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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 50/04
Rechtsgebiete: StGB, GVG
Vorschriften:
StGB § 21 | |
StGB § 49 Abs. 1 | |
StGB § 20 | |
StGB § 224 Abs. 1 | |
GVG § 132 Abs. 3 Satz 1 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Strafsache
wegen gefährlicher Körperverletzung
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch
am 16. Juni 2004
einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 2. Februar 2004 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu gehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und 6 Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Berufung sowie die des Nebenklägers blieben erfolglos; die Strafkammer hat mit dem angefochtenen Urteil die Berufungen verworfen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zulässige Revision des Angeklagten, der die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Das gemäß § 333 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsmittel hat in der Sache vorläufig Erfolg.
..............
III.
Der Rechtsfolgenausspruch kann von Rechts wegen nicht bestehen bleiben, denn die Strafzumessung ist lückenhaft.
Da nach gefestigter Rechtsprechung die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters ist, weil er allein in der Lage ist, sich auf Grund der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von Tat und Täter zu verschaffen, kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen, insbesondere wenn der Strafrichter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist (BGH NStZ-RR 2003, 52; BGHSt 17, 35; 29, 319 jeweils m.w.N.).
Die dem Rechtsfolgenausspruch zugrunde liegenden Feststellungen zu einer eventuellen verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholgenusses sind lückenhaft bzw. unzulänglich; sie lassen deshalb die Prüfung nicht zu, ob die Strafe dem richtigen Strafrahmen entnommen wurde und rechtsfehlerfrei festgesetzt worden ist.
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht wie folgt ausgeführt:
"....Die Voraussetzungen für die Herabsetzung des Strafrahmens gemäß § 21 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB liegen ebenfalls nicht vor. Zwar hat der in der Berufungsverhandlung hinzugezogene Sachverständige ......in gut nachvollziehbarer Weise bekundet, dass die Rückrechnung des bei der Blutentnahme festgestellten Blutalkoholwertes zu einer Blutalkoholkonzentration führte, die zur Tatzeit zwischen 2,35 und 2,72 Promille betragen habe. Vor diesem Hintergrund seien auch die vom Angeklagten geschilderten Trinkmengen glaubwürdig. Allerdings hat der Sachverständige auch mitgeteilt, dass die bei der Blutentnahme festgestellten Untersuchungsbefunde nur eine geringe Beeinträchtigung der Steuerung körperlicher Funktionen ergebe. Dies steht im Einklang mit den Bekundungen der Zeugin......, die beim Angeklagten keine Veränderungen der Sprache und nur ein leichtes Schwanken im Gang festgestellt hat. Auch der Zeuge .......hat bekundet, der Angeklagte habe sich im Gespräch "normal" verhalten und sein Gang sei nicht auffällig gewesen. Eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Sinne von § 20 StGB, die zu einem Ausschluss der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit geführt hätte, lag nicht vor. Beruht jedoch eine etwaige erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sowie Herabsetzung der Hemmschwelle des Täters auf einer verschuldeten Trunkenheit, so kommt eine Strafrahmenverschiebung nach § 21 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB regelmäßig nicht in Betracht (BGH, NJW 2003, 2396). So liegt der Fall hier. Der Angeklagte ist nicht alkoholabhängig und hat seine Alkoholisierung selbst verschuldet, so dass es bei dem Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB verbleibt...."
Das Landgericht hat vorliegend zu Recht geprüft, ob die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des alkoholisierten Angeklagten bei Begehung der Tat beeinflusst gewesen ist, denn diese Frage ist bei einer Blutalkoholkonzentration ab 2,0 Promille - bei schweren Gewalthandlungen ab 2,2 Promille - stets zu prüfen (BGH, StV 1997, 73).
In diesem Zusammenhang hat das Landgericht festgestellt, dass bei dem Angeklagten eine tiefe Bewusstseinsstörung im Sinne des § 20 StGB, die zu einem Ausschluss der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit geführt hätte, nicht vorgelegen habe, ohne sich allerdings festzulegen, ob die Voraussetzungen des Vorliegens der verminderten Schuldfähigkeit auszuschließen, anzunehmen oder nicht auszuschließen sind. Aus der Tatsache, dass das Landgericht diese Frage offen gelassen hat, kann auch nicht geschlussfolgert werden, dass es eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verneint hat.
Auf die Feststellung, dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt unbeeinträchtigt oder gemäß § 21 StGB erheblich vermindert war oder dies zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, durfte das Landgericht jedoch nicht verzichten.
Unabhängig davon, ob eine mögliche verminderte Schuldfähigkeit zu einer Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 Abs. 1 StGB führt, ist die Feststellung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten stets erforderlich, da die Strafzumessung im Wesentlichen auf der Frage des Maßes der Schuld beruht.
Das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit verringert nämlich grundsätzlich den Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat (BGH, NStZ-RR 1996, 161).
So kann die Zugrundelegung einer alkoholbedingten verminderten Schuldfähigkeit zu einem anderen Strafmaß führen, als die Berücksichtigung einer festgestellten alkoholbedingten Enthemmung. Ferner kann eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit schon für sich allein oder zusammen mit anderen Milderungsgründen die Annahme eines minder schweren Falles der Tat begründen (BGH NJW, 1986, 793).
Zwar gibt es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber, dass allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit auszugehen ist (BGHSt 43, 66). Bei der Prüfung der Erheblichkeit einer Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB handelt es sich um eine Rechtsfrage, die der Tatrichter - ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen - ausschließlich in eigener Verantwortung im Ergebnis der Hauptverhandlung zu beantworten hat (BGH NStZ-RR 1997, 225; BGHSt 43, 66 m.w.N.).
Die beim Angeklagten festgestellte Blutalkoholkonzantration zur Tatzeit - zu seinen Gunsten ist hier wohl von 2,72 Promille auszugehen - nötigt jedoch zur Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB, denn sie ist ein wesentliches Indiz für die Frage, ob zur Tatzeit ein Alkoholrausch vorgelegen hat. Das Ergebnis dieses Wertes ist allerdings allein nicht ohne weiteres aussagekräftig für die Frage, ob die alkoholische Beeinflussung den Grad einer Alkoholintoxikation erreicht hat, der zu einer krankhaften seelischen Störung führt, die die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert.
Die Wirkung des Alkohols auf die Leistungsfähigkeit des Konsumenten hängt von einer Vielzahl individueller Faktoren ab, insbesondere maßgeblich von der Alkoholverträglichkeit und der Alkoholgewöhnung.
Die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB liegt allerdings bei einer Blutalkoholkonzentration ab 2,2 Promille bei schweren Gewalttaten nahe und kann nur durch aussagekräftige psychodiagnostische Kriterien widerlegt werden (BGH StV 1997, 73). Hierzu verhält sich das Urteil nur unzureichend, da lediglich mitgeteilt wird, dass die Zeugin Thiele beim Angeklagten keine Veränderung der Sprache und nur ein leichtes Schwanken festgestellt und der Zeuge Brumme das Verhalten des Angeklagten im Gespräch als "normal" und seinen Gang als unauffällig bezeichnet habe. Diese mitgeteilten Tatsachen sind vorliegend nicht ausreichend, um die Anwendung des § 21 StGB auszuschließen.
Vor dem Hintergrund der beim Angeklagten festgestellten Blutalkoholkonzentration von 2,72 Promille, die deutlich den Grenzwert der hier die Prüfungspflicht auslösenden Blutalkoholkonzentration von 2,2 Promille übersteigt, hätte es für den Fall des Verneinens des Vorliegens einer verminderten Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB darüber hinaus einer ausdrücklichen Erörterung dieser Frage bedurft.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofes vom 27. März 2003 (BGH NStZ 2003, 480), wonach eine auf verschuldeter Trunkenheit beruhende etwaige verminderte Schuldfähigkeit nicht zu einer Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB führen soll.
Dass die Feststellung des Vorliegens der verminderten Schuldfähigkeit dahinstehen könnte, ist der in der Literatur umstrittenen Entscheidung (vgl. hierzu Streng, Franz NJW 2003, 2963; Scheffler, Blutalkohol 40, 449) nicht zu entnehmen.
Selbst wenn anzunehmen wäre, dass eine etwaige verminderte Schuldfähigkeit hier nicht zu einer Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB geführt hätte, hätte diese Schlussfolgerung weiterer Feststellungen zur Frage des Verschuldens der Trunkenheit durch den Angeklagten bedurft.
Der angefochtenen Entscheidung fehlt es jedoch an näheren Erörterungen zum bisherigen Alkoholkonsumverhalten des Angeklagten. Dem Urteil lassen sich Feststellungen zu den Trinkgewohnheiten des Angeklagten nicht und zum tatsächlich am Tattag konsumierten Alkohol nur lückenhaft entnehmen. Solche Angaben wären indes für die Beantwortung der Frage der schuldhaften Verursachung der Trunkenheit von Bedeutung. Auch legen die im Verhältnis zur festgestellten Alkoholisierung als gering einzustufenden beschriebenen "Ausfallerscheinungen" die Vermutung nahe, dass bei dem Angeklagten bereits eine gewisse Alkoholtoleranz eingetreten sein könnte. Diese Frage lässt die angefochtene Entscheidung indes gänzlich unberührt.
Aus den wenigen, die Schuldfähigkeit des Angeklagten betreffenden Feststellungen ist jedenfalls nicht zu erkennen, wie das Landgericht zu dem Schluss kommt, der Angeklagte sei "nicht alkoholabhängig", er habe "seine Alkoholisierung selbst verschuldet".
Die Ausführungen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofes zur Änderung der Rechtsprechung zu §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entfalten auch (noch) keine Bindungswirkung, weil es auf diese Frage in der dortigen Entscheidung nicht ankam und der Senat ausdrücklich davon abgesehen hat, gem. § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei den anderen Strafsenaten anzufragen, ob sie an der entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten.
Unbeschadet der Frage nach der generellen Eignung selbst verschuldeter Trunkenheit zur Begründung einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 StGB ist der Tatrichter nicht von seiner Pflicht enthoben, die Frage der Schuldfähigkeit eines Täters abschließend zu beantworten und die Frage einer etwaigen Strafrahmenverschiebung nachprüfbar zu erörtern.
Auf den zuvor aufgezeigten Mängeln kann das angefochtene Urteil beruhen (§ 337 StPO), da nicht ausgeschlossen werden kann, dass weitere Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten den Rechtsfolgenausspruch zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass weitere relevante Feststellungen zur Frage der Schuldfähigkeit zu treffen sein werden, denn der Angeklagte hat sich bislang zum Tatvorwurf und zu seinen persönlichen Verhältnissen eingelassen.
Das Urteil musste hiernach in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang aufgehoben und die Sache insoweit an einen anderen Spruchkörper derselben Instanz zurückverwiesen werden.
Der Senat bemerkt abschließend, dass es jedoch nicht ausgeschlossen erscheint, nach gründlicher Erörterung aller oben genannten Umstände zum selben Ergebnis zu gelangen.
Ende der Entscheidung
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