Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 25.11.1995
Aktenzeichen: RReg 4 St 191/91
Rechtsgebiete: BtMG, StGB


Vorschriften:

BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
BtMG § 29 Abs. 5
StGB § 47 Abs. 1
1. Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe läßt sich nicht damit rechtfertigen, daß Heroin ein besonders gefährliches Betäubungsmittel sei.

2.Das Vorliegen der "besonderen Umstände in der Tat" im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB kann nicht allein mit der Eigenschaft eines Betäubungsmittels als besonders gefährliche Droge belegt werden.

3. Erwerb und Besitz eines Betäubungsmittels zum Eigenverbrauch sind gegenüber der Weitergabe von Betäubungsmitteln erheblich milder zu beurteilen.

4. § 29 Abs. 5 BtMG kann auch einen vorbestraften Ersttäter priviligieren.


BayObLG Beschluss

AG München - 27.06.91

RReg 4 St 191/91

25.11.91

Gründe:

I. Das nach der Revisionsbegründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsmittel der Angeklagten hat Erfolg.

1. Das Amtsgericht hat gegen die Angeklagte eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt. Dies setzt nach § 47 Abs. 1 StGB voraus, da besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen nicht zweifelsfrei erkennen, ob sich das Amtsgericht im klaren war, dass die Verhängung der Freiheitsstrafe von drei Monaten nur in Betracht kam, wenn dies unerlässlich war (zu den Voraussetzungen für die Annahme der Unerlässlichkeit vgl. BayObLGSt 1988, 109 [110/111]). Das Amtsgericht spricht in den Gründen seiner Entscheidung nur davon, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe "geboten erschien". Der Begriff "geboten" ist im Sinngehalt nicht identisch mit "unerlässlich". Mit der Verwendung des Begriffs der Unerlässlichkeit werden höhere Anforderungen an die Verhängung einer Freiheitsstrafe gestellt als mit "Gebotensein" (OLG Hamm wistra 1986, 30; Dreher/Tröndle StGB 45. Aufl. § 47 Rdn. 7; ebenso Senatsbeschluss vom 21.01.1991 RReg. 4 St 219/90 = DRsp-ROM Nr. 1995/7323 zum Begriff des "Erforderlichseins").

2. Das Amtsgericht hat die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe damit begründet, dass die Tat der Angeklagten (Erwerb einer Konsumeinheit zum Eigenverbrauch) sich auf das ganz besonders gefährliche, stark suchterzeugende Rauschgift Heroin bezog. Damit allein kann die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht begründet werden. § 29 Abs. 1 BtMG sieht - ohne Unterscheidung nach der Gefährlichkeit der Betäubungsmittel - Freiheitsstrafe bis zu 4 Jahren oder Geldstrafe vor. "Besondere Umstände in der Tat" im Sinne von § 47 Abs. 1 sind bestimmte Tatsachen, die die konkrete Tat von den durchschnittlichen, gewöhnlich vorkommenden Taten gleicher Art unterscheiden (BayObLGSt a.a.O.). Da auch der Erwerb und der sonstige verbotene Umgang mit Heroin weit verbreitet ist und daher insoweit zu den "durchschnittlichen, gewöhnlich vorkommenden Taten gleicher Art" zu rechnen ist, kann nach dem Regelungszusammenhang der genannten Vorschriften zur Begründung "besonderer Umstände" nicht allein auf die Eigenschaft eines Betäubungsmittels als besonders gefährliche Droge abgestellt werden (Senatsbeschluss vom 21.1.1991 RReg. 4 St 219/90 = DRsp-ROM Nr. 1995/7323).

3. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Angeklagte das Heroin zum Eigenverbrauch erwarb. Erwerb und Besitz eines Betäubungsmittels zum Eigenverbrauch ist gegenüber den Tatbeständen des Betäubungsmittelstrafrechts, welche die Weitergabe von Betäubungsmitteln voraussetzen, erheblich milder zu beurteilen. Der unterschiedliche Unrechtsgehalt ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (BayObLGSt 1988, 62 [70] = DRsp-ROM Nr. 1994/323). Dieser Gesichtspunkt fällt demgemäss auch bei der Frage ins Gewicht, ob nach § 47 Abs. 1 StGB eine kurze Freiheitsstrafe zu verhängen ist.

II. Aufgrund der vorstehenden Darlegungen wird das Urteil des Schöffengerichts bei dem Amtsgericht München vom 27.6.1991 in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufgehoben (§ 353 StPO). Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Schöffengericht bei dem Amtsgericht München zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO), das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig.

III. Für das weitere Verfahren wird bemerkt: Das zur neuen Verhandlung berufene Schöffengericht wird zu entscheiden haben, ob § 29 Abs. 5 BtMG anzuwenden ist. Dazu muss zunächst festgestellt werden, welche konkrete Menge Heroin die Angeklagte erwarb. Bei Heroin ist die "geringe Menge" bei 0,15 g anzusetzen (Körner BtMG 3. Aufl. § 29 Rdn. 806; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats). Der in dem angefochtenen Urteil verwendete Begriff einer "Konsumeinheit" besagt nicht ohne weiteres, dass es sich um eine Menge von 50 mg gehandelt hat. Die Konsumeinheit reicht bei Heroin von 50 bis 500 mg (Körner Anhang C 1 I 3 d).

Mit der Vorschrift des § 29 Abs. 5 BtMG soll grundsätzlich der Ersttäter privilegiert werden. Ihre Anwendung ist aber selbst bei Vorbestraften nicht ausgeschlossen (BGH StV 1987, 250; OLG Hamburg StV 1988, 109; Senatsbeschluss vom 14.12.1990 RReg. 4 St 202/90 = DRsp-ROM Nr. 1999/4973). Dem Dauerkonsumenten soll die Vorschrift allerdings nicht zugute kommen, sondern nur dem gelegentlichen "Probierer" (BayObLGSt 1973, 104 [105]). Feststellungen, dass die Angeklagte etwa Dauerkonsument gewesen sei, hat das Amtsgericht nicht getroffen. Es hat lediglich die Befürchtung geäußert, dass bei der Angeklagten möglicherweise nach wie vor eine ganz erhebliche Drogengefährdung gegeben ist. Für die Strafbemessung bedeutsame Tatsachen müssen jedoch bewiesen sein.

Ende der Entscheidung

Zurück