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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.11.2007
Aktenzeichen: 1 Ss 84/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ss 84/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen gefährlicher Körperverletzung

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Bachnick und Dr. Weckbecker

am 21. November 2007

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Senats vom 30. Oktober 2007 bleibt aufrechterhalten.

Gründe:

Der Angeklagte wendet sich mit seiner Gegenvorstellung gegen die am 30. Oktober 2007 durch den Senat beschlossene Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 8. Januar 2007 als unzulässig und gegen die Verwerfung der Revision gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 8. Januar 2007 als unzulässig. Der Angeklagte macht abermals geltend, im Zeitpunkt des Hauptverhandlungstermins am 8. Januar 2007 sei ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO gegeben.

Der Senat sieht sich nicht veranlasst, seine Entscheidung vom 30. Oktober 2007 abzuändern, er hält vielmehr an ihr unverändert fort. Er würdigt den Fall rechtlich weiterhin in der vorgenommenen Art und Weise.

Der Senat weist auf folgendes hin:

1. a) Die von dem Angeklagten zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 2002 - 5 StR 617/01 - ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war der Angeklagte durch das angegriffene landgerichtliche Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten verurteilt worden und der "Wahlverteidiger" hatte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits seine Zulassung als Rechtsanwalt infolge von Vermögensverfall verloren. Dass dort ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben war, steht außer Frage.

Im vorliegenden Fall war der Angeklagte durch das Amtsgericht Potsdam zu einer Freiheitsstrafe von (lediglich) 8 Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; schwerwiegende mittelbare Nachteile, wie beispielsweise der Widerruf einer Bewährungsstrafe (siehe dazu KK-Laufhütte, StPO, 5. Aufl. 2003, § 140 Rdnr. 21), hatte der Angeklagte nicht zu befürchten.

b) Soweit der Angeklagte mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 2002 - 5 StR 617/01 - zum Ausdruck bringen will, dass es "allein objektiv zu beantworten ist und es noch nicht einmal darauf ankommt, ob dem betreffenden Tatgericht sämtliche Tatsachen, die im Ergebnis zu einer Subsumtion des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen von § 140 Abs. 2 StPO führen, bekannt sind oder nicht bekannt sind", ist dem entgegen zu halten, dass sich die Frage des objektiven Vorliegens der Voraussetzung von § 140 Abs. 2 StPO im vorliegenden Fall nicht stellt. Denn das (zufällige) Vorliegen weiterer Anklagen bei irgendeinem Gericht - seien sie dem Tatrichter bekannt oder nicht - kann einen Fall der notwendigen Verteidigung nicht begründen, da der weitere Verlauf dieser Verfahren völlig ungewiss ist; es ist beispielsweise unklar, ob das Hauptverfahren eröffnet und/oder die Anklage überhaupt zur Hauptverhandlung zugelassen wird.

2. Die vom Angeklagten in seiner Gegenvorstellung erwähnten "sämtliche(n) in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik hierzu ergangenen Entscheidungen" betreffen Fallgestaltungen, bei denen - wie im angefochtenen Beschluss ausgeführt - bereits rechtkräftige Entscheidungen ergangen waren, die für eine Einbeziehung bzw. für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu beachten waren oder es lagen fallbezogen jeweils mehrere selbständige angeklagte Straftaten vor, die in demselben Verfahren abzuurteilen waren. Im vorliegenden Fall hatte das Gericht lediglich über eine angeklagte Tat zu entscheiden. Weitere nicht verbundene Strafsachen bzw. Anklagen (§ 4 StPO) sind - wie oben erwähnt - im Ausgang ungewiss und können bei der Prognose für die Straferwartung und damit auch für die "Schwere der Tat" im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO nicht berücksichtigt werden.

Es zeigt sich auch, dass die Forderung des Angeklagten nach Berücksichtigung (zufällig) bestehender weiterer Anklagen - dies zudem auch bei Unkenntnis des Tatrichters - nicht ohne erhebliche Verfahrensverzögerung realisierbar ist. Eine Berücksichtigung etwaiger weiterer Anklagen für die Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO würde dem Tatrichter die Abfrage bei jeder Staatsanwaltschaft abverlangen, ob dort möglicherweise ein weiteres Strafverfahren anhängig ist. Dies ist nicht nur unpraktikabel, sondern widerspricht auch dem Beschleunigungsgrundsatz, dem Verfassungsrang zukommt.

Etwas anderes mag dann gelten, wenn Strafsachen oder Anklagen willkürlich nicht verbunden werden, wofür es im vorliegenden Verfahren jedoch keine Anhaltspunkte gibt.

Entsprechend geht auch der Hinweis in der Gegenvorstellung auf die Entscheidung des Senats vom 9. Januar 2006 - 1 Ss 109/05 - fehl. Der dort entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Denn dort lag bereits eine rechtskräftige Entscheidung der Verhängung einer Freiheitsstrafe auf Bewährung vor und es drohte wegen der neuerlichen Verurteilung der Widerruf der Strafaussetzung; mithin drohten dort dem Angeklagten schwerwiegende mittelbare Nachteile, was hier - wie dargelegt - gerade nicht der Fall ist.

3. Soweit die Gegenvorstellung davon spricht, dass die vom Senat getroffene Entscheidung "den Tatrichtern wie auch der Staatsanwaltschaft für Manipulationen Tür und Tor" öffne, suggeriert dies nicht nur den Generalverdacht gegen Richter und Staatsanwälte, diese würden Straftaten (Rechtsbeugung) begehen, die Ausführung ist auch in der Sache falsch. Denn mit jedem neuen Strafverfahren stellt sich die Frage der notwendigen Verteidigung neu. Von daher mag infolge des Urteils des Amtsgerichts Potsdam vom 8. Januar 2007 im Hinblick auf die erkannte 8-monatige Freiheitsstrafe auf Bewährung für die nachfolgenden Strafverfahren eine notwendige Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO gegeben sein, denn in den nachfolgende Strafverfahren wird sich entweder die Frage der nachträglichen Gesamtstrafenbildung stellen können oder eine nachfolgende Verurteilung kann für die Frage des Widerrufs der Aussetzung der 8-monatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung von Bedeutung sein.

Der Senat bleibt daher bei seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2007.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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