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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.08.2004
Aktenzeichen: 1 AR 40/04
Rechtsgebiete: ZPO, GVG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 59
ZPO § 60
ZPO § 253 Abs. 2
GVG § 95
GVG § 100
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss

1 AR 40/04

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 24. August 2004

beschlossen:

Tenor:

Zuständig ist insgesamt die Zivilkammer des Landgerichts Potsdam.

Gründe:

I.

Die Klägerin, eine Beratungsgesellschaft, nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von 7.621,20 DM (= 3.896,66 €) in Anspruch, und zwar die Beklagte zu 2.) aus einem Beratungsvertrag vom 29.04.1998 und den Beklagten zu 1.) aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft vom 13.05.1998.

Nachdem das Amtsgericht Potsdam im Urkundsprozess den Beklagten zu 1.) durch Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil vom 14.04.1999 zur Zahlung des eingeklagten Betrages verurteilt hatte, wobei ihm die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorbehalten blieb, hat es mit dem am 18.07.2003 verkündeten (Schluss-) Urteil unter Aufhebung des Vorbehaltsurteils vom 14.04.2003 die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin mit Eingang vom 19.08.2003 bei dem Landgericht Potsdam Berufung eingelegt.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 11.11.2003 hat die Klägerin beantragt, die Berufungssache gegen die Beklagte zu 2.) an die Kammer für Handelssachen abzugeben und die Berufung insgesamt begründet. Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam hat die Berufungsklägerin zunächst mit Verfügung vom 20.11.2003 darauf hingewiesen, dass der Verweisungsantrag verspätet sein könnte, "da er nicht bereits wie erforderlich in der Berufung[-sschrift] selbst gestellt worden ist". Mit Beschluss vom 19.02.2004 hat die Zivilkammer hinsichtlich der funktionellen Zuständigkeit darauf hingewiesen, dass sie entgegen der vorgenannten Verfügung vom 20.11.2003 und entgegen der Ansicht in der Literatur die Auffassung vertrete, der Verweisungsantrag könne noch in der Berufungsbegründungsschrift gestellt werden. Hierauf hat die Klägerin mit Anwaltsschriftssatz vom 30.03.2004 beantragt, die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht gem. § 36 Abs. 1 ZPO zur Bestimmung des "einheitlichen Gerichtsstands" vorzulegen, wobei sie die funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen für gegeben erachte. Die Zivilkammer des Landgerichts Potsdam hat sich mit Beschluss vom 11.05.2004 hinsichtlich der Beklagten zu 2.) für "funktional unzuständig" erklärt und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung eines "einheitlichen Gerichtsstands" vorgelegt.

II.

1. Für die Zuständigkeitsbestimmung ist das Brandenburgische Oberlandesgericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zuständig, weil es für die hier in Betracht kommenden Spruchkörper des Landgerichts Potsdam - Kammer für Handelssachen und allgemeine Zivilkammer - das gemeinsame nächsthöhere Gericht ist. Der erstrebten Zuständigkeitsbestimmung steht nicht entgegen, dass weder die örtliche noch die sachliche, sondern die funktionelle Zuständigkeit festgelegt werden soll. Der Bestimmung nach § 36 Abs. 1 ZPO unterliegt zwar vom Wortlaut und der Stellung der Vorschrift im Gesetz her nur die örtliche Zuständigkeit; allerdings ist nach überwiegender Auffassung auch die sachliche Zuständigkeit erfasst (BGH NJW 1984, S. 1624; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 36 Rdnr. 14 m.w.N.). Nach Ansicht des Senats umfaßt der Anwendungsbereich der Bestimmung - zumindest in entsprechender Anwendung - ferner auch Fälle, in denen einem Streitgenossen gegenüber die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen und dem anderen Streitgenossen gegenüber die Zuständigkeit der (allgemeinen) Zivilkammer begründet ist (vgl. Senat, NJW-RR 2001, S. 63; OLG Braunschweig NJW-RR 1995, S. 1535; OLG Düsseldorf MDR 1996, S. 524; OLG Nürnberg NJW 1993, S. 3208; OLG Karlsruhe MDR 1998, 558; Zöller/ Vollkommer, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 36 Rdnr. 29 m.w.N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 36 Rdnr. 35; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 36 Rdnr. 26 und § 102 GVG Rdnr. 6). Maßgeblich für diese Auffassung ist, dass § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Zweckmäßigkeitserwägungen Rechnung trägt und eine Verzögerung und Verteuerung des Prozesses vermieden werden soll.

Die Klägerin hat die Beklagten als Streitgenossen gem. §§ 59, 60 ZPO verklagt, weil sie hinsichtlich des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen. Die Voraussetzungen für eine Rechtsgemeinschaft sind erfüllt, da die Beklagten als Hauptschuldner [Beklagte zu 2.] und Bürge [Beklagter zu 1.] in Anspruch genommen werden. Gegenstand des Rechtsstreits ist im Verhältnis der Klägerin zur Beklagten zu 2.) ein beiderseitiges Handelsgeschäft (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG). Dagegen liegt im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem nicht im Handelsregister als Kaufmann eingetragenen Beklagten zu 1.) eine Handelssache im Sinne von § 95 GVG unzweifelhaft nicht vor.

2. Wie sich aus § 100 GVG ergibt, ist im vorliegenden Fall eine Gerichtsstandsbestimmung im Berufungsverfahren statthaft.

3. Funktionell zuständig ist insgesamt die (allgemeine) (Berufungs-) Zivilkammer des Landgerichts Potsdam. Die bei der Zivilkammer begründete Zuständigkeit ergibt sich daraus, dass der Verweisungsantrag nicht rechtzeitig mit der Berufungsschrift gestellt worden und eine Abgabe des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen daher unzulässig ist.

Für die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt in zweiter Instanz der Berufungskläger den Antrag auf Verhandlung des Rechtsstreits vor der Kammer für Handelssachen zu stellen hat, verweist § 100 GVG auf § 96 GVG, der entsprechend anzuwenden ist. Gem. § 96 Abs. 1 GVG wird der Rechtsstreit vor der Kammer für Handelssachen verhandelt, wenn der Kläger dies in der "Klageschrift" beantragt hat. Hieraus folgt für die II. Instanz, dass der Berufungskläger den Verweisungsantrag bereits in der Berufungsschrift gestellt haben muss, um eine Verweisung erreichen zu können (s. Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 100 GVG Rdnr. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 100 GVG Rdnr. 2; Kissel, GVG, 3. Aufl. 2001, § 100 Rdnr.4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, 15 Aufl. 1993, § 33 II 3; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 100 Rdnr. 1; MüKo-Wolf, ZPO, 2. Aufl. 2001, § 100 GVG Rdnr. 2; Wieczorek/Schütze/Schreiber, ZPO, 3. Aufl. 1995, § 100 GVG, Rdnr. 2; E. Schneider, NJW 1997, S. 992; a.A. LG Köln, NJW 1996, S. 2737).

Die Berufungsschrift entspricht einer "Klageschrift" für das Berufungsverfahren. Ebenso wie die ordnungsgemäße Klageschrift die erste Instanz eröffnet, eröffnet die Berufungsschrift die zweite Instanz. Die Klageschrift muss nach § 253 Abs. 2 ZPO einen bestimmten Antrag und zugleich dessen individualisierende Begründung enthalten. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Klage nicht ordnungsgemäß erhoben. Für das Berufungsverfahren hat der Gesetzgeber dem Berufungskläger allerdings die Möglichkeit geschaffen, Antrag und Begründung in getrennten Schriftsätzen abzufassen. Während die Frist zur Berufungseinlegung nicht verlängert werden kann (§ 517 ff. ZPO), ist dies bei der Berufungsbegründung möglich (§ 520 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO). Wird durch die Berufungsschrift die zweite Instanz eröffnet, muss schon in diesem Zeitpunkt für den Gegner klar sein, welches Gericht für die Verhandlung und Entscheidung zuständig ist und bleibt. Daher stehen sich Klageschrift und Berufungsschrift gleich, nicht aber Klageschrift und Berufungsbegründung (vgl. E. Schneider, NJW 1997, S. 992).

Letzteres freilich hat das Landgericht Köln (NJW 1996, S. 2737 f.) in einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung vertreten und darauf abgestellt, dass erst die Berufungsbegründung Anträge des Berufungsklägers und Gründe der Anfechtung enthalten müsse. Diese Auffassung übersieht jedoch, dass maßgebliches Kriterium die Eröffnung der Instanz ist. Soweit das Landgericht Köln seine abweichende Auffassung mit der Regelung des Mahnverfahrens begründet, wonach der Kläger den Antrag auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen noch in der Anspruchsbegründung stellen kann (§ 697 Abs. 2 ZPO; vgl. Thomas/Putzo/ Hüßtege, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 96 GVG Rdnr. 3 m.w.N.), ist dem entgegen zu halten, dass sich der Mahnantrag gerade nicht an das Prozessgericht wendet, ebensowenig der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens. An das Prozessgericht gerichtet ist erst die Anspruchsbegründung. Im Berufungsverfahren ist aber bereits die - instanzeröffnende - Berufungsschrift an das Berufungsgericht gerichtet. Entscheidend ist letztlich, dass für das (Berufungs-) Gericht und die Prozessbeteiligten möglichst frühzeitig feststehen soll, ob die allgemeine Zivilkammer oder die Kammer für Handelssachen zuständig ist. Ein späterer Wechsel zwischen beiden Gerichtsspruchkörpern soll - jedenfalls in der Berufungsinstanz - möglichst vermieden werden.

4. Mithin verbleibt es insgesamt bei der funktionellen Zuständigkeit der (allgemeinen) (Berufungs-) Zivilkammer des Landgerichts Potsdam.



Ende der Entscheidung

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