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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.07.2008
Aktenzeichen: 10 UF 53/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG


Vorschriften:

ZPO § 621 e
BGB § 1696
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 2
FGG § 50 a
FGG § 50 a Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

10 UF 53/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

betreffend die elterliche Sorge für die Kinder L... G..., geboren am .... März 1991 und A... G..., geboren am .... September 1997

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schael, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Liceni-Kierstein und den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr

am 21. Juli 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bernau vom 28. März 2008 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt ... in L... beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu 1. und 2. sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe sind die beiden Söhne L..., geboren am ....3.1991, und A..., geboren am ....9.1997, hervorgegangen.

Seit der Trennung im Jahr 2003 streiten die Eltern über das Sorge- und Umgangsrecht. Mit Beschluss vom 23.2.2006 hat das Amtsgericht Zossen das Sorgerecht für beide Söhne dem Vater übertragen. Diese Entscheidung ist durch Beschluss des 3. Familiensenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2.3.2007 - 15 UF 54/06 - bestätigt worden.

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Mutter die Abänderung dieser Sorgerechtsentscheidung. In erster Instanz hat sie das Ziel verfolgt, ihr das alleinige Sorgerecht für beide Söhne zu übertragen. Das Amtsgericht hat den Abänderungsantrag der Mutter zurückgewiesen. Dagegen richtet sich ihre Beschwerde, mit der sie bezüglich des Sohnes A... die Übertragung des elterlichen Sorgerechts, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich allein begehrt. Bezüglich des Sohnes L... greift die Mutter die Entscheidung des Amtsgerichts nicht an.

II.

Die gemäß § 621 e ZPO zulässige befristete Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bernau vom 28.3.2008, über die der Senat nach Gewährung des rechtlichen Gehörs und im Hinblick auf den hinreichend aufgeklärten Sachverhalt ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet.

1.

Das Amtsgericht hat sich sorgfältig und umfassend mit dem gesamten erstinstanzlichen Vorbringen der Mutter auseinandergesetzt und ist zu der zutreffenden Entscheidung gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Abänderung des Beschlusses des 3. Familiensenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2.3.2007 nicht vorliegen. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

2.

Das Beschwerdevorbringen der Mutter rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

a)

Darauf, ob die Mutter nach ihrer persönlichen Einschätzung den Vater für ungeeignet hält, die elterliche Sorge für A... (und auch L...) allein auszuüben, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an.

Insoweit verkennt die Mutter trotz der bereits wiederholt erfolgten Hinweise des Amtsgerichts, dass es sich hier nicht um eine Erstentscheidung geht. Vielmehr handelt es sich um ein Abänderungsverfahren. Für dieses gelten gegenüber dem Erstverfahren Besonderheiten. Das Gesetz selbst sieht für beide Verfahren unterschiedliche Maßstäbe vor. Im Rahmen der Abänderung sind die hohen Anforderungen des § 1696 BGB zu beachten. Bei der Abänderung einer sorgerechtlichen Regelung hat es daher nicht - wie im Rahmen eines Erstverfahrens - bei der Prüfung des Kindeswohls sein Bewenden. Vielmehr setzt die Änderung triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe voraus. Ferner reicht nicht schon die Bejahung triftiger Gründe für eine Korrektur der früheren Entscheidung aus, sondern es muss das zusätzliche selbständige Tatbestandsmerkmal der Angezeigtheit einer Abänderung erfüllt sein.

Denn dem Gesetzgeber liegt daran, den bei den Betroffenen vielfach bestehenden falschen Erwartungen entgegenzuwirken, sorge- und umgangsrechtliche Entscheidungen könnten leicht abgeändert und die Verfahren beliebig wieder aufgerollt werden (vgl. hierzu Palandt/Diederichsen, BGB, 67. Aufl., § 1696, Rn. 16).

Die Mutter hat vorliegend mit ihrem bereits gut vier Monate nach der Beschlussfassung des 3. Familiensenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2.3.2007 eingereichten Antrag und ihrem gesamten erstinstanzlichen Vorbringen deutlich gemacht, dass sie sich im Fall von A... nicht in erster Linie auf eine nachträgliche Änderung der für die ursprüngliche sorgerechtliche Regelung maßgebenden Umstände beruft. Ihre Angriffe richten sich gegen den Sorgerechtsbeschluss vom 2.3.2007 als solchen, den die Mutter nicht zuletzt mit einer Verfassungsbeschwerde weiter angreift. Zu Recht hat das Amtsgericht jedoch festgestellt, dass bezüglich A... keine wesentlichen Veränderungen der für die ursprüngliche Sorgerechtsregelung maßgebenden Umstände im Sinne von § 1696 BGB eingetreten ist. Auch das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Bereits im Ausgangsverfahren ist vom 3. Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung aller Beteiligten festgestellt worden, dass weder ein gesicherter noch ein autonomer Wille von A... feststellbar ist. Es ist auch im vorliegenden Abänderungsverfahren unverkennbar und wird sowohl durch die erstinstanzliche Anhörung von A... durch das Amtsgericht am 18.2.2008 als auch die schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Jugendamtes bestätigt, dass sich A... nach wie vor in einem erheblichen Loyalitätskonflikt befindet. So hat er am 18.2.2008 gegenüber der Amtsrichterin erklärt: "Ich habe meinen Eltern eigentlich schon vor zwei Jahren gesagt, dass ich das nicht entscheiden möchte, wo ich leben will. Bei Papa ist das jetzt auch überhaupt kein Thema mehr, aber Mutti fragt mich das schon öfter und ich weiß dann immer nicht richtig, was ich sagen soll, weil ich die Entscheidung doch nicht treffen will. Ich habe ja eigentlich beide lieb." Ferner hat A... nach dem richterlichen Anhörungsvermerk vom 18.2.2008 abschließend zum Ausdruck gebracht, "dass er möchte, dass endlich Ruhe einkehrt und nicht mehr die Eltern sich vor einem Gericht oder wo anders streiten". Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin davon ausgeht, dass A... einen Wechsel in den Haushalt der Mutter bevorzugen würde, so stellt das keinen triftigen Grund im Sinne von § 1696 BGB dar. Denn weder drohen A... bei einem Verbleib im Haushalt des Vaters objektive oder auch nur subjektiv empfundene Nachteile noch ist mit dem von der Mutter gewünschten Obhutwechsel in ihren Haushalt ein Vorteil verbunden. Vielmehr ist im Gegenteil im Rahmen der Vorentscheidung vom 3. Familiensenat auf der Grundlage eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. W... vom 25.9.2006 - und darauf lag inhaltlich das Schwergewicht der Begründung für die Bestätigung der amtsgerichtlichen Sorgerechtsübertragung auf den Vater - festgestellt worden, dass sich bei der Mutter - anders als beim Vater - Einschränkungen in der Fähigkeit finden, die Entwicklung der beiden Kinder L... und A... zu fördern. Ferner wurde die Bindungstoleranz auf Seiten des Vaters als besser beurteilt und Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit der Mutter festgestellt. Dass und gegebenenfalls welche Veränderungen im Sinne von § 1696 BGB sich insoweit für die Person von A... zwischenzeitlich ergeben haben sollten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Schon im Hinblick auf die festgestellte bessere Erziehungs- und Förderungsfähigkeit des Vaters sowie seine größere Bindungstoleranz könnte eine Abänderungsentscheidung nicht maßgebend auf den Wunsch und etwaige Neigungstendenzen von A... gestützt werden. Hinzu kommt, dass vorliegend ein Wechsel der Neigungen und Bindungen von A... gegenüber der Ausgangsentscheidung vom 2.3.2007 nach der eigenen Darstellung der Mutter gerade nicht eingetreten ist.

b)

Der Gesichtspunkt der durch den Vater ausgeübten Gewalt kann eine Abänderung gemäß § 1696 BGB ebenfalls nicht rechtfertigen.

Diese Umstände betreffen allein den heranwachsenden L... und lassen sich auf A... nicht übertragen. Der Konflikt des Vaters mit L... und die Eskalation Mitte 2007 waren situationsbedingt. Nach der ausführlichen Stellungnahme des Jugendamts vom 31.8.2007 und der darin enthaltenen Einschätzung stellt sich die dabei zu Tage getretene Gewalttätigkeit durch den Vater als Überforderungsgewalt dar. Er sieht Gewalt nicht etwa als ein geeignetes erzieherisches Mittel an. Zudem müssen sich nach dem Jugendamtsbericht auch beide Eltern - und nicht allein der Vater - in ihrer Elternbiographie mit der eigenen Gewalttätigkeit auseinandersetzen.

c)

Entgegen der Darstellung der Mutter lässt sich auch nicht feststellen, dass die Rückstufung von A... von der 4. in die 3. Schulklasse auf einem Erziehungsversagen des Vaters und seiner unzureichende Förderung von A... beruht.

Nach dem Jugendamtsbericht vom 13.2.2008 und der darin wiedergegebenen Stellungnahme der Klassenlehrerin ist A... mit großen Schulstofflücken bei dem Obhutwechsel im Jahre 2007 in die Grundschule W... gekommen. Sie resultieren folglich aus einer Zeit, in der A... noch im Haushalt der Mutter lebte.

d)

Soweit die Mutter beanstandet, dass A... von der Amtsrichterin in der Schule angehört wurde und dies "nicht gerade das ideale Instrument (sei), den Wunsch und Willen eines Kindes zu erforschen", lässt sich daraus nichts für eine Änderung der Sorgerechtsverhältnisse herleiten.

Eine Anhörung von A... in der ihm vertrauten Atmosphäre der Schule dürfte für das Kind wesentlich besser und weniger belastend sein als in der ihm fremden Umgebung eines Amtsgerichts. Es spricht auch nichts dafür, dass A... bei einer Anhörung im Amtsgericht andere Äußerungen in Bezug auf seine Wünsche und sein Interessen getan hätte. Entsprechendes gilt für seine körperliche Verfassung am 18.2.2008. Die Mutter trägt selbst nicht vor, dass und gegebenenfalls welche anderen Erklärungen A... ohne seine damaligen Kopfschmerzen gegenüber der Amtsrichterin abgegeben hätte. Das Anhörungsprotokoll vom 18.2.2008 bringt einmal mehr eindrucksvoll zum Ausdruck, in welchem erheblichen Loyalitätskonflikt sich A... befindet und dass es letztlich die Mutter ist, die A... nicht zur Ruhe kommen lässt, weil sie ihn immer wieder auf seinen (vermeintlichen) Willen anspricht, nicht beim Vater, sondern bei ihr leben zu wollen. Zu Recht hat der 3. Familiensenat in seiner Entscheidung vom 2.3.2007 festgestellt, dass solche ständigen Nachfragen Umstände darstellen, die die Annahme einer eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Mutter stützen.

e)

Entgegen der Auffassung der Mutter bedarf es nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob A... die Rückkehr in den Haushalt der Mutter wünscht.

Die Abänderungsentscheidung kann nicht maßgebend auf den bereits im Rahmen der ursprünglichen Sorgerechtsentscheidung berücksichtigten und jetzt erneut vorgetragenen Wunsch von A... oder seine Neigungstendenzen gestützt werden. Weder lassen sich nachträglich zu Tage getretene Defizite auf Seiten des Vaters feststellen, noch gibt es Anzeichen dafür, dass für A... im Haushalt des Vaters Umstände im Sinne von § 1696 BGB zu Tage getreten sind. Dementsprechend besteht auch nicht die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind. Eine solche hat auch in erster Instanz nicht bestanden. Denn selbst die von der Mutter behaupteten Wünsche von A... können hier eine Abänderung der Sorgerechtsentscheidung nicht rechtfertigen.

Nach alldem ist die Notwendigkeit einer Abänderung der am 2.3.2007 vom 3. Familiensenat bestätigten Sorgerechtsregelung nicht gegeben. Es liegen keine triftigen und das Wohl von A... im Sinne von § 1696 BGB nachhaltig berührenden Gründe vor, die die von der Mutter beantragte Abänderung angezeigt sein lassen.

3.

Von einer für A... erkennbar und auch nach der Einschätzung des Jugendamts erheblich belastenden erneuten persönlichen Anhörung in der Beschwerdeinstanz sieht der Senat gemäß § 50 a Abs. 3 Satz 1 FGG ab.

Die grundsätzliche Anhörungspflicht nach § 50 a FGG dient vor allem der Sachaufklärung (vgl. hierzu Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 50 a, Rn. 26). Der Sachverhalt ist vorliegend jedoch bereits durch das Amtsgericht hinreichend aufgeklärt worden. Die Mutter hat in ihrer Beschwerdeschrift keine neuen Tatsachen vorgetragen. Sie hält lediglich eine andere rechtliche Beurteilung des Sachverhalts für geboten. Die am 18.2.2008 erfolgte erstinstanzliche Anhörung von A... liegt erst fünf Monate zurück. Das Amtsgericht hat das Ergebnis dieser Anhörung bzw. die Äußerungen von A... in einem Aktenvermerk niedergelegt.

Angesichts der erst kurze Zeit zurück liegenden Anhörung von A... durch das Amtsgericht sieht der Senat vor allem aus Gründen des Kindeswohl von einer erneuten Anhörung von A... ab. Aus einer erneuten Anhörung sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, zumal die Mutter selbst nicht vorgetragen hat, dass und gegebenenfalls welche neuen Entwicklungen in der Person von A... sich seit dem 18.2.2008 ergeben haben könnten. Es bestehen nach den Umständen keine Anhaltspunkte dafür, dass es erforderlich sein könnte, dem Kind erneut eine Stellungnahme dazu abzuverlangen, wo es lieber seinen Lebensmittelpunkt haben möchte, ein Umstand, der A... nach seinen eigenen Angaben vom 18.2.2008 erheblich belastet. Für die hier vom Senat zu treffende Beschwerdeentscheidung, in der es um die Abänderung der erst vor gut 16 Monaten vom 3. Familiensenat getroffenen sorgerechtlichen Erstentscheidung geht und die an dem strengen Maßstab des § 1696 BGB zu messen ist, kommt es nach den Umständen des vorliegenden Verfahrens auch nicht auf den persönlichen Eindruck der übrigen Beteiligten an.

Die Nebenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Ende der Entscheidung

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