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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.03.2001
Aktenzeichen: 1 AR 7/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 5
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 32
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 5
ZPO § 319
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluß

1 AR 7/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht 41 C 179/00 Amtsgericht Neuruppin 10 C 575/00 Amtsgericht Prenzlau 13 C 382/00 Amtsgericht Bernau 13 C 28/01 Amtsgericht Bernau

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Macke, den Richter am Oberlandesgericht Tombrink und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Werr am 8. März 2001

beschlossen:

Tenor:

1. Zuständig ist das Amtsgericht Bernau.

2. Der Verweisungsbeschluß des Amtsgericht Neuruppin vom 10. August 2000 (41 C 179/00) wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner - die Beklagte zu 1) als Kfz.-Halterin, die Beklagte zu 2) als Kfz.-Haftplichtversicherer und den Beklagten zu 3) als Kfz.-Führer - auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 23. Februar 2000, gegen 7.10 Uhr, auf der BAB 11 in Höhe km 11,5 in Richtung Prenzlau ereignete. Der Verkehrsunfall wurde vorn Polizeipräsidium Eberswalde, Schutzbereich Bernau, aufgenommen; in der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige ist die Unfallstelle handschriftlich ergänzend mit "Gemarkung 16321 Lobetal" bezeichnet.

Seine Klage auf Zahlung von 5.928,11 DM nebst Zinsen hat der Kläger bei dem Amtsgericht Neuruppin eingereicht. Mit Verfügung vom 26. Juli 2000 hat das Amtsgericht Neuruppin (41 C 179/00) den Parteien mitgeteilt, daß Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit bestünden, da der Unfallort nicht in seinem Bezirk liege; "ggfls." komme die örtliche Zuständigkeit; des Amtsgerichts Prenzlau in Betracht. Zugleich hat das Amtsgericht Neuruppin angefragt, ob eine Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Prenzlau beantragt werde, und den Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem erwarteten Verweisungsantrag des Klägers gegeben. Mit Schriftsatz vom 3. August 2000 hat der Kläger die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Prenzlau beantragt. Mit Beschluß vom 10. August 2000 hat sich das Amtsgericht Neuruppin für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Prenzlau verwiesen. Mit Eingang vom 10. August 2000 haben die Beklagten beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Bernau abzugeben, da der Unfallort indessen Bezirk liege. Dieser Eingang hatte der zuständigen Amtsrichterin des Amtsgerichts Neuruppin bei Erlaß des Beschlusses vom 10. August 2000 offenbar noch nicht vorgelegen. Mit Verfügung vom 6. September 2000 hat das Amtsgericht Prenzlau (10 C 575/00) die Übernahme der Sache unter Hinweis darauf, daß der Unfallort im Bezirk des Amtsgerichts Bernau liege, abgelehnt und die Akten an das Amtsgericht Neuruppin zurückgesandt. Mit Verfügung vom 14. September 2000 hat das Amtsgericht Neuruppin (41 C 179/00) den Parteien den Inhalt der Verfügung des Amtsgerichts Prenzlau vom 6. September 2000 bekanntgegeben und um Stellungnahme gebeten, ob die Verweisung des Rechtsstreits n das Amtsgericht Bernau beantragt werde. Mit Schriftsatz vom 22. September 2000 hat der Kläger hierauf die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Bernau beantragt. Durch Beschluß vom 28. September 2000 hat sich das Amtsgericht Neuruppin sodann für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Bernau verwiesen. Das Amtsgericht Bernau hat sich durch, Beschluß vom 24. November 2000 (13 C 382/00) seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit - unter Hinweis auf die Bindungswirkung der Verweisung vom 10. August 2000 - an das Amtsgericht Prenzlau abgegeben. Das Amtsgericht Prenzlau hat die Sache mit - den Parteien bekannt gemachter - Verfügung vom 11. Dezember 2000 (10 C 575/00) an das Amtsgericht Bernau zurückgegeben mit dem Bemerken, daß das Amtsgericht Bernau nicht zur Entscheidung über die Gerichtszuständigkeit befugt sein dürfte. Mit Verfügung vom 29. Januar 2001 hat das Amtsgericht Bernau (13 C 28/01) die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 ZPO vorgelegt.

II.

1. Der Zuständigkeitsstreit zwischen dem im Bezirk des Landgerichts Frankfurt (Oder) gelegenen Amtsgericht Bernau und den im Bezirk des Landgerichts Neuruppin gelegenen Amtsgerichten Neuruppin und Prenzlau ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 5 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht als das gemeinschaftliche nächst höhere Gericht zu entscheiden.

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Die beteiligten Amtsgerichte haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, nämlich das Amtsgericht Neuruppin durch nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse vom 10. August und 28. September 2000, das Amtsgericht Bernau durch Beschluß vom 24. November 2000 und das Amtsgericht Prenzlau durch seine Verfügungen vom 6. September und 11. Dezember 2000; letztere stellen jeweils die eigene Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidungen dar, die als solche den Anforderungen genügen, die an das Merkmal "rechtskräftig" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, daß eine den Parteien bekannt gemachte ausdrückliche Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. BGHZ Bd. 102, S. 338, 340; Bd. 104, S. 363, 366; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 36 Rdn. 24 f.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 59. Aufl. 2001, § 281 Rdn. 48; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl. 1999, § 36 Rdn.23).

2. Zuständig ist das Amtsgericht Bernau.

Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Bernau folgt - unabhängig von der örtlichen Zuständigkeit nach § 32 ZPO, da der Unfallort im Bezirk des Amtsgerichts Bernau liegt - aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Neuruppin vom 28. September 2000 gemäß § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO.

Die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO entfällt nur ausnahmsweise, namentlich bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiver Willkür, die etwa auch dann gegeben sein kann, wenn die Verweisung offenbar gesetzeswidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft erfolgt ist (s. BGHZ Bd. 71, S. 69, 72; Bd. 102, S. 338, 341; BGH NJW 1993; S. 1273; BayObLG, NJW-RR 2000, S. 589; Zöller/Greger, aaO., § 281 Rdn. 17, 17 a m.w.Nw.; Baumbach/Hartmann, aaO., § 281 Rdn. 39 ff. m.w.Nw.; Thomas/Putzo, aaO., § 281 Rdn. 12). Solche Mängel liegen in Bezug auf den Verweisungsbeschluß vom 28. September 2000 nicht vor. Der Bindungswirkung des - zweiten - Verweisungsbeschlusses vom 28. September 2000 stand insbesondere nicht der vorgängige - erste - Verweisungsbeschluß vom 10. August 2000 entgegen.

Allerdings wird die Sache nach Erlaß eines Verweisungsbeschlusses mit Eingang der Akten bei denn angegangenen Gericht dort anhängig (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) und ist der Verweisungsbeschluß selbst für das verweisende Gericht grundsätzlich bindend und unabänderlich; eine Berichtigung des Beschlusses ist für das verweisende Gericht nur noch unter den Voraussetzungen von § 319 ZPO möglich (s. BGH NJW-RR 1993, S. 700; BayObLG, NJWRR 1994, S. 1428, 1429; OLG Naumburg, OLG-NL 1999, S. 141 f.; Zöller/Greger, aaO., § 281. Rdn. 16; Baumbach/Hartmann, aaO., § 281 Rdn. 30, 50; Thomas/Putzo, aaO., § 281 Rdn. 13 a.E.). Für eine Berichtigung nach § 319 ZPO ist vorliegend indes - unabhängig davon, ob eine Berichtigung überhaupt zulässig wäre, wenn sich das verweisende Gericht (wie hier) über die Zuordnung des zuständigkeitsbegründende Ortes zum Bezirk des angegangenen Gerichts offensichtlich geirrt hat (vgl. BAG, DB 1994, S. 1380; Zöller/Gregor, aaO., 281 Rdn. 17; Baumbach/Hartmann, aaO., § 281 Rdn. 37) - kein genügender Anhaltspunkt ersichtlich; über den Inhalt öder gar Bestand des Verweisungsbeschlusses vom 10. August 2000 hat das Amtsgericht Neuruppin hier gar nicht befunden, und zwar weder durch Aktenvermerk noch durch Verfügung oder gar durch Beschluß.

Gleichwohl konnte der Verweisungsbeschluß vom 10. August 2000 im weiteren Verfahrensgang außer Betracht gelassen werden, da dieser Beschluß als objektiv willkürlich anzusehen ist und somit keine Bindungswirkung entfaltet hat. Die objektive Willkür der Verweisung vom 10. August 2000 folgt allerdings nicht schon daraus, daß die Annahme des Amtsgerichts Neuruppin, der für die Zuständigkeit nach § 32 ZPO maßgebliche Unfallort liege im Bezirk des Amtsgerichts Prenzlau, unzutreffend gewesen ist. Willkürlich erscheint der Beschluß vom 10. August 2000 aber deshalb, weil das Amtsgericht Neuruppin im Zusammenhang mit dem Erlaß dieses Beschlusses ersichtlich keinerlei Prüfung dazu angestellt hat, in welchem Gerichtsbezirk der Unfallort denn tatsächlich liegt, und die eindeutig auf den Bezirk des Amtsgerichts Bernau hinweisenden Angaben in dem der Klageschrift beigefügten Protokoll der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige ("Schutzbereich Bernau", "Gemarkung 16321 Lobetal") völlig außer Acht gelassen hat. Objektiv willkürlich ist eine Verweisung auch darin, wenn das verweisende Gericht deutlich zu Tage liegende, Tatsachen, die einer Verweisung an das angegangene Gericht entgegenstehen, völlig außer Acht gelassen hat und keine plausiblen Gründe hierfür ersichtlich, sind (vgl. KG, MDR 1999; S. 56; Zöller/Greger; aaO., 281. Rdn. 17; Baumbach/Hartmann, aaO., § 281 Rdn. 43).

3. Da der - erste - Verweisungsbeschluß des Amtsgericht Neuruppin vom 10. August 2000 sonach ohne Bindungswirkung und unwirksam, die Sache aber zwischenzeitlich bei dem Amtsgericht Prenzlau anhängig gewesen ist (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), erscheint es angezeigt, den Verweisungsbeschluß vom 10. August 2000 klarstellend aufzuheben (vgl. BGH NJW 1995, S. 534; BayObLGZ 1999, S. 94, 96).

Ende der Entscheidung

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