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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 18.09.2009
Aktenzeichen: 1 Ss 33/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 55
StPO § 331
Gesamtstrafenbildung im Berufungsverfahren bei unterlassener Gesamtstrafenbildung in 1. Instanz trotz bestehender Gesamtstrafenlage - Verbot der Schlechterstellung.
Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 17. Dezember 2008 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens und die ihm insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Neuruppin hat gegen den Angeklagten mit Urteil vom 18. März 2008 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten sowie eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren verhängt. Der Gesamtstrafenbildung des Gerichts haben für die am 03. und 06. Juli 2006 begangenen Taten festgesetzte Einzelstrafen von jeweils fünf Monaten zugrunde gelegen. Eine weitere nach § 55 StGB gesamtstrafenfähige Verurteilung des Amtsgerichts Passau vom 25. Oktober 2007 ist dem Amtsgericht ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe - allerdings ohne Angaben zum Vollstreckungsstand - zwar bekannt gewesen, jedoch hat es eine Entscheidung über die Einbeziehung jener Strafe nicht getroffen.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat der Angeklagte über seinen Verteidiger am 25. März 2008 Berufung eingelegt, die er in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Neuruppin auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.

Mit Urteil vom 17. Dezember 2008 hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass er unter Einbeziehung der verhängten Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Passau vom 25. Oktober 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt wird. Zudem hat die Kammer die isolierte Sperrfrist auf ein Jahr herabgesetzt.

Das angefochtene Urteil enthält zur einbezogenen Verurteilung folgende Feststellung:

"Wiederum wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 04.01.2007 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Passau am 25. Oktober 2007, rechtskräftig seit dem 03.11.2007, zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30,-- € verurteilt. Die Geldstrafe ist bislang nicht vollständig vollstreckt."

Gegen das Berufungsurteil hat der Angeklagte über seinen Verteidiger Revision eingelegt, mit welcher er mit der Sachrüge insbesondere die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung angreift. Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Revision für unbegründet.

II.

1. Die Revision des Angeklagten ist statthaft (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 341 Abs. 1, 344, 345).

2. Die auf die Revisionsrechtfertigung veranlasste Prüfung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, weshalb das Rechtsmittel des Angeklagten auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen ist.

a) Der Schuldspruch ist durch die bereits im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsen. Die vom Angeklagten erklärte Berufungsbeschränkung war nicht nur formell (§§ 302 Abs. 2, 303 StPO), sondern auch materiell wirksam.

b) Zudem hält der Rechtsfolgenausspruch, insbesondere was die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung betrifft, rechtlicher Prüfung stand.

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGHSt 29, 319, 320 m.w.Nachw.). Nur in diesem Rahmen kann eine "Verletzung des Gesetzes" (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. Dagegen ist eine exakte Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (vgl. BGH St 34, 345ff). Ebenso ist die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung im Grundsatz eine dem Ermessen des Tatrichters überantwortete Entscheidung, die revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar ist, ob Rechtsbegriffe verkannt oder Ermessensfehler vorgekommen sind (vgl. BGH, NStZ 1984, 410). Liegt ein Rechtsfehler nicht vor, so muss das Revisionsgericht die tatrichterliche Beurteilung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen und ist daran gehindert, seine eigene Würdigung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Dezember 2008 - 1 Ss 85/08 - m.w.N.; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 7. Aufl., Rn. 449).

Unter diesen Voraussetzungen liegt ein revisionsrechtlich relevanter Rechtsfehler im angefochtenen Urteil nicht vor. Überdies ist eine Neuverhandlung der Sache im Revisionsrechtszug ausgeschlossen. Vielmehr ist das Revisionsgericht an die Feststellungen des Tatrichters gebunden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., vor § 333, Rn. 1).

c) Auch stellt die nachträgliche Gesamtstrafenbildung im angefochtenen Urteil keinen sachlich rechtlichen Mangel dar. Die Strafkammer hat hierdurch nicht gegen das im Berufungsverfahren geltende Verbot der Schlechterstellung (§ 331 Abs. 1 StPO) verstoßen.

Nach § 55 StGB hat der Tatrichter anderweitig rechtskräftig erkannte Strafen in seinen Urteilsspruch einzubeziehen, sofern die sachlichen Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB vorliegen. Der Angeklagte soll durch die getrennte Aburteilung seiner Taten in verschiedenen Verfahren keinen Nachteil erleiden und keinen Vorteil erlangen (vgl. BGHSt 35, 208, 211; BGHSt 33, 131, 132). Trifft in den verschiedenen Verfahren - wie hier - Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, bedarf es nach § 53 Abs. 2 StGB einer besonderen Entschließung darüber, ob eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden oder ob von der Einbeziehung der Geldstrafe abzusehen ist.

Im Berufungsverfahren gilt allerdings § 331 Abs. 1 StPO. Danach darf das Berufungsgericht das Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen unter anderem dann nicht zum Nachteil des Angeklagten abändern, wenn - wie vorliegend - nur der Angeklagte Berufung eingelegt hat. Die Vorschrift will sicherstellen, dass der Angeklagte bei seiner Entscheidung darüber, ob er von dem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt wird, es könne ihm durch die Einlegung des Rechtsmittels ein Nachteil in Gestalt höherer Bestrafung entstehen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 331, Rn. 1 m.w.N.).

Hat es der erste Richter abgelehnt, aus einer Geld- und einer Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, hat er zu dieser Frage mithin eine Entscheidung getroffen, dann hat es bei alleiniger Berufung des Angeklagten dabei sein Bewenden. Dem Rechtsmittelgericht ist es in einem solchen Fall durch das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO verwehrt, die Entscheidung des ersten Richters zu korrigieren; denn da Freiheitsstrafe im Verhältnis zu Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen ist, würde der Angeklagte durch die mit einer Erhöhung der Freiheitsstrafe verbundene Einbeziehung einer Geldstrafe gegenüber dem Rechtszustand im Zeitpunkt des ersten Urteils eine Verschlechterung erfahren (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.).

Hat der erste Richter allerdings über die Bildung einer Gesamtstrafe keine Entscheidung getroffen, muss das Berufungsgericht diese nachholen, um dem aus § 55 StGB folgenden Gebot gerecht zu werden. Durch § 331 Abs. 1 StPO ist es daran nicht gehindert. Die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus einer Geld- und einer Freiheitsstrafe bedeutet zwar für den Angeklagten - insgesamt gesehen - eine Verschlechterung seiner früheren Lage. Diese beruht jedoch nicht auf einer Abänderung der vorausgegangenen Rechtsfolgenentscheidungen, sondern auf einem erstmals im Berufungsurteil vorzunehmenden richterlichen Gestaltungsakt, der von § 331 Abs. 1 StPO nicht erfasst wird (vgl. BGHSt 35, 208; Fischer, StGB, 56. Auflage, § 55, Rn. 20; Gössel in LR-StPO, 25. Aufl., § 331 Rn. 40).

Dabei kann das Fehlen einer Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung darauf zurückzuführen sein, dass dem erstinstanzlichen Tatrichter die gesamtstrafenfähige anderweitige Verurteilung unbekannt geblieben ist, oder die insoweit zu prüfenden Unterlagen trotz sachgerechter Terminsvorbereitung nicht vollständig vorgelegen haben (vgl. BGH, NStZ-RR 2008, 73). Eine Entscheidung des erstinstanzlichen Richters über die Gesamtstrafenbildung ist aber auch dann nicht getroffen, wenn diesem die gesamtstrafenfähige anderweitige Verurteilung zwar bekannt war, er aber die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung fehlerhaft nicht erkannt hat (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 235 m.w.N.; Meyer-Goßner, a.a.O.; Frisch in SK-StPO, § 331, Rn. 54). So liegt der Fall hier.

Das Amtsgericht hat die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung ersichtlich übersehen und deshalb nicht geprüft oder die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung rechtsfehlerhaft verkannt. Es hat ohne jede Begründung davon abgesehen, die in den Feststellungen zur Person aufgeführte Verurteilung des Amtsgerichts Passau in seine Gesamtstrafe nach § 55 StGB einzubeziehen. Allein aus der ausdrücklichen Feststellung jener Verurteilung in den Urteilsgründen kann indes nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Amtsgericht einer möglichen Gesamtstrafenbildung bewusst gewesen ist, "schlüssig" von der Möglichkeit des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB Gebrauch gemacht und sich gegen die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe entschieden hat (so aber OLG Düsseldorf, wistra 2001, 37f.). Denn die bloße Kenntnis des erstinstanzlichen Richters von einer gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung allein ist kein genügender Anhaltspunkt für die Annahme einer nach §§ 53, 55 StGB zu treffenden Entscheidung. Sie ersetzt nicht die nach § 55 StGB erforderliche Prüfung, ob die Strafe "vollstreckt, verjährt oder erlassen ist". Beim Absehen der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine nach § 53 Abs. 1 StGB zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe bedarf es zudem regelmäßig einer besonderen Begründung, weil § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eine Ausnahme von der Regel darstellt (vgl. Fischer, a.a.O., § 53, Rn. 6 m.w.N.). Ohne einen ausdrücklichen Ausspruch in der Urteilsformel bzw. ohne besondere Begründung kann trotz Kenntnis der Vorverurteilung deshalb nicht von einer - konkludent getroffenen - Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung ausgegangen werden (vgl. OLG Hamm a.a.O. m.w.N.). Mit dem Schweigen des Urteils zur Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung wird diese vielmehr dem Beschlussverfahren (§ 460 StPO) überlassen. Was im Nachtragsverfahren von Amts wegen und auch zu Ungunsten des Verurteilten zulässig ist, kann dem Berufungsgericht, das überdies eine bessere Gewähr für eine gerechte Strafzumessung (vgl. BGHSt 25, 384) bietet, nicht untersagt sein (vgl. BGHSt 35, 208, 215).

Weil das Amtsgericht Neuruppin hiernach keine Entscheidung über das Absehen der Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Passau getroffen hat, ist die Berufungskammer nicht wegen des Verschlechterungsverbots an der nach § 55 StGB zu treffenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung gehindert gewesen.

Ende der Entscheidung

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