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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.03.2000
Aktenzeichen: Verg 2/00
Rechtsgebiete: VOB/A, VOL/A, GWB, BGB, BFStrG, BayStrWG, GKG


Vorschriften:

VOB/A § 1 a Nr. 1 Abs. 1
VOB/A § 1
VOB/A § 1 a Nr. 2
VOL/A § 24 Nr. 2
VOL/A § 25 Nr. 4
VOL/A § 28 Nr. 2 Abs. 2
GWB § 127
GWB § 99 Abs. 3
GWB § 99 Abs. 4
BGB § 631 ff.
BFStrG § 1 Abs. 4 Nr. 3
BayStrWG Art. 2 Nr. 3
GKG § 12 a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Verg 2/00 Vergabekammer Südbayern 120.3-3194.1-20-12/99

Verkündet am 29. März 2000

Die Urkundsbeamtin: Nazemi Justizangestellte

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BESCHLUSS

Der Vergabesenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Gummer sowie der Richter Dr. Delius und Seifried

am 29. März 2000

in dem Nachprüfungsverfahren

betreffend die Vergabe der Wartung und Störungsbeseitigung an Lichtsignalanlagen

bechlossen:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der Vergabekammer Südbayern vom 18. Januar 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 55.137 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Vergabestelle schrieb die Wartung und Störungsbeseitigung an Lichtzeichenanlagen in der Stadt R. aus. Die Ausschreibung war in vier Lose aufgeteilt, nämlich Wartung und Störungsbeseitigung an Außenanlagen der Antragstellerin (Los 1), Wartung und Störungsbeseitigung an Steuergeräten der Antragstellerin (Los 2), Wartung und Störungsbeseitigung an Lichtsignalanlagen der Beigeladenen (Los 3) und Wartung und Störungsbeseitigung an Steuergeräten der Beigeladenen (Los 4). Nebenangebote wurden zugelassen; insoweit wurde u.a. bestimmt, daß sie in technischer Sicht von der Leistungsbeschreibung des Auftraggebers abweichen, die Vertragslaufzeit von 60 Monaten überschreiten dürfen, ohne Hauptangebot zulässig sind und in allen Positionen des Hauptangebots eindeutig nachvollziehbar sein müssen.

Die Antragstellerin gab am 20.10.1999 für die Lose 1 und 2 zwei Nebenangebote ab. Diese Nebenangebote sollten für die vorgesehene Vertragslaufzeit von 60 Monaten gültig sein. Im Nebenangebot 1 bot sie die Wartung und Störungsbeseitigung zu einem Jahrespauschalpreis von 128.000 DM netto an; das Angebot verstand sich ohne Teilsanierung der Anlagen. Das Nebenangebot 2 gründete sich auf einen Jahrespauschalpreis von 148.000 DM netto und ging davon aus, daß ein Teil der sanierungsbedürftigen Anlagen von der Bieterin saniert wird.

Die Beigeladene gab für die Lose 1 und 2 ein Nebenangebot ab, das eine Auftragssumme für Erstellung, Lieferung und Installation neuer Steuergeräte von zuletzt 733.665,89 DM umfaßte. Für die Lose 3 und 4 gab die Beigeladene ein Hauptangebot ab. Nach Einbau der neuen Steuergeräte sollten alle Anlagen für 73.817,76 DM brutto pro Jahr gewartet und Störungen beseitigt werden. In der vorgesehenen Vertragslaufzeit von 60 Monaten ergibt sich somit eine Angebotssumme von 369.088,80 DM.

Mit Schreiben vom 22.11.1999 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, daß ihr Angebot nicht berücksichtigt werde.

Am 14.12.1999 erteilte die Vergabestelle der Beigeladenen aufgrund der oben dargelegten Angebote mündlich den Zuschlag. Die schriftlichen Vertragsurkunden betreffend das Nebenangebot über 733.665,89 DM brutto und das Hauptangebot/Nebenangebot mit einer Auftragssumme von 73.817,76 DM brutto pro Jahr wurden der Beigeladenen am 16.12.1999 um 11.20 Uhr von einem Vertreter der Vergabestelle übergeben. Die Antragstellerin hat mit Telefax vom 15.12.1999 bei der Regierung von Oberbayern die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens beantragt. Das Schreiben ging am 16.12.1999 um 11.31 Uhr bei der Vergabestelle ein. Die Antragstellerin brachte in ihrem Nachprüfungsantrag und im weiteren Verlauf des Verfahrens vor, ihre beiden Nebenangebote seien entgegen der Auffassung der Vergabestelle klar und eindeutig und hätten deshalb nicht von der Wertung ausgeschlossen werden dürfen. Demgegenüber hätte die Vergabestelle das Nebenangebot der Beigeladenen von der Wertung ausschließen müssen; dieses Nebenangebot habe sich nämlich so weit von der Ausschreibung entfernt, daß es mit dem Angebot anderer Bieter nicht mehr verglichen werden könne. Außerdem habe die Vergabestelle unzulässige Nachverhandlungen mit einzelnen Bietern vorgenommen und die Zuschlagsfrist nicht im Einvernehmen mit allen in Betracht kommenden Bietern verlängert.

Die Vergabestelle hat im wesentlichen eingewandt, daß der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, weil der nach § 1a Nr. 1 Abs. 1 VOB/A erforderliche Schwellenwert nicht erreicht sei und auch kein Auftrag im Sinne von § 1a Nr. 2 VOB/A vorliege. Abgesehen davon sei mündlich ein wirksamer Zuschlag vor Beginn des Nachprüfungsverfahrens erteilt worden. Im übrigen sei der Nachprüfungsantrag auch unbegründet. Die Nebenangebote der Antragstellerin hätten von der Bewertung ausgeschlossen werden müssen, weil die Antragstellerin unter Abänderung der Verdingungsunterlagen eine Teilsanierung vor Wartungsbeginn gefordert habe. Außerdem seien Umfang und Tragweite der geforderten Teilsanierung unklar gewesen. Unschädlich sei, daß das Nebenangebot der Beigeladenen im Vergleich zu den ausgeschriebenen Leistungen eine umfangreiche zusätzliche Leistung aufweise. Diese, also die angebotene Lieferung neuer Steuergeräte, hänge sachlich und zeitlich mit der ausgeschriebenen Leistung zusammen. Ein ohnehin fälliger, vorgezogener Austausch von Geräten führe zu erheblichen Einsparungen bei den Wartungs- und Betriebskosten. Unzulässige Verhandlungen mit einzelnen Bietern hätten nicht stattgefunden. Aufgrund des Vergabegesprächs vom 16.11.1999 und des Telefonats vom 2.12.1999 seien nur geringfügige Änderungen der Angebote vorgenommen worden.

Die Vergabekammer hat mit Beschluß vom 18.1.2000, der Antragstellerin zugestellt am 19.1.2000, den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, daß weder der Schwellenwert nach § 1a Nr. 1 Abs. 1 VOB/A erreicht sei noch ein Auftrag im Sinne von § 1a Nr. 2 VOB/A vorliege. Gegen diesen Beschluß hat die Antragstellerin am 1.2.2000 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat beantragt, die Ausschreibung für die Wartung und Störungsbeseitigung an den Lichtzeichenanlagen aufzuheben, hilfsweise den Antragsgegner anzuweisen, den Zuschlag nicht auf das Nebenangebot der Beigeladenen zu erteilen, soweit diese die Wartung und Störungsbeseitigung der von der Antragstellerin errichteten Lichtzeichenanlagen für einen Zeitraum von zehn Jahren vorsehen. Außerdem hat sie beantragt, das Angebot der Antragstellerin wieder in die Wertung aufzunehmen. Hilfsweise hat sie beantragt festzustellen, daß der Antragsgegner durch die Verletzung der Vorschriften des § 24 Nr. 2, § 25 Nr. 4, § 28 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A gegen Vorschriften verstoßen habe, die dem Schutz der Antragstellerin dienten.

II.

Die frist- und formgerecht beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 GWB, § 1 Nr. 25 ZustÜVJu, § 16 Abs. 3 GZVJu) eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (§ 116 Abs. 1, § 117 Abs. 1, 2 und 3 GWB), jedoch nicht begründet.

1. Die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens ist nicht zulässig. Gegenstand der Vergabe ist ein Bauauftrag; der maßgebliche Schwellenwert ist nicht erreicht.

a) Auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde ist zu berücksichtigen, ob die allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens vorliegen.

Der Anwendungsbereich des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist nur eröffnet, wenn der Auftragswert den Schwellenwert erreicht oder übersteigt (§ 100 Abs. 1 GWB), der durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt ist. Da eine solche Rechtsverordnung noch nicht erlassen ist, ergeben sich die Schwellenwerte aus der durch das Vergaberechtsänderungsgesetz nicht aufgehobenen Vergabeverordnung, die ihrerseits auf die Werte der einzelnen Verdingungsordnungen verweist.

Für Bauaufträge beträgt der Schwellenwert nach § 1a Nr. 1 Abs. 1 VOB/A 5 Millionen Europäische Währungseinheiten (ECU); für Dienstleistungsaufträge beträgt er nach § 1a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A 200.000 ECU.

b) Nach § 99 Abs. 3 GWB sind Bauaufträge Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauvorhabens oder eines Bauwerks, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll, oder einer Bauleistung durch Dritte gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen. Die Definition entspricht Abschnitt 1 Art. 1a der Richtlinie zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (BKR). Da nach der Begriffsbestimmung für die Annahme von Bauaufträgen Voraussetzung ist, daß sie das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten zum Ziel haben, müssen derartige Verträge erfolgsbedingt, also werkvertraglich nach den §§ 631 ff. BGB einzuordnen sein (Korbion Vergaberechtsänderungsgesetz § 99 Rn. 5). Zur Auslegung des Begriffs "Bauauftrag" kann ergänzend § 1 VOB/A herangezogen werden (Niebuhr-Eschenbruch Vergaberecht § 99 Rn. 73; Korbion aaO). In § 1 VOB/A wird definiert, was unter Bauleistungen im Sinn der VOB zu verstehen ist. Danach sind Bauleistungen "Arbeiten jeder Art, durch die eine bauliche Anlage hergestellt, instandgehalten, geändert oder beseitigt wird". Diese in der VOB/A Ausgabe Juli 1990 erstmals getroffene Definition ist umfassender als die bis dahin geltende, die als Bauleistungen "Bauarbeiten jeder Art mit oder ohne Lieferung von Stoffen und Bauteilen" bezeichnete. Zweck der Neudefinition war u.a. die Angleichung an die in der BKR erfaßten Bauleistungen (Heiermann/Rusam Handkommentar zur VOB 8. Aufl. Teil A § 1 Rn. 1).

Bauaufträge sind von Dienstleistungsaufträgen in der Weise abzugrenzen, daß zunächst festzustellen ist, was zu den Bauleistungen zu rechnen ist. In § 99 Abs. 4 GWB heißt es nämlich, daß als Dienstleistungsaufträge Verträge über Leistungen gelten, die nicht Lieferverträge oder Bauaufträge sind und kein Auslobungsverfahren darstellen. Was eine Dienstleistung ist, wird somit zunächst negativ beschrieben, indem sie als Leistung bezeichnet wird, die keine Liefer- oder Bauleistung ist (Daub/Müller VOL/A 4. Aufl. Abschnitt 1 § 1 Rn. 7).

c) Die von der Beschwerdegegnerin ausgeschriebene Wartung und Störungsbeseitigung an Lichtsignalanlagen betrifft eine Bauleistung. Straßen sind bauliche Anlagen. Lichtsignalanlagen an Straßen sind nach § 1 Abs. 4 Nr. 3 BFStrG und nach Art. 2 Nr. 3 BayStrWG als Zubehör Teil der baulichen Anlage Straße. Wartungs- und Störungsbeseitigungsarbeiten an Lichtsignalanlagen erfüllen daher die Anwendungsvoraussetzungen des § 1 VOB/A (vgl. OLG Düsseldorf ZVgR 1999, 160/164; Heiermann/Rusam Teil A § 1 Rn. 33 und 34; Niebuhr/Eschenbruch § 99 Rn. 73). Wartungs- und Störungsbeseitigungsarbeiten an Lichtsignalanlagen sind erfolgsbedingt im Sinn der §§ 631 ff. BGB. Es soll durch sie nicht nur eine Funktionskontrolle der Anlagen stattfinden, es soll auch deren Funktionstüchtigkeit sichergestellt werden, d.h. gegebenenfalls sind aufgrund des Wartungs- und Störungsbeseitigungsauftrags auch Einzelteile oder Einzelgeräte auszutauschen. Bei der Wartung und Störungsbeseitigung von Lichtsignalanlagen handelt es sich somit um Substanzpflege. Der Gegenstand der Vergabe ist hier zu Recht als Bauleistung ausgeschrieben worden; bei der Abgabe ihrer Angebote sind im übrigen auch die Antragstellerin und die Beigeladene davon ausgegangen, daß es sich bei dem Gegenstand der Vergabe um eine Bauleistung handelt.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, aus der Dienstleistungsrichtlinie und deren Anhang I A ergebe sich, daß es sich bei dem Gegenstand der Vergabe um einen Dienstleistungsauftrag handle. Dem folgt der Senat nicht, da es sich wie ausgeführt um eine Bauleistung i.S. des § 99 Abs. 3 GWB handelt. Damit ist die Einordnung als Dienstleistung gemäß § 99 Abs. 4 GWB verschlossen. Im übrigen kann der Senat den europarechtlichen Richtlinien eine hiervon abweichende verbindliche Definition für Dienstleistungen nicht entnehmen.

d) Die Regelung des § 1a Nr. 2 VOB/A ist nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift sind die Bestimmungen der Paragraphen auch anzuwenden, wenn eine Baumaßnahme aus nur einem Bauauftrag mit einem Auftragswert von mindestens 200.000 ECU ohne Umsatzsteuer besteht, bei dem die Lieferung so überwiegt, daß das Verlegen und Anbringen lediglich eine Nebenarbeit darstellt.

Nach dem Wortlaut ergibt sich zunächst, daß diese Regelung nur anwendbar ist, wenn eine Baumaßnahme aus nur einem zu vergebenden Auftrag besteht. Die von der Beschwerdegegnerin ausgeschriebene Bauleistung ist zwar in mehreren Losen ausgeschrieben und vergeben worden. Dies rechtfertigt aber nicht die Annahme, daß der Auftrag zum Austausch der Steuergeräte mit der Auftragssumme von 733.665,89 DM als einer von mehreren selbständigen Aufträgen vergeben werden soll. Es liegt vielmehr ein einheitlicher Auftrag vor, der auch als solcher ausgeschrieben wurde. Es handelt sich um einen Gesamtauftrag, der sich auf Wartung und Störungsbeseitigung unter Einschluß des Austausches von Einzelgeräten bezieht. So hat im übrigen auch die Beschwerdeführerin die Ausschreibung von Anfang an verstanden, wie sich aus ihrem Nebenangebot ergibt, das die Teilsanierung der Anlage vorsah.

Der Auftrag zur Wartung und Störungsbeseitigung umfaßt auf die Vertragsdauer von 5 Jahren bezogen eine Auftragssumme von 369.088,80 DM, aus der auf die Lieferung von Ersatzteilen etwa 10 % entfallen. Die Erstellung, Lieferung und Installation der Steuergeräte soll nach dem Nebenangebot der Beigeladenen 733.665,89 DM kosten, wovon rund 72.000 DM die Installationsarbeiten betreffen. Damit entfallen von der Gesamtauftragssumme von rd. 1.100.000 DM ca. 404.000 DM, also mehr als 1/3, auf reine Dienstleistung. Eine Anwendung der Regelung des § 1a Nr. 2 VOB/A wird in der Literatur (Heiermann/Rusam Teil A § 1a Rn. 22) jedoch erst ab einem Anteil von etwa 3/4 an der Gesamtleistung vertreten. Im übrigen umfassen Wartung und Störungsbeseitigung Arbeiten, die über Verlegen und Anbringen von § 1a Nr. 2 VOB/A hinausgehen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen (vgl. BayObLGZ 1999, 127/144). Der Beschwerdewert wird gemäß § 12a Abs. 2 GKG auf 5 % der Auftragssumme festgesetzt.

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