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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 15.10.2008
Aktenzeichen: 1 Ss 68/08
Rechtsgebiete: BtMG, StPO


Vorschriften:

BtMG § 29
StPO § 55
Die Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts (§ 55 StPO) in einem anderen Strafverfahren stellt keinen Umstand dar, auf den das Tatgericht seine Überzeugung von der Täterschaft stützen darf.
Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 2. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Potsdam vom 26. Mai 2008 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere große Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel verhängte gegen den Angeklagten mit Urteil vom 13. Dezember 2007 wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in zwei Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30 Euro. Dieses Urteil hat das Landgericht Potsdam auf die Berufung des Angeklagten unter Verwerfung im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch "insoweit abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 18 Euro verurteilt wird" sowie den Schuldspruch "dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln" schuldig sei. Nach den Urteilsfeststellungen soll der Angeklagte dem Zeugen ...an zwei nicht näher bestimmbaren Tagen zwischen dem 1. März und dem 28. Juni 2006 jeweils 100 Gramm Haschisch verkauft haben, das für den in der Justizvollzugsanstalt einsitzenden M. Richter bestimmt war.

Gegen das landgerichtliche Urteil vom 26. Mai 2005 richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge - vorläufigen - Erfolg.

1. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie lässt besorgen, dass die Strafkammer bei ihrer Überzeugungsbildung die Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechtes des Angeklagten in der Strafsache gegen den Zeugen ... vor dem Landgericht Potsdam (25 KLs 25/07) rechtsfehlerhaft als Indiz zum Nachteil des Angeklagten verwertet hat.

Ausweislich der Urteilsgründe ist der Zeuge ... wegen der Rauschgiftlieferungen an ....in dem Strafverfahren 25 KLs 25/07 vom Landgericht Potsdam zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. In der vorliegenden Strafsache hat der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat bestritten und "dazu, dass er in dem Verfahren 25 KLs 25/07 (...) als Zeuge von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht hat," keine Erklärungen abgegeben. Die Kammer hat die Verurteilung des Angeklagten allein auf die Aussage des Zeugen ... gestützt und eine Falschbelastung ausgeschlossen. Sie hat hierzu u.a. Folgendes ausgeführt: "Abgesehen davon, dass die Bekundungen des Zeugen ... detailliert und plausibel und ohne jegliche übertriebene Belastungstendenz waren, stehen seine Angaben in Einklang mit weiteren Umständen (Skizze, Verfahren Auskunftsverweigerungsrecht des Angeklagten)."

Die Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts in einem anderen Strafverfahren stellt jedoch keinen Umstand dar, auf den das Tatgericht seine Überzeugung von der Täterschaft stützen durfte. Das Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 StPO beruht ebenso wie das Schweigerecht des Angeklagten auf dem Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst auszusagen (BGH StV 1986, 282). Es ist deshalb unzulässig, Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten daraus zu ziehen, dass dieser sich als Zeuge in einem anderen, den gleichen Tatkomplex betreffenden Strafverfahren auf das Recht aus § 55 StPO berufen hat (BGHSt 38, 302, 303ff.; Karlsruher Kommentar-StPO/Senge, 5. Aufl. § 55 Rdnr. 16).

Dieser Mangel der Beweiswürdigung ist in der Revisionsinstanz aufgrund der Sachrüge zu prüfen, ohne dass es einer zulässigen Verfahrensbeanstandung bedarf, weil er in einer sich bereits aus dem Urteil selbst ergebenen fehlerhaften Rechtsanwendung seine Grundlage hat (vgl. Dahs/Langkeit NStZ 1993, 213, 215; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 261 Rdnr. 38). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem genannten Rechtsfehler beruht.

2. Auch im Übrigen begegnet die Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht in den Urteilsgründen die Aussage des Zeugen ... zum konkreten Tatverlauf nicht in einer revisionsrechtlich überprüfbaren Weise dargestellt hat.

Im Urteil ist insoweit lediglich ausgeführt, dass der Zeuge die Kontaktaufnahme zwischen ihm und dem Angeklagten "im Sinne der getroffenen Feststellungen" geschildert habe und anhand einer anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung erstellten Skizze erläutert habe, wo er genau den Angeklagten habe treffen sollen. Der Kontakt zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen ... sei so hergestellt worden, dass der Zeuge genaue Beschreibungen erhalten habe, wo er den Angeklagten treffen könne. Über die Beschreibung ..., wo der Zeuge ... den Angeklagten habe treffen sollen, habe der Zeuge eine Skizze erstellt, auf welcher die Wohnung des Angeklagten zutreffend eingezeichnet sei.

Die Feststellungen zum konkreten Tathergang erschöpfen sich darin, dass der Angeklagte dem Zeugen das Haschisch "an wechselnden Orten im Stadtgebiet von Brandenburg" übergeben habe. Wie und wo die Rauschgiftgeschäfte im Einzelnen abgewickelt wurden, bleibt danach unklar. Ob ein Treffen in oder bei der Wohnung des Angeklagten stattgefunden hat und warum konkretere Feststellungen zu den Übergabeorten nicht möglich waren, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, weil die Bekundungen des Zeugen zu diesen sich aufdrängenden Fragen in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt werden.

Die Würdigung ist aus diesem Grund für eine hinreichende Überprüfung in der Revisionsinstanz unzureichend. Eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung setzt - je nach den Besonderheiten des Einzelfalles - u.a. auch voraus, dass sich die Urteilsgründe mit ungenauen Zeugenaussagen in einer für das Revisionsgericht überprüfbaren Weise auseinandersetzen (vgl. BGH StV 1992, 555). Auch müssen die Urteilsgründe dann, wenn - wie hier - Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, wem das Gericht Glauben schenkt, erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen und gewürdigt hat (vgl. BGHSt 44, 153, 158f.; BGH NStZ 2002, 494). Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht.

3. Das angefochtene Urteil leidet ferner deshalb an einem durchgreifenden Rechtsfehler, weil es sich nicht dazu verhält, ob aufgrund gebotener Bildung von Bewertungseinheiten eine tateinheitliche Begehung anzunehmen war.

a) Der Tenor des landgerichtlichen Urteils legt zunächst nahe, dass die Kammer die Begehung des Deliktes in Tateinheit zugrunde gelegt hat. Denn der amtsgerichtliche Schuldspruch "unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln in zwei Fällen" ist dahingehend geändert worden, dass der Angeklagte "des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig" sei. Ferner ist der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts ( Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30 Euro) insoweit abgeändert worden, "dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 18 Euro verurteilt wird." Ausweislich der Urteilsgründe hat die Strafkammer jedoch Einzelstrafen von 40 Tagessätzen verhängt und eine Gesamtstrafe von 70 Tagessätzen bilden wollen.

b) Nach den getroffenen Feststellungen erscheint nicht fern liegend, dass die an den Zeugen ... veräußerte Rauschgiftmenge aus einem einheitlichen Vorrat stammte, so dass die Bildung einer Bewertungseinheit in Betracht kam. Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu werten, weil bereits der Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zweck gewinnbringender Weiterveräußerung bereitgehalten werden, den Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllen; zu dieser Tat gehören als unselbständige Teilakte im Sinne einer Bewertungseinheit auch die späteren Veräußerungsgeschäfte, soweit sie dasselbe Rauschgift betreffen (vgl. BGHSt 30, 28, 31; BGH NStZ 1995, 37; 1996, 93). Die Beurteilung, ob selbständige Rauschgiftgeschäfte zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen sind, ist zwar Sache des Tatrichters und vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen (vgl. BGH NStZ 1997, 344). Das angefochtene Urteil verhält sich jedoch zur Frage einer möglichen Zusammenfassung der beiden Rauschgiftgeschäfte zu einer Bewertungseinheit nicht. Dies ist rechtsfehlerhaft.

4. Darüber hinaus kann der Rechtsfolgenausspruch auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht keine Feststellungen zur Qualität und zum Wirkstoffgehalt des vertriebenen Rauschgifts getroffen und damit einen für die Bestimmung des Schuldumfangs wesentlichen Umstand außer Betracht gelassen hat.

Auf konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt - die unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes auch dann möglich sind, wenn Betäubungsmittel nicht sichergestellt werden konnten und daher für eine Untersuchung durch Sachverständige nicht zur Verfügung stehen (vgl. BGH NJW 1994, 1885; BGH NStZ 1985, 221) - kann bei Verurteilungen von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz regelmäßig nicht verzichtet werden. Denn der Wirkstoffgehalt der Drogen hat entscheidenden Einfluss u.a. auf die Beurteilung der Schwere der Tat und den Schuldumfang (vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 3. April 2008 - 3 StR 60/08, in Juris; Senatsbeschluss v. 16. Juli 2007 - 1 Ss 42/07). Ohne entsprechende Angaben vermag das Revisionsgericht regelmäßig nicht zu prüfen, inwieweit die verhängten Strafen rechtsfehlerfrei bemessen worden sind.

Von genaueren Feststellungen darf nur ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn auszuschließen ist, dass eine Angabe des Wirkstoffgehaltes das Strafmaß zugunsten des Angeklagten beeinflussen kann (BGH NStZ 1990, 395). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Insbesondere hat das Landgericht nicht lediglich die Mindeststrafe verhängt und im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich um Rauschgiftmengen gehandelt habe, "die nicht mehr im ganz geringen Bereich anzusiedeln" seien.

Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben, sondern ist mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und an eine andere große Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Potsdam zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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