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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 20.11.2000
Aktenzeichen: LBG-Ä 10/2000
Rechtsgebiete: HKaG


Vorschriften:

HKaG Art. 61 Abs. 3
Durch die strafrechtliche Ahndung werden regelmäßig zugleich die heilbeberufsrechtlichen Belange ausreichend gewahrt. Nur wenn der berufsrechtliche Unrechts- und Schuldgehalt der Tat erheblich über den strafrechtlichen hinausgeht, kann auch eine berufsrechtliche Ahndung geboten sein.
BayObLG Urteil

LBG-Ä 10/2000

20.11.00

Tatbestand:

In dem auf Anträge der Regierung von O. und des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbands M. eingeleiteten Verfahren hat das Berufsgericht für die Heilberufe beim Oberlandesgericht gegen den Beschuldigten mit Urteil vom 26.4.2000 wegen einer Berufspflichtverletzung auf eine Geldbuße von 2000 DM erkannt.

Hiergegen richtete sich die Berufung des Beschuldigten, der in der Hauptverhandlung weder selbst erschienen noch durch einen Verteidiger vertreten war.

Aus den Gründen:

Das zulässige Rechtsmittel, über das auch in Abwesenheit des Beschuldigten entschieden werden konnte (Art. 78 Abs. 4 Satz 2, Art. 85 HKaG), hatte keinen Erfolg.

I.

Die Hauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen geführt:

1. Gegen den Beschuldigten ist durch Urteil des Berufsgerichts für die Heilberufe beim Oberlandesgericht München vom 13.3.1996 wegen einer Berufspflichtverletzung auf einen Verweis erkannt worden; seine Berufung hiergegen hat das Landesberufsgericht am 15.10.1996 als unbegründet verworfen. Der Verurteilung hatten gefälschte Gewinnermittlungen im Zusammenhang mit der darlehensweisen Finanzierung einer von ihm erworbenen Arztpraxis zugrunde gelegen.

2. Hinsichtlich des dem Beschuldigten vorgeworfenen Sachverhalts hat die Berufungshauptverhandlung ergeben:

a) Am 22.3.1996 vollzogen Polizeibeamte einen ermittlungsrichterlichen Durchsuchungsbeschluß in den Räumen der vom Beschuldigten jedenfalls damals betriebenen ärztlichen Gemeinschaftspraxis in der P.-Straße in M. Während der Durchsuchung, die gegen 9.00 Uhr begonnen hatte, geriet der Beschuldigte in zunehmende Erregung; dabei ließ er sich mit Bezug auf die Polizeibeamten K., H. und R. oder jedenfalls in deren Gegenwart zu Äußerungen wie "Mafia", "Nazimethoden" und "Arschloch" hinreißen, bezeichnete den sachbearbeitenden Staatsanwalt als jemanden, der nicht die Intelligenz eines Regenwurms habe, und urteilte pauschal, alle Staatsanwälte und Richter gehörten zur Mafia.

b) Im übrigen hat das Landesberufsgericht uneingeschränkt denselben Sachverhalt festgestellt wie das Berufsgericht; auf dessen Darlegungen im Urteil vom 26.4.2000 in Abschn. II, Ziff. 2 bis 5 wird daher Bezug genommen:

2.a) Im Zuge der Durchführung eines Rechtsstreits zwischen der Dr. M. und der Firma A:., deren Geschäftsführer der Beschuldigte ist, wurde dem Beschuldigten am 19.2.1997 gegen 16.05 Uhr von der Geschäftsstellenverwalterin der 28. Kammer des Arbeitsgerichts M. auf seine Frage hin mitgeteilt, dass über seinen Ablehnungsantrag bereits vom Vizepräsidenten des Arbeitsgerichts M. entschieden worden sei. Hierauf antwortete der Beschuldigte: "den habe ich auch schon kennengelernt, der ist desselben Geistes Kind wie Herr.... Dabei bleibt mir eigentlich nichts anderes übrig, als mit dem Maschinengewehr zur Verhandlung zu kommen. Außerdem sollten sich die Gerichte an die Gesetze halten, was sie nicht tun".

b) In einem Schreiben an den Präsidenten des Arbeitsgerichts M. vom 23.3.1997 teilte der Beschuldigte unter anderem folgendes mit: "Das Verhalten des Richters... am genannten Verhandlungstag ist aus ärztlicher Sicht psychisch auffällig. Eine "Macke" ist eine psychische Auffälligkeit, diese liegt hier eindeutig vor.

c) In einem Schreiben an seine geschiedene Ehefrau vom 18.9.1997 bezeichnete der Beschuldigte das Zentralfinanzamt M. als Mafia. Dieses Schreiben übersandte er der Amtsleitung des Zentralfinanzamts M. zur Kenntnisnahme. Wegen des vorstehenden Sachverhalts (Ziffer 2 a-c) wurde der Beschuldigte mit Urteil des Landgerichts München I vom 10.3.1999, rechtskräftig seit 14.7.1999, wegen Beleidigung in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen a 100,00 DM verurteilt.

3. Der Beschuldigte war seit dem 6.3.1995 Geschäftsführer und Gesellschafter der A. GmbH mit Sitz in M. Diese Firma wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 13.7.1994 gegründet und am 25.11.1994 in das Handelsregister eingetragen. Unternehmenszweck war die Vermittlung und Organisation von Arztbesuchen.

Ab dem 19.12.1995 war der Beschuldigte alleiniger Geschäftsführer dieser GmbH, die beim Finanzamt M. für Körperschaften unter der Steuernummer... veranlagt wurde. Bei der Firma A. GmbH handelt es sich um einen privaten ärztlichen Bereitschaftsdienst, der in Konkurrenz zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns trat. Für die A. GmbH waren mehrere Ärzte, zunächst überwiegend freiberuflich, später als festangestellte Ärzte tätig. Abgerechnet wurden die ärztlichen Leistungen über die vom Beschuldigten betriebene Gemeinschaftspraxis.

Der Prüfungsausschuß der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns kürzte die Honorarforderungen der niedergelassenen Ärzte der Gemeinschaftspraxis für Besuche und Wegepauschale um jeweils 30 %.

Nachdem das Sozialgericht M. am 27.10.1995 ein für die Ärzte der Gemeinschaftspraxis günstiges Urteil erlassen hatte, wurde am 9.12.1996 zwischen dem Beschwerdeausschuß M. Stadt und Land und der Gemeinschaftspraxis ein Vergleich geschlossen. Nach Ziffer 9 dieses Vergleichs betrug die Gesamtgutschrift zugunsten der Gemeinschaftspraxis 322667,00 DM. Davon wurden 110470,00 DM bereits überwiesen, so dass ein Rückerstattungsbetrag von 212197,00 DM verblieb.

Dieses von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns über viele Monate zurückgehaltene Geld brachte die Gemeinschaftspraxis und damit auch die A. GmbH in ganz erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten, so dass keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden waren, um alle bestehenden Forderungen befriedigen zu können.

a) Für die A. GmbH beschäftigte der Beschuldigte fortlaufend Arbeitnehmer, für die er als Geschäftsführer einer GmbH, wie er wußte, gemäß §§ 28 e, 28 g, 23 SGB IV i.V.m. der Satzung der AOK Bayern verpflichtet war, die gemäß § 138 AFG anfallenden Beitragsanteile der Arbeitnehmer zur Arbeitslosenversicherung zusammen mit den Arbeitgeberanteilen bis spätestens 15. des Monats, der dem Monat der Beschäftigung folgt, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wurde, an die zum Einzug berechtigte Kasse abzuführen.

Darüberhinaus war der Beschuldigte aufgrund der mit dem Arbeitnehmer, dem Arzt Dr. R. und der Firma A. GmbH getroffenen Vereinbarung verpflichtet, die durch die Gesellschaft vom Arbeitslohn eingehaltenen Arbeitnehmeranteile zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung des Arztes Dr. R. bei der AOK sowie zur Rentenversicherung bei der Hessischen Landesärztekammer - Versorgungswerk - fristgerecht an die AOK bzw. das Versorgungswerk abzuführen. Dieser Verpflichtung kam der Beschuldigte für die Monate Juni 1995 bis August 1995 nicht nach, eine unverzügliche Benachrichtigung des Zeugen Dr. R. von der Nichtabführung der Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung erfolgte nicht. Ebenso unterblieb eine unverzügliche Benachrichtigung der Einzugstelle. Der Beschuldigte hatte die an die Kassen abzuführenden Beiträge von dem Mitarbeiter S. berechnen lassen. sie wurden verspätet und zwar am 27.11.1995 der Einzugsstelle gemeldet.

Im einzelnen handelt es sich um folgende Einzeltaten (wird ausgeführt).

b) Zumindest im Zeitraum Juli 1995 bis April 1996 beschäftigte der Beschuldigte für die GmbH Arbeitnehmer, die bei der baden-württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte rentenversichert waren. Dabei handelte es sich im Zeitraum Juli 1995 bis Dezember 1995 um die Ärztin Dr. M. und den Arzt Dr. S. und im Zeitraum Januar 1996 bis April 1996 um den Arzt St. Auch hier war jeweils arbeitsvertraglich vereinbart, dass die GmbH die Arbeitnehmeranteile zur Rentenversicherung vom Gehalt einbehält und diese zusammen mit den Arbeitgeberanteilen an die Versorgungsanstalt fristgerecht abführt. Dies ist in dem genannten Zeitraum nicht geschehen. Die Arbeitnehmeranteile wurden zwar einbehalten, eine fristgerechte Zahlung erfolgte jedoch nicht. Den Arbeitnehmern wurde nicht unverzüglich mitgeteilt, dass die Zahlung nicht erfolgte.

Im einzelnen handelte es sich um folgende Taten (wird ausgeführt).

c) Zumindest in dem Zeitraum Juli 1995 bis September 1995 beschäftigte der Beschuldigte für die GmbH die Ärztin Dr. M., die bei der KKH freiwillig kranken- und pflegeversichert war. Auch mit dieser Zeugin war vereinbart, dass der Arbeitnehmeranteil zu den genannten Versicherungen von der GmbH einbehalten wird und zusammen mit dem Arbeitgeberanteil fristgerecht an die KKH gezahlt wird. Dies ist in den genannten Monaten unterblieben. Eine unverzügliche Information der Arbeitnehmerin unterblieb ebenso wie eine unverzügliche schriftliche Mitteilung an die Einzugstelle.

Es kam zu folgenden Einzeltaten (wird ausgeführt).

Sämtliche geschuldeten Beträge sind bezahlt.

d) Als Geschäftsführer und gesetzlicher Vertreter der A. GmbH war der Beschuldigte verpflichtet, für eine ordnungsgemäße Erledigung der steuerlichen Pflichten Sorge zu tragen. Insbesondere hatte er die von den Löhnen der Arbeitnehmer der GmbH einzubehaltende Lohnsteuer im jeweiligen Anmeldezeitraum (Kalendermonat) bis zum 10. des Folgemonats beim Finanzamt mit einer Lohnsteueranmeldung wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären. Die gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe von Lohnsteueranmeldungen war ihm bekannt.

Trotz Kenntnis der Rechtslage und Aufforderung durch das Finanzamt reichte er jedoch für die Anmeldezeiträume Februar bis Dezember 1995 keine Lohnsteueranmeldungen ein. Die Schätzung des Finanzamts für da Jahr 1995 in Höhe von 1000,00 DM am 16.4.1996 nahm er widerspruchslos hin, obwohl sich aus den bereits erstellten Lohnsteueranmeldungen und dem Lohnsteuerjournal für 1995 ein Gesamtjahresbetrag von 34138,37 DM ergab.

Die Lohnsteueranmeldungen für den Anmeldezeitraum Januar bis August 1996 reichte der Beschuldigte erst verspätet am 1.10.1996 beim Finanzamt M. für Körperschaften ein.

Der Beschuldigte erreichte damit bewußt und gewollt, dass die folgenden Lohnsteuerbeträge nicht rechtzeitig vom Finanzamt München für Körperschaften festgesetzt werden konnten (wird ausgeführt).

Wegen dieses Sachverhalts wurde der Beschuldigte mit Urteil des Landgerichts München I vom 22.9.1999 rechtskräftig seit 30.9.1999, wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 19 Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung in 19 Fällen zur Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 70,00 DM verurteilt.

4. Mitte des Jahres 1999 trat unter den in M. niedergelassenen Kassenärzten eine gewisse Unruhe ein, weil sich einige niedergelassene Kassenärzte zu dem sogenannten "Medizinischen Qualitätsnetz M." (im folgenden kurz MQM genannt) zusammengeschlossen hatten und einige gesetzliche Krankenkassen für die Ärzte mittels Rundschreiben warben. Der Beschuldigte wies mit Schreiben vom 6.7.1999 die Bayerische Landesärztekammer darauf hin, dass er die Vorgehensweise des MQM und der für diese werbenden gesetzlichen Krankenkassen für berufsrechtswidrig halte und deshalb ein Einschreiten der Bayerischen Landesärztekammer fordere. Schließlich sandte der Beschuldigte an den Präsidenten der Bayerischen Landesärztekammer Dr. K. am 5.12.1999 ein handschriftliches Faxschreiben folgenden Inhalts:

"Sehr geehrter Herr K..

morgen oder übermorgen erhalten sie von mir einen Haufen Post bezüglich MQM.

Die Info, die ich heute erhalten habe, MQM macht munter weiter! (SBK 18.11.1999) Sogar außerhalb Harlaching/Giesing!

Da Sie das bisher nicht unterbunden haben (ist Ihre Angst vor M., H., R. und wie die Ärzte-Kanaken noch alle heißen wirklich so groß. Sind Sie wirklich so feige, oder einfach gut bestochen?).

Ist damit für mich das Werbeverbot gänzlich ad acta gelegt. Wir werden uns entsprechend MQM an keine Konvention mehr halten

MfG.."

5. Am 11.11.1999 wandte sich die AOK Bayern mit zwei Schreiben an die Praxisgemeinschaft des Beschuldigten und bat unter Beifügung eines Antwortkuverts um Beantwortung von Fragen über den weiteren Krankheitsverlauf von zwei Patienten, die sozialmedizinische Maßnahmen bei der AOK beantragt hatten. Beide Anfragen beantwortete der Beschuldigte dergestalt, dass er auf das eine Schreiben mit Filzstift handschriftlich folgenden Text anbrachte:

"Nr. 29 Wenn Ihr Scheiße produzieren wollt, geht auf die Toilette!

bzw. Spült gleich die Scheiß AOK weg!"

Auf der zweiten Anfrage vom 11.11.1999 brachte der Beschuldigte handschriftlich folgenden Text an:

"Dies ist innerhalb von drei Monaten die 28. Anfrage für uns unbekannte Patienten. Wie dämlich muß jemand sein, um bei der AOK arbeiten zu dürfen?

Es reicht!

Sozialschmarotzer GKV

An Arme Onkel-Kasse, Direktion

Wir sind nicht der AOK-Mülleimer

warum muß ausgerechnet die AOK 100 % geistig schwerbehinderte einstellen."

Anschließend sandte der Beschuldigte die mit vorstehenden Anmerkungen versehenen Anfragen am 21.11.1999 mit folgendem handschriftlichen Anschreiben an die AOK-Direktion zurück:

"Obwohl ich daran zweifele, dass in den oben genannten Gremien überhaupt jemand sitzt, der wenigstens soviel Intelligenz hat, lesen zu können, fordere ich sie auf, diesen exorbitanten Schwachsinn Ihrer Volldeppen-Angestellten zu unterbinden!!

mit den besten wünschen (möglichst heute statt morgen am Baum zu landen) ..."

Einen Abdruck dieses Schreibens sandte der Beschuldigte nachrichtlich an die KV München und die KV Bayern.

II.

1. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten wurden, nachdem er in der Hauptverhandlung weder erschienen noch vertreten war, über die berufsgerichtliche Verurteilung hinaus keine weiteren Feststellungen getroffen.

2. Zur Sache hatte der Beschuldigte in einer dem Landesberufsgericht vorgelegten schriftlichen Berufungsbegründung vom 16.8.2000 u.a. geltend gemacht, die Durchsuchungsaktion sei nicht rechtmäßig gewesen, seine Äußerungen - wie auch sein Verhalten als Geschäftsführer der GmbH - hätten in keinem Zusammenhang mit ärztlichen Leistungen bzw. dem Arztberuf gestanden, die im arbeitsgerichtlichen Verfahren beteiligten Richter hätten sich ihrerseits Fehlleistungen zuschulden kommen lassen, in dem Urteil des Landgerichts München I vom 22.9.1999 sei nicht berücksichtigt worden, dass er vorher schon alle Forderungen beglichen habe, u.a. von der Kassenärztlichen Vereinigung seien jahrelang ihm zustehende Gelder vorenthalten worden, das berufsrechtswidrige Vorgehen des "MQM" sei monatelang von der Ärztekammer unbeachtet geblieben, in dem Schreiben an den Ärztekammerpräsdidenten wie an die AOK könne er keine Beleidigungen erkennen.

In einem an das Berufsgericht gerichteten Schreiben vom 2.4.2000 hatte der Beschuldigte den ihm vorgeworfenen Sachverhalt als solchen als richtig eingeräumt.

Im einzelnen beruhen die Feststellungen im Fall der Praxisdurchsuchung auf den Bekundungen des Zeugen R., im übrigen auf der Verlesung der im Sachverhalt bezeichneten Urkunden sowie der Urteile, deren tatsächliche Feststellungen - soweit den Entscheidungen zugrundeliegend - bindend waren (Art. 80 Abs. 3 Satz 1 HKaG).

III.

Die rechtliche Würdigung dieses Sachverhalts ergibt, dass der Beschuldigte in sämtlichen Fällen gegen die sich aus § 2 Abs. 2 Satz 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns i.d.F. vom 12.10.1997 (BO) ergebende Verpflichtung zur gewissenhaften Berufsausübung (§ 1 Abs. 3 BO a.F.), im Fall des Schreibens vom 5.12.1999 an den Ärztekammerpräsidenten zugleich gegen das ärztliche Kollegialitätsgebot (§ 29 Abs. 1 BO) verstoßen hat.

1. Für das Vorliegen einer Berufspflichtverletzung ist es unerheblich, dass der Beschuldigte die festgestellten Handlungen nicht im Kernbereich ärztlicher Tätigkeit, also bei Ausübung der Heilkunde (§ 1 Abs. 2 BO) begangen hat, weil sie sämtlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Berufsausübung stehen (Bayerisches Landesberufsgericht für die Heilberufe BayObLGSt 1981, 110). Auf die sich in anderen Fällen möglicherweise ergebende Problematik, dass die Berufsordnung - etwa im Gegensatz zu § 113 Abs. 2 BRAO, § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG, Art. 84 Abs. 1 Satz 2 BayBG - zugunsten der Generalklausel des § 2 Abs. 2 Satz 1 BO (§ 1 Abs. 3 BO a.F.) auf eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen beruflichem und außerberuflichem Fehlverhalten verzichtet hat (ebenso Art. 17 HKaG; vgl. Bayerisches Landesberufsgericht für die Heilberufe aaO), kommt es daher nicht an (vgl. für außerberufliches Fehlverhalten im Fall eines Rechtsanwalts auch BGHSt 26, 241).

Der berufliche Zusammenhang ergibt sich ohne weiteres im Fall der anläßlich der Durchsuchung gefallenen Äußerungen daraus, dass es sich um die Räume der ärztlichen Gemeinschaftspraxis handelte, im Fall des arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits (Fall Abschn. II Ziff. 2 a und b des Ersturteils) daraus, dass sich der Beschuldigte als ärztlicher Geschäftsführer der A. GmbH im Rahmen eines Prozesses mit einer Ärztin äußerte, im Fall des Schreibens vom 5.12.1999 daraus, dass es sich um eine die Ärzteschaft betreffende Auseinandersetzung mit dem Präsidenten der eigenen Standesorganisation handelte, und im Fall der Äußerungen gegenüber der AOK, dass der Beschuldigte in Beantwortung von Anfragen handelte, die gerade die ärztliche Behandlung einzelner Patienten betrafen.

Bei dem Schreiben vom 18.9.1997 (Fall Abschn. II Ziff. 2 c des Ersturteils) ist der Bezug zur Berufsausübung allerdings nicht unmittelbar gegeben, da Adressat neben der Ehefrau das Zentralfinanzamt war. Da der Streit sich aber offensichtlich auf die Einkunftsermittlung bzw. auf Vollstreckungsmaßnahmen bezog und es daher (ganz oder überwiegend) um Einkünfte aus ärztlicher Tätigkeit ging, der Beschuldigte daher auch als Arzt der Finanzbehörde entgegentrat, liegt auch insoweit ein beruflicher Zusammenhang - wenn auch nicht so unmittelbar wie in den zuvor genannten Fällen - vor.

Dieser Zusammenhang besteht schließlich auch, soweit der Beschuldigte steuerliche und versicherungsrechtliche Pflichten verletzt hat. Denn er beging diese Pflichtverletzungen als Geschäftsführer einer Gesellschaft, die schon ihrem Namen nach heilberufliche Dienstleistungen anbot, so dass es nicht darauf ankommt - wie der Beschuldigte in der oben erwähnten Berufungsbegründung vorgetragen hat -, dass die ärztlichen Leistungen selbst von den beteiligten Ärzten zu erbringen waren. Zudem handelte es sich zumindest auch um die Verletzung von Pflichten, die dem Beschuldigten Berufskollegen gegenüber oblagen. Daher kann er sich auch insoweit nicht darauf berufen, es habe sich um eine nichtärztliche Nebentätigkeit gehandelt.

Der Ahndung steht auch nicht entgegen, dass die Berufsordnung sich in Form einer Generalklausel damit begnügt, eine gewissenhafte Berufsausübung zu fordern, ohne Verstöße hiergegen im einzelnen zu beschreiben und zu konkretisieren. Denn es entspricht der herkömmlichen Struktur allen Standesrechts, dass die Berufspflichten nicht in einzelnen Tatbeständen erschöpfend umschrieben werden können, weil eine vollständige Aufzählung sämtlicher Berufspflichten nicht möglich, aber auch nicht notwendig ist (BVerfG NJW 1978, 101).

2. Hiernach hat der Beschuldigte in sämtlichen Fällen gegen seine sich aus § 2 Abs. 2 Satz 1 BO (§ 1 Abs. 3 BO a.F.) ergebenden Pflichten verstoßen. Hiernach ist der Arzt gehalten, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen.

a) Mit diesen Pflichten sind die verbalen mündlichen und schriftlichen Entgleisungen des Beschuldigten - unbeschadet der Frage, ob es sich jeweils auch um Straftatbestände gehandelt hat - nicht zu vereinbaren. Bei der Durchsuchung hat er sich als unsachlich, unbeherrscht, (verbal) aggressiv und maßlos beschimpfend gezeigt, obwohl ihm bekannt sein mußte, dass die die Durchsuchung durchführenden Beamten für die Anordnung der Maßnahme nicht verantwortlich waren, dass die gewählten Bezeichnungen "Kriminellen, "Mafia" und "Nazimethoden" objektiv nicht zutrafen und dass ihm in einem Rechtsstaat andere Mittel zur Verfügung standen, die angebliche Unrechtmäßigkeit der Maßnahme geltend zu machen. Der in den Beschimpfungen zum Ausdruck kommende Angriff auf die Menschenwürde anderer ist mit dem "Gelöbnis" jeden Arztes, seinen Beruf mit Würde auszuüben, sein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen und jedem Menschenleben Ehrfurcht entgegenzubringen, unvereinbar. Das Verhalten des Beschuldigten entspricht daher nicht dem Bild, das die Öffentlichkeit sich von einem Arzt macht und machen kann; es war daher berufsunwürdig und geeignet, das Ansehen des Arztberufs zu beeinträchtigen.

Diese Beurteilung trifft, wenn auch in unterschiedlichem Maß, auf die übrigen verbalen Attacken ebenfalls zu. Soweit es sich, wie überwiegend, um schriftliche Äußerungen handelt, ist auch kein Raum für die Erwägung, es könne sich um den Ausdruck spontaner Erregung in der Anspannung der jeweiligen Situation gehandelt haben.

Um berufswidriges Verhalten handelt es sich schließlich auch im Fall der Verletzung steuerlicher und versicherungsrechtlicher Pflichten. Zur gewissenhaften Berufsausübung gehört die sorgfältige Erfüllung der auf das berufliche Einkommen bezogenen öffentlich-rechtlichen Pflichten; mit deren Verletzung hat der Beschuldigte daher zugleich gegen die Berufsordnung verstoßen. Auch wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Tat des Beschuldigten in der Öffentlichkeit besonderes Aufsehen erregt hätte, kommt hier der wesentliche Aspekt hinzu, daß das Verhalten des Beschuldigten gerade auch ärztliche Mitarbeiter, also Berufskollegen, betraf (vgl. Hamburgisches Berufsgericht für die Heilberufe in Sammlung berufsgerichtlicher Entscheidungen der Heilberufsgerichte A 1.14 Nr. 1.4).

b) Mit dem Schreiben an den Kammerpräsidenten vom 5.12.1999 hat der Beschuldigte schließlich zugleich seine Pflichten aus § 29 Abs. 1 Satz 1 BO verletzt.

Nach dieser Vorschrift haben sich Ärzte untereinander kollegial zu verhalten, wobei es nicht darauf ankommt, dass der Angriff nicht die ärztliche Kompetenz der angesprochenen Berufskollegen, sondern berufsständische Fragen betraf. Dahinstehen kann, ob und inwieweit das Kollegialitätsgebot zumindest auch den individuellen Achtungsanspruch des einzelnen Arztes schützt oder als Reflex der Pflicht zu gewissenhafter Berufsausübung nur dem Ansehensschutz des Arztberufes dient (vgl. Hamburgisches Berufsgericht für die Heilberufe aaO A 1.11 Nr. 9). Denn jedenfalls hat der Beschuldigte durch seinen maßlosen Rundumschlag das Klima vergiftet und die im Interesse der Sache, der Öffentlichkeit und des Ansehens der Ärzteschaft gebotene sachliche und vorurteilslose Auseinandersetzung erschwert.

c) Hinsichtlich seiner mündlichen und schriftlichen Äußerungen steht dem Beschuldigten nicht der Schutz des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) zu. Allerdings schützt das Grundrecht die Meinungskundgabe unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist, und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird, so dass sie den Schutz auch dann nicht verliert, wenn sie polemisch oder verletzend formuliert ist, da der Grundrechtsschutz sich auch auf die Form der Äußerung bezieht (BVerfG NJW 2000, 3413/3414 m.w.N.). Gleichwohl kann sich der Beschuldigte auf diesen Schutz, der ohnehin wohl nur im Fall des Schreibens vom 5.12.1999, allenfalls noch seiner Ausfälle gegenüber der AOK zu erörtern ist, weil nur insoweit ein sachliches Anliegen im Hintergrund steht, wegen des Gepräges seiner Äußerungen nicht berufen. Denn die Meinungsfreiheit muß regelmäßig dann zurücktreten, wenn die Äußerung sich als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt (BVerfG aaO). Das ist hier, wie oben bereits angesprochen, der Fall, weil sich die Angriffe als Formalbeleidigungen bzw. als Schmähungen und Verunglimpfungen der Andersdenkenden bzw. derjenigen, die er für eine ihm missliebige Maßnahme verantwortlich machte, darstellen. Der Beschuldigte kann sich daher weder auf ein Recht zur Kritik an der Standesorganisation oder der Kasse (vgl. BVerfG NJW 1991, 1529; MedR 1994, 151; NJW 1994, 2413) noch auf ein Recht zum Gegenschlag oder den "Kampf ums Recht" (vgl. BVerfG StV 1991, 458) berufen. Soweit im Hintergrund seiner Ausfälle daher verletztes Gerechtigkeitsgefühl, früheres tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten anderer oder die Überzeugung, in einer berufspolitischen Angelegenheit die besseren Argumente zu haben, gestanden haben sollten, kann dies ausschließlich im Rahmen der Rechtsfolgenentscheidung Berücksichtigung finden.

IV.

1. Der Ahndung dieses Verhaltens im berufsgerichtlichen Verfahren steht nicht die Vorschrift des Art. 61 Abs. 3 HKaG entgegen, derzufolge dann, wenn bereits ein Gericht wegen desselben Verhaltens eine Strafe verhängt hat, eine Maßnahme nach Art. 61 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 HKaG (Verweis oder Geldbuße) nur dann verhängt werden darf, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um das Mitglied zur Erfüllung seiner Berufspflichten anzuhalten und das Ansehen des Berufsstands zu wahren (berufsrechtlicher Überhang).

a) Soweit es sich um die verbalen, durchwegs auf der gleichen Neigung des Beschuldigten zu unbeherrschtem, aggressivem Überreagieren beruhenden Verfehlungen handelt, kommt die Vorschrift deshalb nicht zur Anwendung, weil lediglich einige der Vorfälle strafgerichtlich abgeurteilt worden sind, andere dagegen nicht. Insoweit folgt aus dem Begriff der Einheitlichkeit des Berufsvergehens, dass das gesamte vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten als eine zu ahndende Tat anzusehen ist, so dass es sich nicht um "dasselbe Verhalten" im Sinn von Art. 61 Abs. 3 HKaG handelt (vgl. für Rechtsanwälte BGHSt 27, 305/306; Jähnke in Festschrift für Gerd Pfeiffer, 1988, S. 941/944). Für das heilberufsgerichtliche Verfahren gilt insoweit nichts anderes als für das sonstige Berufsrecht. Bei den strafgerichtlich nicht abgeurteilten Verfehlungen handelt es sich auch nicht nur um einen bedeutungslosen, nachgeordneten Annex, der nicht ins Gewicht fiele und die Sachverhaltsindentität unberührt ließe (BVerwG NJW 1986, 443/444).

b) Dagegen bleibt die Vorschrift anwendbar, soweit der Beschuldigte wegen steuerlicher und versicherungsrechtlicher Verfehlungen durch das Urteil des Landgerichts München I vom 22.9.1999 verurteilt worden ist, da es sich insoweit um einen Vorgang handelt, der mit den übrigen Pflichtverletzungen in keinem äußeren oder inneren Zusammenhang steht und daher völlig selbständig beurteilt werden muß (Jähnke S. 945).

In einem solchen Fall darf allerdings nach Art. 61 Abs. 3 HKaG neben der strafgerichtlichen Verurteilung ein Verweis oder eine Geldbuße nur in Ausnahmefällen verhängt werden (Bayerisches Landesberufsgericht für die Heilberufe BayObLGSt 1988, 55; Sammlung berufsgerichtlicher Entscheidungen der Heilberufsgerichte B 1.2 Nr. 36). Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass durch die strafrechtliche Ahndung in der Regel zugleich die berufsrechtlichen Belange ausreichend gewahrt werden. Nur wo dies ausnahmsweise nicht der Fall ist, so insbesondere dann, wenn der berufsrechtliche Unrechts- und Schuldgehalt der Tat erheblich über den strafrechtlichen hinausgeht, wenn also der Umstand, dass die Tat zugleich eine Berufspflichtverletzung enthält, ein zusätzliches Ahndungsbedürfnis hervorruft, dem - da außerhalb des Strafzwecks liegend - nicht bereits bei der Strafzumessung Rechnung getragen werden konnte, ist neben der strafrechtlichen Verurteilung auch eine berufsrechtliche Ahndung möglich (Bayerisches Landesberufsgericht für die Heilberufe BayObLGSt 1988, 55/57; Urteil vom 15.10.1996 - LBG-Ä 2/96).

Das ist hier der Fall. Durch das Urteil im Strafverfahren wurde der gewichtige berufsspezifische Bezug, nämlich dass es sich um ärztliches Einkommen handelte und dass die Verfehlungen zumindest auch ärztliche Mitarbeiter betrafen, nicht erfaßt, so dass eine zusätzliche berufsgerichtliche Maßnahme sowohl zur Einwirkung auf den Beschuldigten wie auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstands erforderlich ist.

2. Bei der Bestimmung der Rechtsfolgen hat das Landesberufsgericht dem Beschuldigten zugute gehalten, dass er jedenfalls teilweise aus verletztem Rechtsgefühl und im Kampf gegen - tatsächliche oder vermeintliche - berufliche Missstände gehandelt hat, auch, dass er den Sachverhalt als solchen nicht in Abrede gestellt hat; andererseits waren das teils erhebliche Gewicht der Verfehlungen wie auch ihre Vielzahl, aber auch die weitere berufsgerichtliche Verurteilung des Beschuldigten zu seinen Lasten zu beachten.

In Übereinstimmung mit dem Erstgericht hat daher auch das Landesberufsgericht einen Verweis nicht mehr für ausreichend erachtet und ebenfalls eine Geldbuße in Höhe von 2000 DM für angemessen gehalten; da die finanzielle Situation des Beschuldigten nicht bekannt ist, wurde von Durchschnittsverhältnissen ausgegangen.

Ende der Entscheidung

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