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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 12.05.2005
Aktenzeichen: 1 U 4/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 707
ZPO § 719
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 U 4/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ...und den Richter am Amtsgericht ...

am 12. Mai 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2004 - 2 O 139/01 - wird bis zu einer Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt.

Der weitergehende Antrag des Klägers auf Einstellung der Zwangsvollstreckung wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Durch Schlussurteil des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2004 ist die Klage hinsichtlich des Antrags des Klägers, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 750.000,00 nebst Zinsen zu zahlen, hilfsweise eine monatliche Geldrente von 1.500,00 und einen Kapitalbetrag von 117.000,00 €, abgewiesen und der Kläger verurteilt worden, die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist dem Kläger am 28. Dezember 2004 zugestellt worden. Mit Eingang vom 28. Januar 2005 hat der Kläger Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens beantragt. Sein Prozesskostenhilfegesuch und die geplante Berufung hat der Kläger innerhalb der mit Verfügung vom 11. Februar 2005 gesetzten Frist mit Eingang vom 15. März 2005 begründet. Die Beklagte hat hierauf Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Aufgrund des Schlussurteils des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2004 hat die Beklagte bei dem Landgericht Neuruppin am 4. Februar 2005 einen Kostenfestsetzungsbeschluss erwirkt, wonach der Kläger der Beklagten Kosten in Höhe von 14.800,41 € nebst Zinsen zu erstatten hat. Hieraus betreibt die Beklagte die Zwangsvollstreckung gegen den Kläger.

Mit Schriftsatz vom 19. April 2005 hat der Kläger beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. Februar 2005 und dem Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2004 bis zur Entscheidung in der Hauptsache ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Die Beklagte ist dem Einstellungsantrag entgegen getreten.

II.

Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Schlussurteil des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2004 bis zur Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers für das geplante Berufungsverfahren beruht auf §§ 707, 719 ZPO analog. Die direkte Anwendung von §§ 707, 719 ZPO kommt nicht in Betracht, da noch keine Berufung eingelegt worden ist (OLG Düsseldorf, Justizministerialblatt NRW 1970, S. 236; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 719 Rdnr. 3; MünchKomm-Krüger, ZPO, § 719 Rdnr. 3; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 719 Rdnr. 2; Schuschke, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, 3. Aufl. 2002, § 719 Rdnr. 2 m.w.N.).

Nach Ansicht des Senats finden §§ 707, 719 ZPO jedoch analoge Anwendung, wenn Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Berufungsverfahren beantragt wird und über dieses Prozesskostenhilfegesuch noch nicht entschieden worden ist. Die analoge Anwendung von §§ 707, 719 ZPO rechtfertigt sich in solchen Fällen daraus, dass die in I. Instanz unterlegene Partei, die Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens beantragt, in gleicher Weise schutzbedürftig und schutzwürdig ist wie die Partei, die sogleich Berufung einlegt. Die bedürftige Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, um sogleich Berufung einzulegen, und deshalb zunächst (nur) Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens beantragt, darf nicht schlechter stehen als die Partei, die über ausreichende Mittel verfügt, um sogleich Berufung einzulegen. In beiden Fällen steht der Bestand der erstinstanzlichen Entscheidung noch nicht endgültig fest und kann die in I. Instanz unterlegene Partei im Falle der Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der obsiegenden Partei von irreparablen Nachteilen bedroht sein.

Die analoge Anwendung von §§ 707, 719 ZPO für den Fall, dass lediglich Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung beantragt wird, ist, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Schrifttum bislang nicht erörtert worden. Wenn Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Zwangsvollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO beantragt wird, die Vollstreckungsgegenklage selbst aber noch nicht anhängig ist, wird eine analoge Anwendung von § 769 Abs. 1 ZPO allerdings von der überwiegenden Ansicht abgelehnt (s. etwa OLG Naumburg, FamRZ 2001, S. 839 f. m.w.N.; OLG Frankfurt/Main, MDR 1999, S. 828 m.w.N. zum Streitstand; Zöller/Herget, § 769 Rdnr. 4 m.w.N.; für eine analoge Anwendung von § 769 Abs. 1 ZPO in diesen Fällen: Schuschke, a.a.O., § 769 Rdnr. 2 m.w.N. zum Streitstand in der dortigen Fußnote 17). Die Ablehnung einer analogen Anwendung von § 769 Abs. 1 ZPO wird hierbei freilich gerade auch auf das Argument gestützt, dass hierfür kein Bedarf bestehe, weil der Vollstreckungsschuldner die Möglichkeit hat, eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei dem Vollstreckungsgericht gemäß § 769 Abs. 2 ZPO (analog) zu beantragen und zu erwirken. Die (analoge) Anwendung von § 769 Abs. 2 ZPO kommt jedoch für den Fall, dass die in I. Instanz unterlegene Partei für die beabsichtigte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil Prozesskostenhilfe beantragt, nicht in Betracht. Hier kann der Vollstreckungsschuldner nicht auf eine (analoge) Anwendung von § 769 Abs. 2 ZPO verwiesen werden und besteht daher Bedarf für eine analoge Anwendung von §§ 707, 719 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung analog § 719 Abs. 1 Satz 1, § 707 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO liegen vor. Die Beklagte betreibt gegen den Kläger aufgrund des Schlussurteils des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2004 die Zwangsvollstreckung. Das Zwangsvollstreckungsverfahren dauert noch an und ist noch nicht beendet. Der Kläger hat durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen vom 20. April, 25. April und 3. Mai 2005 und von Unterlagen zur Darlegung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie zur wirtschaftlichen Situation der ... GbR glaubhaft gemacht, dass er zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Danach verfügt der Kläger nicht über Mittel oder sonstige Möglichkeiten, Sicherheit zu leisten oder die Vollstreckungsforderung (vorläufig) zu erfüllen und besteht insbesondere auch nicht die Möglichkeit, entsprechende Entnahmen aus dem Vermögen der ... GbR zu tätigen. Im Falle der Zwangsvollstreckung droht nach Darlegung des Klägers eine Zerschlagung der ... GbR, die die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Klägers darstellt.

Die Abwägung der Interessen beider Parteien rechtfertigt eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers. Die Bedürftigkeit des Klägers im Sinne von §§ 114, 115 ZPO ist in einem für die Einstellung der Zwangsvollstreckung analog §§ 707, 719 ZPO genügenden Maße dargetan. Die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung im Sinne von § 114 ZPO bedarf noch der eingehenden Überprüfung und Beratung des Senats. Da eine Entscheidung des Senats über das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers in nicht ferner Zeit ergehen soll, erscheint es für die Beklagte (Gläubigerin) zumutbar, jedenfalls bis dahin noch mit der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung abzuwarten.

Allerdings ist eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung analog §§ 707, 719 ZPO für einen weitergehenden Zeitraum als bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch - derzeit - weder geboten noch angemessen. Soweit der Prozesskostenhilfeantrag Erfolg hat, hat der Kläger die Möglichkeit, umgehend Berufung einzulegen, hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen und zugleich einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß §§ 707, 719 ZPO (direkt) zu stellen. Wird der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers hingegen abgelehnt, so ist bislang kein rechtfertigender Grund ersichtlich, der Beklagten (Gläubigerin) die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung zu verwehren. Aus diesem Grunde war der weitergehende Antrag des Klägers, die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung in der Hauptsache einzustellen, zurückzuweisen.

Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Schlussurteil des Landgerichts Neuruppin vom 18. November 2004 umfasst auch die Zwangsvollstreckung aus dem auf diesem Urteil fußenden Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Neuruppin vom 4. Februar 2005, ohne dass es insoweit eines ausdrücklichen Ausspruchs im Beschlusstenor bedarf (vgl. Zöller/Herget, a.a.O., § 707 Rdnr. 20).

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