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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 10.01.2006
Aktenzeichen: 6 U 64/05
Rechtsgebiete: ZPO, EGBGB
Vorschriften:
ZPO § 511 | |
ZPO § 513 | |
ZPO § 517 | |
ZPO § 519 | |
ZPO § 520 | |
EGBGB Art. 40 Abs. 2 Satz 1 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Im Namen des Volkes
Urteil
Anlage zum Protokoll vom 10.01.2006
Verkündet am 10.01.2006
In dem Rechtsstreit
hat der 6. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. König, die Richterin am Oberlandesgericht Eberhard und den Richter am Oberlandesgericht Kuhlig
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 14. April 2005 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam (12 O 488/02) wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Es wird zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht Potsdam hat mit dem am 14.4.2005 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die schuldhafte Kollisionsverursachung auf der Skipiste durch den Beklagten nicht beweisen können. Auf Grund der Beweisaufnahme stehe nicht fest, dass der Beklagte von oben mit seinem Snowboard kommend mit dem unter ihm auf Skiern fahrenden Kläger kollidiert sei. Ein Verstoß des Beklagten gegen die Regeln des internationalen Skiverbandes (FIS-Regel Nr. 3 und 4) sei nicht bewiesen. Zwar spreche der Inhalt des medizinischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. R... dafür, dass der Beklagte von oben (hinten) kommend seitlich/hinten in den Kläger hinein gefahren sei.
Diese Folgerungen des Sachverständigen seien jedoch erschüttert worden durch die Aussagen der vernommenen Zeugen. Diese hätten übereinstimmend bekundet, der Kläger sei von oben kommend mit dem unter ihm am Hang fahrenden Beklagten kollidiert. Die Unfallschilderung der Zeugen stimme im Kern auch mit den Annahmen des Sachverständigen überein. Ein von oben kommender und nach links ziehender Skifahrer (talwärts gesehen) könne mit einem unter ihm befindlichen langsameren Snowboard-Fahrer, der sich ebenfalls in einer Linkskurve befinde, so zusammenstoßen, dass der Aufprall des Snowboardfahrers den Skifahrer im wesentlichen hinten rechts treffe.
Gegen dieses ihm am 15.4.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.5.2005 bei Gericht eingegangene Berufung des Klägers, welche er mit dem am 15.6.2005 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Der Kläger meint, die Beweiswürdigung des Landgerichts könne keinen Bestand haben. Die Zeugenaussagen seien nicht detailgenau, die Einzelheiten des Unfallherganges offen. Die auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruhende Unfallanalyse des Sachverständigen sei nicht erschüttert worden. Die Aussage des Zeugen Z... (Bruder des Beklagten), welcher als einziger den Unfall genau beobachtet haben will, sei dadurch entwertet worden, dass dieser sich nicht mehr an die Lage der Parteien nach dem Unfall erinnern wolle.
Der Kläger beantragt,
in Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger,
1.) ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.7.2001 sowie
2.) 4.242,74 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift auf 1.377,03 € bis zur Zustellung des Schriftsatzes vom 12.05.2003 und auf 2.188,51 € ab Zustellung des Schriftsatzes vom 12.05.2003 und auf 3.353,12 € ab Zustellung des Schriftsatzes vom 23.06.2004 und auf 4.242,74 € seit Zustellung des Schriftsatzes vom 02.02.2005 zu zahlen,
3.) ferner festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus der ihm am 14.2.2001
vom Beklagten zugefügten Verletzung zu ersetzen, soweit nicht die Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergehen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte meint, zukünftige materielle Schäden seien bereits im Klageantrag zu 1. zu berücksichtigen. Insoweit sei der Klageantrag zu 3. unzulässig. Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Nach seiner Ansicht lasse sich der Unfallhergang nicht durch das medizinische Gutachten rekonstruieren. Nach eigenen Aussagen des Sachverständigen sei diesem nur eine begrenzte Analyse des Unfallherganges möglich gewesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung ist zulässig, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO.
In der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.
In Ergebnis und Begründung zutreffend hat das Landgericht Potsdam die Klage abgewiesen.
Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen den Beklagten nicht zu.
1. Auf den Rechtsstreit ist deutsches Recht anzuwenden, obwohl der Unfall sich in Italien ereignet hat (Art. 40 Abs. 2 Satz 1 EGBGB).
Dem Kläger obliegt die Beweislast dafür, dass der Beklagte den Unfall wegen Verletzung von Sorgfaltspflichten schuldhaft verursacht hat.
Die konkreten Verhaltens- und Sorgfaltsanforderungen beim Skifahren richten sich nach einhelliger Ansicht der maßgeblichen Gerichte in Alpenländern, so auch in Italien, nach den Regeln des internationalen Skiverbandes (FIS). Diese Regeln stellen Gewohnheitsrecht dar, sie gelten auch für Snowboard-Fahrer (Dambeck, Piste und Recht, 3. Aufl., Rn. 9; OLG München, SpuRt 1994, 35).
2. Betreffend den Unfallhergang streitet für den Kläger auf Grund seiner Verletzungen der Beweis des ersten Anscheins. Nach dem Inhalt des medizinischen Gutachtens ist davon auszugehen, dass der Kläger an der seitlichen hinteren rechten Körperhälfte, insbesondere an der Schulter, durch einen Anstoß verletzt worden ist. Der Beweis des ersten Anscheins ist jedoch durch die Aussagen der vom Beklagten benannten Zeugen erschüttert worden. Hinsichtlich des Inhaltes und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil (dort Seite 6 und 7) Bezug genommen.
Danach hat sich das Unfallgeschehen im Großen und Ganzen so abgespielt, wie es auch der Kläger in seiner Klageschrift beschrieben hat.
Nach Aussagen aller Zeugen ist der Beklagte vom Pistenabsatz am linken Rand (talwärts gesehen) losgefahren in Richtung rechter Pistenrand und hat eine Rechtskurve gefahren in der Stellung "frontside", das heißt, mit der Brust zur Bogeninnenseite, also das Gesicht hangwärts gewandt. Sein linker Fuß stand auf dem Brett vorne. Dies ist die reguläre Fußstellung beim Snowboardfahren (siehe Dambeck, a. a. O., Rn. 247). Sodann hat der Beklagte am rechten Pistenrand eine Kurve gezogen und ist "backside", also Brust und Gesicht talwärts gewandt, in Richtung linker Pistenrand gefahren. Der hangwärts befindliche linke Fuß stand weiterhin vorne. Der Kläger ist in diesem Augenblick die Piste herab von oben gekommen und wollte in einer Linkskurve befindlich am Beklagten vorbeifahren: Dabei sind die beiden Sportler in einem spitzen Winkel in Linkskurve befindlich aufeinander geprallt, wobei der Kläger den Beklagten offensichtlich fast vollständig überholt hatte. Dies erklärt die Gewalteinwirkung auf die rechte Schulter des Klägers von hinten schräg oben und die Verletzungen am linken Fuß des Beklagten.
3. Danach hat der Beklagte den Unfall nicht verursacht.
Nach der FIS Nr. 3 musste der von hinten kommende Skifahrer seine Fahrspur so wählen, dass der vor ihm fahrende Skifahrer nicht gefährdet wird. Dabei muss der von hinten kommende Skifahrer immer berücksichtigen, dass der unten Fahrende seine Fahrspur jederzeit beliebig wechseln kann. Das Skifahren ist eine Sportart der freien Bewegung, wo jeder nach Belieben fahren kann. Vorrang hat stets der vorausfahrende Skifahrer.
Wer hinter einem anderen auf einer Piste herfährt, muss genügend Abstand halten, um den Vorausfahrenden für alle seine Bewegungen genügend Raum zu lassen. Der von oben kommende Skifahrer hat in vorausschauender Weise mit allen Bewegungen des unten Fahrenden zu rechnen (kurze oder enge oder weite Schwünge, Schrägfahrten und Bögen mit großem Radius, jederzeitigen Richtungswechsel etc.). Danach hat er die Wahl des Sicherheitsabstandes auszurichten. Es gibt keinen Vertrauensgrundsatz dahin, dass der vorausfahrende Skifahrer seine kontrollierte Fahrweise in einem bestimmten Pistenbereich beibehalten werde. Der Vorausfahrende muss sich beim Richtungswechsel nicht nach oben (hangwärts) und schon gar nicht nach hinten orientieren, da er ansonsten auch seiner ihm obliegenden Pflicht (FIS Nr. 3) für ihm vorausfahrende Skifahrer nicht nachkommen kann (Dambeck, a. a. O., Rn. 84; OLG Stuttgart, NJW 1964, 1859). Ein Skifahrer ist nur verpflichtet, Vorgänge innerhalb seines Gesichtsfeldes zu beobachten (FIS Nr. 2).
Nachdem der Beweis des ersten Anscheins erschüttert ist, obliegt es dem Kläger, den Unfallhergang zu beweisen. Eine Beweisaufnahme durch Erstellung eines Sachverständigengutachtens (technische Verlaufsanalyse) zur Klärung des Unfallhergangs, worauf sich der Kläger berufen will, scheidet aus. Eine Erstellung eines Zeit-Wege-Diagrammes, wie es bei der Rekonstruktion von Verkehrsunfällen in Betracht kommt, ist im vorliegenden Falle nicht angezeigt. Es fehlt an der Feststellbarkeit der erforderlichen Anknüpfungstatsachen (Geschwindigkeiten, Kollisionspunkt, Ausgangsposition des Beklagten etc.). Die Aussagen der Zeugen ergeben im Hinblick auf die zu fordernden Daten kein genaues Bild. Eine Wiederholung der Beweisaufnahme kann diese Ungenauigkeiten nicht beheben (siehe hierzu auch OLG Hamm, NJW-RR 2001, 1537).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Für den Rechtsstreit entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles.
Ende der Entscheidung
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