Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.11.1999
Aktenzeichen: ObOWi 558/99
Rechtsgebiete: OwiG, BkatV, StVG, StVO


Vorschriften:

OWiG § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
BKatV § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BKatV § 2 Abs. 1 Satz 1
BKatV § 2 Abs. 1 Satz 1
StVG § 25 Abs. 1 Satz 1
StVG § 25 Abs. 2 a
StVO § 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BayObLG

Beschluß

24.11.1999

2 ObOWi 558/99

Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Krämer sowie der Richter Dr. Rohlff und Rittmayr in dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit nach Anhörung des Betroffenen am 24. November 1999 einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 30. Juli 1999 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht Würzburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft zu einer Geldbuße von 400 DM. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie beanstandet, daß das Amtsgericht kein Fahrverbot verhängt hat.

II.

1. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Aufgrund der Feststellungen des Amtsgerichts, die dem rechtskräftigen Schuldspruch zugrunde liegen und die den Senat binden, befuhr der Betroffene am 22. 7. 1998 mit seinem Pkw die Bundesautobahn A 3 Frankfurt-Nürnberg in Richtung Nürnberg und überschritt bei km 305,7 die durch Zeichen 274 angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 46 km/h.

Aufgrund der Beschränkung des Rechtsmittels hat der Senat davon auszugehen, daß dem Betroffenen lediglich Fahrlässigkeit zur Last liegt, obwohl nach den Feststellungen die Annahme vorsätzlichen Verhaltens naheliegt. Das Amtsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, daß der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung erkannt hat. Dafür spricht auch die Tatsache, daß der Betroffene einen Geschwindigkeitstrichter durchfahren hat und das die Geschwindigkeit auf 80 km/h beschränkende Zeichen vor der Meßstelle zumindest einmal wiederholt worden ist. Die Kenntnis der gefahrenen Geschwindigkeit kann sich grundsätzlich aus den Feststellungen des Amtsgerichts zu deren Höhe ergeben. Bei der festgestellten massiven Überschreitung um mehr als 50 % drängt sich die Annahme vorsätzlicher Begehung geradezu auf (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 378/379; BayObLGSt 1996, 15/16).

Durch die Rechtsmittelbeschränkung wurden aber neben den Feststellungen des Amtsgerichts, in denen die Merkmale der angewandten Bußgeldbestimmung zu finden sind, auch die weitergehenden Feststellungen zum Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs für den Senat bindend. Dazu zählen auch diejenigen, die den Grad des Fahrlässigkeitsvorwurfs näher bestimmen (vgl. BGHSt 30, 340). Im vorliegenden Fall ist der Senat deshalb auch an die Feststellung des Amtsgerichts gebunden, daß der Tachometer des Betroffenen "kurz vor der späteren Meßstelle" nicht mehr "ging" und daß der Betroffene sich "dem Verkehrsfluß angepaßt" hat. Es ist daher unerheblich, daß das Amtsgericht die entsprechende Einlassung des Betroffenen offensichtlich ungeprüft übernommen hat, anstatt sie - wie geboten - einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Schon die Bindungswirkung der Rechtsmittelbeschränkung führt dazu, daß die Einwendungen der Staatsanwaltschaft gegen die Annahme eines derartigen Anpassens an den Verkehrsfluß unerheblich sind, ganz abgesehen davon, daß das Vorbringen der Staatsanwaltschaft in den Urteilsgründen keine Stütze findet und deshalb auf die allein erhobene Sachrüge hin keine Berücksichtigung finden kann.

2. Auch unter Zugrundelegung des vom Amtsgericht festgestellten und den Senat bindenden Sachverhalts kann der Rechtsfolgenausspruch indes keinen Bestand haben.

Aufgrund der Feststellungen kommt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i. V. m. Nr. 5.3.4 der Tabelle 1 a des Anhangs zu Nr. 5 des Bußgeldkatalogs die Anordnung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht. Die Erfüllung eines der Tatbestände des § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatV indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG. Die im Bußgeldkatalog bestimmten Fälle grober Verkehrsverstöße sind gesetzlich als derart schwerwiegend vorbewertet, daß für sie im Regelfall die Verhängung eines Fahrverbots auch angemessen erscheint. Für eine Einzelfallprüfung, ob trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatV eine grobe Pflichtverletzung zu verneinen ist, ist danach nur mehr eingeschränkt Raum (BGHSt 38, 125/130; 231, 235 und ständige Rechtsprechung des Senats).

Von der Anordnung eines Fahrverbots kann in diesen Fällen im Einzelfall nur abgesehen werden, wenn Umstände gegeben sind, die das Tatgeschehen aus dem Rahmen der typischen Begehungsweise einer solchen Ordnungswidrigkeit im Sinne einer Ausnahme herausheben oder Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß ein Fahrverbot mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot nicht vereinbar ist.

Einen derartigen Ausnahmefall begründen die Feststellungen des Amtsgerichts nicht.

Die fehlenden Vorahndungen des Betroffenen rechtfertigen nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung nicht, von einem Fahrverbot abzusehen. In der Rechtsprechung ist auch anerkannt, daß ein defekter Tachometer Fahrlässigkeit bei Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht ausschließt (vgl. Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. § 3 StVO Rn. 51/52 a. E. mit Nachweisen der Rechtsprechung). Die Tatsache, daß der Tachometer defekt war, begründet sogar eine besondere Pflicht, der Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit gesteigerte Aufmerksamkeit zu widmen (BayObLG Beschluß vom 23. 8. 1995 - 2 ObOWi 510/95). Dabei gilt der oben bereits in anderem Zusammenhang herausgestellte Grundsatz, daß ein Kraftfahrer, der sein Fahrzeug kennt, eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung in der Regel bemerken kann. Wenn ein Kraftfahrer daher - wie der Betroffene - die ihm bekannte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 46 km/h in Kenntnis eines defekten Tachometers überschreitet, läßt dies auf ein besonderes Maß an Sorglosigkeit im Straßenverkehr schließen (vgl. auch BGH aaO).

Dies gilt auch für den vorliegend anzunehmenden Fall eines Mitfahrens im Verkehrsfluß. Auch wenn tatsächlich auf einer Fahrspur der Autobahn von allen eine Geschwindigkeit von 126 km/h statt 80 km/h eingehalten worden sein sollte, kann einem erfahrenen Kraftfahrzeugführer das Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeit nur infolge grober Nachlässigkeit entgehen.

Insgesamt rechtfertigen die vom Amtsgericht festgestellten Tatumstände nicht, von der in der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehenen Verhängung eines Fahrverbots abzusehen.

III.

Die angefochtene Entscheidung war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufzuheben. Eine eigene Entscheidung ist dem Senat verwehrt, da das Amtsgericht - von seinem Standpunkt aus konsequent - nicht die Frage erörtert hat, ob aus anderen Gründen, etwa wegen existenzgefährdender Auswirkungen, die Verhängung eines Fahrverbots ausscheidet. Der Senat weist hierzu allerdings vorsorglich darauf hin, daß an die Annahme einer derartigen Existenzgefährdung besondere Anforderungen zu stellen sind. Insbesondere ist im Hinblick auf die Regelung des § 25 Abs. 2 a StVG bei der Frage, ob und inwieweit wirtschaftliche Nachteile bei der Prüfung der Angemessenheit und Vertretbarkeit eines Fahrverbots überhaupt (noch) von Belang sind, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen (vgl. OLG Hamm DAR 1999, 84 = VRS 96, 231).

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Würzburg zurückverwiesen.



Ende der Entscheidung

Zurück