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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 07.10.1999
Aktenzeichen: Verg 3/99
Rechtsgebiete: GWB, VwGO, HandwO, GKG


Vorschriften:

GWB § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO
HandwO § 1 Abs. 1 Satz 1 HandwO
GWB § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB
GWB § 124 Abs. 1 GWB
GWB § 128 Abs. 3 GWB
GKG § 12a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BayObLG

Beschluß

07.10.1999

Verg 3/99 Vergabekammer Nordbayern 320. VK - 3194 - 12/99

Der Vergabesenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Gummer sowie der Richter Sprau und Dr. Nitsche am 7. Oktober 1999 in dem Nachprüfungsverfahren beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Vergabestelle wird der Beschluß der Vergabekammer Nordbayern vom 15. Juli 1999 aufgehoben.

II. Der Antrag auf Feststellung einer Rechtsverletzung durch die Vergabeentscheidung wird zurückgewiesen.

III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Vergabestelle und Beigeladenen im Beschwerdeverfahren zu tragen.

IV. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf DM 14.443,57 festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Landkreis X (im folgenden Vergabestelle) veranlaßte im April 1999 im Rahmen der Gesamtmaßnahme "Neubau der Kreisstraße ..." (geschätzter Gesamtauftragswert: 16,9 Mio. DM) die Bekanntmachung der Leistung "Erdbau, Bau der Rampen" mit einer Bindungsfrist für Bieter bis 18. 6. 1999. Bei der Angebotseröffnung am 20. 5. 1999 lag unter zehn Angeboten das der Beteiligten zu 1 (im folgenden Antragstellerin) mit DM 311.292,06 an zweiter, das der Beteiligten zu 3 (im folgenden Beigeladene) mit DM 288.871,31 an erster Stelle.

Die Vergabestelle, vertreten durch das Straßenbauamt Aschaffenburg, erteilte gemäß eines Kreistagsbeschlusses vom 11. 6. 1999 der Beigeladenen mit Schreiben vom 14. 6. 1999, bei dieser eingegangen am 16. 6. 1999, den Auftrag.

Die Antragstellerin beantragte mit Schreiben vom 18. 6. 1999 eine Nachprüfung der Vergabe mit der Begründung, daß die Beigeladene nicht die Befähigung habe, einschlägige Straßenbauarbeiten auszuführen.

Die Vergabekammer Nordbayern hat mit Beschluß vom 15. 7. 1999, dem Bevollmächtigten der Vergabestelle zugestellt am 20. 7. 1999, festgestellt, daß die Vergabe rechtswidrig gewesen sei, der Vergabestelle die Verfahrenskosten auferlegt und eine Verfahrensgebühr von DM 5.000,-- festgesetzt. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei trotz der Zuschlagserteilung vor Antragstellung zulässig. Es müsse zumindest § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB - vergleichbar mit § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO - analog angewendet werden, da der Bieter sonst keine Möglichkeit mehr hätte, sich an die Vergabekammer zu wenden. Eine solche Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten sei mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar. Die Vergabe sei auch rechtswidrig. Die ausgeschriebenen Arbeiten umfaßten überwiegend Bauleistungen, nämlich die Erstellung von Straßendämmen. Diese dürften nur von Unternehmen ausgeübt werden, die hierzu nach den gewerberechtlichen Bestimmungen berechtigt seien. Die Beigeladene sei nicht in die Handwerksrolle eingetragen und deshalb nicht befugt, Tätigkeiten des Straßenbauer-Handwerks, wie das Schütten von Straßendämmen, vorzunehmen. Damit fehle auch ihre fachliche Eignung, die nicht nur die handwerkliche Befähigung umfasse, sondern auch die formale, handwerksrechtliche Berechtigung.

Gegen diese Entscheidung hat die Vergabestelle mit Fax vom 30. 7. 1999, das bei Gericht am gleichen Tage eingegangen ist, Beschwerde eingelegt.

Sie beantragt, den Beschluß der Vergabekammer Nordbayern aufzuheben und den Antrag als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Zur Begründung hat sie vorgebracht, der Antrag sei unzulässig, da der Zuschlag vor der Antragstellung erteilt worden sei. In dem Antrag werde auch weder die behauptete Rechtsverletzung ausreichend dargelegt noch der Antragsgegner bezeichnet. Ein besonderes Festsetzungsfeststellungsinteresse fehle. Im übrigen sei die Vergabe rechtmäßig erfolgt. Die Beigeladene verfüge über die notwendige Fachkunde für die vorliegenden Erdbauarbeiten.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist als das für den Sitz der Vergabekammer Nordbayern zuständige Vergabegericht zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 GWB i. V. m. § 116 Abs. 4 GWB, § 1 Abs. 1 Nr. 25 ZustÜVJu, § 16 Abs. 3 GZVJu).

Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 116 Abs. 1 Satz 1 GWB). Es ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 117 Abs. 1 und 2 GWB).

Sämtliche Beteiligte haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet (§ 120 Abs. 2, § 69 Abs. 1 GWB).

2. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer und zur Zurückweisung des Antrags auf Feststellung einer Rechtsverletzung als unzulässig. Die auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde zu berücksichtigenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (vgl. BayObLGZ 1999, 127/132) liegen nicht vor, da der auf dem Zuschlag beruhende Vertragsabschluß bereits vor der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erfolgt ist.

a) Ob die Vergabekammer befugt ist, auf einen erst nach Erteilung des Zuschlags eingereichten Nachprüfungsantrag eine Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten festzustellen, ist streitig. Überwiegend wird dies verneint (vgl. OLG Düsseldorf BB 1999, 1078/1080; Vergabekammer Südbayern Vergaberechts-Report 6/99 S. 2/3; Gröning ZIP 1999, 52/56; Erdl.

Der neue Vergaberechtsschutz S. 260; differenzierend Meyer WuW 1999, 567 ff.; a.A. Bechtold aaO § 102 Rn. 3 und § 114 Rn. 3; Kulartz BauR 1999, 724/727; vgl. auch Vergabekammer des Bundes WuW/E Verg 218/219 = WuW 1999, 660/661).

b) Nach Auffassung des Senats kommt die Einleitung eines Feststellungsverfahrens jedenfalls nach Vertragsabschluß nicht mehr in Betracht. Der Vertrag zwischen Vergabestelle und Beigeladener kam mit Zugang des Auftragsschreibens am 16. 6. 1999 rechtswirksam zustande. Dabei kann dahinstehen, ob die Beigeladene zur selbständigen Durchführung der vereinbarten Leistungen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 HandwO einer Eintragung in die Handwerksrolle bedarf, da dies nicht zur Nichtigkeit des Vertrages führen würde (BGHZ 88, 240/242; 89, 369/371; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 661; MünchKomm/Mayer-Maly BGB 3. Aufl. § 134 Rn. 77; Palandt/Heinrichs BGB 58. Aufl. § 134 Rn. 18; Soergel/Hefermehl BGB 13. Aufl. § 134 Rn. 75; Staudinger/Sack BGB [1996] § 134 Rn. 251).

§ 114 Abs. 2 Satz 2 GWB sieht nach seinem Wortlaut die Feststellung einer Rechtsverletzung nur bei einer Zuschlagserteilung während eines bereits eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens vor (vgl. OLG Düsseldorf BB 1999, 1078/1080; Gröning aaO). Hiervon geht § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB ebenso aus ("... hat ...") wie die Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 13/9340 S. 17: "Gegenstand der Nachprüfung ist das noch nicht abgeschlossene Vergabeverfahren").

Zweck der von § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB ermöglichten Überleitung in ein Feststellungsverfahren ist es, in einem Nachprüfungsverfahren bereits erarbeitete Ergebnisse zu erhalten und so eine nochmalige gerichtliche Prüfung derselben Sach- und Rechtsfragen zu vermeiden (vgl. § 124 Abs. 1 GWB; dazu Begründung aaO S. 19 und 22). Dagegen ist es nicht Aufgabe des Nachprüfungsverfahrens, von diesem Sonderfall abgesehen außerhalb des Primärrechtsschutzes auch über Schadensersatzansprüche eines am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmens zu befinden (vgl. BayObLGZ 1999, 127/143). Nach dem Vertragsabschluß zwischen Auftraggeber und einem Teilnehmer des Vergabeverfahrens durch den Zuschlag - von diesem Prinzip geht § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB aus (vgl. Begründung aaO S. 19 und § 28 Abs. 2 VOB/A) - ist eine Vertragsaufhebung, und damit eine Gewährung von Primärrechtsschutz im eigentlichen Sinn nicht mehr möglich. Dann kommen ausschließlich Schadensersatzansprüche in Betracht. Diese sind vor den ordentlichen Gerichten durchzusetzen. Eine Verdoppelung der Verfahren - Anrufung von Vergabekammer und Vergabesenat einerseits und der ordentlichen Gerichte andererseits - würde die prozeßökonomischen Erwägungen, auf denen die Bindungswirkung des § 124 Abs. 1 GWB beruht, in ihr Gegenteil verkehren.

c) Der Senat teilt die Auffassung nicht, daß für ein solches zusätzliches Verfahren ein dringendes Bedürfnis bestehe. Zwar mag der im Nachprüfungsverfahren geltende Amtsermittlungsgrundsatz (§ 110 Abs. 1 Satz 1 GWB) für den Antragsteller im Einzelfall Vorteile bringen. Aber auch im Zivilprozeß sind für den übergangenen Bieter keine besonderen Beweisschwierigkeiten zu befürchten, etwa wegen vergabespezifischer Geheimhaltungspflichten (vgl. dazu Meyer WuW 1999, 567/570 ff.). So bestehen gesicherte zivilprozessuale Grundsätze, inwieweit von einer Partei Vortrag verlangt werden kann zu Umständen, die ihrem Einblick entzogen und allein dem Prozeßgegner bekannt sind (vgl. Zöller/Greger ZPO 21. Aufl. Vor § 284 Rdnr. 34). Es ist im übrigen zweifelhaft, ob das auf Beschleunigung und Konzentration ausgerichtete Verfahren des Primärrechtsschutzes (vgl. etwa § 107 Abs. 3 GWB) besser geeignet ist Feststellungen zu treffen, die für einen Schadensersatz von Bedeutung sind, als das zivilprozessuale Erkenntnisverfahren. Aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG läßt sich ein entsprechender Vorrang jedenfalls nicht herleiten.

Auch die von der Vergabekammer herangezogene verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO trägt die von der Kammer gezogenen Schlußfolgerungen nicht, denn sie läßt bei einer Erledigung des Verwaltungsakts vor Klageerhebung eine solche Klage mangels Feststellungsinteresse dann nicht zu, wenn damit - ungeachtet einer Bindungswirkung - nur Vorfragen eines Zivilrechtsstreits geklärt werden sollen (vgl. BVerwGE 81, 226).

d) Das dargelegte Verständnis des Senats zu § 114 Abs. 2 GWB widerspricht nicht den Vorgaben der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. 12. 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge. Die Richtlinie verlangt die Schaffung geeigneter Verfahren, um die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen und die Entschädigung des durch einen Verstoß Geschädigten zu ermöglichen (Art. 1 Abs. 1).

aa) Die Antragstellerin begehrte schon im Verfahren vor der Vergabekammer lediglich die Überprüfung der Vergabe auf ihre Richtigkeit, nicht deren Aufhebung. Ihr Antrag dient ausschließlich der Vorbereitung eines späteren Schadensersatzprozesses. Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG läßt es ausdrücklich zu, die Befugnisse, einerseits rechtswidrige Entscheidungen aufzuheben (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/665/EWG) und andererseits auf Schadensersatz zu erkennen (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 89/665/EWG), getrennt verschiedenen Instanzen zu übertragen. Das innerstaatliche Rechtssystem weist im Einklang hiermit die Entscheidung über Schadensersatz allein dem zivilprozessualen Erkenntnisverfahren zu. An der Effektiviät dieses Rechtsschutzes bestehen keine Zweifel (s. o. II 2 c).

bb) Im vorliegenden Verfahren braucht sich der Senat nicht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Art. 2 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Buchst. a und b dieser Richtlinie die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die dem Vertragsabschluß vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, mit welchem Bieter eines Vergabeverfahrens er aufgrund der Ergebnisse dieses Verfahrens den Vertrag abschließt, in jedem Fall einem Verfahren zugänglich zu machen, in dem der Antragsteller bei Vorliegen der Voraussetzungen deren Nichtigerklärung erwirken kann (so Schlußanträge des Generalanwalts Jean Mischo in der Rechtssache C-81/98 - Alcatel Austria - Rdnr. 107). Dies berührt nach innerstaatlichem Recht die Wirksamkeit des bereits geschlossenen Vertrages nicht. Selbst wenn man eine nationale Regelung, nach der Zuschlag und Vertragsschluß regelmäßig zusammenfallen, als unzulässige Umgehung von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG - und damit als unzureichende Umsetzung - ansehen sollte (vgl. Schlußanträge des Generalanwalts Jean Mischo aaO Rdnr. 36 ff), hätte dies keine Auswirkung auf den mit einem Dritten geschlossenen Vertrag. Da eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für eine Privatperson begründen kann, ist mangels unmittelbarer horizontaler Wirkung einer Privatperson gegenüber die Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. etwa Urteil vom 4. 12. 1997 in der Rechtssache C-97/96, Daihatsu, Slg. 1997 I-6843 Rdnr. 24 m. w. N.).

3. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer gemäß § 128 Abs. 3 GWB zu tragen. Es kann weiter (vgl. BayObLGZ 1999, 127/144) offen bleiben, nach welchen Vorschriften die Kostenentscheidung des Beschwerdeverfahrens, die nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, zu erfolgen hat. Im vorliegenden Fall führen die in Betracht kommenden Normen (§ 128 Abs. 3 und 4 GWB, § 78 Satz 1 und 2 GWB bzw. §§ 91 ff. ZPO) zu dem einheitlichen Ergebnis, daß die Antragstellerin die vor dem Beschwerdegericht angefallenen Kosten und die dabei der Vergabestelle entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat; dies gilt auch hinsichtlich der Beigeladenen, weil die Antragstellerin deren Qualifikation für die Durchführung solcher Aufträge generell in Frage gestellt hat.

4. Der Beschwerdewert wurde gemäß § 12a Abs. 2 GKG auf 5 % der Auftragssumme festgesetzt, zu der der Zuschlag erteilt worden ist.



Ende der Entscheidung

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