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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 26.03.2007
Aktenzeichen: 1 Ss (OWi) 348 B/06
Rechtsgebiete: FPersV, VO (EWG) Nr. 3821/85
Vorschriften:
FPersV § 1 Abs. 6 | |
FPersV § 21 Abs. 2 Nr. 2 | |
FPersV § 23 Abs. 2 Nr. 10 | |
VO (EWG) Nr. 3821/85 Art. 15 Abs. 7 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss
1 Ss (OWi) 348 B/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht
In der Bußgeldsache
wegen fahrlässiger Nichtvorlage von u.a. die Lenkzeiten eines Lkw ausweisenden Schaublättern (Verstoß gegen § 8 Abs. 1Nr. 2 b FPersG i.V.m. § 23 Abs. 2 Nr. 10 FPersV)
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Bachnick und Heck
am 26. März 2007
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Amtsgerichts Zehdenick vom 6. September 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Amtsgericht Zehdenick zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg verhängte gegen den im Zustelldienst der Deutschen Post AG tätigen Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 17. November 2005 wegen Verstoßes gegen §§ 23 Abs. 2 Nr. 10 FPersV, 8 Abs. 1 Nr. 2 b FPersG, begangen am 3. August 2005 als Fahrer des Lkw, amtl. Kennzeichen: MOL - AY 621, eine Geldbuße von 150,- Euro. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen sprach ihn das Amtsgericht Zehdenick mit dem angefochtenen, im Verfahren nach § 72 OWiG ergangenen, Beschluss frei, da er jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt habe. Die (zuzulassen beantragte) Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft rügt eine Verletzung formellen sowie materiellen Rechts, da einer Entscheidung im Beschlusswege widersprochen worden und der vom Tatgericht angenommene Verbotsirrtum nicht unvermeidbar gewesen sei, wobei die Sozialvorschriften des internationalen Güterkraftverkehrsrechts auch auf Fahrzeuge des Zustelldienstes der Deutschen Post AG einschließlich ihrer Subunternehmen Anwendung fänden.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die angefochtene Entscheidung kann aus Rechtsgründen nicht bestehen bleiben.
1.
Die Rechtsbeschwerde ist mit der formellen Rüge zulässig, ohne dass es insoweit ihrer Zulassung bedürfte.
a) Sie ist unabhängig von der Höhe einer verhängten oder beantragten Geldbuße statthaft, wenn durch Beschluss nach § 72 OWiG entschieden worden ist, obwohl ein Beteiligter diesem Verfahren widersprochen hatte oder ihm in sonstiger Weise das rechtliche Gehör versagt wurde, § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG (vgl. im übrigen Göhler, OWiG, § 79 Rz. 12).
b) Bei der Rüge, das Tatgericht habe trotz Widerspruchs im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG entschieden, handelt es sich um eine Verfahrensbeanstandung, die den Begründungsanforderungen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügen muss (OLG Celle NZV 1998, 171; OLG Düsseldorf VRS 96, 119; Karlsruher Kommentar zum OWiG/ Senge, § 79 Rz. 27). Der Rechtsmittelführer hat deshalb die den behaupteten Mangel begründenden Tatsachen anzugeben. Dazu müssen die entsprechenden Verfahrensvorgänge vorgetragen werden, die den rechtzeitigen Widerspruch gegen das Beschlussverfahren belegen oder sonst das schriftliche Verfahren sperren (Karlsruher Kommentar aaO § 72 Rz. 76).
Diesen Vorgaben wird die Rechtsbeschwerdebegründung noch gerecht.
Die Staatsanwaltschaft legt insoweit dar, einer Entscheidung ohne Hauptverhandlung im Beschlussverfahren "bereits bei der Übersendung (Senat: der Sachakte) ... ausdrücklich widersprochen" zu haben. Sie nimmt im weiteren zwar nicht ausdrücklich auf die entsprechende Übersendungsverfügung Bezug, die die Richtigkeit ihrer Behauptung tatsächlich belegt. Dessen bedurfte es hier aber nicht. Auch wenn der Senat auf diese Weise nicht allein anhand der Rechtsmittelbegründung und ohne Rückgriff auf den Akteninhalt prüfen kann, ob der gerügte Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt, war die Rechtsmittelführerin zu keinem weitergehenden Tatsachenvorbringen genötigt. Für die Zulässigkeit einer Verfahrensbeanstandung genügt es nämlich, wenn die beanstandeten Verfahrensvorgänge in einer Weise (bestimmt) behauptet werden, dass - ihre Richtigkeit unterstellt - ein die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gebietender Rechtsfehler vorläge (BGHSt 7, 162; 25, 272; Meyer-Goßner, StPO § 344 Rz. 25). So liegt der Fall hier, weil sich die Verfahrensvorgänge aus der Rechtsmittelschrift mit noch hinreichender Deutlichkeit entnehmen lassen.
2.
Das Rechtsmittel hat mit der skizzierten Beanstandung auch in der Sache Erfolg. Denn das Amtsgericht hat entgegen § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG im Beschlusswege entschieden, obwohl die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren zuvor - bereits bei Übersendung der Sachakten und damit jedenfalls rechtzeitig - widersprochen hatte.
Damit war das Beschlussverfahren gesperrt, ohne dass es darauf ankäme, dass die Staatsanwaltschaft auf eine Terminsnachricht verzichtet hatte. Die Durchführung einer Hauptverhandlung in Bußgeldsachen dient nämlich nicht allein dem rechtlichen Gehör der Verfahrensbeteiligten (das im Einzelfall auch auf andere Weise gewährleistet werden kann), sondern in erster Linie der Sachaufklärung: Ist sie nach Einschätzung eines Verfahrensbeteiligten deshalb erforderlich, kann dieser allein aus diesem Grunde einer Beschlussentscheidung widersprechen.
3.
Die angefochtene Entscheidung unterlag danach der Aufhebung und die Sache der Zurückverweisung an das Amtsgericht, ohne dass es einer Entscheidung über den von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten weiteren (materiellen) Rechtsfehler bedurfte.
4.
Ergänzend bemerkt der Senat allerdings folgendes:
Das Tatgericht wird im Ergebnis einer ggf. durchzuführenden Hauptverhandlung zwar nicht bereits aus Rechtsgründen verpflichtet sein, den Betroffenen freizusprechen. Es erscheint jedoch als nicht ohne weiteres ausgeschlossen, dass dieser in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt hat.
Dies ergibt sich aus folgendem:
a) Nach § 21 Abs. 2 Nr. 2, § 1 Abs. 6 FPersV müssen Fahrer von Fahrzeugen, die der Güterbeförderung dienen und deren zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger mehr als 2,8 t und nicht mehr als 3,5 t beträgt, grundsätzlich in bestimmter (im einzelnen näher geregelter) Art und Weise Aufzeichnungen über die Lenkzeiten, alle sonstigen Arbeitszeiten, die Lenkzeitunterbrechungen und die Ruhezeiten führen, sofern diese Fahrzeuge nicht nach § 1 Abs. 2 FPersV hiervon ausgenommen sind. Ferner haben nach § 23 Abs. 2 Nr. 10 FPersV, Art. 15 Abs. 7 VO (EWG) Nr. 3821/85 Fahrer von Fahrzeugen des Güterkraftverkehrs, die mit Kontrollgeräten gemäß Anhang I bzw. I B derselben Verordnung ausgerüstet sind, jederzeit auf Verlangen die (u.a. ihre Lenkzeiten ausweisenden) Schaublätter für die laufende Woche und die vorangehenden 15 Tage, ggf. die Fahrerkarte sowie alle während des nämlichen Zeitraumes erstellten handschriftlichen, normativ vorgeschriebenen Aufzeichnungen vorzulegen. Ausgenommen von der Aufzeichnungspflicht sind jedoch Fahrer von (privilegierten) Fahrzeugen des Postsachenbeförderungsdienstes, Art. 4 Nr. 6 VO (EWG) Nr. 3820/85. Fahrzeuge der Deutschen Post AG bzw. ihrer Subunternehmer unterfallen dieser Freistellung von den Sozialvorschriften der Europäischen Union (VO EWG Nr. 3820/85 bzw. VO EWG Nr. 3821/85) für den internationalen Güterkraftverkehr dabei nur dann, wenn sie ausschließlich Postsachen befördern, die in den Bereich der gesetzlichen Exklusivlizenz der Post fallen, und einer Kontrolle durch die Deutsche Post AG unterliegen, welche das von den entsprechenden Regelungen angestrebte Ziel einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals und der Sicherheit im Straßenverkehr verwirklichen soll.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat insoweit in seinem Beschluss vom 1. Dezember 2005 (NStZ-RR 2007, 26 f) folgendes ausgeführt:
" Allerdings ist unter dem Begriff des Postsachenbeförderungsdienstes grundsätzlich sowohl die Brief- als auch die Paketbeförderung zu verstehen (§ 4 Nr. 1 PostG), die Fahrzeuge der Deutschen Post AG sind jedoch, soweit sie Pakete befördern, nicht von der zuständigen Stelle i.S.des Art. 4 Nr. 6 der VO (EWG) Nr. 3820/85 eingesetzt. Hierunter fallen vielmehr nur Fahrzeuge, die im Rahmen einer dem öffentlichen Interesse liegenden allgemeinen Dienstleistung, welche unmittelbar von einer Behörde oder unter ihrer Kontrolle von Privatunternehmen erbracht wird, eingesetzt werden (EuGHE 1996, S. 1601 ff. = NStZ-RR 1996, 281). Dabei muss sich diese Kontrolle gerade auf die durch die Verordnung bezweckte Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Sicherheit im Straßenverkehr beziehen (BayObLG VRS 98, 313). Hiervon kann im Falle der Deutschen Post AG nicht ausgegangen werden. Diese ist zwar im Bereich des Postwesens Nachfolgerin der Deutschen Bundespost, bei ihr handelt es sich jedoch weder um eine Behörde noch steht sie, was die Ziele der VO (EWG) Nr. 3820/85 anbelangt, unter behördlicher Kontrolle...
Im übrigen hat jede Auslegung der Ausnahmevorschriften des Art. 4 VO(EWG) Nr. 3820/85 zu beachten, dass sie die Ziele dieser Verordnung nicht beeinträchtigt, welche zum einen darin liegen, die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern, zum anderen aber auch, Ungleichheiten zu beseitigen, welche den Wettbewerb konkurrierender Unternehmen beeinträchtigen könnten (so die Präambel zu der VO (EWG) Nr. 3820/85). Die Deutsche Post AG besitzt lediglich noch im Bereich von Teilen der Brief- und Katalogbeförderung eine (zeitlich befristete) gesetzliche Exklusivlizenz (§ 51 PostG), während sie sich im Bereich der Paketbeförderung im Wettbewerb mit anderen Anbietern befindet. Soweit sie daher Pakete (allein oder neben Briefsendungen) befördert, erhielte sie gegenüber den Wettbewerbern im Bereich der Paketzustellung einen nicht gerechtfertigten Wettbewerbsvorteil, falls sie die Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 3820/85 im Gegensatz zu diesen nicht einhalten müsste, welcher bereits darin zu sehen wäre, dass sie ihre Fahrzeuge nicht mit den Kontrollgeräten versehen und diese auch nicht warten müsste. Die in Art. 4 Nr. 6 der VO (EWG) Nr. 3820/85 aufgeführten Ausnahmen sind vor dem Hintergrund der Ziele dieser Verordnung eng auszulegen. Die Ausnahmen ... beruhen allein auf der Art der betreffenden Dienste, danach sind allein im öffentlichen Interesse liegende Dienste privilegiert, nicht aber andere Tätigkeiten, auch wenn diese damit in Zusammenhang stehen (EuGH, Rechtssache C-116/91, British Gas, Urt. v. 25.6.1992, EuGHE 1992, 4071 ff, 4086 ff; EuGHE NStZ-RR 1996, 281 f). Dies führt jedoch zu dem Ergebnis, dass sich die Deutsche Post AG zumindest im Bereich der Paketbeförderung nicht auf die Ausnahme des Art. 4 Nr. 6 der VO (EWG) Nr. 3820/85 berufen kann.
Soweit Art. 4 I der VO (EWG) Nr. 3820/85 festlegt, dass sich diese nicht auf Fahrzeuge bezieht, deren zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 t beträgt, kann der nationale Gesetz- und Verordnungsgeber hinsichtlich der Lenkzeiten etc. eigene Regelungen treffen (OLG Köln VRS 74, 390 ff). Der deutsche Verordnungsgeber hat hiervon mit der Vorschrift des § 6 Nr. 1 FPersV a. F. (Senat: =§ 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 FPersV n.F.) Gebrauch gemacht. ...
Die Argumentation ... , welche im wesentlichen auf die Sonderstellung der Deutschen Post AG abzielt, wonach diese im Zuge der Privatisierung Beamte der Deutschen Bundespost übernehmen musste, teilweise beliehener Unternehmer ist und eine flächendeckende Grundversorgung mit Postdienstleistungen an allen sechs Werktagen sicherstellen muss, greift demgegenüber nicht durch. Diese besonderen Umstände hat nämlich der Gesetzgeber im Zuge der Postreform bereits berücksichtigt. Ziel der Postreform ist vor allem ein chancengleicher und funktionsfähiger Wettbewerb ( Art. 87 f. GG, §§ 1, 2 Abs. 2 Nr. 2 PostG). Zwar unterliegt die Deutsche Post AG in bestimmten Dingen der Aufsicht der zuständigen Behörden (§ 3 BAPostG), diese Aufsicht bezieht sich aber gerade nicht auf eine Überwachung der Einhaltung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr. Die Deutsche Post AG stellt sich ihrer eigenen Satzung nach als ein Dienstleistungsunternehmen insbesondere für Kommunikation, Transport und Logistik dar, welches auch Produkte und Dienstleistungen auf Rechnung Dritter anbieten kann (§ 2 der Satzung, BGBl. I 1994, 2325 ff, 2343 ff). Würde sie dabei im Gegensatz zu Wettbewerbern von bestimmten Sozialvorschriften im Straßenverkehr allgemein befreit, müsste dies auch für das Anbieten von Produkten und Dienstleistungen auf Rechnung Dritter gelten, damit aber zu einer Wettbewerbsverzerrung in diesen Bereichen führen. Die für die Deutsche Post AG geltenden Einschränkungen durch Beamte (Art. 143 b Abs. 3 S. 1 GG) und in anderen Bereichen hat der Gesetz- und Verordnungsgeber bei der Entgeltregulierung bereits berücksichtigt (vgl. dazu §§ 20 II 2 PostG, 3 IV PEntgV). Grundsätzlich richtet sich nämlich die Preisregulierung für Postdienstleistungen allein nach den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung (§§ 20 II 2 PostG, 5 PUDLV, 3 II PEntgV), Sonderregelungen in diesem Bereich wurden vor allem aus der Erkenntnis heraus geschaffen, dass eine solche Preisgestaltung allein den Sonderpflichten der Deutschen Post AG nicht ausreichend gerecht würde (vgl. Sedemund /von Danwitz, in: BeckŽscher PostG-Kommentar, § 20 PostG Rn. 15). Auch die Einräumung von Exklusivrechten zu Gunsten der Deutschen Post AG sollte gerade eine Benachteiligung gegenüber hinzukommenden Wettbewerbern verhindern (BVerfG NVwZ 2004, 329 ff). "
Diesen zutreffenden Darlegungen schließt sich der Senat an.
Der skizzierten Auslegung von Art. 4 Abs. 6 VO (EWG) Nr. 3820/85 steht nicht entgegen, dass Art. 13 Abs. 1 lit. d) der am 11. April 2007 in Kraft tretenden, sie ersetzenden, Verordnung (EG) Nr. 561/2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr vom 15. März 2006 nunmehr einzelstaatliche Abweichungen von den Vorschriften über Fahrpersonal, Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten für Fahrzeuge mit einer zulässigen Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t zulassen wird, die - wie im Einzelfall bei der Deutschen Post AG - von Universaldienstleistungsanbietern", welche flächendeckend (etwa postalische) Dienstleistungen zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bereitstellen (vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie Nr. 67/97/EG vom 15. Dezember 1997) im Rahmen des Universaldienstes benutzt werden, und Art. 26 derselben Verordnung Art. 3 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 3821/85 in der Weise abändern wird, dass die Mitgliedsstaaten der EU die in Art. 13 Abs. 1 genannten Fahrzeuge "von der Anwendung der vorliegenden Verordnung (Senat: Nr. 3821/85) freistellen" können. Denn die in Art. 13 VO (EG) Nr. 561/2006 zugelassene bloße Modifizierungsmöglichkeit kann schon nach dem Wortlaut der Norm nicht so weit reichen, dass bestimmte Anbieter oder Leistungen von der Einhaltung der entsprechenden Sozialvorschriften generell befreit werden, und die VO (EWG) Nr. 3821/85 betrifft lediglich die Einführung EU-einheitlicher Kontrollgeräte zur vollautomatischen Aufzeichnung der Wegstrecke bzw. Lenk- und Ruhezeiten des Fahrers.
b) Je nach der - im tatgerichtlichen Verfahren aufzuklärenden - Lage des Falles mag der Betroffene bei Tatbegehung einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlegen sein.
Typischerweise berufen sich die Paketausfahrer der Deutschen Post AG in Fällen wie dem verfahrensgegenständlichen darauf, von ihren Vorgesetzten dahingehend instruiert worden zu sein, die Sozialvorschriften der VO (EWG) Nr. 3820/85 nicht beachten zu müssen. Diese stützen sich insoweit auf das im Juni 1999 erstattete Gutachten ...........über die Fortgeltung der Bereichsausnahme für den Postsachenbeförderungsdienst nach Art. 4 Nr. 6 der VO. Liegt der Fall so (was das Tatgericht im Einzelfall aufzuklären hat), hat der Fahrer, der keine Aufzeichnungen zum Nachweis seiner Lenkzeiten geführt und dadurch vor Anfang 2007 einen bußgeldbewehrten Rechtsverstoß begangen hat, nicht vorwerfbar gehandelt (§ 11 Abs. 2 OWiG).
Dem Täter, dem bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun, namentlich weil er das Bestehen oder die Anwendbarkeit der Rechtsvorschrift nicht kennt, handelt nur dann nicht vorwerfbar, wenn dieser Irrtum für ihn unvermeidbar war. Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn dem Betroffenen sein Vorhaben unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte Anlass geben müssen, über dessen mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen, und er auf diesem Wege zur Unrechtseinsicht gekommen wäre (BayObLG NJW 1989, 1989, 1745; OLG Köln NJW 1996, 473). Er irrt vermeidbar, wenn er sich nicht informiert oder sich am Recht überhaupt desinteressiert zeigt. Eine Prüfungs- und Erkundigungspflicht setzt dort ein, wo für den Täter ein Anlass besteht, über die rechtliche Qualität seines Verhaltens nachzudenken (vgl. BayObLGE 1987, 59; OLG Düsseldorf ZfZ 1984, 24; OLG Oldenburg NStZ-RR 1999, 122). Ein Kraftfahrer muss sich dabei grundsätzlich Kenntnis von den Verkehrsvorschriften und etwaig erfolgter Änderungen verschaffen, und zwar, indem er sich an Auskunftspersonen wendet, die er für kompetent halten kann (BGHSt 4, 1 f; 347; BayObLG VM 1975, 92; KG JR 1964, 68; OLG Celle NdsRpfl. 1962, 192; VRS 53; 292; OLG Düsseldorf JMBlNW 1992, 249). Die Auskunft eines Arbeitgebers einzuholen, mag insoweit im Einzelfall genügen (a.A.: BayObLG NJW 2004, 306; vgl. auch OLG Jena NJW 2004, 3579; OLG Karlsruhe NZV 2005, 383), regelmäßig jedenfalls aber eine solche der zuständigen Verfolgungsbehörden (BayObLG NJW 2004, 306). Auf Gerichtsentscheidungen, namentlich höherer Gerichte, kann sich der Täter ebenfalls verlassen (OLG Celle MDR 1956, 436); fehlt demgegenüber eine gefestigte (obergerichtliche) Rechtsprechung, liegt in der Regel ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor, wenn bei ungeklärter Rechtslage verschiedene Interpretationsmöglichkeiten bestehen und der Betroffene seinem Verhalten eine der möglichen Auslegungen zugrunde legt (OLG Jena NJW 2004, 3579; OLG Köln wistra 1984, 119).
Hiervon ist vorliegend auszugehen. Die Rechtsprechung zur Reichweite der Bereichsausnahme des Art. 4 Abs. 6 VO (EWG) Nr. 3820/85 war bis in die jüngste Vergangenheit hinein nicht gefestigt; insoweit war in NZV 2000, 336 (= VRS 98, 313) lediglich die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 30. Dezember 1999 veröffentlicht worden, der sich die erst im Januar dieses Jahres veröffentlichte Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2005 (NStZ-RR 2007, 26) anschloss. Jedenfalls juristische Laien wie regelmäßig die bei der Deutschen Post AG und ihren Subunternehmen beschäftigten Paketausfahrer konnten danach auf die Richtigkeit ihnen etwa erteilter Auskünfte übergeordneter Dienststellen bzw. Vorgesetzter vertrauen, sie wären zur Benutzung von Schaublättern u.a. Unterlagen zur Lenkzeitermittlung nicht verpflichtet. Dies gilt selbst dann, wenn sie es unterlassen haben sollten, weitergehenden anwaltlichen Rechtsrat einzuholen oder Erkundigungen der zuständigen Verfolgungsbehörden einzuholen. Denn auch in diesem Fall hätten sie keine objektiv gesicherte Auskunft erhalten können, sondern nur eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage, und hätte ihrem Verhalten eine rechtlich (noch) vertretbare Auslegung des Art. 4 Abs. 6 VO (EWG) Nr. 3820/85 zugrunde gelegen, was zur Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums führt (BayObLG JR 1989, 386; OLG Jena aaO; OLG Köln aaO).
Die Rechtsprechung zu der skizzierten Rechtsfrage hat sich erst Anfang 2007 soweit konsolidiert, dass sie eine ausreichende Grundlage für Auskünfte der Vollstreckungsbehörden bildete, weshalb etwaigen Betroffenen erst jüngst erfolgte Rechtsverstöße vorzuwerfen sein werden.
Ende der Entscheidung
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