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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 26.02.2008
Aktenzeichen: 1 Ws (Vollz) 1/08
Rechtsgebiete: GKG, StVollzG, StGB


Vorschriften:

GKG § 13
GKG § 48 a
StVollzG § 68 Abs. 2
StVollzG § 70 Abs. 2 1. Var.
StVollzG § 70 Abs. 2 Nr. 2
StVollzG § 70 Abs. 2 Nr. 2 2. Var.
StVollzG § 116 Abs. 1
StGB § 184
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws (Vollz) 1/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafvollzugssache

wegen Sicherstellung von DVDs mit pornografischen Inhalten

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, die Richterin am Oberlandesgericht Michalski und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Weckbecker

am 26. Februar 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg a. d. Havel vom 12. November 2007 aufgehoben.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 18. April 2007, die DVDs mit den Titeln "Butt Controll", "Please fuck you and my friend" und "Fuck you" aus dem Haftraum des Antragstellers zu entfernen und zur Habe des Antragstellers zu nehmen wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der ihm insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Antragsteller.

Der Gegenstandswert für die Rechtsbeschwerde wird gem. § 48 a, 13 GKG auf 50,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller befindet sich derzeit im offenen Strafvollzug der Justizvollzugsanstalt Brandenburg a.d.H., der Antragsgegnerin. Die Justizvollzugsanstalt Brandenburg a.d.H. ist ausweislich des Vollstreckungsplans für das Land Brandenburg vom 4. Dezember 2006 auch Haftanstalt für so genannte Langstrafer, in der u.a. Strafgefangene mit zu verbüßenden Freiheitsstrafen von über fünf Jahren bis zu lebenslänglich untergebracht sind. Es handelt sich um eine Strafvollzugsanstalt mit höchstem Sicherheitsstandard.

Bei einer am 18. April 2007 durchgeführten Kontrolle des Haftraums des Antragstellers wurden durch die Antragsgegnerin die drei DVDs "Butt Controll", "Please fuck you and my friend" und "Fuck you" sichergestellt und zur Habe des Antragstellers genommen. Hierüber erhielt der Antragsteller ein Protokoll. Bei den DVDs handelt es sich nach den unwidersprochenen Ausführungen der Antragsgegnerin um so genannte "Hardcore" Pornografie.

Mit Schreiben vom 25. April 2007 hat der Antragsteller u.a. wegen der "Wegnahme" der DVDs sinngemäß Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Mit Beschluss vom 12. November 2007 hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg a. d. Havel die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 18. April 2007 zur Sicherstellung der oben genannten DVDs aufgehoben und sie verpflichtet, dem Antragsteller die DVDs auszuhändigen und ihm eine entsprechende Genehmigung zu ihrem Besitz im Haftraum zu erteilten. Die Strafvollstreckungskammer hat ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass die im offenen Strafvollzug befindlichen Gefangenen nach "außen orientiert" und "sinnvoller Weise nicht vor Einflüssen von außen zu schützen" seien. Angesichts der Außenorientierung und der Zugänglichkeit derartiger DVDs stelle darüber hinaus deren Erwerb innerhalb des offenen Vollzugs bei der Antragsgegnerin keinen "derartige Anreiz" dar, dass durch den Handel eine ernsthafte Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt zu besorgen wäre.

Gegen diese, der Antragsgegnerin am 27. November 2007 zugestellten Entscheidung richtet sich deren bei Gericht am 20. Dezember 2007 angebrachte Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer erstrebt.

II.

1. Die statthafte Rechtsbeschwerde ist nach Maßgabe des § 116 Abs. 1 StVollzG zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zulässig. Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung fehlerhaft ist, weil sie auf einen Rechtsfehler beruht. Im vorliegenden Fall widerspricht - wie noch darzulegen sein wird - die von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vorgenommene Auslegung des § 70 Abs. 2 Nr. 2 2. Var. StVollzG ("Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt") sowohl der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG NJW 2003, S. 2447; BVerfG NStZ-RR 1997, S. 24; BVerfG NStZ-RR 1996, S. 252; BVerfG NStZ 2004, S. 453) als auch der Rechtsprechung anderer Oberlandesgericht KG NStZ-RR 2004, S. 157, 158; OLG Frankfurt NStZ-RR 156, 157; OLG Koblenz ZfStrVo 1988, S. 372; OLG Hamm ZfStrVo 1996, S. 119, 121; OLG Hamm ZfStrVo 2001, S. 186) und anderer Strafvollstreckungskammern (LG Freiburg ZfStrVo 1994, S. 375, 376; LG Zweibrücken ZfStrVo 1996, S. 249). Eine Ausnahme von der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist dann möglich, wenn das Gericht den Rechtsfehler mit Sicherheit nicht wiederholen wird, wofür im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte bestehen.

Darüber hinaus ist die Rechtsbeschwerde auch zur Fortbildung des Rechts zulässig. Der Einzelfall enthält eine entscheidungserhebliche rechtliche Fragestellung, nämlich die Untersagung des Besitzes DVDs mit pornografischen Inhalten im offenen Strafvollzug, die dazu Anlass gibt, Leitsätze für die Auslegung von Normen des materiellen Rechts, hier: § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG, aufzustellen.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und hat in der Sache Erfolg.

Soweit die Strafvollstreckungskammer in ihrer Entscheidung vom 12. November 2007 mit beachtlichen Argumenten ausführt, dass der offene Strafvollzug auf Außenorientierung ausgerichtet ist, mithin das Ziel des Vollzugs bzw. der Vollzugsplan gemäß § 70 Abs. 2 1. Var. StVollzG nicht zur Versagung des Besitzes von DVDs mit pornografischen Inhalten führen könne, so mag dies mit Blick auf den Strafgefangenen im Ergebnis zwar zutreffen, doch letztlich kommt es darauf nicht an. Denn neben der Gefährdung des "Ziels des Vollzugs" (1. Var.) rechtfertigt auch die Gefährdung der "Sicherheit und Ordnung der Anstalt" (2. Var.) die Versagung des Besitzes von Gegenständen zur Freizeitgestaltung. Der Besitz von DVDs mit pornografischen Inhalten führt zu einer Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt im Sinne von 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG.

Ein Versagungsgrund im Sinne des § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG liegt - entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer - nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung schon dann vor, wenn der fragliche Gegenstand generell-abstrakt geeignet ist, die Sicherheit und Ordnung der Anstalt zu gefährden und diese Gefährdung nur mit einem der Anstalt nicht mehr zumutbaren Kontrollaufwand ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerfG NJW 2003, S. 2447; BVerfG NStZ-RR 1997, S. 24; BVerfG NStZ-RR 1996, S. 252; BVerfG NStZ 2004, S. 453; KG NStZ-RR 2004, S. 157, 158; OLG Frankfurt NStZ-RR 156, 157; OLG Koblenz ZfStrVo 1988, S. 372; OLG Hamm ZfStrVo 1996, S. 119, 121; OLG Hamm ZfStrVo 2001, S. 186; Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. Aufl. 2005, § 70 Rdnr. 7 m.w.N.; Kamann/Volckart in Feest: StVollzG, 5. Aufl. 2006, § 70 Rdnr. 12).

Trotz geänderter und gerade auf dem Gebiet sexueller Darstellungen und Beschreibungen toleranter gewordener Auffassungen ist eine Schrankenlosigkeit nicht gegeben. Zunehmend wird den Erfordernissen besonders schützenswerter Grenzen (Jugendschutz; Schutz der Frau vor bloßer Degradierung zum Objekt; Schutz der Intimsphäre und Menschenwürde) wie auch dem Moral-, Sittlichkeits- und Ehrgefühl des überwiegenden Durchschnitts der Bevölkerung Rechnung getragen, wie es beispielsweise der Ratio der entsprechenden Strafbestimmung des § 184 StGB zugrunde liegt.

Für den Strafvollzug im Besonderen gilt darüber hinaus, dass zum einen nahe liegende Missbrauchsgefahren, wie sich nach den Ausführungen der Antragsgegnerin in der Vergangenheit in der JVA Brandenburg gezeigt habe, darin liegen, dass pornografische Darstellungen in der Haft als beliebte Handels- und Tauschobjekte Anwendung finden und schon dieses zu Abhängigkeiten unter den Gefangenen führen kann. Zum anderen sind angesichts der sexuellen Ausnahmesituation der in einer reinen Männergesellschaft lebenden Gefangenen DVDs mit pornografischen und/oder gewaltverherrlichenden Inhalten geeignet, die ohnehin durch die sexuelle Enthaltsamkeit gespannte Atmosphäre noch künstlich zu erhitzen, was Gefangene dazu verleiten kann, Auswege aus dieser Situation zu suchen, die ebenfalls leicht zu Abhängigkeitsverhältnissen unter den Gefangenen führen können. Dadurch wird die Gefahr gewaltsamer sexueller Handlungen erhöht (vgl. hierzu auch OLG Nürnberg NStZ 1983, S. 574, 575; OLG München ZfStrVo SH 1979, S. 67; OLG Celle Beschluss vom 9.5.2006, 1 Ws 157/06; LG Freiburg ZfStrVo 1994, S. 375, 376; LG Zweibrücken ZfStrVo 1996, S. 249). Dies gilt in erhöhtem Maße für die Justizvollzugsanstalt Brandenburg, in der sich eine Vielzahl von Gewalt- und Sexualstraftätern befinden. Diese Gefährdungslage trifft für den geschlossenen Vollzug gleichermaßen wie für den offenen Vollzug zu, zumal Rückverlegungen vom offenen Vollzug in den geschlossenen Vollzug bei Vollzugsanstalten für so genannte Langstrafer keine Ausnahme sind.

Demgegenüber sind keine entgegenstehenden oder gar höherrangigen Interessen des Gefangenen zu erkennen. Durch das Vorenthalten der DVDs ist das Grundrecht des Antragstellers auf Informations- und Meinungsfreiheit nicht verletzt, denn das in Art. 5 GG enthaltene Grundrecht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, ist durch das Strafvollzugsgesetz insbesondere durch § 70 Abs. 2 StVollzG - wie auch durch § 68 Abs. 2 StVollzG - in verfassungsrechtlich zulässiger Weise eingeschränkt (BVerfG aaO.). Zudem sind DVDs mit überwiegend pornografischen Inhalten - wenn überhaupt - allenfalls geringfügige Informationsträger. Das Vorenthalten der DVDs ist auch unerlässlich und verhältnismäßig. Es ist zur Erreichung des vom Gesetzgeber angestrebten Ziels (Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt) geeignet und erforderlich. Dieses Ziel kann auf eine andere, den Antragsteller weniger belastende Weise nicht erreicht werden (vgl. dazu BVerfG NJW 1978, S. 2235, 2237). Bei einer zeitlich begrenzten Überlassung der drei DVDs beispielsweise bestünde gleichwohl die Gefahr, dass die Medien in die Hände anderer Gefangener geraten. Dies lässt sich durch ein Verbot der Weitergabe und durch Kontrollen nicht zuverlässig verhindern (vgl. OLG Nürnberg NStZ 1983, S. 574, 575; Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. Aufl. 2005, § 68 Rdnr. 11, § 70 Rdnr. 7 m.w.N.). Es kommt hinzu, dass die Kontrolle von DVDs angesichts stetig steigender Speicherkapazität (derzeit bis 4,7 GB) vor dem Hintergrund der allgemein bekannten knappen Personalausstattung erheblich erschwert ist.

Unbeachtlich ist schließlich der Umstand, dass sich der Antragsteller selbst weder wegen einer Sexual- noch wegen einer Gewaltstraftat in Strafhaft befindet.

Denn - wie bereits oben dargelegt - kommt es auf eine individuelle, nur auf die Person des Antragstellers bezogene Missbrauchsmöglichkeit nicht an.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG iVm. § 465 Abs. 1 StPO. Da das Rechtsmittel der Antragsgegnerin Erfolg hat, gehören die Rechtsmittelkosten zu den Verfahrenskosten, die der Antragsteller nach § 465 Abs. 1 StPO zu tragen hat; von seinen notwendigen Auslagen wird er nicht entlastet (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2007, § 473 Rdnr. 15).

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 1 Nr. 1j, 63 Abs. 3, 65 GKG.

Ende der Entscheidung

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