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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2002
Aktenzeichen: 1 AR 27/02
Rechtsgebiete: ZPO, InsO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 5
InsO § 4
InsO § 3 Abs. 1 S. 1
InsO § 3 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluß

1 AR 27/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Insolvenzeröffnungsverfahren

hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Macke und die Richter am Oberlandesgericht Tombrink und Friedrichs am 19. Juni 2002

beschlossen:

Tenor:

Zuständig ist das Amtsgericht Neuruppin.

Gründe:

I.

Die Schuldnerin ist eine im Handelsregister des Amtsgerichts Neuruppin eingetragene Gesellschaft mit Sitz in O. Sie ist konzernangehörig. Mehrheitsgesellschafterin der Gemeinschuldnerin und weiterer Regionalgesellschaften ist - teilweise in mehrfacher Schachtelung - die "M B AG" mit Sitz in K bei E. Deren Aktien sind ihrerseits mehrheitlich im Besitz der "M B Beteiligungs- und Verwaltungs GmbH". Über die Vermögen der AG und der Regionalgesellschaften sind weitere Insolvenzverfahren anhängig.

Rechnungwesen, zentraler Einkauf, Investitionsentscheidungen, Marketing, Logistik und EDV wurden jedenfalls teilweise von der AG für die Regionalgesellschaften geregelt und durchgeführt. Gleichzeitig verfügte die Gemeinschuldnerin vor Ort auch über ein eigenes Rechnungswesen, eigene Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen und die Planungshoheit über Umsätze, Kosten und Erträge. Sie wurde individuell zur Steuer veranlagt.

Aufgrund eines Antrages der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin vom 5.April 2002 hat das Amtsgericht E mit Beschluß vom 08.04.2002 die vorläufige Verwaltung des Vermögens angeordnet und Herrn Rechtsanwalt W aus E zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt.

Gleichzeitig ist aufgrund eines Gläubigerantrags (bereits) vom 30.03.2002 beim Amtsgericht Neuruppin ein Insolvenzeröffnungsverfahren anhängig. Das Amtsgericht Neuruppin hat sich mit Beschluß vom 25. April 2002 für örtlich zuständig erklärt und seinerseits Herrn Rechtsanwalt F aus D zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.

Das Amtsgericht E hält sich ebenfalls für zuständig und hat das Verfahren zunächst dem Thüringischen Oberlandesgericht und - nach Zuständigkeitsbedenken - dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

1. Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist nach der Regelung des § 36 Abs. 2 ZPO, die zufolge § 4 InsO entsprechend anzuwendenden ist, zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil das im Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gelegene Amtsgericht Neuruppin zuerst - nämlich mit Eingang des Antrags vom 30.03.2002 - mit der Angelegenheit beschäftigt war. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 5 ZPO liegen vor, nachdem sich beide am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte durch Beschluß für zuständig erklärt haben.

2. Zuständig ist das Amtsgericht Neuruppin. Das ergibt sich aus dem Grundsatz des § 3 Abs. 1 S. 1 InsO, wonach ausschließlich das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dieser bestimmt sich hier für die GmbH als Schuldnerin nach deren Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Neuruppin. Ein Fall des § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach für den Fall, daß der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort liegt, das Gericht dieses Bezirks für das Insolvenzverfahren zuständig ist, liegt nicht vor:

Der Mittelpunkt der geschäftlichen Tätigkeit ist der Ort, von dem aus der wesentliche Teil der Geschäfte selbständig getätigt wird und wo die wesentlichen Entscheidungen über die Geschäfte des Unternehmens getroffen werden. Die Mitgliedschaft in einem Unternehmensverbund reicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände regelmäßig nicht aus, eine Zuständigkeit am Sitz der Muttergesellschaft zu begründen (vergl. BGH ZIP 1998, 477, 478). Anderenfalls verlöre die Differenzierung zwischen einer Filiale und einem selbständigen verbundenen Unternehmen ihren Sinn. Auch kann es bei einem verbundenen Unternehmen nicht auf strategische Entscheidungen wie etwa die Eröffnung oder Auflösung von Standorten und die damit verbundenen Investitionen ankommen, weil dann ebenfalls jedes verbundene Unternehmen dem Sitz der Muttergesellschaft zugeordnet wäre. Entscheidend ist vielmehr auf das operative Geschäft und die damit verbundenen Entscheidungen abzustellen, die - losgelöst von inneren Abhängigkeiten - im Verkehr nach außen im Vordergrund stehen (vergl. hierzu Ganter, in: Münchener Kommentar zur InsO, München 2001, § 3 Rz. 10; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage 2001, § 3 Rz. 5, 6; Kießner, in: Braun, Insolvenzordnung, München 2002, § 3 Rz. 6).

Freilich geben der im Handelsregister eingetragene Sitz, die Existenz eines Geschäftslokals und ein allgemeiner Gerichtsstand am Sitz des Schuldners nur eine widerlegbare Vermutung für dessen Selbständigkeit und werden ggfs. für den Fall verdrängt, daß das operative Geschäft in Wirklichkeit von der Zentrale aus gesteuert und entschieden wird. So liegt der Fall hier aber nach den Berichten und Stellungnahmen der vorläufigen Insolvenzverwalter nicht. Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Betätigung, nämlich der eigentliche Vertrieb, lag am Sitz der Schuldnerin, die insoweit weitgehend frei in ihren Entscheidungen blieb. Auch im übrigen verfügte die Schuldnerin innerhalb gesetzter Rahmen über eigene Entscheidungsspielräume. Sie verfügte über eine eigene Buchhaltung, für die es angesichts moderner Datenübertragungstechniken letztlich nicht darauf ankommt, wo der Rechner steht, auf dem die "Bücher" geführt werden, sondern darauf, wo Eingabe und Ausgabe der Daten erfolgen.

Ferner bestanden eigene vertragliche Beziehungen, aufgrund derer die Schuldnerin die Leistungen anderer mit der Unternehmensgruppe verbundener Unternehmen in Anspruch nehmen konnte im Schwerpunkt bei der Schuldnerin. Insgesamt ergibt sich keine so starke Bindung der Schuldnerin an eine "Zentrale", daß entgegen dem gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis davon ausgegangen werden könnte, daß der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Betätigung am Sitz der "M AG" lag. Für eine detailliertere Aufklärung ist im Rahmen des Gerichtsstandsbestimmungsverfahrens kein Raum.

Ende der Entscheidung

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