eine Haftung der Beklagten selbst dann ausscheide, wenn man eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen fehlender Warnschilder bzw. Betretungsverbote und damit ein gewisses Verschulden der Beklagten bejahen würde. In diesem Fall überwiege das Eigenverschulden der Klägerin so sehr, dass ein etwaiges Verschulden der Beklagten demgegenüber ganz zurücktreten würde. Das Verhalten der Klägerin beinhalte nämlich eine Verletzung der elementaren Eigensorgfalt und ein ganz ungewöhnliches Maß an Sorglosigkeit.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erfasst nicht alle rechtlichen Gesichtspunkte; sie hält aber im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 5501 § 563 ZPO).
a) Die Vorinstanzen sind aufgrund der von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass eine Schadensersatzpflicht der Beklagten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB nicht besteht.
aa) Aus § 823 Abs. 1 BGB ergibt sich grundsätzlich für jeden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahr für Dritte schafft oder andauern lässt, die Verkehrspflicht, die ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst abzuwenden. So ist der Eigentümer oder Besitzer eines Grundstücks für die Sicherheit des von ihm auf diesem eröffneten Verkehrs verantwortlich (Staudinger/Hager BGB Bearb. 1999 § 823 Rn. E 13, 19 m.w.N.). Er hat dafür Sorge zu tragen, dass sich das Gelände in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand befindet, der eine möglichst gefahrlose Benutzung zulässt.
Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, dass im vorliegenden Fall § 24 Abs. 1 der "Unfallverhütungsvorschrift Steinbrüche, Gräbereien und Halden" der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen zur näheren Konkretisierung der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB heranzuziehen sei. Auch wenn diese Vorschrift aufgrund der Erfahrungen des Gewerbezweigs mit besonderen Unfallgefahren geeignet ist, die Verkehrssicherungspflichten beim Betrieb einer Kiesgrube nicht nur gegenüber den versicherten Personen, sondern auch gegenüber Dritten näher zu bestimmen (vgl. Staudinger/Hager § 823 Rn. E 34, G 14 m.w.N.), liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für § 24 Abs. 1 der "Unfallverhütungsvorschrift Steinbrüche, Gräbereien und Halden" der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen nicht vor. Der Senat kann diese Unfallverhütungsvorschrift der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen selbst auslegen, weil sie für den Bezirk mehrerer Oberlandesgerichte gilt (§ 549 Abs. 1 ZPO). Nach ihrem Inhalt hat der Unternehmer den Fall]~ereich von Massen oder Steinen, die abzustürzen oder abzurutschen drohen, abzusperren, wenn diese nicht sofort beseitigt werden können. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass die Klägerin den direkten Randbereich der Kiesgrube betreten und ihr Gewicht auf das vordere Bein in Richtung Fallbereich verlagert und damit die Gefahr des Abbröckelns und des Kantenabbruchs verursacht hat. Diese Gefahrenlage ist von § 24 Abs. 1 der vorgenannten Unfallverhütungsvorschrift nicht erfasst.
Die Verkehrssicherungspflicht gilt nicht unbeschränkt. Da eine Vorsorge, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreicht werden kann, muss nicht gegen alle nur denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts eine Vorkehrung getroffen werden. Vielmehr sind nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs (BGH NJW 1985, 1076/1077) im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung des Grundstücks drohen (BGH NJW 1978, 1629). Gegenüber Personen, die sich unbefugt auf das Grundstück begeben haben, besteht grundsätzlich keine Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGH VersR 19,75, 87).
Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers bzw. -besitzers bestimmt sich auch danach, wie weit er auf die eigenverantwortliche Vorsorge des Benutzers vertrauen darf. Grundsätzlich muss sich der Verkehrsteilnehmer auf das Gelände einstellen und dieses so hinnehmen, wie es sich für ihn erkennbar darbietet (vgl. BGHZ 108, 273/274 f.). In Fällen, in denen die Gefahr mit Händen zu greifen und ihr ohne weiteres auszuweichen ist, bedarf es nicht einmal einer Warnung. Der Verkehrssicherungspflichtige kann vielmehr darauf vertrauen, dass der Betroffene die Gefahr erkennt und sich selbst schützt bzw. sich dieser Gefahr nicht aussetzt (BGH LM Nr. 166 zu § 823 Dc unter II 2c; MünchKomm/Mertens BGB 3. Aufl. § 823 Rn. 217).
bb) Das Berufungsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beklagte darauf vertrauen durfte, dass ein Spaziergänger wie die Klägerin die am Kiesgrubenrand bestehende Absturz- bzw. Abrutschgefahr erkennen und alles vermeiden werde, was diese Gefahr verwirklicht.
Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Beklagte mit Spaziergängern auf dem Kiesgrubengelände habe rechnen müssen. Es hat die vom Landgericht gemachte Einschränkung, die Beklagte habe von der Nord-West-Seite des Kiesgrubengeländes nicht mit Spaziergängern rechnen müssen, nicht übernommen. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge, mit der die Verletzung des § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO gerügt wird, greift daher nicht durch. Der Senat hat den Tatbestand des Berufungsurteils zugrunde zu legen (§ 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Es kann dahinstehen, ob die Beklagte gegenüber Spaziergängern überhaupt einen Verkehr auf dem Kiesgrubengelände eröffnet oder diesen nur geduldet hat. Ersteres könnte zweifelhaft sein, weil im Osten, Norden und Westen des Kiesgrubengeländes weglose Acker-, Wiesen- und Waldflächen angrenzen und eine unwegsame Hügelkette den Zutritt erschwert. Im zweiten Fall wäre der Haftungsmaßstab der Beklagten von vorneherein gemindert (vgl. OLG Bamberg VersR 1969, 85/86).
Die von den Vorinstanzen vorgenommene Abwägung zwischen der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten und der Eigenverantwortlichkeit der geschädigten Klägerin hält jedoch auch dann der rechtlichen Überprüfung stand, wenn an die Vorsorgepflicht der Beklagten kein verminderter Maßstab anzulegen ist. Die Vorinstanzen haben nämlich auf der Grundlage der von ihnen getroffenen Feststellungen zu Recht angenommen, dass die Klägerin den Unfall bei zumutbarer eigener Vorsorge hätte vermeiden können, da die Kiesgrube bei den Lichtverhältnissen zur Unfallzeit und dem von der Klägerin gewählten Zugang sowohl im gesamten Ausmaß als auch im Bereich des Grubenrandes frühzeitig überschaubar gewesen ist und dass die Klägerin den notwendigen Selbstschutz außer acht gelassen hat, als sie den unmittelbaren Grubenrand betreten, auf diesen ihr Gewicht verlagert und dadurch den Sturz ausgelöst hat. In einem solchen Fall, in dem die Geschädigte dem Unfallrisiko durch zumutbaren Selbstschutz hätte entgehen können, besteht keine Verkehrssicherungspflicht.
cc) Etwas anderes könnte gelten, wenn der Beklagten im Rahmen der Baugenehmigung die Einfriedung der Kiesgrube gemäß Art. 9 Abs. 1 BayBO 1998 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufgegeben worden wäre. Denn dann läge kraft behördlichen Gebots ein Mindeststandard vor, der nicht unterschritten werden dürfte und bei dessen Verletzung die Beklagte grundsätzlich haften würde, wobei das Selbstverschulden der Klägerin nur im Rahmen des § 254 BGB zu berücksichtigen wäre (vgl. BayObLGZ 1979, 138/141; Staudinger/Hager § 823 Rn. E 34 m.w.N.).
Gemäß Art. 9 Abs. 1 BayBO 1998 in der bis zum Inkrafttreten des Bayerischen Abgrabungsgesetzes am 14.3.1999 (GVB1 1999, 532 f.) geltenden Fassung konnte die Bauaufsichtsbehörde verlangen, dass Abgrabungen eingefriedet oder abgegrenzt werden, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung es erfordern. Die Bauaufsichtsbehörde hat im vorliegenden Fall von dieser Befugnis keinen Gebrauch gemacht. Der Beklagten ist der Kiesabbau genehmigt worden, ohne dass das Landratsamt eine Einfriedung der Kiesgrube gemäß Art. 9 Abs. 1 BayBO 1998 angeordnet hätte. Dies entbindet zwar die Beklagte nicht von der Pflicht, auch ohne behördliche Anordnung eine Einfriedung vorzunehmen, wenn die Gefahrenlage dies erfordert. Nach den Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts war dies jedoch im Verhältnis zur Klägerin nicht der Fall.
dd) Die Revision macht geltend, dass weiterreichende Verkehrssicherungspflichten bestünden, wenn damit zu rechnen sei, dass Kinder, die vor den Folgen ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit zu schützen sind, das fragliche Grundstück zum Spielen benutzen. Dieser erhöhte Sicherheitsstandard gelte auch für sorgeberechtigte bzw. aufsichtspflichtige Begleitpersonen, die durch das den Kindern drohende Risiko erst veranlasst würden, sich der Gefahrenquelle auszusetzen.
Entgegen der Auffassung der Revision kann hieraus im vorliegenden Fall keine Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Klägerin hergeleitet werden. Zwar kann es den Umständen nach gerechtfertigt sein, den erhöhten Sicherheitsstandard zugunsten besonders schutzbedürftiger Personen auch dritten Personen zukommen zu lassen, die als Bezugspersonen die Gefahrenlage teilen (vgl. BGH NJW 1985, 620). Jedoch ist für diese der erhöhte Schutz nicht zu gewährleisten, wenn es mit Rücksicht auf Kinder um erhöhte Verkehrspflichten geht. Diese kommen begleitenden Erwachsenen im Regelfall nicht zugute, weil anders als bei Kindern von Erwachsenen erwartet werden kann, dass sie Gefahren rascher erkennen und ihnen wirksamer begegnen (vgl. BGH NJW 1978, 1626/1627; MünchKomm/Mertens § 823 Rn. 219). Im vorliegenden Fall entfällt jede Haftung der Beklagten schon deswegen, weil die Klägerin den ihr zumutbaren Selbstschutz außer acht gelassen hat (vgl. Staudinger/Hager § 823 Rn. E 41 m.w.N.).
b) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz verneint.
aa) Rechtsfehlerfrei - und von der Revision auch nicht beanstandet - hat das Berufungsgericht die analoge Anwendung des § 909 BGB als Schutzgesetz zugunsten der Klägerin abgelehnt, weil ein rechtsähnlicher Sachverhalt nicht vorliegt. Zwar gilt die Vorschrift als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (BGHZ 101, 260). Ihr Regelungsgehalt bezieht sich jedoch auf den Schutz eines Nachbargrundstücks vor einem Stützverlust durch eine Grundstücksvertiefung (vgl. Palandt/ Bassenge BGB 60. Aufl. § 909 Rn. 10), regelt damit die Rechte der Eigentümer von Grundstücken untereinander (vgl. Staudinger/Roth BGB Bearb. 1996, § 909 Rn. 2) und erfaßt nicht jeden Dritten, der durch die Vertiefung eine Beeinträchtigung erfahren kann (BGHZ 12, 75/77 f.; BGH LM Nr. 35 zu § 909 unter II 1).
bb) Die von der Revision wegen der unterbliebenen Erörterung der Anwendung des Art. 17 Abs. 1 BayBO 1998 erhobene Verfahrensrüge gemäß § 551 Nr. 7 ZPO greift nicht durch, weil das Berufungsgericht in den Urteilsgründen den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch erörtert und lediglich davon abgesehen hat, eine von mehreren Anspruchsgrundlagen zu behandeln, die im Ergebnis nicht durchgreift (vgl. Thomas/Putzo/ Reichold ZPO 23. Aufl. § 551 Rn. 13).
Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu treffen sind, kann der Senat selbst entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 17 Abs. 1 BayBO 1998 in Betracht kommen. Die Vorschrift sieht vor, dass bauliche Anlagen ihrem Zweck entsprechend verkehrssicher sein müssen. Insbesondere sind gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998 in, an und auf baulichen Anlagen Flächen, die im allgemeinen zum Begehen bestimmt sind und unmittelbar an mehr als 50 cm tiefer liegende Flächen angrenzen, ausreichend hoch und fest zu umwehren, es sei denn, dass die Umwehrung dem Zweck der Flächen widerspricht. Die Vorschrift findet auch auf Kiesgruben Anwendung, denn diese sind bauliche Anlagen gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBO 1998 in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung; die Gleichstellung mit baulichen Anlagen ist erst mit Inkrafttreten des Bayerischen Abgrabungsgesetzes am 14.3.1999 (§ 2, § 7 Nr. 1, § 10 Abs. 1 BayUVP-Richtlinie-Umsetzungsgesetz [BayUVPRLUG] GVB1 1999, 532/535 f.) entfallen.
Es kann dahinstehen, ob Art. 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BayBO 1998 die Merkmale aufweist, unter denen die Rechtsprechung das Vorliegen eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB annimmt (vgl. BGHZ 40, 306/307; BayObLGZ 1994, 276/284). Nach den im Berufungsurteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen liegen nämlich schon die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift nicht vor. Bei der Absturzstelle am Rand der Kiesgrube handelt es sich nämlich nicht um eine Fläche, die im allgemeinen zum Begehen bestimmt ist, wie Art. 17 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998 voraussetzt. Die Beklagte hat dort keine allgemein zugängliche Verkehrsfläche eingerichtet; der Grubenrand dient auch nicht dem Zutritt zum Arbeitsbereich der Kiesgrube. Es führt weder ein Weg noch ein Trampelpfad dorthin; vielmehr besteht die weitere Umgebung des Grubenrandes aus unwegsamem Gelände. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass der Randbereich der Kiesgrube der Beklagten im allgemeinen zum Begehen bestimmt ist. Dass Spaziergänger dennoch - querfeldein - Zutritt finden können, steht dem nicht entgegen.
Entgegen der Auffassung der Revision besitzt Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO 1998 nicht die Qualität eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Die Vorschrift enthält die allgemeine Anforderung, bauliche Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben oder Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. Art. 3 BayBO 1998 stellt die materiell-rechtliche Grundnorm und Generalklausel des gesamten Bauaufsichtsrechts dar und wird durch Einzelvorschriften inhaltlich ausgefüllt und näher bestimmt. Die Vorschrift bietet deshalb grundsätzlich keine selbständige Rechtsgrundlage für Einzelentscheidungen (vgl. Simon Bayerische Bauordnung 1998 Art. 3 i.V.m. Art. 3 BayBO 1994 Rn. 1 bis 3). Als Generalklausel des Bauaufsichtsrechts ist sie daher nicht als Schutzgesetz geeignet, weil ohne Konkretisierung der Einzelanforderungen an die Verkehrssicherheit weder die Art ihrer Verletzung noch der Kreis der geschützten Personen hinreichend geklärt sind (vgl. BGH aaO; BayObLGZ 1977, 309/315).
Aus diesem Grunde kann auch nicht der in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 BayBO 1998 geregelte Grundsatz der öffentlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht ohne die Verbindung mit einer die Verkehrssicherungspflicht im einzelnen konkretisierenden Vorschrift als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB angesehen werden (vgl. Simon BayBO 1998 Art. 17 Rn. 1). Die zu Art. 19 BayBO 1962 und 1982 (entspricht Art. 17 BayBO 1998) ergangenen Entscheidungen (BayObLGZ 1977, 309/314 f. vom 5.12.1977 und BayObLGZ 1994, 276/284 vom 17.10.1994) haben diese Vorschrift nur im Zusammenhang mit der die Verkehrssicherheit (an Treppen) konkretisierenden Vorschrift des Art. 37 BayBO 1962 und 1982 als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB angesehen (vgl. auch BayObLG NJW-RR 1996, 657/658).
bb) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass die Haftung der Beklagten aus § 24 Abs. 1 der "Unfallverhütungsvorschrift Steinbrüche, Gräbereien, Halden" der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB herzuleiten sei. Schon die tatsächlichen Voraussetzungen für ihre Anwendung sind nicht gegeben (vgl. 2a aa). Im übrigen haben Unfallverhütungsvorschriften nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht die Qualität eines Schutzgesetzes (BGH VersR 1957, 584; 1969, 827/828; Staudinger/Hager § 823 G 14 m.w.N.). Selbst wenn man sie als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ansähe, würde sich ihr Schutzbereich nur auf den Kreis der versicherten Personen, nicht aber auf außenstehende Dritte beziehen (BGH NJW 1984, 360/362; Staudinger/Hager aao m.w.N.).
§ 24 Abs. 1 der "Unfallverhütungsvorschrift Steinbrüche, Gräbereien und Halden" der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen findet auch nicht deswegen Anwendung, weil die Beachtung dieser Vorschrift als Auflage zum Inhalt der Baugenehmigung vom 27.2.1985 gemacht worden ist. Zwar kann nach herrschender Meinung ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB auch eine Eingriffsnorm sein, auf die ein Verwaltungsakt gestützt wird; der Verwaltungsakt selber hat keinen Schutzgesetzcharakter (vgl. BGHZ 122, 1/3; Staudinger/Hager § 823 Rn. G 10 m.w.N.). Voraussetzung ist aber, dass die Norm drittschützenden Charakter hat (BGH NJW 1995, 132/134). Das ist bei der von der Revision herangezogenen Rechtsgrundlage in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht der Fall (vgl. Simon BayBO Art. 3 i.V.m. Art. 3 BayBO 1994 Rn. 45). Im übrigen bliebe bei der Einbeziehung der Unfallverhütungsvorschriften auf diesem Wege der durch sie definierte Schutzbereich der Eingriffsnorm unverändert, so dass nur versicherte Personen, nicht aber außenstehende Dritte erfasst wären.
c) Da die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend eine Verkehrssicherungspflicht und damit eine Haftung der Beklagten für den der Klägerin entstandenen Schaden verneint haben, erweisen sich die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Frage des Mitverschuldens der Klägerin (§ 254 Abs. 1 BGB) sowie die dagegen von der Revision erhobenen Einwendungen als gegenstandslos.
3. Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO trägt die Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens.
Ende der Entscheidung
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