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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 11.04.2006
Aktenzeichen: LBG-Ap 1/06
Rechtsgebiete: Berufsordnung der Bayerischen Landesapothekerkammer, SGB V, UWG


Vorschriften:

Berufsordnung der Bayerischen Landesapothekerkammer § 1
Berufsordnung der Bayerischen Landesapothekerkammer § 8
Berufsordnung der Bayerischen Landesapothekerkammer § 9
SGB V § 28 Abs. 4
SGB V § 61 Satz 2
UWG § 4 Nr. 11
Ein Apotheker, der in zulässiger Weise Bonuspunkte an seine Kunden vergibt, handelt nicht deshalb berufswidrig, weil er gegen eine bestimmte Anzahl von Punkten seinen Kunden unter anderem die von diesen gezahlte Praxisgebühr erstattet.
Tatbestand:

Mit Schreiben vom 10.02.2005, ergänzt mit Schreiben vom 02.05.2005, beantragte die Antragstellerin gegen den Beschuldigten die Einleitung eines berufgerichtlichen Verfahrens, weil er für seine in C. betriebene Apotheke im Rahmen eines - im Übrigen von der Antragstellerin nicht beanstandeten - Kundenbindungssystems ("V. -Taler") im September und Dezember 2004 neben bisher bereits ausgelobten Prämien (z.B. Pizza, Autowäsche, Gutschrift je Taler etc) erstmals auch den "Ersatz der Arzt-Praxis-Gebühr 10 EUR in bar gegen Vorlage der Arztpraxisquittung und 20 bzw. 15 V. -Taler" anbot. V. -Taler konnte der Kunde unter anderem durch einen Einkauf ab 7 EUR aus dem nicht apothekenpflichtigen Freiverkaufs-Warensortiment in der Apotheke des Antragstellers in C. oder als Ausgleich für verschiedene andere Vorleistungen bzw. Unannehmlichkeiten des Kunden sowie als Geburtstagspräsent erhalten.

Das Angebot einer Erstattung der Praxisgebühr im Rahmen des Bonussystems des Beschuldigten hält die Antragstellerin für einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Apotheken im Sinne von § 9 Ziffer 3 der Berufsordnung für Apotheker (ab hier: BO) sowie als unlauteren Verzicht auf Zuzahlung zu Arzneimitteln (entsprechend § 9 Ziffer 5 BO). Auch § 8 Absätze 1 und 2 BO seien verletzt, da die Werbung wettbewerbsrechtlich unzulässig sei (Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10.02.2004, BG Blatt 9 f.) und im Ergebnis dem Patienten bzw. Kunden eine freie Apothekenwahl angesichts des faktischen Zwangs, zur Erstattung der Praxisgebühr ein Rezept in der Apotheke des Beschuldigten und nicht bei anderen Apotheken einzulösen, nicht möglich sei.

Mit Beschluss des Vorsitzenden vom 08.06.2005 hat das Berufsgericht für die Heilberufe beim Landgericht Nürnberg-Fürth den Antrag auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens nach Anhörung des Beschuldigten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die vom Beschuldigten offerierte Erstattung der Praxisgebühr stünde nicht im Zusammenhang mit dem Kauf eines verschreibungspflichtigen Medikaments in der Apotheke des Beschuldigten. Darüber hinaus sei - wie dem Beschuldigten vom Landgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 11.11.2004 rechtskräftig bestätigt wurde - seine Auslobung der Praxisgebührenerstattung im Rahmen eines Kundenbindungssystems gegen so genannte (dort "H. "-) Taler kein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften (betreffend eine Apotheke des Beschuldigten in H. ).

Den dagegen gerichteten Antrag auf Entscheidung des Berufsgerichts in der Besetzung unter Mitwirkung zweier ehrenamtlicher Richter hat das genannte Gericht mit Beschluss vom 29.09.2005 in der Sache zurückgewiesen und den Beschluss des Vorsitzenden vom 08.06.2005 aufrechterhalten.

Zur Begründung wird auf die überwiegend eine derartige Werbepraxis wettbewerbsrechtlich billigende obergerichtliche Rechtsprechung hingewiesen, insbesondere auf den für den Beschuldigten durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main geschaffenen Vertrauenstatbestand. Ein Verstoß gegen die für Apotheken geltenden Werbemaßstäbe liege jedenfalls deshalb nicht vor, weil die Werbung des Beschuldigten die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nicht in Frage stelle.

Gegen diesen ihr am 18.11.2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit einem bei Gericht am 01.12.2005 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und beantragt, die Beschlüsse des Berufsgerichts vom 08.06.2005 und vom 29.09.2005 aufzuheben und Eröffnungsbeschluss zu erlassen sowie Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen.

Die Antragstellerin stellt vorab in Frage, ob nicht schon der Beschluss des Berufsgerichts vom 08.06.2005 auf ihr Schreiben vom 01.07.2005 hin dem Landesberufsgericht zur Beschwerdeentscheidung vorzulegen gewesen wäre.

Wenn das Berufsgericht in beiden Entscheidungen ihren Antrag als offensichtlich unbegründet ansehe, so stehe dies schon im Widerspruch zu der im Beschluss gegebenen Begründung, weil die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung danach eben nicht einheitlich sei. Allein deswegen sei das berufsgerichtliche Verfahren gegen den Beschuldigten schon zu eröffnen.

Im Übrigen sei eine Werbung mit einer Erstattung der Praxisgebühr durch einen Apotheker nicht nur rein wettbewerbsrechtlich zu würdigen, sondern auch berufsrechtlich, weil damit der Grund des Gesetzgebers zur Einführung der Praxisgebühr, nämlich ein rationelles Patientenverhalten zu erreichen, in Frage gestellt werde, wenn die Gebühr nicht vom Patienten, sondern vom Apotheker übernommen werde. Der Anreiz für den Patienten, seine Praxisgebührenquittung mit dem regelmäßig ebenfalls beim Arztbesuch ausgestellten Rezept in einer Apotheke einzulösen, die ihm diese Gebühr erstatte, sei vergleichbar mit dem Regelbeispiel in § 9 Nrn. 3 und 5 BO. Wenn die Apothekerkammer Thüringen das identische Werbeverhalten des Beschuldigten für seine Apotheke in H. nicht berufsrechtlich beanstande, so berühre das die (Standes-)Rechtslage in Bayern nicht.

Gründe:

Das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Beschluss des Berufsgerichts vom 29.09.2005 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig gemäß Art. 93 Abs. 1 HKaG.

Der vorausgegangene Beschluss des Berufsgerichts vom 08.06.2005 erging nach Anhörung des Beschuldigten unter Fristsetzung, wie gemäß Art. 79 Abs. 3 HKaG für den Fall vorgesehen, dass ein Antrag nicht nach Art. 79 Abs. 1 HKaG als unzulässig, offensichtlich unbegründet oder wegen Geringfügigkeit zurückgewiesen wird. Dementsprechend erteilte das Berufsgericht mit der Zustellung dieses Beschlusses auch die Rechtsmittelbelehrung über das Rechtsmittel gemäß Art. 93 Abs. 1 HKaG.

Durch die Formulierung in den Gründen des genannten Beschlusses unter Ziffer II dort, dass dem Antrag auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens keine Folge gegeben werde, weil "eine Verletzung von Berufspflichten offensichtlich nicht vorliegt (Art. 79 Abs. 1, 80 Abs. 1 HKaG)", sah sich die Antragstellerin offenbar veranlasst, Antrag auf das Verfahren der Beschlussfassung gemäß Art. 79 Abs. 2 HKaG in der Besetzung des Berufsgerichts mit einem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern zu stellen, dem das Berufsgericht entsprach, denn in dieser Besetzung erging der Beschluss vom 29.09.2005, der den vorausgegangenen Beschluss des Vorsitzenden vom 08.06.2005 aufrechterhielt. Dieser Beschluss des Berufungsgerichts ist mit dem Rechtsmittel der Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 HKaG anfechtbar, denn Satz 1 der genannten Vorschrift lässt gegen sämtliche vom Berufsgericht in erster Instanz erlassenen Beschlüsse die Beschwerde zu, also auch gegen einen Beschluss, der formal nach Art. 79 Abs. 2 HKaG erging.

Das Rechtsmittel der Antragstellerin erweist sich in der Sache im Ergebnis als unbegründet.

Das vom Beschuldigten in seiner Apotheke in C. praktizierte System der Kundenbindung mittels der Vergabe so genannter "V.-Taler", die bei Erreichen einer bestimmten Punktzahl zu Sach- oder Dienstleistungsprämien führen, ist in einem Rechtsstreit des Beschuldigten vom Landgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 11.11.2004 (BG Blatt 19) rechtskräftig für wettbewerbsrechtlich zulässig erklärt worden, soweit der Beschuldigte in Thüringen in seiner weiteren Apotheke in H. dieses System der Praxisgebührenerstattung ebenso praktiziert. Auch das Oberlandesgericht Rostock hat mit Urteil vom 04.05.2005 ein fast übereinstimmendes Bonussystem für wettbewerbsrechtlich zulässig erklärt (zu Blatt 90/94 BG) und das anders lautende Urteil erster Instanz, auf das sich die Antragstellerin hier berief (BG Blatt 66, 66 a), aufgehoben.

Unabhängig davon, ob der Senat den rechtlichen Gründen der genannten Entscheidungen folgt, kann jedenfalls nicht gesagt werden, der Beschuldigte verhalte sich wettbewerbswidrig.

Das Urteil des Landgerichts Hamburg, auf das sich die Antragstellerin beruft, betraf einen völlig anderen Sachverhalt: Dort zahlte der Patient beim Arzt keine Praxisgebühr, weil diese der Arzneimittellieferant übernahm, der mit den Ärzten eine entsprechende Vereinbarung getroffen hatte und die Arzneimittel den Patienten ins Haus lieferte.

Wenn der Antragsteller in eigener Sache eine rechtskräftige Entscheidung erzielt hat, sein Kundenbindungsmodell betreffend H. sei wettbewerbsrechtlich zulässig, so ist er nicht gehalten, einer eventuell vertretbaren gegenteiligen Rechtsauffassung, die seinen Interessen nicht entspricht, zu folgen, mag sie die Apothekerkammer nun teilen oder nicht.

Auch berufsrechtlich kann unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nichts anderes gelten. Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschuldigte nicht den Kunden bzw. Patienten die Entrichtung der Praxisgebühr erspart. Unstreitig müssen die Patienten diese zunächst entrichten; auch ist die bloße Vorlage einer bei dieser Gelegenheit vom Patienten erhaltenen Quittung des Arztes in Verbindung mit dem ärztlichen Rezept schon nicht geeignet, bei einem Kauf der verordneten Medikamente in der Apotheke des Beschuldigten die Praxisgebühr erstattet zu bekommen. Dieser Vorgang als solcher brächte den Patienten bzw. Kunden keinen einzigen der von ihm hierfür benötigten 15 bzw. 20 "V. -Taler" ein. Vielmehr müsste der Kunde - völlig unabhängig von der Abgabe des Rezepts für verschreibungspflichtige Medikamente - erst anderweitig diese "Taler" sammeln, wie oben unter Ziffer I beispielhaft beschrieben. Im Kern bewirbt der Beschuldigte mit seinem Talersystem also das nicht apothekenpflichtige freiverkäufliche Warensortiment aus seinem Gesamtangebot.

Soweit die Antragstellerin vorträgt, Apotheker seien Adressaten aller Einsparungsbemühungen der Gesundheitspolitik und deshalb jedenfalls berufsrechtlich besonders verpflichtet, die gesetzgeberische Intention zur Erhebung der Praxisgebühr nicht durch ihr Werbeverhalten zu konterkarieren, vermag das Gericht dieser Argumentation nicht zu folgen.

Zum einen wurde bereits ausgeführt, dass das Bonussystem des Antragsgegners gar nicht geeignet war, einem Patienten mit ärztlicher Verordnung bei Abgabe des betreffenden Medikaments in der Apotheke nur deswegen den Gegenwert der von íhm ordnungsgemäß bezahlen Praxisgebühr zu erstatten.

Zum anderen sind Apotheker nicht Adressaten der Praxisgebührenregelung nach § 28 Abs. 4 Satz 1 iVm. § 61 Satz 2 SGB. Mit der Einführung der Praxisgebühr beabsichtigte der Gesetzgeber vielmehr, sozialversicherungsrechtlich und damit öffentlich-rechtlich den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung einen zusätzlichen Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen der Krankenversicherung abzuverlangen, wobei der die Praxisgebühr faktisch als Honorarvorschuß einziehende Arzt im Interesse und zugunsten der Krankenversicherung handelt (vgl. SG Düsseldorf U.v.22.03.2005 - S 34 KR 269/04 mwN.).

Dieses öffentlich-rechtliche Ausgleichsverhältnis wird vom Werbeverhalten des Antragsgegners als Apotheker weder berührt noch gestört, anders als wenn etwa ein Arzt als Beteiligter des gesetzlich geregelten Ausgleichsverhältnisses nach dem SGB V seinen Patienten unzulässigerweise eine Praxisgebühr nicht abverlangt (vgl. BayObLG U. v. 14.12.2004 - LBG-Z 3/04).

Auch das weitere gesetzgeberische Ziel, mit der Praxisgebühr Patienten (präventiv) von allzu sorgloser Konsultation mehrerer (Fach-)Ärzte abzuhalten, wird durch ein außerhalb dieses Arzt-Patientenverhältnisses stehendes Werbeverhalten eines Apothekers nicht berührt oder gar gestört - deshalb scheidet im übrigen auch ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG aus (vgl. OLG Rostock und LG Frankfurt/M. aaO.).

Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass - wie bereits erwähnt - das Bonussystem hier nicht das apotheken- oder verschreibungspflichtige Warensortiment bewirbt, sondern das so genannte Randsortiment, mit dem der Apotheker als Kaufmann im Wettbewerb bestehen muss.

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach (BVerfG (NJW 1996, 3067/3070; BVerfG BGBl I 1997, 17; BVerfG B.v. 08.11.1996 - 1 BvR 1033/94, bei Juris KVRE 270989601) entschieden, dass Apotheker zwar Angehörige eines freien Berufes sind, jedoch - im Gegensatz zu anderen freien Berufen - auch Kaufleute sind, die hinsichtlich der apothekenfreien Arzneimittel und des Randsortiments im allgemeinen Wettbewerb stehen, denn ein selbständiger Apotheker betreibt ein Handelsgewerbe und muss insoweit werbend auf sich aufmerksam machen dürfen. Dies hat das Landesberufsgericht für die Heilberufe schon in seiner bisherigen Rechtsprechung berücksichtigt (vgl. BayObLGSt 2002, 59, 64/65).

In der Zwischenzeit ist das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zur erlaubten Werbung bei Angehörigen der Heilberufe noch einen Schritt weitergegangen:

Konkurrenzschutz und Schutz vor Umsatzverlagerungen sind keine legitimen Zwecke, die Einschränkungen der Berufsfreiheit rechtfertigen können, denn Zweck der Werbung ist es, Kunden oder Patienten zu Lasten der Konkurrenz zu gewinnen; Akquisition als solche ist nicht berufsrechtswidrig (BVerfG NJW 2003, 3472/3473).

Wenn der Wortsinn einzelner Passagen einer Werbung stets grundrechtsfreundlich im Kontext des gesamten Inhalts auszulegen ist und einzelne bedenkliche oder falsche Formulierungen hinter einer quantitativ im Vordergrund stehenden Gesamtaussage zurückzutreten haben (BVerfG NJW 2006, 282/283), ist in einer Gesamtschau die Auslobung eines Ersatzes der "Arzt-Praxis-Gebühr gegen V. -Taler" als eine (von vielen) "tolle(n) Prämien aus vielen Geschäften in C. und Umgebung" (Anzeige des Beschuldigten, BG Blatt 2) standesrechtlich nicht zu beanstanden. Neben einer Vielzahl von Sachprämien von Räucherstäbchen bis zu Taschenlampen und Dienstleistungen wie Autowäsche oder geldwerten Vorteilen (0,70 EUR je V. -Taler) im Restaurant (vgl. BG Anlage zu Blatt 74/82) kann in einer Gesamtschau nicht gesagt werden, die Praxisgebührerstattungsprämie spiele quantitativ eine Hauptrolle.

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte seine Berufspflichten verletzt habe (Art. 83 Abs. 1 HKaG), liegen also auch nach Ansicht des Landesberufsgerichts unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht vor, so dass die Beschwerde der Antragstellerin als unbegründet zu verwerfen war.



Ende der Entscheidung

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