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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.07.2003
Aktenzeichen: 1 Ss (OWi) 123 B/03
Rechtsgebiete: OWiG, StPO
Vorschriften:
OWiG § 71 Abs. 1 | |
OWiG § 77 b Abs. 1 S. 1 | |
OWiG § 77 b Abs. 2 | |
OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 | |
OWiG § 79 Abs. 4 | |
StPO § 267 | |
StPO § 267 Abs. 1 S. 3 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss
1 Ss (OWi) 123 B/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht
In der Bußgeldsache
wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...
am 21. Juli 2003
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Prenzlau vom 3. März 2003 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Prenzlau zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Prenzlau hat mit Urteil vom 3. März 2003 den Betroffenen wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 700,00 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.
Das in Abwesenheit des von der Erscheinenspflicht entbundenen Betroffenen, aber in Gegenwart seines Verteidigers verkündete Urteil besteht lediglich aus der Urteilsformel, wie sie die Richterin vollständig in das Protokoll aufgenommen hat. Es enthält keine Entscheidungsgründe.
Noch am Tag des Fortsetzungstermins der seit dem 24. Februar 2003 laufenden - am ersten Tag in Gegenwart des Betroffenen durchgeführten - Hauptverhandlung, am 3. März 2003, verfügte die Richterin die Zustellung des lediglich aus Rubrum und Tenor bestehenden Urteils an den Verteidiger gegen Empfangsbekenntnis, wo es am 5. März 2003 einging. Hiergegen legte der Betroffene - mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 11. März 2003 - Rechtsbeschwerde ein, die mit einem weiteren bei dem Instanzgericht am 11. April 2003 angebrachten Schriftsatz begründet wurde.
Der Betroffene erstrebt die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Nach Einlegung der Rechtsbeschwerde verfasste die Bußgeldrichterin das Urteil, versah es mit einer eingehenden Begründung und unterschrieb es. Dieses Urteil gelangte am 7. April 2003 zur Geschäftsstelle.
II.
Das gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsmittel hat auf die Sachrüge hin (vorläufigen) Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§§ 79 Abs. 3 S. 1, Abs. 6 OWiG, 349 Abs. 4 StPO).
1. Maßgeblich für die vom Senat auf die Sachrüge hin vorzunehmende Überprüfung der angegriffenen Entscheidung ist - wie an anderer Stelle auszuführen sein wird - nur die Fassung des Urteils, wie es die Richterin vollständig in das Protokoll aufgenommen hatte. Dieses Urteil enthält - entgegen §§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 StPO - keine Urteilsgründe, ermöglicht dem Rechtsbeschwerdegericht mithin keine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler, so dass es allein deswegen der Aufhebung unterliegt (§ 337 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG; vgl. Kammergericht DAR 2001, S. 228; OLG Düsseldorf VRS 92, S. 344; OLG Brandenburg DAR 2001, 414).
Zwar hat die Bußgeldrichterin nach der am 5. März 2003 bewirkten Zustellung lediglich der Urteilsformel und nach der am 11. März 2003 erfolgten Einlegung der Rechtsbeschwerde das Urteil neu verfasst, mit einer eingehenden Begründung versehen und unterschrieben.
Die nachträglich - am 7. April 2003 - zur Geschäftsstelle gelangten Urteilsgründe sind allerdings im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beachtlich. Die nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe war unzulässig. Denn zu diesem Zeitpunkt lag bereits eine nicht mehr abänderbare Urteilsfassung vor. Die Amtsrichterin hat sich, indem sie die Zustellung eines ohne Gründe verfassten Urteils an den Verteidiger des Betroffenen verfügt hat, für ein abgekürztes Urteil entschieden und damit für ein Urteil in der Fassung des Protokolls. Das Protokoll enthält hier die für das Urteilsrubrum erforderlichen Angaben sowie die Urteilsformel und beinhaltet damit sämtliche Elemente eines abgekürzten Urteils in Bußgeldsachen (vgl. Kammergericht NZV 1992, 332). Nachdem diese Urteilsfassung aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts - durch Übersendung an den Betroffenen und den Verteidiger - herausgegeben worden war, durfte sie nicht mehr verändert werden (Kammergericht a.a.O.; vgl. auch BayObLG NStZ 1991, 342).
Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Urteilsbegründung gemäß § 77 b Abs. 2 OWiG lagen nicht vor, weil die erste Urteilsfassung - ohne Gründe - nicht von der Regelung in § 77 b Abs. 1 S. 1 OWiG gedeckt war. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht von einer schriftlichen Begründung des Urteils (nur dann) absehen, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichten oder wenn innerhalb der Frist Rechtsbeschwerde nicht eingelegt wird. Hier hatte aber weder der Betroffene auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet noch war die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels gegen das in seiner Abwesenheit ergangene Urteil für ihn bereits abgelaufen. Eine Verzichtserklärung des Betroffenen im Sinne von § 77 b Abs. 1 S. 1 OWiG ist darüber hinaus zwar unter anderem in dem Fall entbehrlich, dass dieser von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden war, an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, im Verlauf der Hauptverhandlung von einem Verteidiger vertreten worden ist und im Urteil lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 250,00 € festgesetzt worden ist (§ 77 b Abs. 1 S. 3 OWiG). Aber auch hieran fehlt es, weil gegen den Rechtsmittelführer durch die angegriffene Entscheidung eine Geldbuße von mehr als 250,00 € verhängt und zugleich ein Fahrverbot angeordnet worden war. Dass der Rechtsmittelführer lediglich am zweiten Terminstage von seiner Erscheinspflicht entbunden worden war, ist demgegenüber unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass er bei Urteilsverkündung abwesend war; nur für diesen Fall hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des § 79 Abs. 4 OWiG nämlich Handlungsbedarf gesehen, weitergehende, die Abfassung sog. abgekürzter Urteile ermöglichende Vorschriften zur Entlastung der Tatrichter zu schaffen.
Eine Ausdehnung der Ausnahmeregelung des § 77 b Abs. 2 OWiG auf Fälle wie den vorliegenden ist jedoch schon deshalb unzulässig, weil durch die nachträgliche Abfassung bzw. Ergänzung der Urteilsgründe dem bereits eingelegten Rechtsmittel des Betroffenen die Grundlage entzogen werden könnte (BGHSt 12, 374, 376; BayObLG VRS 78, 464, 465, KG DAR 2001, 228; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschluss vom 4. Juli 2003 - 1 Ss (OWi) 107/03 -). Hieraus folgt, dass die "nachgeschobenen" Urteilsgründe im Verfahren über die Rechtsbeschwerde unbeachtlich sind.
2. Auch das Urteil in seiner ergänzenden Fassung vom 7. April 2003 hätte indes keinen Bestand gehabt. Der Senat wäre nämlich auf der Grundlage der instanzgerichtlichen Feststellungen nicht in der Lage gewesen zu überprüfen, ob die Bußgeldrichterin ihre Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen rechtsfehlerfrei gewonnen hat.
Bei der Identifizierung des - nicht geständigen - Täters anhand eines Messfotos, einer Videoaufzeichnung oder des Printfotos einer Videoaufzeichnung (vgl. hierzu OLG Schleswig SchlHA 1997, 170; BayObLG NStZ-RR 1991, 90) muss der Tatrichter darlegen, dass und warum das der Verurteilung zu Grunde liegenden Messfoto tauglich ist, den Betroffenen als Fahrer des Fahrzeuges zu überführen. Dabei darf er sich grundsätzlich darauf beschränken, das Lichtbild bzw. die Aufzeichnung durch eine ausdrückliche Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zum Inhalt der Urteilsgründe zu machen. Sieht der Tatrichter von der Verweisung ab, muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto/die Aufzeichnung dann nicht als Anschauungsmaterial zur Verfügung steht, durch eine ausführliche Beschreibung der Identifikationsmerkmale die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist (BGHSt 41, 377, 384). Das Urteil muss dann unter anderem Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht in gleicher Weise wie bei der Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglicht wird, ob dieses zur Identifizierung generell geeignet ist.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Der bloße Hinweise der Tatrichterin, sie habe den Betroffenen "auf Grund der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnung eindeutig als Fahrer identifiziert", kann nicht als prozessordnungsgemäße Bezugnahme im Sinne des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO angesehen werden, denn damit wird lediglich der Vorgang der Beweiserhebung als solcher beschrieben. Die Verweisung muss in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck kommen (BGHSt a.a.O., 382; OLG Düsseldorf NZV 1994, 202). Hierzu ist es zwar nicht erforderlich, dass die Urteilsgründe den Gesetzeswortlaut wiederholen; der Tatrichter muss aber sinngemäß erklären, dass das Lichtbild oder die Videoaufzeichnung ebenso Teil der Urteilsurkunde werden soll wie ihr Text. Diese Erklärung muss so deutlich sein, dass jeder Zweifel am Vorliegen und Gegenstand der Verweisung ausgeschlossen ist. Hieran fehlt es aber gerade.
Der Senat wäre vor dem Hintergrund der wenig aussagekräftigen Feststellungen des Amtsgerichtes zur Qualität der zu Beweiszwecken vorgeführten Videoaufzeichnung zudem nicht in der Lage gewesen festzustellen, ob diese die Identifizierung des Betroffenen als Täter generell hätte ermöglichen können.
Denn die insoweit erforderliche präzise Beschreibung zumindest mehrerer charakteristischer Identifizierungsmerkmale des Täters fehlt weitgehend.
Ende der Entscheidung
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