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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 03.06.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 20/03
Rechtsgebiete: StPO, BVerfGG, AO, RBerG, VwGO


Vorschriften:

StPO § 45 II 2
StPO § 138
StPO § 138 Abs. 1
StPO § 333
StPO § 341
StPO § 345 Abs. 2
BVerfGG § 22
AO § 392
RBerG § 1
VwGO § 67 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ss 20/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen Nötigung

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... als Vorsitzende, den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...

am 3. Juni 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. kleinen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Potsdam vom 9. Dezember 2002 wird als unzulässig verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe:

Das Landgericht Potsdam - kleine Jugendkammer - hat den Angeklagten am 09.12.2002 wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen in Höhe von jeweils 7,00 € verurteilt. Gegen diese Verurteilung richtet sich die am 10.12.2002 beim Landgericht eingelegte Revision des Angeklagten, die er, nach der am 23.12.2002 erfolgten Zustellung des Urteils, durch den Fachhochschullehrer ... mit Schriftsatz vom 23.01.2003, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründen ließ.

Die gem. § 333 StPO statthafte und gem. § 341 StPO form- und fristgerecht eingelegte Revision ist unzulässig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist von Amts wegen kommt nicht in Betracht, da die versäumte Handlung nicht nachgeholt wurde, § 45 II 2 StPO.

Die Revision genügt nicht den Anforderungen des § 345 Abs. 2 StPO. § 345 Abs. 2 StPO erfordert, dass die Revisionsanträge und ihre Begründung in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift anzubringen ist. Dieses Formerfordernis dient der notwendigen Konzentration und der gesetzmäßigen und sachgerechten Fassung des Revisionsvorbringens; es soll verhindert werden, dass das Revisionsgericht mit unzulässigen oder den Ablauf des Revisionsverfahrens nicht dienlichen Ausführungen belastet wird (allgem. Ansicht, vgl. BVerfGE 64, S. 135, 152; BGHSt 25; S. 272, 273; BGH NStZ 1984, S. 563; BGH NStZ 1987, S. 336; OLG Karlsruhe NJW 1974, S. 915; OLG Düsseldorf VRS 85, S. 116, 117).

Aus § 138 Abs. 1 StPO folgt, dass zu Verteidigern auch "Rechtslehrer an deutschen Hochschulen" gewählt werden können. Bei dem den Angeklagten vertretenden Fachhochschullehrer ... vom Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule ... handelt es sich jedoch nicht um einen "Rechtslehrer" im Sinne der §§ 138 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO. Die Revisionsanträge sind damit nicht in der vorgeschriebenen Form gestellt, die Revision mithin unzulässig.

"Rechtslehrer an deutschen Hochschulen" sind selbständig und hauptberuflich ein Rechtsgebiet in Lehre und Forschung vertretende Personen, die einer deutschen Universität oder gleichgestellten wissenschaftlichen Hochschule angehören, mithin Universitätsprofessoren (vgl. BVerfG NJW 1975, S. 2340, 2341; BVerwG NJW 1975, S. 1899; BVerwG NJW 1997, S. 2399; BGHSt 34, S. 85, 87; LR-Lüderssen, 25. Aufl. 2002, § 138 Rdnr. 9; Kühne, Strafprozessrecht, 5. Aufl. 1999, Rdnr. 167), auch Honorarprofessoren (AK-Stern, StPO 1992, § 138 Rdnr. 13; HK-Julius, StPO 3. Aufl. 2001, § 138 Rdnr. 5; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. 2003 , § 138 Rdnr. 4 jeweils m.w.N.), entpflichtete und emeritierte Professoren (AK-Stern a.a.O.) und habilitierte Dozenten (LR-Lüderssen a.a.O.). Dagegen sind Fachhochschullehrer keine "Rechtslehrer" bzw. Verteidiger im Sinne von §§ 138 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO (vgl. BVerfG NJW 1975, S. 2340, 2341; BVerwG NJW 1975, S .1899; BVerwG 1979, S. 1174, 1175; BVerwG NJW 1997, S. 2399; OVG Hamburg JZ 1978, S. 188, 190; OVG Münster NJW 1980, S. 1590 [jeweils zu § 67 VwGO a.F.]; BGHSt 34, S. 85, 87 [obiter dictum]; BerlVerfGH NJW 1995, S. 1212; KK-Pickart, 3. Aufl. 1993, § 138 Rdnr. 5, KK-Laufhütte, 4. Aufl. 1999, § 138 Rdnr. 5; LR-Lüderssen, 25. Aufl. 2002, § 138 Rdnr. 9; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. 2003, § 138 Rdnr. 4; Kühne, Strafprozessrecht, 5. Aufl. 1999, Rdnr. 167; a. A. für Fachhochschullehrer OLG Dresden NStZ-RR 2001, S. 205, 206; E. Müller NStZ-RR 2001, S. 102; Pfeiffer, StPO 4. Aufl. 2002, § 138 Rdnr. 2; a. A. für Lehrbeauftragte OLG Jena StraFo 1999, S. 349 m. Anm. Deumeland).

§ 138 Abs. 1 StPO ist - ebenso wie die gleichlautenden Vorschriften des § 22 BVerfGG und des § 392 AO - als Ausnahmeregelung zu § 1 RBerG restriktiv auszulegen. Denn grundsätzlich obliegt die Rechtsvertretung vor den deutschen Gerichten - soweit sich der Betroffene nicht selbst vertreten darf - den Rechtsanwälten als "unabhängigen Organen der Rechtspflege" (§ 1 BRAO). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ihr Beruf ein "staatlich gebundener Vertrauensberuf, der [den Rechtsanwälten] eine auf Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtete amtsähnliche Stellung zuweist" (BVerfG NJW 1975, S. 103, 105; vgl. Rspr. seit RG JW 1926, S. 2756; s. auch BGHSt 12. S. 367, 369). Ein eigenständiges Gebührenrecht und Standesrecht sichert den Rechtsanwälten diese Position, das Rechtsberatungsgesetz weist dem Rechtsanwalt im Verkehr mit den Gerichten eine Monopolstellung zu. § 138 Abs. 1 StPO durchbricht diese Monopolstellung bzw. das Anwaltsprinzip, indem zu Verteidigern auch "Rechtslehrer an deutschen Hochschulen" gewählt werden können. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich akademische Lehrer von erwiesener wissenschaftlicher Qualifikation mit der zu behandelnden Materie besonders intensiv befasst haben bzw. befassen können. Auch die Motive zu § 138 StPO weisen auf die besondere Qualifikation von Rechtslehrern hin, wenn es heißt, dass nur solche Personen als Verteidiger zuzulassen sind, "die eine äußere Gewähr dafür geben, dass sie die volle Einsicht in die Pflichten ihres Berufs als Verteidiger besitzen (Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 2. Aufl. 1885, Bd.3/1, S. 142). Es mag für die Durchbrechung des Anwaltsmonopols auch die Erwartung eine Rolle gespielt haben, dass Wissenschaftler nicht in den Ansichten herrschender Meinungen verharren, sondern eher neue Forschungsergebnisse und neue Gesichtspunkte in die juristische Diskussion einbringen, als dies bei der eher der höchstrichterlichen Rechtsprechung verhafteten Anwaltschaft der Fall ist. Vor allem für das Revisionsverfahren ist dies von Bedeutung. Weil die Revisionsinstanz im wesentlichen der Sicherung der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts unter notwendiger Zurücksetzung der materiellen Fallgerechtigkeit dient, aber auch wegen des sehr formalisierten und durch die höchstrichterlich Rechtsprechung geprägten und weiterentwickelten strafrechtlichen Revisionsverfahren, werden besonders hohe Anforderungen an die Qualifikation der Prozessvertreter gestellt, was freilich wegen der Durchbrechung des Anwaltsprinzips auch für die unteren Instanzen gelten muss.

Diesen hohen Anforderungen insbesondere in wissenschaftlicher Hinsicht werden Universitätsprofessoren gerecht. Die Berufsbilder der Universitätsprofessoren und Fachhochschulprofessoren unterscheiden sich hingegen nach Qualifikation, Funktion und Tätigkeit grundlegend. Wenn auch seit der Hochschulreform 1976 (vgl. HRRG idF. vom 26.01.1976) nicht mehr zwingend, setzt doch die Berufung zum Universitätsprofessor regelmäßig eine Habilitation voraus, die gegenüber der für den Beruf des Fachhochschullehrers gewöhnlich geforderten Promotion eine ungleich höheren Qualifikation darstellt und Universitätsprofessoren zugleich als wissenschaftlich mehr befähigt ausweist als Fachhochschulprofessoren. Bei aller Veränderung der Hochschullandschaft seit 1960 und einer zunehmenden Umstrukturierung des althergebrachten Ordinariats unterscheiden sich Universitäten und Fachhochschulen noch heute in ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung: Während bei den die Fachhochschulen die praxisgebundene Ausbildung im Vordergrund steht, bei der wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse allenfalls vermittelt werden, steht bei den Universitäten die Entwicklung und Fortentwicklung wissenschaftlicher Methoden und die Gewinnung entsprechender Erkenntnisse im Vordergrund. In ihrer Orientierung auf den Beruf ist die Ausbildung an der Fachhochschule verschult und anwendungsbezogen. Dagegen erfordert die wissenschaftliche Ausrichtung der Universitäten eine ständig vertiefte und stets die Ergebnisse anzweifelnde Beschäftigung mit der Materie.

Auch der unterschiedliche Umfang an Lehrverpflichtungen von 8 Semesterwochenstunden an den Universitäten und 24 Semesterwochenstunden an den Fachhochschulen und die wesentlich längere vorlesungsfreie Zeit an den Universitäten und die damit einhergehende unterschiedliche Gewichtung des für Forschungszwecke eingeräumten Freiraums ist Ausdruck davon, dass Universitätsprofessoren in einem qualitativ und quantitativ erheblich größeren Umfang der Forschung verpflichtet sind, als dies bei Fachhochschullehrern der Fall ist. Der strafrechtlichen Kommentarliteratur ist beispielsweise zu entnehmen, das Universitätsprofessoren in einer überragenden Anzahl vertreten sind, Fachhochschulprofessoren dagegen nur äußerst selten.

Die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses als Ausdruck einer wissenschaftlichen Ausrichtung der Hochschule ist nicht Aufgabe der Fachhochschulen, sondern ausschließlich den Universitäten vorbehalten; nur die Universitäten haben das Promotionsrecht und Habilitationsrecht (vgl. beispielsweise §§ 18, 19 Brandenburgisches Hochschulgesetz i.d.F. vom 28.06.2000).

Der Umstand, dass mit dem Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001 (BGBl. I, S. 3987; vgl. BTDrucks. 14/6854) die mit 138 Abs. 1 StPO vergleichbare Vorschrift des § 67 Abs. 1 VwGO dahingehend geändert wurde, dass vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht als Rechtsbeistände auch "Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt" auftreten können, mithin auch Fachhochschullehrer (vgl. § 1 Satz 1 HRG, ausf. Eyermann, Nachtrag zur VwGO 11. Aufl. 2002, § 67 Rdnr. N 6), ändert nichts daran, dass de lege lata Fachhochschullehrer von § 138 Abs. 1 StPO nicht erfasst sind. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Revisionsverfahrens im Verwaltungsprozess und im Strafprozess, letztere vor allem wegen ihrer Formstrenge und umfangreichen Kasuistik, rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung in der Durchbrechung des Anwaltsprinzips. Dies etwa vor dem Hintergrund der sich verändernden Hochschullandschaft gegebenenfalls zu ändern, ist Aufgabe des Bundesgesetzgebers und kann nicht der Rechtsprechung überantwortet werden. Es ist nicht auszuschließen, dass in absehbarer Zeit § 138 Abs. 1 StPO dem § 67 Abs. 1 VwGO n. F. angeglichen wird, wie bereits im Referentenentwurf zum Justizmodernisierungsgesetz (JuMoG) vorgeschlagen, bedeutsam ist dies jedoch nur de lege ferenda.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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