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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 12.06.2002
Aktenzeichen: 1 U 6/02
Rechtsgebiete: StGB, ZPO, BGB


Vorschriften:

StGB § 186
StGB § 193
ZPO § 705
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 511 Abs. 1
ZPO § 542 Abs. 2
ZPO § 704 Abs. 1
ZPO § 920 Abs. 2
ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

1 U 6/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

verkündet am 12. Juni 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2002 durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Macke, den Richter am Oberlandesgericht Tombrink und den Richter am Oberlandesgericht Friedrichs

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das am 28. Januar 2002 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 17 O 19/02 - wird auf Kosten des Verfügungsbeklagten zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Verfügungskläger nimmt den Verfügungsbeklagten auf Unterlassung ehrenrühriger Äußerungen in Anspruch.

Der Verfügungskläger war Bürgermeister der Stadt S und früher Mitglied der SPD. Der Verfügungsbeklagte ist Mitglied der SPD und Vorsitzender des Ortsvereins S dieser Partei. Kandidaten für die Bürgermeisterwahl in S am 24. Februar 2002 waren unter anderen der - inzwischen parteilose - Verfügungskläger, Herr D B für die SPD und Herr N für die PDS. Der Verfügungskläger, damals noch Mitglied der SPD, hatte im Mai 2001 eine erneute Bewerbung um das Bürgermeisteramt der Stadt S zunächst abgelehnt, worauf die SPD Herrn D B als Kandidaten nominierte. Im Dezember 2001 entschloß sich der Verfügungskläger dann allerdings doch zur Kandidatur, was zu Spannungen mit dem Ortsverein der SPD führte. Zwischen dem Verfügungskläger und dem Verfügungsbeklagten bestehen aus politischen Gründen seit längerem persönliche Differenzen.

Am 23. Januar 2002 versandte der Verfügungsbeklagte eine E-Mail, die sich vornehmlich an die S SPD-Mitglieder richtet und in der es unter anderem heißt:

"Von Seiten der PDS ist mir glaubhaft zu Ohren gekommen, daß eine Absprache zwischen S und der PDS bestehen soll.

S habe zu kandidieren, um B Stimmen abzunehmen und ihn auf die hinteren Plätze zu verweisen. Falls dies gelinge und N und S in die Stichwahl kämen, würde N vor dem zweiten Wahlgang zurücktreten. Damit sei S so gut wie gewählt, da das Wahlgesetz nicht vorsieht, daß ein anderer Kandidat nachrückt. S würde dann Bürgermeister werden, würde sich aber alsbald wieder in den Krankenstand begeben, um die zwei Jahre bis zur Erlangung der vollen Pension zu überbrücken. N wäre dann de facto Bürgermeister und hätte für eine spätere Neuwahl den Amtsbonus.

Ich kann nur hoffen, daß ein solcher Wählerbetrug nicht tatsächlich beabsichtigt ist.

Allerdings gibt es schon zu denken, daß die PDS in der letzten SVV S so überschwenglich beklatscht hat. Immerhin ist er doch Gegenkandidat von N Bei der 'Elefantenrunde' am 23.01.02 und bei dem Treffen am 30.01.02 zum Thema 'Fairer Wahlkampf' sollte darüber gesprochen werden."

Über den Inhalt dieser E-Mail wurde in der "M zeitung" vom 16. Januar 2002 ' berichtet.

Der Verfügungskläger hat unter Vorlage einer eigenen eidesstattlich versicherten Erklärung vom 24. Januar 2002 geltend gemacht, daß es sich bei den Äußerungen in der E-Mail des Verfügungsbeklagten um ehrenrührige unwahre Tatsachenbehauptungen handele.

Er hat beantragt,

dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, oder Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß folgende Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten:

Der Verfügungskläger kandidiere zur Wahl 2002 für das Amt des Bürgermeisters nur deshalb, um dem Bewerber der SPD, Herrn B Stimmen abzujagen, und dies nur deshalb, um eine Stichwahl zwischen dem Verfügungskläger und dem Bewerber der PDS, Herrn N, herbeizuführen.

Der Verfügungskläger habe für diesen Fall mit Herrn N vereinbart, daß dieser unmittelbar nach Ausrufung der Stichwahl seine Bewerbung um das Bürgermeisteramt zurückzieht, um dem Verfügungskläger hierdurch den Wahlsieg zu ermöglichen.

Der Verfügungskläger werde sich umgehend nach seiner Wahl, in der Absicht, sein Wahlamt als Bürgermeister tatsächlich niemals auszuüben, in den Krankenstand begeben und hierdurch die dauerhafte faktische Ausübung des Bürgermeisteramtes durch den PDS-Kandidaten Herrn N ermöglichen.

Den Krankenstand werde der Verfügungskläger mindestens 2 Jahre ausüben, um die volle Anwartschaft auf seine Pension zu erlangen.

Dieses Vorgehen habe der Verfügungskläger mit Herrn N vereinbart.

Der Verfügungsbeklagte hat beantragt,

den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Er hat entgegnet, er habe sich mit der E-Mail ausschließlich an die Mitglieder des Ortsvereins der SPD gewandt, also an einen begrenzten Empfängerkreis, und hiervon keine Mitteilung an die Presse gemacht. Er habe lediglich ein Gerücht wiedergegeben und seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, daß ein derartiger Wählerbetrug tatsächlich nicht beabsichtigt sei, wenn es auch durchaus glaubhafte Indizien für die Wahrheit des Gerüchtes gebe. Vor diesem Hintergrund sei es - insbesondere im Wahlkampf - durch das Recht der freien Meinungsäußerung und wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt gewesen, dieses Gerücht öffentlich zu machen und hierzu eine Klärung herbeizuführen. Dies diene der Gewährleistung eines fairen Wahlkampfes. Letztlich fehle auch die Wiederholungsgefahr.

Durch sein am 28. Januar 2002 verkündetes Urteil, auf das ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht Frankfurt (Oder) die einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen. Hiergegen wendet sich der Verfügungsbeklagte mit seiner Berufung, mit der er die Abänderung des angefochtenen Urteils und die Zurückweisung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung begehrt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in beiden Rechtszügen eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die gemäß § 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO (n. F.) an sich statthafte und auch im übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Brandenburgischen Oberlandesgericht eingelegte Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO [n. F.], § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG [n. F.]) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zu Recht als zulässig und begründet angesehen.

1. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung ist zulässig. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des einstweiligen Verfügungsverfahrens als summarisches Erkenntnisverfahren (arg. §§ 926, 927, 936 ZPO; s. etwa Baumbach/Hartmann., ZPO, 60. Aufl. 2002, Grdz. § 916 Rdn. 5, 12; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl. 2002, vor § 916 Rdn. 3) ist zwar eine Vorwegnahme der Hauptsache grundsätzlich unzulässig. Hiervon ausgenommen sind jedoch Fälle, in denen der Verfügungskläger dringend auf einen gerichtlichen Titel angewiesen ist und ihm ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden kann; letzteres gilt etwa auch für Ansprüche auf Unterlassung ehrkränkender Äußerungen, wenn die Wiederholung der Äußerungen zu befürchten ist (arg. § 938 Abs. 2 ZPO; s. Baumbach/Hartmann, aaO., Grdz. § 916 Rdn. 5 ff, 8; § 940 Rdn. 28 "Ehre" und Rdn. 40 "Presserecht/Beleidigung"; OLG Koblenz OLGZ 1990, S. 246 ff.; OLG Stuttgart, MDR 1961, S. 1024; Zöller/Vollkommer, aaO., § 935 Rdn. 2, § 938 Rdn. 3 ff. und § 940 Rdn. 6). Die erforderliche Eilbedürftigkeit liegt hier vor. Auch nach zwischenzeitlicher Beendigung des Wahlkampfes um das Bürgermeisteramt in S ist nicht auszuschließen, daß die verfahrensgegenständlichen Äußerungen von dem Verfügungsbeklagten wiederholt werden, wenn ihn eine gerichtliche Entscheidung nicht daran hindert. Die Wiederholungsgefahr wird regelmäßig vermutet, wenn bereits eine Verletzungshandlung (Äußerung) vorliegt (s. etwa BGHZ Bd. 140, S. 1, 10 = NJW 1999, S. 356, 358 f.; NJW 1987, S. 2225, 2227; NJW 1986, S. 2503, 2505; Palandt/Thomas, BGB, 61. Aufl. 2002, vor § 823 Rdn. 24; Palandt/Bassenge, aaO., § 1004 Rdn. 32; Münch.Komm.-Rixecker, BGB, Bd. 1, 4. Aufl. 2001, Anhang § 12 Rdn. 179). An die Widerlegung der hiernach indizierten Wiederholungsgefahr werden strenge Anforderungen gestellt; im allgemeinen muß der Verletzer (Äußernde) eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung abgeben, die nach Lage des Einzelfalles geeignet ist, ihn wirklich und ernsthaft von einer Wiederholung der Verletzungshandlung (Äußerung) abzuhalten (s. dazu BGH MDR 2000, S. 1233; NJW 1987, S. 3251, 3252; Palandt/Thomas, aaO., vor § 823 Rdn. 24 m.w.Nw.; Münch.Komm.-Rixecker, aaO., Anhang § 12 Rdn. 179). Eine solche Erklärung, aus der für den Verfügungskläger die zuverlässige Einschätzung erwächst, daß er eine Wiederholung der Verletzungshandlung (Äußerung) nicht mehr zu befürchten hat, hat der Verfügungsbeklagte nicht abgegeben. Auch sonst fehlt es an Umständen, die der Annahme der Wiederholungsgefahr - ausnahmsweise - entgegenstehen könnten. Der Wahlkampf um das Bürgermeisteramt der Stadt S ist zwar beendet. Wie in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2002 deutlich geworden ist, dauert die persönliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien jedoch an, und es liegt nicht fern, daß in diesem Zusammenhang auch die hier streitigen Äußerungen wieder aufgegriffen werden könnten.

2. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.

a) Der Verfügungsgrund ergibt sich aus der dargelegten Eilbedürftigkeit des Unterlassungsbegehrens.

b) Dem Verfügungskläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch (Verfügungsanspruch) zur Seite. Er findet seine Grundlage in § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (analog) in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) bzw. § 823 Abs. 2 BGB, § 186 StGB (üble Nachrede). Bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) handelt es sich um ein subjektives Recht des Einzelnen auf Achtung und Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr (vgl. BVerfGE Bd. 65, S. 1, 41 f.; BVerfG NJW 1989, S. 891; näher: BVerfG NJW 2000, S. 3485; s. auch BGHZ Bd. 24, S. 72, 76; Senat, NJW 1999, S. 3339, 3340; Palandt/Thomas, aaO., § 823 Rdn. 176 f.; Münch.Komm.-Rixecker, aaO., Anhang § 12 Rdn. 1 ff.). Es ist als eines der "sonstigen Rechte" im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt (s. nur BGHZ Bd. 24, S. 72, 76 f.; Bd. 27, S. 284, 285 f.; Senat, aaO.; Palandt/Thomas, aaO., § 823 Rdn. 175 ff.). Im Falle einer unwahren Tatsachenbehauptung kommt neben § 823 Abs. 1 BGB auch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB als Anspruchsgrundlage in Betracht. § 186 StGB (üble Nachrede) zählt zum Kreis der Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (s. BGHZ Bd. 95, S. 212,214 ff.; Senat, aaO.; Palandt/Thomas, aaO., § 823 Rdn. 149, 176; Münch.Komm.-Mertens, BGB, Bd. 5, 3. Aufl. 1997, § 823 Rdn. 194 m.w.Nw.).

Aus der maßgeblichen Sicht des unbefangenen Durchschnittsrezipienten (s. BVerfG NJW 1989, S. 1789; BGHZ Bd. 128, S. 1, 6; BGH NJW 1994, S. 2614, 2615; BGH NJW 1995, S. 861, 862; Senat, NJW 1999, S. 3339, 3340 f. m.w.Nw.; Palandt/Thomas, aaO., § 824 Rdn. 3 m.w.Nw.; Münch.Komm.-Rixecker, aaO., Anhang § 12 Rdn. 128) sind die verfahrensgegenständlichen Ausführungen in der E-Mail ohne weiteres geeignet, Ehre und Ansehen des Verfügungsklägers empfindlich zu beeinträchtigen. Nach dem dort wiedergegebenen "Gerücht" erscheint er als ein "Wählerbetrüger", der beabsichtigt, mit einem scheinbaren "Konkurrenten" einer anderen Partei "gemeinsame Sache" zu machen, sich durch Vortäuschung einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit den Amtspflichten eines Bürgermeisters zu entziehen und auf diese Weise erhöhte Pensionsansprüche zu erlangen.

Hierbei bandelt es sich um eine Tatsachenbehauptung, und zwar sowohl in bezug auf die Existenz des Gerüchts als auch in bezug auf dessen Inhalt.

Eine Tatsachenbehauptung enthält eine objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit; sie ist der objektiven Klärung hinsichtlich ihrer Wahrheit oder Unwahrheit zugänglich und steht als Äußerung über etwas Geschehenes oder Gegenwärtiges dem Beweis offen. Während eine Tatsachenbehauptung als "wahr" oder "unwahr" erwiesen werden kann, enthält eine Meinungsäußerung ein Werturteil, das nicht als "wahr" oder "unwahr", sondern als "richtig" oder "falsch", als "zutreffend" oder "unzutreffend" bewertet und in dieser Weise geteilt oder abgelehnt werden kann. Die Meinungsäußerung ist durch die Elemente des Meinens und Dafürhaltens, der subjektiven Einschätzung des Mitteilenden, geprägt (s. dazu etwa BVerfGE Bd. 61, S. 1, 7 ff.; Bd. 85, S. 1, 14 f.; BVerfG NJW 1995, S. 3303; NJW 1996, S. 1529 f.; NJW 2000, S. 199, 200; BGHZ Bd. 139, S. 95, 102; BGH NJW 1994, S. 2614, 2615; NJW 1996, S. 1131, 1133; NJW 1998, S. 1223, 1224; Senat, NJW 1999, S. 3339, 3341 m.w.Nw.; Palandt/Thomas, aaO., § 824 Rdn. 2; Münch.Komm.-Rixecker, aaO., Anhang § 12 Rdn. 129; Münch.Komm.-Mertens, BGB, Bd. 5, 3. Aufl. 1997, § 824 Rdn. 12 ff.). Eine Tatsachenbehauptung behält auch in "verdeckter" Gestalt als Verdachtsäußerung, Vermutung oder Möglichkeit ihren Charakter als Tatsachenbehauptung, wenn der Äußernde das Mitgeteilte als wahr suggeriert und dem Leser als Schlußfolgerung nahelegt (s. BGHZ Bd. 78, S. 9, 14 ff. = NJW 1980, S. 2801, 2803; OLG München, NJW-RR 2000, S. 1064; Palandt/Thomas, aaO., § 824 Rdn. 2; Soehring, PresseR, 4.Aufl. 2000, S. 327, 352 f.; Prinz/Peters, MedienR, 1999, Rdn. 9). Die Mitteilung eines "Verdachts" oder "Gerüchts" stellt eine nicht nur die Existenz, sondern auch den geschilderten Inhalt des Verdachts bzw. Gerüchts betreffende Tatsachenbehauptung dar, sofern sich der Äußernde nicht von dem Gerücht oder Verdacht distanziert (s. BGHZ Bd. 132, S. 13, 18 f. = NJW 1996, S. 1131, 1132; BGH NJW 1997, S. 1148,1149; Soehring, aaO., S. 330 f., 340 f.; Prinz/Peters, aaO., Rdn. 16, 24, 39; Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in Presse und Rundfunk, 2. Aufl. 2001, S. 141, 217; Löffler/Ricker, Handbuch des PresseR, 4. Aufl. 2000, S. 325, 352). Die Kolportage eines abträglichen Gerüchts oder Verdachts ist typischerweise geeignet, ein negatives Tatsachenbild über eine Person in die Welt zu setzen, und hieran hat jeder Anteil, der das Gerücht oder den Verdacht weiterträgt. Dem Betroffenen wiederum muß es möglich sein, sich gegen die Verbreitung unwahrer Gerüchte wirksam zur Wehr zu setzen. Hieran wäre er aber gehindert, würde es genügen, daß der Äußernde nur die Wahrheit der Existenz des Gerüchts oder Verdachts dartun müßte, nicht aber auch die Wahrheit seines Inhalts. Nur wenn an seiner Darstellung ein öffentliches Interesse besteht und sich der Äußernde hinreichend deutlich davon distanziert, beschränkt sich der tatsächliche Gehalt der Äußerung auf die Existenz des Gerüchts. Andernfalls umfaßt die Äußerung aus Sicht des Empfängers zugleich die - verdeckte - Behauptung, daß das "Gerücht" "wahr" oder "doch zumindest etwas Wahres daran" sei.

Im vorliegenden Fall hat der Verfügungsbeklagte ein in der Öffentlichkeit bis dahin offenbar noch nicht bekannt gewordenes "Gerücht" mitgeteilt, an dessen Verbreitung - sofern es überhaupt existiert hat - wegen des aktuellen Bezugs zum Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters der Stadt S ein öffentliches Interesse bestanden hätte. Der Verfügungs- beklagte hat sich von dem Gerücht aber nicht hinreichend deutlich distanziert, sondern durch einige Zusätze ["glaubhaft zu Ohren gekommen"; "Allerdings gibt es schon zu denken (...). Immerhin (...)."] gegenüber dem Leser unverkennbar zum Ausdruck gebracht, daß er das "Gerücht" für "wahr" oder doch zumindest für "möglicherweise wahr" hält. Somit kommt der Äußerung des Verfügungsbeklagten der Charakter einer Tatsachenbehauptung nicht nur in bezug auf die Existenz des Gerüchts, sondern auch auf dessen Inhalt zu.

Diese Tatsachenbehauptung stellt sich im vorliegenden Verfahren als unwahr dar. Der Verfügungsbeklagte hat weder glaubhaft gemacht, daß es das von ihm mitgeteilte "Gerücht" vor der Abfassung seiner E-Mail überhaupt schon gegeben hat (Existenz des Gerüchts), noch die inhaltliche Wahrheit des "Gerüchts". Er trägt insoweit die Glaubhaftmachungslast. Aufgrund der über § 823 Abs. 2 BGB in den zivilrechtlichen Ehrenschutz transformierten Beweisregel des § 186 StGB ist es - jedenfalls bei Unterlassungsansprüchen - Sache des Anspruchsgegners, die Wahrheit einer zur Verletzung der Ehre des Anspruchstellers geeigneten Tatsachenbehauptung zu beweisen (BGH NJW 1985, S. 1621, 1622; NJW 1987, S. 2225, 2226; BGHZ Bd. 132, S. 13, 23 - NJW 1996, S. 1131, 1133; BGHNJW 1998, S. 3047, 3049; Münch. Komm.-Rixecker, aaO., Anhang § 12 Rdn. 135; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl. 2002, vor § 284 Rdn. 21). Im einstweiligen Verfügungsverfahren gelten - zumindest, nachdem der Verfügungsbeklagte (Antragsgegner) am Verfahren beteiligt (angehört) worden ist - hinsichtlich der Beweislastverteilung keine Besonderheiten; § 920 Abs. 2 ZPO enthält keine Sonderregelung für die Beweislastverteilung, sondern läßt lediglich anstelle der förmlichen Beweisführung die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) zu (s. OLG Koblenz OLGZ 1990, S. 246, 247; Zöller/Vollkommer, aaO., vor § 916 Rdn. 6 a m.w.Nw., § 922 Rdn. 5 und § 935 Rdn. 8; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl. 2002, vor § 916 Rdn. 9; a.A. wohl Baumbach/ Hartmann, ZPO, 60. Aufl. 2002, § 920 Rdn. 8). Überdies hat der Verfügungskläger durch Vorlage seiner eidesstattlich versicherten Erklärung vom 24. Januar 2002 seinerseits die inhaltliche Unwahrheit des "Gerüchts" glaubhaft gemacht.

Für eine Rechtfertigung der Äußerung des Verfügungsbeklagten finden sich keine genügenden Anhaltspunkte. Eine Rechtfertigung nach § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) oder Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungs- und Pressefreiheit) kommt für ehrverletzende und als unwahr erwiesene oder gar bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen grundsätzlich nicht in Betracht (s. BVerfGE Bd. 61, S. 1, 8; Bd. 90, S. 241, 247 f.; BVerfG NJW 1992, S. 1439, 1440; NJW 1999, S. 1322, 1324; NJW 2000, S. 199, 200; NJW 2000, S. 3485 f.; BGHZ Bd. 37, S. 187, 191; Bd. 84, S. 237, 238; Bd. 139, S. 95, 101; Palandt/Thomas, aaO., § 824 Rdn. 2 und § 823 Rdn. 189 a m.w.Nw.). Steht die Unwahrheit der Behauptung nicht fest und bestand an ihrer Verbreitung gleichwohl ein öffentliches Interesse, kann die Rechtswidrigkeit wegen Art. 5 Abs. 1 GG, § 193 StGB entfallen, wenn im Vorfeld der Veröffentlichung die nötige Sorgfalt beachtet, also ordnungsgemäß recherchiert worden ist (vgl. BVerfG NJW 1999, S. 1322, 1324; BGHZ Bd. 132, S. 13, 23 f.; BGH NJW 1987, S. 2225, 2226; NJW 1998, S. 3047, 3049; Palandt/Thomas, aaO., § 823 Rdn. 189 a; Münch.Komm.-Rixecker, aaO., Anhang § 12 Rdn. 136). Für die Beachtung dieser Sorgfaltspflichten hat der Verfügungsbeklagte - der nicht einmal die (vorherige) Existenz des von ihm verbreiteten "Gerüchts" näher dargelegt oder gar glaubhaft gemacht hat - jedoch nichts dargetan noch ist hierfür sonst ein Anhalt ersichtlich.

Auch die besondere Situation des damals aktuellen Wahlkampfes gibt nach Lage des Falles keinen Rechtfertigungsgrund her. In bezug auf Meinungsäußerungen gilt im Wahlkampf zwar ein großzügiger Maßstab (Art. 5 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 21 Abs. 1 GG; s. etwa BVerfG NJW 1983, S. 1415, 1416 f.; NJW 2000, S. 3485, 3486; Prinz/Peters, aaO., Rdn. 8; Löffler/ Ricker, aaO., S. 347). Aber auch im Wahlkampf ist es nicht gerechtfertigt, unwahre ehrverletzende Tatsachenbehauptungen über einen Kandidaten zu verbreiten (vgl. etwa BVerfG NJW 2000, S. 3485, 3486; BGH NJW 1984, S. 1102, 1103).

Auf ein Verschulden des Verfügungsbeklagten kommt es nicht an. Der Unterlassungsanspruch setzt ein Verschulden des Anspruchsgegners anerkanntermaßen nicht voraus.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit war im Hinblick auf § 704 Abs. 1, §§ 705, 542 Abs. 2 ZPO [n. F.] nicht veranlaßt.

Ende der Entscheidung

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