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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 07.11.2007
Aktenzeichen: 1 Ss 90/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 140 | |
StPO § 140 Abs. 2 | |
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 | |
StPO § 335 Abs. 1 | |
StPO § 338 Nr. 5 | |
StPO § 341 | |
StPO § 344 | |
StPO § 345 | |
StPO § 349 Abs. 4 | |
StGB § 47 Abs. 1 | |
StGB § 56 Abs. 1 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss
1 Ss 90/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht
In der Strafsache
wegen Vollrausches
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, die Richterin am Oberlandesgericht Michalski und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Weckbecker
am 7. November 2007
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Zossen - Strafrichter - vom 21. Juni 2007 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Zossen - Strafrichter - zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Zossen hat den Angeklagten mit Urteil vom 21. Juni 2007 wegen Vollrausches zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts versetzte sich der Angeklagte in der Nacht vom 26. Juli 2006 zum 27. Juli 2006 durch übermäßigen Genuss von Alkohol in einen Vollrausch. Gegen 2:30 Uhr des 27. Juli 2006 begab sich der Angeklagte gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Schmidt zu der Garage des Geschädigten ...........in Blankenfelde............um daraus Stehlenswertes oder ein Fahrzeug zu entwenden. Zu diesem Zweck wurde das Garagentor gewaltsam geöffnet und dabei auch beschädigt. Hierbei wurden sie sowohl durch den Geschädigten als auch durch die von diesem zwischenzeitlich alarmierte Polizei gestört, so dass der Diebstahl nicht zur Ausführung gelangte.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger Rechtsmittel eingelegt und dieses nach Zustellung der Urteilsgründe als Revision bezeichnet und begründet; er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
II.
1.
Die Revision ist als sog. Sprungrevision gem. § 335 Abs. 1 StPO statthaft und gem. §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht angebracht worden.
2.
a) Der Vortrag, der das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO i. V. m. § 140 Abs. 2 StPO zum Gegenstand hat, genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dazu ist nämlich in einem Fall der vorliegenden Art ausreichend, dass - neben der Abwesenheit eines Verteidigers während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung - die Umstände mitgeteilt werden, aus denen sich die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigerbestellung ergibt (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2001, S. 373; OLG Köln StV 2003, S. 65, 66).
b) Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO greift durch; die Bestellung eines Verteidigers gem. § 140 StPO war im vorliegenden Fall erforderlich. Nach dieser Vorschrift ist einem Angeklagten u. a. wegen der "Schwere der Tat" ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wobei sich die Beurteilung hierfür nach ständiger Rechtssprechung der Obergerichte vor allem an der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung orientiert (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Auflage 2007, § 140 Rdnr. 23 f.; OLG Frankfurt StV 1995, S. 628 m. w. N.) Die "Schwere der Tat" im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO beurteilt sich vorrangig nach der Höhe der Strafe, die der Angeklagte in dem jeweiligen Strafverfahren zu erwarten hat; die Grenze ist etwa bei einem Jahr Freiheitsstrafe zu ziehen (vgl. BGHSt 6, S. 199; OLG Hamm NStZ-RR 2001, S. 107, 108; OLG Hamm VRS 100, S. 307; OLG Stuttgart, StraFo 2001, S. 205; OLG Köln StV 2003, S. 65; OLG Frankfurt a. a. O.). Die "Schwere der Tat" kann sich aber auch aus den sonstigen Auswirkungen der verhängten Sanktion für das Leben des Angeklagten ergeben, wenn diese Auswirkungen erheblich sind, wobei maßgeblich auf die Interessenlage des Angeklagten abzustellen ist. Daher kann auch bei einer Verurteilung zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe die Beiordnung eines Verteidigers geboten sein, wenn als Folge dieser Verurteilung der Widerruf einer Strafaussetzung in einer anderen Sache droht, insbesondere wenn dieser Widerruf davon abhängt, ob bei der neuerlichen Verurteilung die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird oder nicht, und die Summe der im neuen Strafverfahren zu erwartenden Freiheitsstrafe und der von einem möglichen Widerruf der Strafaussetzung betroffenen Strafe ein Jahr erreicht oder darüber liegt (vgl. OLG Dresden NStZ-RR 2005, S. 318, 319; Meyer-Goßner, a. a. O., § 140 Rdnr. 25; KK-Laufhütte, StPO, 5. Auflage 2003, § 140 Rdnr. 21 jeweils m. w. N.).
Nach diesen Grundsätzen hätte dem Angeklagten im vorliegenden Strafverfahren ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen. Er hatte aufgrund der Anklage wegen Vollrausches, dem als Rauschtat ein versuchter Diebstahl im besonders schweren Fall zu Grunde lag, eine Rechtsfolgenentscheidung zu erwarten, die wegen der "Schwere der Tat" Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers gab. Auch wenn das Amtsgericht im Ergebnis lediglich eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt hat, gilt dies jedenfalls deshalb, weil das Amtsgericht Kappeln am 13. April 2005, rechtskräftig seit demselben Tag (106 Js 13336/04, 4 Ls 7/04), den Angeklagten wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, begangen am 6. Dezember 2003, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt hatte, deren Vollstreckung zur Bewährung aussetzt wurde und die Bewährungszeit noch bis zum 12. April 2009 läuft. Damit droht dem Angeklagten für den Fall der Verurteilung im vorliegenden Strafverfahren der Widerruf der durch das Amtsgericht Kappeln gewährten Aussetzung der Vollstreckung der dort erkannten Freiheitsstrafe.
Aus dem durch das Sitzungsprotokoll bestätigten Tatsachenvortrag der Revision geht hervor, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Verteidigers stattgefunden hat.
Ob ein Fall der notwendigen Verteidigung auch dann vorliegen würde, wenn die (kurze) Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, sodass ein hierauf gestützter Bewährungswiderruf nicht wahrscheinlich wäre, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
c) Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die gegen das Urteil erhobene Sachrüge ebenfalls zum (vorläufigen) Erfolg des Rechtsmittels geführt hätte. Feststellungen zur konkreten Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt fehlen. Soweit das Tatgericht bei der Beweiswürdigung ausführt, dass nach Bekunden der "glaub-würdigen" Zeugin .......einer der Tatbeteiligten "nichts gemacht", nicht das Grundstück betreten und auch nicht "Schmiere" gestanden habe (Bl. 4 UA), drängt sich die Frage auf, ob der Angeklagte ........diese Person war. In diesem Falle wäre eine Zurechnung des Tatbeitrags des gesondert verfolgten Schmidt für den Angeklagten ............nur mittäterschaftlich denkbar, wozu jedoch Ausführungen im Urteil fehlen. Möglicherweise ist auch ein Fall der unechten Wahlfeststellung zu diskutieren.
Ferner erschöpft sich die Beweiswürdigung in einer bloßen Wiedergabe von Zeugenaussagen, ohne dass eine eigentliche Würdigung der Beweise stattfindet.
Des Weiteren fehlt es an hinreichenden Ausführungen sowohl zu § 47 Abs. 1 StGB als auch zu § 56 Abs. 1 StGB. § 47 Abs. 1 StGB verlangt zur Begründung von kurzen Freiheitsstrafen unter 6 Monaten eine umfassende Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters "kurzer" Freiheitsstrafen. Das Absehen der Strafaussetzung zur Bewährung bei Freiheitsstrafen von nicht mehr als einem Jahr verlangt eine Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung der Umstände der Tat und Würdigung der Täterpersönlichkeit (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB). An beidem fehlt es im angegriffenen Urteil.
Das Urteil ist demnach aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Zossen - Strafrichter - zurückzuverweisen, welches nunmehr auch für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zuständig ist.
Ende der Entscheidung
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