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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 09.01.2006
Aktenzeichen: 13 Wx 17/05
Rechtsgebiete: WEG, FGG
Vorschriften:
WEG § 16 Abs. 2 | |
FGG § 12 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Wohnungseigentumssache
hat der 13. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... am 9. Januar 2006 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 16. Juni 2005 - Az.: 5 T 216/05 - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde - an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Antragsteller verlangen von der Antragsgegnerin anteilige Zahlung der mit bestandskräftigem Beschluss der Eigentümerversammlung vom 11.01.2003 festgesetzten Sonderumlage zur Durchführung von Sanierungsmaßnahmen und zum Ausgleich uneinbringlicher Wohngeldausfälle. Die Antragsgegnerin verweigert die Zahlung in Höhe von 1.755,- € mit der Begründung, sie sei nicht Wohnungseigentümerin.
Die Antragsgegnerin kaufte mit notariellem Vertrag vom 18.10.1993 die als Nr. 6 bezeichnete Wohnung der damals noch nicht fertiggestellten Wohnanlage von der teilenden Eigentümerin, der S... GmbH. Sie macht geltend, der Kaufvertrag sei wegen Sittenwidrigkeit (Wucher) nichtig, sie habe den Vertrag wegen Täuschung angefochten. Gegen die Verkäuferin habe sie aber wegen deren Insolvenz nicht vorgehen können.
Auf Antrag der Antragsteller hat das Amtsgericht die Antragsgegnerin zur anteiligen Zahlung der Wohngeldsonderumlage verpflichtet. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt. Die Frage, ob der Kaufvertrag bzw. die dingliche Übereignung aufgrund Anfechtung oder wegen Nichtigkeit als unwirksam zu beurteilen sei, komme es nicht entscheidend an. Als im Grundbuch eingetragene Wohnungseigentümerin sei die Antragsgegnerin gemäß § 16 Abs. 2 WEG zur Zahlung der anteiligen Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums verpflichtet.
Gegen die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen weiteren Beschwerde, mit der sie namentlich in Abrede stellt, als Wohnungseigentümerin im Grundbuch eingetragen zu sein.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 45 Abs. 1 WEG, § 27, 29 FGG). In der Sache hat das Rechtsmittel vorläufig Erfolg, es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz, weil die Sache weitere Sachverhaltsermittlungen erfordert (§ 27 Abs. 1 FGG i.V.m. § 546 ZPO).
Das Landgericht hat seine Beurteilung darauf gestützt, die Antragsgegnerin sei in Vollzug des Kaufvertrages vom 18.10.1993 als Wohnungseigentümerin im Grundbuch eingetragen worden. Die zu Grunde gelegte Annahme ist von einer hinreichenden tatsächlichen Feststellung (§ 12 FGG) nicht getragen. Das Landgericht hat den Grundbuchstand nicht ermittelt. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ist es zur Eigentumsumschreibung nicht gekommen. Nicht rechtsfehlerfrei ist die Ansicht des Landgerichts, derjenige, der im Grundbuch als Wohnungseigentümer eingetragen sei und die Wohnung in Besitz habe, müsse sich der Eigentümergemeinschaft gegenüber als nach § 16 Abs. 2 WEG Verpflichteter auch dann behandeln lassen, wenn seine materiell-rechtliche Stellung als Wohnungseigentümer unsicher sei.
1. Eine Verpflichtung der Antraggegnerin, die von der Eigentümergemeinschaft beschlossene Sonderumlage im Verhältnis ihres Anteils zu tragen (§ 16 Abs. 2 WEG i.V.m. dem Be-schluss der Wohnungseigentümer vom 11.01.2003) besteht nur dann, wenn die Antragsgegnerin Inhaberin des Wohnungseigentums ist und damit der Wohnungseigentümergemeinschaft angehört. Nach § 16 Abs. 2 WEG hat jeder Wohnungseigentümer den anderen Wohnungseigentümern gegenüber unter anderem die Lasten sowie die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums nach dem Verhältnis seines Anteils zu tragen. Verpflichtet ist danach, wer materieller Inhaber des Wohnungseigentums ist, also grundsätzlich derjenige, der im Grundbuch eingetragen ist und damit rechtlich der Wohnungseigentümergemeinschaft angehört (vgl. BGHZ 87, 138 ff = NJW 1983, 1615, 1616). Soweit die Eigentumseintragung im Grundbuch unrichtig ist, etwa weil die Eintragung auf nichtiger Auflassung beruht (§ 138 BGB) oder der eingetragene Erwerber die auf den Erwerb des Wohneigentums gerichteten Willenserklärungen wirksam angefochten hat (§ 123 BGB), bietet die Grundbucheintragung keine ausreichende Grundlage, eine Verpflichtung nach § 16 Abs. 2 WEG zu begründen. Die Eintragung im Wohnungsgrundbuch bewirkt die auf dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs beruhenden Rechtswirkungen (§ 891 ff BGB), rechtfertigt aber nicht eine allein auf der Eigentümerstellung beruhende Haftung, wie es bei der Lasten- und Kostentragung gemäß § 16 Abs. 2 WEG der Fall ist (vgl. BGH NJW 1994, 3352, 3353). Andere Umstände als die materiell-rechtliche Eigentümerstellung vermögen die nach § 16 Abs. 2 WEG ausschlaggebende Zugehörigkeit zur Wohnungseigentümergemeinschaft nicht zu begründen.
Zwar wurde und wird von Rechtsprechung und Literatur die Ansicht vertreten, dass als Wohnungseigentümer entsprechend § 16 Abs. 2 WEG auch der sogenannte "werdende" (oder "faktische" oder "wirtschaftliche") Eigentümer anzusehen sei, für den aufgrund eines Erwerbsvertrages eine Auflassungsvormerkung zur Sicherung des Eigentumserwerbs im Grundbuch eingetragen ist und auf den Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahren übergegangen sind (BayObLG NJW 1990, 3216 ff; OLG Hamm FGPrax 2003, 111 ff; OLG Karlsruhe ZMR 2003, 374 f; Bärmann/Pick/Merle WEG, 9. Aufl., vor § 43 Rn 4; Weitnauer/Lüke, WEG, 9. Aufl. § 10 Anh Rn 3 ff; mit Einschränkungen: OLG Köln ZMR 2004, 859 ff; a.A.: OLG Saarbrücken NZM 2002, 610 ff). Dieser Ansicht ist jedoch - abgesehen davon, dass nur ein wirksamer Erwerbsvertrag gemeint sein kann - nicht zu folgen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für eine entsprechende Anwendung von § 16 Abs. 2 WEG auf den "werdenden Wohnungseigentümer" kein Raum. Der BGH hat entschieden, dass der "werdende Eigentümer" nicht analog § 16 Abs. 2 WEG für Verbindlichkeiten haftet, die noch vor seinen Eigentumserwerb durch einen Beschluss der Eigentümerversammlung, in der er kein eigenes Stimmrecht hatte, begründet worden sind und Fälligkeit erlangt haben (vgl. BGHZ 107, 285 ff = NJW 1989, 2697, 2698). Eine unterschiedliche Behandlung danach, ob der "werdende Eigentümer" erst nach Invollzugsetzung der Wohnungseigentümergemeinschaft durch Eintragung der Auflassungsvormerkung und Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten faktisch eingegliedert ist oder ob es sich bei dem "werdenden Eigentümer" um einer Erstwerber handelt, der vor Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft unter den genannten Voraussetzungen als Mitglied einer sog. "werdenden Eigentümergemeinschaft" gilt, ist nicht gerechtfertigt. Die faktische Zugehörigkeit zur Eigentümergemeinschaft vermag die fehlende Rechtsstellung als Eigentümer, wie sie § 16 Abs. 2 WEG verlangt, nicht zu ersetzen. Die Rechtsfigur des "werdenden Eigentümers" gibt weder für den Fall der Veräußerung/Versteigerung einer Wohnung nach Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft noch für den Erwerbs- oder Erstehensfall in "werdender Gemeinschaft" eine taugliche Grundlage für eine Haftung vor dem Eigentumsübergang ab (vgl. BGHZ 107 a.a.O.; NJW 1994 a.a.O., BGHZ 142, 290 ff = NJW 1999, 3731, 3715; MünchKomm-Engelhardt BGB, 4. Aufl., WEG § 16 Rn 20).
Da ausschließlich die materielle Eigentümerstellung eines Wohnungseigentümers dessen anteilige Heranziehung für die Kosten und Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 16 Abs. 2 WEG) zu tragen vermag, muss die Zugehörigkeit zur Eigentümergemeinschaft positiv feststehen, insbesondere muss bei zweifelhafter Rechtslage diese geklärt werden (vgl. BGH NJW 1994 a.a.O.). Das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit stellt dafür geeignete Möglichkeiten zur Verfügung. Gemäß § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Die vom Landgericht angesprochene Gefahr divergierender Entscheidungen von Wohnungseigentums- und Prozessgericht ist hinzunehmen, gegebenenfalls kann ihr durch Aussetzung (§ 148 ZPO) begegnet werden (vgl. BGH NJW 1994 a.a.O.).
2. Für den Streitfall bedeutet das, dass zunächst der Grundbuchstand zu ermitteln ist und, sofern die Antragsgegnerin als Wohnungseigentümerin eingetragen ist, der Frage nachgegangen werden muss, ob ein wirksamer Eigentumserwerb erfolgt ist oder nicht. Die noch erforderliche Sachaufklärung obliegt dem Landgericht als Tatsacheninstanz.
III.
Die Kostenentscheidung (§ 47 WEG) ist dem Landgericht vorzubehalten, weil es über die Sache erneut zu entscheiden hat.
Verfahrenswert: 1.755,- €.
Ende der Entscheidung
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